OGH 6Ob708/89

OGH6Ob708/8916.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Hildegard S***, Betriebsberaterin, Reiffensteingasse 6, 5020 Salzburg, vertreten durch den einstweiligen Sachwalter Dr. Hellmut P***, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1.) Kurt L***, Realitätenvermittler, und 2.) Liselotte L***, Angestellte, beide Stefan-Ludwig-Rothstraße 14, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Dieter Graf, Rechtsanwalt in Salzburg, und die Nebenintervenientin auf seiten der beklagten Parteien S*** L***-H***, Residenzplatz 7, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Reinhold Möbius, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Anfechtung eines Vertrages (Streitwert S 2,900.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12. September 1984, GZ 4 R 164/84-78, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 29. März 1984, GZ 10 Cg 143/80-72, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision wird das gesamte Verfahren von der Klagszustellung an für nichtig erklärt und die Klage zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung

Von den Vorinstanzen wurde das Begehren der Klägerin, ihre der S*** L***-H*** am 12.Dezember 1978 erteilte

Verkaufsvollmacht und den Kaufvertrag zwischen den Streitteilen vom 14. November 1979 als unwirksam aufzuheben und die Beklagten schuldig zu erkennen, in die Einverleibung des Eigentumsrechtes der Klägerin auf der Liegenschaft EZ 874 KG Aigen einzuwilligen, abgewiesen. In ihrer gegen das zweitinstanzliche Urteil erhobenen, auf die Anfechtungsgründe des § 503 Abs 1 Z 1, 2 und 4 ZPO gestützten Revision brachte die Klägerin vor, dem ihr zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt sei erst kurz vor Ablauf der Revisionsfrist zur Kenntnis gelangt, daß sie zufolge eines Gutachtens des Institutes für gerichtliche Medizin der Universität Salzburg an akuter Manie mit paranoiden Vorstellungen leide und diese Geisteskrankheit mit hoher Wahrscheinlichkeit bis in das Jahr 1978 zurückreiche. Sie hätte deshalb schon bei Erteilung der Prozeßvollmacht der Vertretung durch einen gesetzlichen Vertreter bedurft, so daß das gesamte Verfahren an Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 4 und 5 ZPO leide.

Der Oberste Gerichtshof veranlaßte die Einholung eines gerichtsärztlichen Gutachtens zur Feststellung der Geistesverfassung der Klägerin bei Erteilung der Prozeßvollmacht an ihren Vertreter Dr. Robert E*** (am 4.April 1980) und die weitere Entwicklung deren Geisteszustandes insbesondere in der Richtung, ob die Klägerin die Tragweite des Verfahrens, dessen Folgen und finanziellen Auswirkungen abzuschätzen imstande war, damit ihre Prozeßfähigkeit während des fraglichen Zeitraumes beurteilt werden könne. Nachdem der vom Erstgericht bestellte Sachverständige Univ.Prof. Dr. Werner L*** ein solches Gutachten erstattet und dieses vom Erstgericht im Beisein des Sachverständigen mit den Parteien erörtert worden war, faßte der Oberste Gerichtshof gemäß § 6 a ZPO den Beschluß, die Akten dem Bezirksgericht Salzburg als Pflegschaftsgericht mit der Verständigung zu übermitteln, daß sich nach dem Ergebnis des Sachverständigenbeweises bei der Klägerin mit Beziehung auf den Rechtsstreit Anzeichen für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 273 ABGB ergeben haben.

In dem darauf eingeleiteten Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters für die Klägerin bestellte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien mit Beschluß vom 8.Oktober 1986, 8 SW 203/84-55, Dr. Hellmut P***, Rechtsanwalt in Salzburg, zum einstweiligen Sachwalter der Klägerin, der nur die Vertretung der Betroffenen in den Verfahren 10 Cg 143/80 und 10 Cg 453/80 des Landesgerichtes Salzburg als dringende Angelegenheiten zu besorgen habe. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen (ON 105).

Der Oberste Gerichtshof veranlaßte die Einholung einer Erklärung des einstweiligen Sachwalters der Klägerin über eine allfällige Genehmigung der Prozeßführung.

Mit Schriftsatz vom 3.November 1988 (ON 107) gab der einstweilige Sachwalter die Erklärung ab, die bisherige Prozeßführung der klagenden Partei zu genehmigen.

Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Werner L*** wird festgestellt, daß die Klägerin zumindest seit 1973 an einer schweren manischen Geisteskrankheit leidet. Seither bestanden bei ihr bereits paranoid wirkende Vorstellungen. Aus gerichtsärztlicher Sicht ist zu schließen, daß ihre geistige Störung auch schon im Zeitpunkt der Erteilung der Prozeßvollmacht an den Klagevertrager (4.April 1980) vorhanden und sie daher an der Abschätzung der Tragweite des Prozeßführungsauftrages gehindert war.

