OGH 8Ob16/04t

OGH8Ob16/04t29.3.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** AG, ***** vertreten durch Dr. Gerhard Schatzlmayr, Dr. Klaus Schiller, Rechtsanwälte in Schwanenstadt, wider die beklagten Parteien 1. Franz W*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Stockinger, Rechtsanwalt in Wels, als Verfahrenshelfer, 2. Franz W*****, vertreten durch Dr. Martin Stossier, Rechtsanwalt in Wels, als Verfahrenshelfer, wegen 308.599,93 EUR sA, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 28. April 1998, GZ 4 R 27/98p-21, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 22. September 1997, GZ 3 Cg 5/97p-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Aus Anlass der Revision des Zweitbeklagten wird das gesamte Verfahren hinsichtlich des Zweitbeklagten von der Klagezustellung an für nichtig erklärt.

Die Kosten des Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung

Die klagende Partei gewährte dem Erstbeklagten im August 1989 einen Existenzgründungskredit von 2 Mio S mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Der Zweitbeklagte übernahm hiefür die Bürgschaft.

Mit ihrer am 14. 1. 1997 eingebrachten Wechselmandatsklage begehrt die klagende Partei die Verurteilung beider Beklagten zur Zahlung von 4,246.427,78 S sA. Der Wechselzahlungsauftrag des Erstgerichtes vom 15. 1. 1997 wurde dem Zweitbeklagten am 17. 1. 1997 zugestellt. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde der Zweitbeklagte von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten, dem das klagestattgebende Urteil des Erstgerichtes am 16. 10. 1997 zugestellt wurde. Im Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 11. 11. 1997 verwies der Zweitbeklagte unter anderem darauf, dass seine Frau schwer lungenkrank sei.

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 12. 11. 1997 wurde dem Zweitbeklagten die Verfahrenshilfe für das Rechtsmittelverfahren in vollem Ausmaß gewährt. Zum Verfahrenshelfer wurde der bisherige, vom Zweitbeklagten frei gewählte Rechtsanwalt bestellt. Das Berufungsgericht gab der am 13. 1. 1998 erhobenen Berufung des Zweitbeklagten mit Urteil vom 28. April 1998 nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsurteil wurde am 8. 5. 1998 zugestellt. Am 5. 6. 1998 beantragte der Zweitbeklagte die Umbestellung seines Verfahrenshelfers.

Nach Umbestellung erhob der neue Verfahrenshelfer am 30. 6. 1998 Revision.

Das Verfahren gegenüber dem Erstbeklagten ist mittlerweile rechtskräftig beendet.

Über Antrag des Zweitbeklagten vom 7. 7. 1998 setzte das Erstgericht mit Beschluss vom 23. 7. 1998 das Verfahren hinsichtlich des Zweitbeklagten gemäß § 6a ZPO bis zur Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes über die Prozessfähigkeit des Zweitbeklagten aus.

Das Bezirksgericht Schwanenstadt als Pflegschaftsgericht bestellte mit Beschluss vom 30. 6. 1999 (1 P 73/98m-29) Mag. Susanne F***** zur Sachwalterin des Zweitbeklagten, insbesondere auch zur Vertretung vor Gerichten. Es bejahte die Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung "zum derzeitigen Zeitpunkt" und führte weiter aus, dass zur Frage der Geschäfts- bzw Prozessfähigkeit über einen längeren Zeitraum zurückliegend keine Klärung erzielt werden konnte. Es bezog sich dabei auf das psychiatrische Gutachten Dris. Herbert Schmidbauer vom 19. 3. 1999 (1 P 73/98m-17 des Bezirksgerichtes Schwanenstadt), wonach "kaum exakt" zu beantworten sei, ab wann der derzeit bestehende pseudodemente, durch eine ausgeprägte Depression hervorgerufene Zustand anzunehmen sei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehe nämlich eine enge zeitliche Korrelation zu der schweren Erkrankung und zum Tod der Gattin des Zweitbeklagten. Die psychische Dekompensation habe wohl schon einige Zeit vorher stattgefunden bzw sich angebahnt, doch wären zur zeitlich genauen Eingrenzung weitere Außeninformationen erforderlich.

Mit Beschluss vom 15. 3. 2001, 2 Ob 55/01d, erkannte der Oberste Gerichtshof auf Bestätigung der vorinstanzlichen Entscheidung zur Sachwalterbestellung.

In seinem am 14. 5. 2001 überreichten Antrag auf "Wiederaufnahme des Sachwalterverfahrens" führte der Zweitbeklagte aus, im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dris. Schmidbauer wegen des Ablebens seiner Frau seelisch und psychisch am Boden gewesen zu sein, nunmehr sei er aber wieder hergestellt und brauche keinen Sachwalter mehr. Mit Beschluss vom 10. 5. 2002 wurde im Hinblick auf die rechtskräftige Sachwalterbestellung das vorliegende Verfahren fortgesetzt und der Sachwalterin eine Erklärung aufgetragen, ob sie das bisherige Verfahren genehmige. Eine solche Erklärung wurde jedoch von ihr unter Hinweis auf die bevorstehende Enthebung nicht abgegeben.

Mit Beschluss vom 22. 7. 2002 (1 P 73/98m-118) beendete das Pflegschaftsgericht die Sachwalterschaft mangels Fortbestehens der Voraussetzungen. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Das Erstgericht trug dem Zweitbeklagten selbst eine solche Erklärung auf. Durch seinen zur Verfahrenshilfe bestellten Antrag erging die Erklärung, das bisherige Verfahren nicht zu genehmigen (ON 46). Der erkennende Senat trug mit Beschluss vom 19. Dezember 2002 dem Erstgericht die Durchführung von Erhebungen darüber auf, ob der Zweitbeklagte zum Zeitpunkt der Betrauung seines frei gewählten Rechtsanwaltes zu Prozessbeginn und zum Zeitpunkt der Zustellung der Beschlüsse über die Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwaltes sowie über die Umbestellung seines im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwaltes prozessfähig war. Aus dem in Befolgung dieses Auftrages eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. Herbert Schmidbauer samt Ergänzungsgutachten (ON 51; ON 54) geht hervor, dass der am 2. 4. 1937 geborene Zweitbeklagte, der eine niedrige Intelligenz in einem IQ-Bereich um 80 aufweist, insbesondere im Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung seiner Gattin und deren Tod am 31. 12. 1997 an einer Depression gelitten hat, weshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass er sowohl zum Zeitpunkt der Zustellung der Klage als auch für nachfolgende Zeiträume bis jedenfalls Mitte Juni 1998 nicht in der Lage war, die Tragweite der Erteilung einer Prozessvollmacht und die Tragweite der Prozessführung abzusehen. Über nochmalige Aufforderung des Erstgerichtes erklärte der Zweitbeklagte durch seinen nunmehrigen Verfahrenshelfer, die bisherige Verfahrensführung nicht zu genehmigen (ON 57).

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels des Zweitbeklagten war von Amts wegen der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 5 ZPO wahrzunehmen: Nach den vom Obersten Gerichtshof veranlassten Erhebungsergebnissen steht mit großer Wahrscheinlichkeit fest, dass der Zweitbeklagte schon zum Zeitpunkt der Klagezustellung prozessunfähig war und diese Prozessunfähigkeit auch zum Zeitpunkt des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und des Zeitpunktes auf Antrag der Umbestellung des Verfahrenshelfers vorlag. Der Mangel der Prozessfähigkeit ohne nachträgliche prozessordnungsgemäße Genehmigung des bisherigen Verfahrens begründet Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (Kodek in Rechberger² § 477 ZPO Rz 8; Fucik in Rechberger aaO § 6a ZPO Rz 5; 6 Ob 708/89; 1 Ob 56/00t; 6 Ob 194/03b uva). Da der Nichtigkeitsgrund bezüglich des Beklagten bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Prozessvollmacht bzw der Klagezustellung gegeben war, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und das Verfahren einschließlich der Klagezustellung für nichtig zu erklären (RIS-Justiz RS0035241).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO: Dem Akteninhalt sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Einleitung bzw Fortsetzung des Verfahrens trotz des vorhandenen Nichtigkeitsgrundes einer der Parteien als Verschulden zuzurechnen wäre. Es kann also auch dem prozessunfähigen Beklagten, der die Tragweite seines prozessualen Verhaltens nicht verstand, nicht angelastet werden, dass er nicht auf seine Behinderung hinwies.

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