OGH 13Os34/02

OGH13Os34/0229.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Mai 2002 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Lazarus als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Walter T***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 9. Jänner 2002, GZ 9 Hv 303/01t-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Walter T***** wurde (infolge Tatmehrheit richtig:) der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (nF) schuldig erkannt.

Danach hat er zu nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten während einer Dauer von rund drei Monaten im Zeitraum von Frühjahr 1992 bis Frühsommer 1993 in Bad Sauerbrunn in zumindest acht Angriffen den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen mit einer unmündigen Person, nämlich der am 3. August 1980 geborenen und seiner Aufsicht unterstehenden Sabine S***** unternommen, indem er mit dem Mädchen zweimal den Geschlechtsverkehr vollzog und sie an ihm in weiteren sechs Fällen einen Oralverkehr vornahm, wobei er gleichzeitig entweder seinen Finger in ihre Scheide steckte oder sie an der Brust betastete.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die jedoch fehl geht.

Der gegen die Abweisung von Beweisanträgen gerichteten Verfahrensrüge (Z 4) ist vorweg zu entgegnen, dass ihre Geltendmachung verlangt, dass die Anträge erhebliche (vgl § 254 Abs 1 StPO) Tatsachen betreffen, somit solche, die unmittelbar oder mittelbar (ohne dabei auf - unzulässige - Erkundungsbeweise abzuzielen) der Feststellung entscheidender (vgl Z 5 und Z 5a) Tatsachen dienen; unter letzteren sind jene zu verstehen, die die Unterstellung unter ein Strafgesetz (der Lösung der Schuldfrage) oder einen bestimmten Strafsatz betreffen. Weiters ist erforderlich, dass Beweismittel und -thema überhaupt geeignet sein müssen, das angestrebte - obigen Voraussetzungen entsprechende - Ergebnis zu erreichen. Diesen Erfordernissen werden die vorliegend abgelehnten Beweisanträge indes nicht gerecht.

Ob nämlich die Zeugin Anna B*****, die Mutter des Tatopfers, von diesem allenfalls erstmalig mitten in einer Geburtstagsfeier und in Anwesenheit mehrerer Personen mit den dem Anklagevorwurf zugrunde liegenden Behauptungen konfrontiert worden war und es vorausgehend kein vertrauliches Gespräch zwischen ihr und dem Tatopfer zu dem behaupteten Vorfall gegeben hat, vermag ebensowenig zur Lösung der Schuldfrage beizutragen wie die ebenfalls beantragte ergänzende Vernehmung des Zeugen Roland K***** zum Beweis dafür, dass die Zeugin Sabine S***** diesem erklärte, eine Therapeutin zu konsultieren und sich dabei bis zur Fußgängerzone in Wiener Neustadt begleiten ließ, sowie zum weiteren Beweis dafür, dass die seinerzeitige Lebensgemeinschaft dieses Zeugen mit der Zeugin Sabine S***** bereits eine empfindliche Störung aufgewiesen hat.

Gleiches gilt für die ebenfalls abgelehnte beantragte Ergänzung des Gutachtens der Sachverständigen Dr. Sigrun R***** dafür, dass die Zeugin Sabine S***** "Störungen in ihrem Sexualleben aufweise", als "männergeschädigt" anzusehen sei und dass es im "Handlungsrepertoir" einer solchen geschädigten Frau gelegen sei, durch Mitleidheischung und unberechtigte Schuldzuweisungen an einen Mann einen entgleitenden Partner halten zu wollen. Die Beschwerde selbst räumt nämlich ("Handlungsrepertoir") ein solches Verhalten bloß als möglich ein, behauptet somit gar nicht konkret, der Zeugin Sabine S***** hätte es an der Aussagefähigkeit oder an der Wahrheitsliebe gefehlt, und läuft somit auf einen sowohl aussichtslosen als auch unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus.

Abgesehen vom Erfordernis der Bezugnahme auf entscheidende Tatsachen und der Verpflichtung des Gerichtes zur gedrängten Darstellung der Gründe (weshalb unbedeutende Nebenumstände unerörtert zu bleiben haben) ist bei der Ausführung der Mängelrüge (Z 5) zu beachten, dass die Beweisergebnisse in ihrer Gesamtheit zu betrachten sind (§ 258 Abs 2 StPO), sodass die isolierte Hervorhebung einzelner Verfahrensergebnisse nicht zielführend ist.

So sind die von der Beschwerde ins Treffen geführten Teile der

Aussage des Zeugen Roland K***** über Erzählungen der Sabine S*****

betreffend den Besuch einer Psychologin ebenso unerheblich wie jene,

dass sie der Angeklagte nicht zu einem Vaginal-, sondern zu einem

Oralverkehr gezwungen hätte, vermag doch der Zeuge selbst im Falle

des Zutreffens dieser ihm gegenüber erfolgten Äußerung über deren

Wahrheitsgehalt nichts zu sagen. Die Rüge läuft daher - ohne den

behaupteten Begründungsmangel einer Unvollständigkeit aufzuzeigen -

im Kern auf eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art

einer Schuldberufung hinaus, was sie selbst ("... wäre zumindest im

Zweifelsfall mit einem Freispruch .... vorzugehen gewesen") zu

erkennen gibt.

