OGH 6Ob246/01x

OGH6Ob246/01x8.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Johann W*****, 2. Maria Luise W*****, beide vertreten durch Dr. Gottfried Reif, Rechtsanwalt in Judenburg, gegen die beklagte Partei Gemeinde R*****, vertreten durch Dr. Hans Exner und Mag. Hans Exner, Rechtsanwälte in Judenburg, wegen Feststellung, Einwilligung zur Einverleibung des Eigentumsrechts und Unterlassung, über die ordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 9. März 2001, GZ 1 R 49/00y-51, womit über die Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Judenburg vom 12. Dezember 1999, GZ 2 C 2578/97p-42, abgeändert und die Klagebegehren abgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben.

Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Über die im Hälfteeigentum der Kläger stehenden landwirtschaftlich genutzten Liegenschaft - die sie vom Vater der Zweitklägerin übergeben erhalten hatten - führt ein in der Natur nur mehr teilweise ersichtlicher Weg, der im Grundbuch bis Dezember 1998 als öffentliches Gut ausgewiesen war und seither als freies Vermögen der beklagten Gemeinde ausgewiesen ist.

Die Kläger begehren mit der am 26. 8. 1997 beim Erstgericht eingelangten Klage die Feststellung ihres Eigentums, die Abschreibung dieses Grundstücks und die Einverleibung ihres Eigentumsrechts sowie die Unterlassung aller das Eigentum der Kläger beeinträchtigenden Handlungen. Sie stützen ihre Begehren auf Ersitzung sowie einen im Jahr 1959 erfolgten Tausch. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, also mehr als 40 Jahre, hätten sie bzw ihr Rechtsvorgänger das Grundstück dauernd bewirtschaftet. 1959 habe der Vater der Zweitklägerin den Weg gegen einen von der Gemeinde für eine Straßenverbreiterung benötigten Grundstücksstreifen eingetauscht. In der Natur sei der Weg ein nicht mehr von der Liegenschaft der Kläger unterscheidbarer Teil. Ein gelegentliches Bewandern des Grundstücks habe die Ersitzung durch die Kläger nicht gehindert.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Für eine Ersitzung wäre es notwendig gewesen, dass die Kläger über 40 Jahre das Grundstück der Beklagten "wegmäßig" benützt hätten. Tatsächlich sei der Weg von der Allgemeinheit benützt worden. Eine Tauschvereinbarung sei nie geschlossen worden.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren statt. Von seinen Feststellungen sind folgende hervorzuheben:

Der zumindest seit dem Zweiten Weltkrieg als öffentliches Gut ausgewiesene unbefestigte Karrenweg habe vom Gehöft der Kläger durch einen Obstgarten geführt. Danach habe eine noch heute bestehende Wiesenfläche angeschlossen. Die Kläger hätten dort "Anebnungsarbeiten" durchgeführt und das Grundstück der Beklagten seit 50 Jahren für landwirtschaftliche Zwecke genutzt. Der wegmäßig ausgebildete Teil sei für Wirtschaftsfuhren verwendet worden. Die Liegenschaft der Kläger sei bis Ende der Sechzigerjahre von Nachbarn und Wanderern begangen und überquert worden. Diese hätten aber überwiegend einen außerhalb des Grundstücks der Beklagten liegenden Teil der Liegenschaft benutzt. Der Vater der Zweitklägerin habe Wegbenützern zu verstehen gegeben, dass es sich um "Bittwege" handle, was akzeptiert worden sei. Seit 1970 hätten die Wanderer einen vom Erstkläger angelegten Fahrweg benutzt. Das Grundstück der Gemeinde sei seither nur mehr selten bewandert worden. Eine im Jahr 1959 geschlossene Tauschvereinbarung könne nicht festgestellt werden. Es habe aber über einen Tausch Gespräche zwischen dem Vater der Zweitklägerin und dem Bürgermeister gegeben. Seither seien zunächst der Rechtsvorgänger der Kläger und dann auch diese selbst der Meinung gewesen, Eigentümer des Wegegrundstücks zu sein. Sie hätten die weitere Benützung des Grundstücks durch Dritte untersagt. Dieser "Exklusivnutzung" der Kläger habe die Beklagte nicht widersprochen. Die Gemeindeorgane hätten mehr als 40 Jahre akzeptiert, dass sich die Kläger und ihr Rechtsvorgänger als Eigentümer der Wegparzelle gebärdeten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass Ersitzungsbesitzer die Besitzausübung im Ersitzungszeitraum des § 1472 ABGB von 40 Jahren zu beweisen hätten. Der Ersitzungsgegner habe einen während der Ersitzungszeit eingetretenen Besitzverlust oder eine Unterbrechung der Ersitzung zu beweisen. Den Klägern sei der Beweis der Ersitzung jedenfalls gelungen. Auch am öffentlichen Gut sei der Eigentumserwerb durch Ersitzung möglich. Der Erwerber müsse den Besitz aber in anderer Weise ausüben, als er durch jedermann im Rahmen des Gemeingebrauchs ausgeübt werden könne. Hier sei der Fußweg nur fallweise begangen worden. Die Kläger hätten das Grundstück landwirtschaftlich genutzt. Daneben sei das Grundstück teilweise auch eingezäunt und abgesperrt worden. Es liege ein Ersitzungsbesitz im Sinne des § 1460 ABGB vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies die Klagebegehren ab. Es behandelte die Beweisrüge der Beklagten nicht und beurteilte den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Ersitzung die Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers voraussetze. Der gute Glaube müsse nicht nur beim Besitzerwerb, sondern während der gesamten Ersitzungszeit vorhanden sein. Die Kläger könnten sich keinen Ersitzungszeitraum ihres Rechtsvorgängers einrechnen, weil diesem die Redlichkeit gefehlt habe. Wenn der Vater der Zweitklägerin seit den Tauschgesprächen im Jahr 1959 die Meinung vertreten habe, ein Grundstückstausch sei tatsächlich durchgeführt worden, könne er nicht bis zu diesem Zeitpunkt als redlicher Besitzer angesehen werden. Wenn er das Grundstück damals für das seinige gehalten hätte, wäre nicht erklärbar, warum er es rechtsgeschäftlich erworben haben sollte. Zur Annahme der Unredlichkeit des Ersitzungsbesitzers genügten schon Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzes. Wenn ein zunächst schlechtgläubiger Besitzer nachträglich gutgläubig werde, beginne die Ersitzungszeit mit dem Beginn des guten Glaubens. Bis zur Klage (1997) sei die 40-jährige Ersitzungszeit nicht abgelaufen gewesen.

Das Berufungsgericht bewertete den Entscheidungsgegenstand mit (insgesamt) 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteigend und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Über Antrag der Kläger gemäß § 508 ZPO änderte es den Zulässigkeitsausspruch ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei.

Mit ihrer ordentlichen Revision beantragen die Kläger die Abänderung dahin, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht oder das Erstgericht.

Die Beklagte beantragt mit ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

1. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung liegt keine absolute Unzulässigkeit des Rechtsmittels aus dem Grund des § 60 Abs 2 JN vor. Streitgegenstand ist der im Grundbuch als öffentliches Gut ausgewiesene Weg der beklagten Gemeinde, für den kein steuerlicher Einheitswert existiert. In solchen Fällen ist eine Bewertung vorzunehmen, die sich am gemeinen Wert zu orientieren hat (Mayr in Rechberger ZPO2 Rz 2 zu § 60 JN; Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 6 zu § 500 ZPO; 1 Ob 11/98v). Wenn - wie hier - keine zwingenden gesetzlichen Bewertungsvorschriften zu beachten sind, ist die Bewertung des Berufungsgerichtes unanfechtbar und bindend (Kodek aaO Rz 3).

2. In der Sache selbst verweisen die Revisionswerber zunächst zutreffend auf die Behauptungs- und Beweislast der Beklagten zum Thema der Unredlichkeit der klagenden Ersitzungsbesitzer. Diese haben die Art und den Umfang der Besitzausübung sowie die Besitzdauer zu beweisen, dem beklagten Ersitzungsgegner obliegt der Beweis der Unredlichkeit, weil die Redlichkeit des Besitzers gemäß § 328 ABGB im Zweifel vermutet wird (Mader in Schwimann ABGB2 Rz 20 zu § 1460 mwN; RS0010185; 1 Ob 382/97a mwN). Das Berufungsgericht hat die vom Erstgericht festgestellten Gespräche des Vaters der Zweitklägerin mit dem Bürgermeister der Beklagten über einen Tauschvertrag zur Grundlage seiner rechtlichen Beurteilung genommen, dass der Rechtsvorgänger der Kläger nicht redlich habe sein können, weil ihm das Eigentum der Gemeinde am Weg bekannt habe sein müssen. Auch wenn es dazu an konkreten Einwendungen der Beklagten im Verfahren erster Instanz fehlte, durfte das Berufungsgericht die vom Erstgericht festgestellten Tauschgespräche des Jahres 1959 in seine rechtliche Beurteilung schon deshalb einbeziehen, weil der Sachverhalt sich nicht nur im Rahmen der Parteibehauptungen der Kläger hält (zum Rechtsgrund einer vertraglichen Grundlage der Klageansprüche), sondern gleichzeitig auch den Rahmen der Einwendungen der Beklagten nicht überschreitet, die für die Unredlichkeit der Ersitzungsbesitzer eine Unterbrechung der ungestörten Besitzausübung durch immer wiederkehrende Ausübung des Eigentumsrechts in Form des Gemeingebrauchs behauptete und einen Tauschvertrag und damit aber auch die festgestellten Tauschgespräche in Abrede stellte. Derartige noch in den Rahmen der Einwendungen fallende überschießende Feststellungen dürfen vom Berufungsgericht zur Entscheidungsgrundlage gemacht werden (RS0037972; RS0040318).

Für die Ersitzung von Eigentum nach § 1460 ABGB verlangt § 1463 ABGB die Redlichkeit des Besitzers. Redlich ist nach § 326 ABGB derjenige, der die Sache aus wahrscheinlichen Gründen für die Seinige hält. Maßgeblich ist also der gute Glaube an die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung, also das Vertrauen auf einen gültigen Titel (Spielbüchler in Rummel3 Rz 3 zu § 326 ABGB). Diese Frage kann mit den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen über die Tauschgespräche des Jahres 1959 allein noch nicht verlässlich beurteilt werden, auch wenn diese Feststellungen durchaus ein Indiz im Sinne der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes darstellen können. Zwingend ausgeschlossen ist eine Redlichkeit des Rechtsvorgängers der Kläger damit aber noch nicht. Es ist denkbar, dass der Vater der Zweitklägerin aus irgendwelchen Gründen damals der Meinung war, bereits außerbücherlicher Eigentümer des Grundstücks zu sein (beispielsweise wegen einer damals schon eingetretenen Ersitzung) und dass er nur deshalb zur Abtretung dieses Grundstückstreifens im Tauschweg bereit war, weil er eine gerichtliche Auseinandersetzung vermeiden oder der Gemeinde entgegenkommen wollte. Andeutungsweise lässt sich ein solcher Sachverhalt schon aus der Klageerzählung entnehmen, in der noch nicht von einem Tauschvertrag, sondern von einem Anerkenntnis der Gemeinde die Rede ist. Da die Bedeutung der Tauschgespräche für den Rechtsgrund der Ersitzung weder von den Klägern noch von der Beklagten im Verfahren erster Instanz näher dargelegt wurde, bestand für das Berufungsgericht die Verpflichtung, auf eine Klarstellung hinzuwirken, um die Parteien nicht mit einer von ihnen nicht bedachten Rechtsansicht zu überraschen (zur Unzulässigkeit einer "Überraschungsentscheidung": RS0037300). Das Berufungsverfahren ist wegen der von den Revisionswerbern auch gerügten Verletzung der Anleitungspflicht mangelhaft geblieben. Das Berufungsgericht wird das aufgezeigte Thema mit den Parteien zu erörtern und ergänzendes Parteivorbringen zuzulassen haben.

In diesem Verfahrensstadium ist zu der von den Revisionswerbern weiters angeschnittenen Frage, ob schon leichte Fahrlässigkeit oder erst positive Kenntnis des Ersitzungsbesitzers über das Eigentumsrecht des anderen die Redlichkeit ausschließt, nur kurz dahin Stellung zu nehmen, dass der gute Glaube während der gesamten Ersitzungszeit vorliegen muss (Mader aaO Rz 3 zu § 1463; SZ 69/135; RS0010175) und dass nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung entgegen einem Teil der Lehre (zitiert von Mader aaO) schon Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzes die Redlichkeit ausschließen (Mader aaO mwN; Schubert in Rummel2 Rz 1 zu § 1463 ABGB; SZ 50/91; SZ 55/46; 1 Ob 382/97a).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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