Rechtliche Beurteilung

Angesichts dieser Feststellungen ist zu erwägen:

Da die mit der Bestellung des einstweiligen Sachwalters zur Besorgung dringender Angelegenheiten bewirkte Beschränkung der Geschäfts- und Prozeßfähigkeit der Klägerin auf die Prozeßführung vor der Bestellung nicht zurückwirkt und der spätere Verlust der Prozeßfähigkeit den Ablauf und die Wirksamkeit des weiteren Verfahrens nicht mehr beeinflußt, sofern die Klägerin nur bei Erteilung der Prozeßvollmacht sowie bei Einbringung der Klage prozeßfähig war (6 Ob 526/86 ua; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 356; vgl auch Aicher in Rummel, ABGB, § 21 Rz 12), ist die Frage zu prüfen, ob die Klägerin auch schon bei Erteilung der Prozeßvollmacht und des Prozeßführungsauftrages an Dr. Robert E*** infolge geistiger Störung prozeßunfähig war. Diese Frage ist zu bejahen, weil die Klägerin angesichts ihrer schon zumindest seit 1973 aufgetretenen schweren manischen Geisteskrankheit außerstande war, die Tragweite des Verfahrens, dessen Folgen und finanzielle Auswirkungen und damit ihres Prozeßführungsauftrages bei Erteilung der Vollmacht an ihren Vertreter (am 4.April 1980) abzuschätzen. Der Sachverständige konnte zwar nicht ausschließen, daß die Klägerin "im Rahmen ihrer jahrelangen Krankheitsgeschichte immer wieder auch kurzfristig sinnvolle Aktionen gesetzt" haben könnte (ON 91, S. 3 = I. Band der Akten S 451), doch ist nicht erwiesen, daß sich die Klägerin gerade auch bei Erteilung des Prozeßführungsauftrages in einem solchen Zustand vorübergehender Prozeßfähigkeit befand. Es ist deshalb davon auszugehen, daß sie im maßgeblichen Zeitraum prozeßunfähig war (vgl Aicher in Rummel aaO § 21 Rz 6). Liegt der Mangel der Prozeßfähigkeit eines Klägers - wie im vorliegenden Fall - schon vom Beginn des Rechtsstreits an vor, ist das gesamte Verfahren als gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen, es sei denn, daß die Prozeßführung durch den (später bestellten) gesetzlichen Vertreter des Klägers nachträglich ordnungsgemäß genehmigt wurde (§ 503 Abs 1 Z 1, § 477 Abs 2 ZPO). Wohl hat der einstweilige Sachwalter der Klägerin, Dr. Hellmut P***, die Erklärung abgegeben, die bisherige Prozeßführung der Klägerin zu genehmigen, und zur Begründung dieser Erklärung vorgebracht, das Klagebegehren sei nicht von vornherein als aussichtslos anzusehen gewesen. Der einstweilige Sachwalter des Klägers bedarf aber - ebenso wie die Eltern, der Vormund, der Sachwalter oder Kurator des Klägers -, sofern der Gegenstand der Klageführung nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört, der Prozeßführungsermächtigung durch das Pflegschaftsgericht (§ 4 ZPO; §§ 282, 228 und 154 Abs 3 ABGB; Fasching, aaO, Rz 355). Gemäß den §§ 154 Abs 3 und 232 ABGB bedarf die Veräußerung von Liegenschaften Minderjähriger oder Pflegebefohlener jedenfalls der gerichtlichen Genehmigung. Da somit auch Klagen, die solches zum Gegenstand haben, wirksam nur mit gerichtlicher Prozeßführungsermächtigung erhoben werden können, muß gleiches auch für Klagen gelten, mit welchen der Minderjährige oder Pflegebefohlene die Feststellung der Nichtigkeit des Kaufvertrages und die Einverleibung seines Eigentumsrechtes auf der Liegenschaft begehrt. Da ferner auch für besonders bedeutsame Prozeßschritte die ausdrückliche gerichtliche Genehmigung erforderlich ist, die nachträgliche Genehmigung der bisherigen Klageführung durch den gesetzlichen Vertreter aber letztlich von der gleichen Tragweite ist wie die Erhebung der Klage selbst, kann es nicht zweifelhaft sein, daß auch dieser Verfahrensschritt des gesetzlichen Vertreters (hier des einstweiligen Sachwalters) nur mit ausdrücklicher Ermächtigung durch das Pflegschaftsgericht wirksam ist. Über Veranlassung durch den Obersten Gerichtshof (6 Ob 643/88) hat das Erstgericht deshalb die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes über die nachträgliche Ermächtigung des einstweiligen Sachwalters der klagenden Partei zu dessen Erklärung vom 3.November 1988, mit welcher dieser die Prozeßführung der klagenden Partei genehmigte, herbeigeführt.

Das Pflegschaftsgericht hat dem einstweiligen Sachwalter mit Beschluß vom 7.März 1989, 2 SW 10/87-98, die Ermächtigung zur Genehmigung der bisherigen Prozeßführung der Klägerin versagt. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem ihn das Rekursgericht bestätigt hatte. Den gegen den rekursgerichtlichen Beschluß von der Betroffenen erhobenen Revisionsrekurs hat der Oberste Gerichtshof zurückgewiesen (4 Ob 589/89).

Da die vom einstweiligen Sachwalter als gesetzlichem Vertreter der Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit erklärte Prozeßführungsgenehmigung mangels pflegschaftsgerichtlicher Ermächtigung unwirksam geblieben ist, war aus Anlaß der Revision der Klägerin das gesamte Verfahren von der Klagszustellung an für nichtig zu erklären und die Klage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO.

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