Zu Recht blieb auch die Aussage der Zeugin Eveline S***** über eine angebliche Äußerung des Tatopfers, alle Männer zu hassen, unerörtert, weil sie zur Lösung der Schuldfrage nichts beizutragen vermag. Gleiches trifft für die Aussage der Zeugin Anna B***** über den Zeitpunkt der ihr von der Zeugin Sabine S***** eröffneten Missbrauchshandlungen.

Keine entscheidende Tatsache betrifft fallbezogen die Feststellung der einzelnen Tatzeitpunkte, sodass die Gründe auch nicht undeutlich geblieben sind.

Soweit die Beschwerde den Schuldspruch gegen die Unschuldsvermutung des Art 6 Abs 2 MRK widerstreitend ansieht, weil die "mit dem harten Kern der Aussagen der Zeugin S*****" vorgenommene Begründung den gesetzlichen Erfordernissen nicht entspreche, übersieht sie, dass das Gericht nicht nur zu "zwingenden", sondern auch zu Wahrscheinlichkeitsschlüssen berechtigt ist, sofern diese logisch einwandfrei (und zureichend) begründet sind. Dass aus den ermittelten Prämissen auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, sich die Erkenntnisrichter aber dennoch für die dem Angeklagten ungünstigeren entschieden haben, ist ein Ausfluss der freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO), welche mit der Mängelrüge unbekämpfbar ist.

Schließlich geht auch die Tatsachenrüge (Z 5a) fehl, weil sie keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen aufzeigt, sondern - ähnlich wie die Mängelrüge - unter Hervorkehrung einzelner Beweisergebnisse und unbedeutender Nebenumstände, welche sie einer eigenständigen Beweiswerterwägung unterzieht, nach Art einer Schuldberufung und solcherart auch im Rahmen dieses Nichtigkeitsgrundes unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 285d StPO), sodass über die Berufung des Angeklagten das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden hat (§ 285i StPO).

Im Übrigen gibt das Urteil zu folgenden Bemerkungen Anlass:

Obwohl die Tathandlungen sämtlich vor Inkrafttreten des StRÄG 1998 (BGBl I 1998/153) stattfanden, erfolgte der Schuldspruch bezüglich aller Taten nach § 206 Abs 1 StGB nF.

Während die beiden Beischlafshandlungen im Hinblick auf § 61 StGB zutreffend dem neu gestalteten Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen iSd § 206 Abs 1 StGB nF unterstellt wurden, hätten die sechs Fälle eines Oralverkehrs mangels einer im Tatzeitpunkt bestehender Gleichstellung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung mit dem Beischlaf als Missbrauch zur Unzucht auf andere Weise als durch Beischlaf im Sinn des § 207 Abs 1 StGB aF beurteilt werden müssen (13 Os 120/00). Diese rechtsirrige Subsumtion wirkt sich aber fallbezogen im Ergebnis nicht zum Nachteil des Angeklagten im Sinn des § 290 Abs 1 StPO aus, weil sich auch bei richtiger rechtlicher Beurteilung am gemäß § 28 StGB anzuwendenden Strafsatz nach § 206 Abs 1 StGB nF nichts geändert hätte (vgl Mayerhofer StPO4 § 290 E 31). Bei rechtsrichtiger Beurteilung wäre bei den Strafbemessungsgründen vielmehr das Zusammentreffen zweier Verbrechen gemäß § 33 Z 1 StGB als erschwerend hinzugetreten, ohne dass der vom Erstgericht angenommene Erschwerungsumstand der Vielzahl der Übergriffe weggefallen wäre, liegt doch dem Angeklagten sowohl hinsichtlich des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB nF als auch hinsichtlich des bei rechtsrichtiger Subsumtion vorliegenden Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs 1 StGB aF jeweils eine Deliktsmehrheit zur Last. Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass bei den strafsatzbestimmenden Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB nF bei gesetzesgemäßer rechtlicher Beurteilung nur zwei Tathandlungen vorlagen, würde sich in Anbetracht des dann hinzutretenden Straferschwerungsgrundes bei den Strafzumessungsgründen keine zum Vorteil des Angeklagten auswirkende Veränderung ergeben (vgl Mayerhofer StPO4 § 290 E 33). Die unrichtige Subsumtion durch das Erstgericht kann daher (ohne ein Vorgehen gemäß § 290 StPO) auf sich beruhen.

Gleiches gilt für die sich lediglich zu Gunsten des Angeklagten auswirkende Annahme der Verjährung des idealkonkurrierend vom Angeklagten erfüllten Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB, weil nach der neueren Judikatur des Obersten Gerichtshofes bei idealkonkurrierenden strafbaren Handlungen - in Abkehr der bisherigen, vom Erstgericht übernommenen Rechtsprechung - nicht von unterschiedlicher Verjährung der zusammentreffenden Straftaten auszugehen ist (13 Os 169/99; vgl auch 13 Os 36/01).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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