OGH 12Os11/04

OGH12Os11/0411.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael P***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 2. Dezember 2003, GZ 412 Hv 1/03y-247, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Michael P***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (I.), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 aF StGB (II.) und des Mordes nach § 75 (III.) schuldig erkannt.

Demnach hat er 22. Dezember 1990 in Wien

I./ die am 11. Jänner 1982 geborene Nicole S***** dadurch, dass er sie gewaltsam niederdrückte, außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Analverkehrs, genötigt;

II./ durch die in der zu Punkt I./ angeführte Tathandlung eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht;

III./ nach der zu Punkt I./ angeführten Tathandlung die Genannte dadurch vorsätzlich getötet, dass er ihr, nachdem der Versuch, sie zu erdrosseln, scheiterte, mit einem 130 cm langem Holzprügel mehrere wuchtige Schläge gegen die Stirn sowie in weiterer Folge gegen die Hinterhaupts- und Scheitelregion versetzte, welche schwerste Verletzungen des knöchernen Schädels sowie seines Inhaltes zur Folge hatte, sowie dadurch, dass er massive stumpfe Gewalt gegen ihre Brustkorb- und Oberbauchregion ausübte, wodurch es zu einer Zerreißung des Herzbeutels sowie zu ausgedehnten Verletzungen der Leber und Bauchspeicheldrüse kam.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten dagegen aus § 345 Abs 1 Z 5, 10a und 11 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Der Verfahrensrüge (Z 5) zuwider hat der Schwurgerichtshof den zum Nachweis dafür, "dass das angelastete Tötungsdelikt von Herrn P***** weder subjektiv noch objektiv verwirklicht worden ist und der in der Anklage dargestellte sachliche und räumliche Ablauf des Sachverhaltes nicht in der Form stattgefunden hat, weil weder zeitlich noch von der Distanz her nach den bisherigen Beweisergebnissen der angelastete Tatablauf samt Vorbereitungshandlungen sowie Rückkehr des Täters in den Bereich ***** niemals in diesem zeitlichen Rahmen schlüssig zustande kommen kann", gestellten Antrag auf Vornahme eines um ca

17.30 Uhr eines vergleichbaren Wintertages im Bereich vor der in ***** gelegenen Wohnung der Paula S***** beginnenden und am Tatort des Tötungsdeliktes (einem Waldstück am *****) endenden Ortsaugenscheines sowie jenen auf Abgehen aller möglichen Routen, die der Täter zum Tatort hin gewählt haben könnte (S 239 f/VII), unter Beiziehung eines verkehrstechnischen Sachverständigen zur Erstellung eines Zeit-Weg-Diagramms (S 253/VII), zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die räumlichen Situationen und Distanzen feststehen, der Tatzeitraum nicht präzise genug bekannt sei und sich die Situation am Tatort des Tötungsdeliktes 13 Jahre nach der Tat evidentermaßen verändert hat. Der Antrag war auch deshalb im Ansatz verfehlt, weil gar nicht fest steht, wo und zu welchem Zeitpunkt der Täter mit der Unmündigen erstmals zusammengetroffen ist, und ob allenfalls Verkehrsmittel benutzt wurden.

Feststellungen über das sonstige, angeblich unauffällige Verhalten des Angeklagten, insbesondere in sexueller Hinsicht, die durch die beantragte Einvernahme von Helga und Jennifer K***** allenfalls hätten getroffen werden können (vgl Antrag ON 210 = 233 iVm S 51, 239, 253/VII), sind nicht geeignet, die dem Angeklagten vorgeworfene Tatbegehung auszuschließen.

