OGH 6Ob80/02m

OGH6Ob80/02m12.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Udo S*****, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in Landeck, gegen die beklagte Partei Gemeinde ***** G*****, vertreten durch Dr. Paul Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 4.245,16 EUR und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 28. November 2001, GZ 3 R 159/01h-22, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13. Juli 2001, GZ 8 Cg 229/00b-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Am 18. 6. 2000 kam der Kläger mit seinem Mountainbike auf einem Gemeindeweg der Beklagten wegen eines aus dem Boden ragenden Wasserschlauches zu Sturz und erlitt einen Kieferbruch sowie weitere Verletzungen. Die Unfallstelle liegt in einem Waldstück, dessen Eigentümerin die Beklagte ist. Im Bereich der Unfallstelle stehen rechts des Weges - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - eine Waldkapelle und ein Brunnen. Der Brunnen wurde vor etwa 24 Jahren zugleich mit der Kapelle errichtet, um die Pilger mit Trinkwasser zu versorgen. Der Schlauch, über den der Kläger stürzte, diente der Ableitung des Brunnenwassers. Er war den Weg querend im Weguntergrund in etwa 15 cm Tiefe verlegt worden. Die Wasserableitung war von einem "von der Kirche" beauftragten Bauunternehmen hergestellt worden. Die Wegstrecke, auf der sich der Unfall ereignete, wird von beim Bauhof der Beklagten beschäftigten Personen jeden Montag zur Kontrolle und zusätzlich bei Bedarf abgefahren. Der Weg wird weiters auch zweimal wöchentlich von Bediensteten des Tourismusverbandes anlässlich der Müllentsorgung kontrolliert. Bei der letzten Kontrolle vor dem Unfall befand sich der Schlauch noch unter der Wegoberfläche und es bestanden, wie auch in all den Jahren zuvor, keine Auffälligkeiten. Der Kläger begehrte für sein beschädigtes Fahrrad und seine beschädigte Kleidung 58.418,80 S und die Feststellung der Haftung der Beklagten für weitere aus dem Unfall resultierende Schäden. Die Beklagte hafte infolge grober Fahrlässigkeit als Weghalter gemäß § 1319a ABGB. Sie hafte aber auch nach § 1319 ABGB in ihrer Eigenschaft als Grundeigentümerin und Besitzerin des Werkes. Die Konstruktion der Wasserunterführung sei schon an sich mangelhaft. Bei gebotener Aufmerksamkeit hätte die Beklagte die Gefahrenquelle erkennen können. Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie sei ihren Wartungspflichten in ausreichender Weise nachgekommen. Die Abflussleitung sei auch nicht von ihr verlegt worden. Der Kläger hätte mit dem Auftreten derartiger Hindernisse rechnen müssen, sodass ihn das Alleinverschulden am Unfall treffe.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und wies das Klagebegehren ab. Es sei ausschließlich § 1319a ABGB anzuwenden. Ein grobes Verschulden der Beklagten liege nicht vor. § 1319 ABGB komme nach der Art des Hindernisses nicht zur Anwendung. Es könne aber auch von einem "Werk" der Beklagten im Sinn des § 1319 ABGB keine Rede sein, weil die Wasserableitungsanlage durch einen Dritten errichtet worden sei, der von der Beklagten nicht beauftragt worden sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht jedoch 260.000 S übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Schlauch sei zwar im Gegensatz zur Rechtsansicht des Erstgerichtes als "Werk" im Sinn des § 1319 ABGB anzusehen. Da sich aber ein bei der Benutzung des Weges auftretendes typisches Wegerisiko verwirklicht habe, komme eine Haftung nur nach § 1319a ABGB in Betracht. Ein grober Sorgfaltsverstoß sei der Beklagten nicht anzulasten. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof seit seinem Erkenntnis SZ 70/71 nicht mehr auf die Frage der Anspruchskonkurrenz zwischen § 1319 und § 1319a ABGB eingegangen sei, wenn der mangelhafte Zustand eines Weges durch ein Werk im Sinn des § 1319a ABGB herbeigeführt worden sei.

Die Revision des Klägers ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

In der Entscheidung 4 Ob 104/97s (SZ 70/71 = EvBl 1997/158 [785]) ist der Oberste Gerichtshof von der in der Vergangenheit zu ähnlichen Konstellationen geäußerten Ansicht abgewichen, wonach im Umfang der schadenersatzrechtlichen Sondernormen der §§ 1319, 1319a und 1320 ABGB nach dem Grundsatz der Spezialität die Anwendung allgemeiner schadenersatzrechtlicher Prinzipien ausgeschlossen sei, innerhalb dieser Sondernormen aber unbeschränkte Anspruchskonkurrenz herrsche (6 Ob 744/82 = SZ 55/179 = EvBl 1983/48 [183]; 2 Ob 599/92 = EvBl 1994/8 [50]; 4 Ob 2334/96f; vgl auch Reischauer in Rummel ABGB II² § 1319a Rz 29 mwN). Habe der alleinige Wegehalter für ein im Zuge des Weges errichtetes Geländer, das zwar im Eigentum einer anderen Person stehe, jedoch ein "Bestandteil" des Weges sei, einzustehen, so hafte er für dieses nicht auch noch nach § 1319 ABGB. Eine uneingeschränkte Anspruchskonkurrenz hätte die Gegenstandslosigkeit der in § 1319a ABGB normierten Haftungsbeschränkung auf grobes Verschulden des Halters bzw seiner Leute zur Folge und sei daher grundsätzlich abzulehnen.

Ob dieser Ansicht uneingeschränkt zu folgen ist - in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 2 Ob 357/97g (= JBl 1998, 715 [Koziol]) wurde die Haftung des Wegehalters nach § 1319 ABGB für eine über den Weg gespannte Kette, die als Werk im Sinn dieser Bestimmung beurteilt wurde, bejaht - ist hier jedoch nicht entscheidungswesentlich:

Dass der seine ursprüngliche Position verändernde, vom Erdboden abstehende Schlauch als gefahrenträchtige "mangelhafte Beschaffenheit des Werkes" im Sinn des § 1319 ABGB zu qualifizieren ist, hat das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung, die diesen Begriff weit auslegt (RIS-Justiz RS0029880) und auf alle Gefahren ausdehnt, die sich "aus der Statik und Dynamik eines Werkes" (RIS-Jusitz RS0029932) und aus der "willkürlichen Gestaltung der natürlichen Bodenbeschaffenheit (7 Ob 2404/96x = MietSlg 49.171) ergeben, zutreffend erkannt. Den "Besitzer" eines mangelhaften Werkes trifft zwar die Beweislast dafür, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Ihn trifft allerdings nach § 1319 ABGB keine Erfolgshaftung, sondern eine Verschuldenshaftung mit verschobener Beweislast. Die Haftung des Besitzers setzt jedenfalls Erkennbarkeit oder doch Voraussehbarkeit der Gefahr und damit Verschulden voraus. Der Gegenbeweis ist schon erbracht, wenn vernünftige Schutzvorkehrungen getroffen wurden, also Schutzvorkehrungen, die nach der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können (RIS-Justiz RS0030035; 10 Ob 2444/96a mwN). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde die Wasserableitungsanlage vom Brunnen bei der Kapelle von einem Bauunternehmen errichtet, von dem entsprechende Fachkunde zu erwarten war. Die Schlauchleitung verlief im Erdboden und zeigte 24 Jahre hindurch trotz ständiger Wegekontrollen keinerlei Auffälligkeiten. Die Ursache für ihre Verformung und ihr plötzliches Herausragen aus der Wegoberfläche ist nicht feststellbar. Trotz ständiger Überprüfung des Weges auf Hindernisse war die potentielle Gefährlichkeit des Wasserschlauches nicht feststellbar. Daraus kann gefolgert werden, dass für die Beklagte auch bei entsprechender Sorgfaltsanwendung eine zum Eintritt des Schadens des Klägers führende Mangelhaftigkeit des Werkes nicht erkennbar war und nicht erkennbar sein musste. Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl SZ 59/121), sodass der konkreten Entscheidung keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0029874). Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ABGB wird also in der Revision nicht aufgezeigt.

Es kann hier auch dahingestellt bleiben, ob die Beklagte überhaupt "Besitzer" - dieser Begriff ist nach der Rechtsprechung im Sinne eines "Halters" zu verstehen (RIS-Justiz RS0010100) - der Wasserableitungsanlage war, wofür der Kläger beweispflichtig gewesen wäre (5 Ob 77/97b; 1 Ob 93/00h).

Soweit in der Revision letztlich auch geltend gemacht wird, dass die Beklagte grobe Fahrlässigkeit im Sinn des § 1319a ABGB zu verantworten habe, so ist auch hier darauf hinzuweisen, dass die Abgrenzung, ob grobe oder leichte Fahrlässigkeit vorliegt, nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls vorgenommen werden kann und im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage darstellt (10 ObS 1003/96). In der Ansicht des Berufungsgerichtes, dass die Beklagte mit den festgestellten Wegkontrollen den an sie zu stellenden Anforderungen als Wegehalter selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ihr Wegenetz von zahlreichen Touristen frequentiert wird, hinreichend nachgekommen ist, ist eine zur Korrektur Anlass gebende Fehlbeurteilung dieses Einzelfalles nicht zu erblicken. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision mangels erheblicher Rechtsfragen konnte sich nach § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Gemäß §§ 40 und 50 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung, die zur Unzulässigkeit der Revision mangels erheblicher Rechtsfrage keine Ausführungen enthält, selbst zu tragen.

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