OGH 6Ob194/03b

OGH6Ob194/03b23.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr. Hans Wabnig, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, gegen die beklagte Partei Helmut T*****, vertreten durch Steger, Schilchegger & Partner, Rechtsanwälte in St. Johann im Pongau, wegen Aufkündigung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 10. Juni 2002, GZ 54 R 119/02t-48, womit über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau vom 29. Mai 2001, GZ 5 C 59/00k-43, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen und das ihnen vorangegangene Verfahren ab (und einschließlich) der Tagsatzung vom 29. 3. 2001 werden als nichtig aufgehoben.

Das Mehrbegehren, das bisherige Verfahren zur Gänze als nichtig aufzuheben und die Klage (die Kündigung) zurückzuweisen, wird abgewiesen. Die Rechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des nichtigen Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die klagende Vermieterin stützte ihre am 14. 7. 2000 beim Erstgericht eingelangte gerichtliche Aufkündigung auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG. Der Beklagte verleide den Mitbewohnern des Hauses durch sein rücksichtsloses, anstößiges und grob ungehöriges Verhalten das Zusammenleben. Er beschimpfe und beleidige öffentlich andere Mieter des Hauses, missachte die Hausordnung, verschmutze Allgemeinflächen und bedrohe andere Mieter.

Der Beklagte erhob gegen die Aufkündigung Einwendungen, bestritt das Klagevorbringen und brachte im Wesentlichen vor, dass er nur zu einer Mieterin (von sechs Mietparteien des Hauses) ein schlechtes Verhältnis habe. Deren Sohn habe ihn täglich angegriffen. Die Auseinandersetzungen seien vom Beklagten nicht provoziert worden.

Der im Verlaufe des Verfahrens für den Beklagten bestellte Verfahrenshelfer äußerte Zweifel an der Prozessfähigkeit des Beklagten unter Hinweis auf dessen chronische Alkoholkrankheit.

Das Erstgericht erklärte im zweiten Rechtsgang die Aufkündigung für rechtswirksam und gab dem Räumungsbegehren statt. Es beurteilte den festgestellten Sachverhalt rechtlich dahin, dass der Beklagte insbesondere durch Beschimpfungen und Bedrohungen der Mitbewohner des Hauses den Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG verwirklicht habe. Sein Verhalten überschreite das Maß des Zumutbaren.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und gab der Berufung des Beklagten nicht Folge.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die (ordentliche) Revision nicht zulässig sei.

Mit seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte, das angefochtene Urteil als nichtig aufzuheben, das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären und die "Klage" zurückzuweisen. Hilfsweise wird der Abänderungsantrag gestellt, dass die Aufkündigung aufgehoben und für nicht rechtswirksam erklärt werde. Der Beklagte beantragt ferner hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Die Klägerin beantragt mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Interesse der Rechtssicherheit zulässig und teilweise berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Verfahren mit Beschluss vom 12. 9. 2002, AZ 6 Ob 216/02m, aus Anlass der außerordentlichen Revision des Beklagten dem Erstgericht die Befassung des Pflegschaftsgerichtes gemäß § 6a ZPO aufgetragen, damit der vom Beklagten relevierte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Prozessfähigkeit einer Prüfung unterzogen werden kann. In diesem Zwischenverfahren bestellte das Bezirksgericht St. Johann/Pongau als Sachwalterschaftsgericht mit Beschluss vom 7. 5. 2003, GZ 12 P 29/03a-12, für den Beklagten gemäß § 273 ABGB eine Sachwalterin zur Vertretung des Betroffenen gegenüber Gerichten, Behörden und Ämtern, insbesondere auch für den anhängigen Kündigungsprozess. Der Beklagte leide nach jahrelangem Alkoholmissbrauch an einer hirnorganisch begründeten Persönlichkeitsstörung. Aufgrund der psychischen Erkrankung (Depression) sei der Beklagte seit Anfang Februar 2001 nicht mehr in der Lage, kompliziertere Zusammenhänge zu erfassen. Zuvor sei er aber noch in der Lage gewesen, die Tragweite der Prozessführung abzusehen. Der Beschluss des Sachwalterschaftsgerichtes erwuchs in Rechtskraft.

Die Sachwalterin erklärte, dass sie "das bisherige Verfahren nicht genehmige" (ON 61).

Der Mangel der Prozessfähigkeit ohne nachträgliche prozessordnungsgemäße Genehmigung des bisherigen Verfahrens durch den bestellten Sachwalter begründet Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO (1 Ob 56/00t mwN). Der in der Revision relevierte Nichtigkeitsgrund liegt nach den im Sachwalterschaftsverfahren getroffenen unbedenklichen Feststellungen vor. Danach ist allerdings nicht das gesamte Verfahren für nichtig zu erklären, sondern nur das ab Anfang Februar 2001 durchgeführte, weil bis dahin die Prozesfähigkeit des Beklagten gegeben war (vgl RIS-Justiz RS0035241). Nur mit dieser zeitlichen Einschränkung ist dem Revisionsantrag stattzugeben.

Die Zurückverweisung an das Prozessgericht erster Instanz gründet auf § 478 Abs 2 iVm § 513 ZPO.

Die Kosten des nichtigen Verfahrens sind gemäß § 51 Abs 2 ZPO gegenseitig aufzuheben. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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