Die Zeugin Helga D***** wurde zum Beweis dafür geführt, dass am Tattag um ca 18.45 Uhr im Gebiet der L*****straße schrille Angstschreie eines Kindes bzw einer Jugendlichen wahrnehmbar gewesen seien, zu welcher Zeit der Angeklagte "nach den bisher feststehenden Beweisergebnissen keinesfalls in der Nähe des Tatortes gewesen sein kann" (vgl S 13 = 119/VII iVm S 51, 239, 257/VII). Zutreffend wird im abweisenden Zwischenerkenntnis ausgeführt, dass die behaupteten Schreie auch eine andere Ursache gehabt haben können und ein Zusammenhang mit dem vorliegenden Mordfall nicht sicher feststellbar sei. Welche "feststehende Beweisergebnisse" angeblich seine Täterschaft um ca 18.45 Uhr des Tattages ausschließen würden, legte der Angeklagte bei der Antragstellung überdies nicht dar. In der Tatsachenrüge (Z 10a) vermag er keine, geschweige denn erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken. Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, weshalb die Tatbegehung durch ihn in einem Zeitraum von ca zwei Stunden (17.30 Uhr bis 19.30 Uhr) "denkunmöglich sei". Hiezu ist nochmals darauf zu verweisen, dass der Zeitpunkt, wann die unmündige Nicole S***** auf ihren Mörder getroffen ist, ebenso wenig feststeht wie der Umstand, ob das spätere Opfer den Heimweg (von der Wohnung ihrer Tante Paula S*****) zu Fuß oder (zumindest zum Teil) mit einem Verkehrsmittel angetreten hat, bzw ein solches auch vom Beschwerdeführer - gegebenenfalls in Begleitung des Opfers - benützt wurde.

Die Beschwerdebehauptung, Regina V***** habe das spätere Opfer noch nach 19.30 Uhr im Bereich der S*****straße gesehen, ist aktenwidrig, gab die Zeugin doch bloß an, ein Mädchen, auf das die Beschreibung der Nicole S***** gepasst habe, um ca 18.30 Uhr in Wien ***** gesehen zu haben (S 223/VII iVm S 267/I).

Unzutreffend ist auch das Beschwerdevorbringen, das Gericht habe Beweiserhebungen über den genauen Todeszeitpunkt der Nicole S***** unterlassen, hat der Sachverständige Prof. Dr. H***** in der Hauptverhandlung doch ausgeführt, dass der wahrscheinliche Todeszeitpunkt im Bereich zwischen 17.30 Uhr und 20 Uhr liegt (S 31/VII).

Verletzungen am Körper des Täters oder Beschädigungen seiner Kleidung müssen auch beim Durchqueren des Waldstücks samt Unterholz, in dem der Mord verübt wurde (vgl Tatortfotos, S 162 ff/I), nicht zwangsläufig eingetreten seien.

Die auf § 345 Abs 1 Z 11 lit b StPO gestützte Rüge verfehlt eine prozessordnungsgemäße Darstellung, weil Gegenstand dieses Nichtigkeitsgrundes nur die Behauptung sein kann, die Verfolgung der Tat sei aus Gründen des Prozessrechtes ausgeschlossen. Das Beschwerdevorbringen, wonach hinsichtlich der Verbrechen nach § 201 Abs 2 und § 207 Abs 1 aF StGB (Punkte I./ und II./) Verjährung eingetreten sei, weil in Ansehung dieser (Ende 1990 begangenen) Delikte die Verjährungszeit nur fünf Jahre betrage, die erste Verfolgungshandlung aber erst 2002 stattgefunden habe, bringt einen materiellrechtlichen Strafaufhebungsgrund zur Darstellung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 621). Ein solcher hätte aber zum Gegenstand einer - hier unterbliebenen - Fragenrüge nach § 345 Abs 1 Z 6 StPO in Bezug auf die Unterlassung der Stellung einer betreffenden Zusatzfrage nach § 313 StPO gemacht werden müssen (vgl Schindler, WK-StPO § 313 Rz 27).

Im Übrigen übergeht der Beschwerdeführer die im Urteil festgestellte Tatsache, dass er erst nach der Vergewaltigung den Mord an Nicole S***** verübt hat. Demgemäß setzt er sich auch nicht mit der hier anzuwendenden Gesetzesbestimmung des § 58 Abs 2 StGB auseinander, wonach bei Begehung einer weiteren, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat (vgl Jerabek in WK2 § 71 Rz 8) während laufender Verjährungsfrist eine Verjährung des früheren Delikts nicht eintritt, bevor auch für die spätere Tat, nämlich den mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Mord, für den eine Verjährung nicht vorgesehen ist (§ 57 Abs 1 erster Satz StGB) die Verjährungsfrist abgelaufen ist.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte