OGH 1Ob382/97a

OGH1Ob382/97a15.12.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer, Dr.Zechner und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Univ.Prof.Dr.Karl I*****, und 2. Helene I*****, beide ***** vertreten durch Dr.Karl Bollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Erich M*****, zuletzt wohnhaft gewesen ***** vertreten durch Dr.Wilfried Weigert, Rechtsanwalt in Wien, wegen Übertragung von Liegenschaftseigentum (Streitwert S 80.000,- -), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8.Juli 1997, GZ 37 R 560/96v-33, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 6.Dezember 1995, GZ 8 C 1008/94z-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Erstkläger ist zu 7/12, die Zweitklägerin zu 5/12 Eigentümer(in) einer Liegenschaft. Diese Liegenschaft war von einer Voreigentümerin mit Kaufvertrag vom 4.6.1956 erworben worden. Am 11.6.1964 verkaufte diese Voreigentümerin die Liegenschaft zu je einem Viertel an die Kläger und zur Hälfte an den Vater des Erstklägers. Mit Schenkungsverträgen vom 28.2.1972 und 30.1.1973 wurden die heutigen Eigentumsverhältnisse hergestellt. Die Kläger „kamen erstmals im April oder Mai 1964 auf diese Liegenschaft“, an die ein Grundstück angrenzt, das 1957 im Erbweg in das Eigentum des Erich M***** gelangte. Mit Notariatsakt vom 13.12.1993 schenkte dieser die Liegenschaft seiner Tochter, behielt sich jedoch den lebenslangen Fruchtgenuß vor. Er verstarb am 29.1.1994; die Verlassenschaft wurde zwei erbserklärten Erbinnen zur Besorgung und Verwaltung überlassen. Zum Zeitpunkt der Klagseinbringung (29.7.1994) schien im Grundbuch noch der Verstorbene als Eigentümer auf. Das Gesuch seiner Tochter auf Einverleibung des Eigentums langte erst am 15.11.1994, also nach Klagseinbringung, beim Grundbuchsgericht ein.

Die Kläger begehrten die Übertragung von Liegenschaftseigentum durch Abschreibung eines näher umschriebenen Teils der Liegenschaft der beklagten Partei und die Zuschreibung dieses Grundstückstreifens zu der in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft sowie die Verurteilung zur Duldung sämtlicher hiefür nötigen Vermessungen und zur Unterfertigung sämtlicher Urkunden in verbücherungsfähiger Form. Im Jahre 1957 sei im Bereich der Grundgrenze zwischen den Liegenschaften der Streitteile ein Zaun errichtet worden. Von den Klägern und der Voreigentümerin ihrer Liegenschaft sei diese bis zum Zaun hin benützt worden, es sei niemals die Rede davon gewesen, daß dieser Zaun nicht den wahren Grenzverlauf darstellen könnte. Im November 1992 hätten Leute der beklagten Partei den Zaun entfernt; der Grenzverlauf sei in Frage gestellt und daraufhin durch die Kläger ein Grenzberichtigungsverfahren eingeleitet worden. Im Verlauf dieses Verfahrens habe sich herausgestellt, daß ein Teil des von den Klägern benützten Grundstücks tatsächlich zur Liegenschaft der beklagten Partei gehörte; hievon hätten sie erstmals am 25.1.1994 Kenntnis erlangt. Sie hätten den strittigen Grundstücksstreifen aber mehr als 30 Jahre hindurch rechtmäßig besessen. Aufgrund des redlichen und echten Besitzes seien sie infolge Ersitzung des Grundstücksteils zur Klagsführung berechtigt.

Die beklagte Partei wendete mangelnde Passivlegitimation ein, weil Erich M***** die Liegenschaft seiner Tochter geschenkt habe. Die Voraussetzungen für eine Ersitzung seien nicht gegeben. Es sei für alle Liegenschaftseigentümer stets ein „offenes Geheimnis“ gewesen, daß „der Zaun falsch“ sei. Bereits im Jahre 1964 sei den Klägern aufgrund eines Plans bekannt gewesen, daß der Zaun nicht an der richtigen Stelle errichtet worden sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei sei klagslegitimiert, weil Erich M***** zum Zeitpunkt der Klagseinbringung noch als Eigentümer im Grundbuch eingetragen gewesen sei. Die Veräußerung der bereits streitverfangenen Liegenschaft könne an seiner Klagslegitimation nichts ändern. Die nunmehrige Eigentümerin sei nicht in den Prozeß eingetreten. Als die Voreigentümerin der Kläger im Jahre 1956 die nunmehr diesen gehörige Liegenschaft erworben habe, habe sie einen Diplomingenieur beauftragt, die in der Natur nicht erkennbare Grenze zwischen den Liegenschaften der Streitteile aus der Mappendarstellung in die Natur zu übertragen. Im September 1956 sei eine Planskizze vorgelegen. Im Jahre 1957 habe eine bis 1964 auf der Liegenschaft der Kläger wohnhafte Person im Einverständnis mit der Voreigentümerin einen Zaun zwischen den Liegenschaften der Streitteile errichtet, und zwar insbesondere in dem hier maßgeblichen Bereich, in dem die Grenze ziemlich verwachsen und schwer überblickbar gewesen sei. Diese Person habe keine besonderen Vermessungen vorgenommen, der Zaun habe nicht dem wahren Grenzverlauf entsprochen. 1964 habe der Erstkläger im Grenzbereich eine der Aufbewahrung von Gartengeräten dienende Hütte aufgestellt, deren Standort unbeanstandet geblieben sei. Im Jahre 1972 sei die Hütte durch ein massiveres Bauwerk ersetzt worden, das heute noch vorhanden sei. Im selben Jahr sei im Einvernehmen der benachbarten Liegenschaftseigentümer im Grenzzaun eine Tür angebracht worden, damit Kinder zum jeweils benachbarten Grund gelangen könnten, ohne die Straße zu überqueren. Im Herbst 1992 sei über Veranlassung der Tochter des Verstorbenen ein etwa 20 m langes Zaunstück zwischen den Liegenschaften entfernt und seien Äste einer dort befindlichen Eibe abgeschnitten worden. Daraufhin habe der Erstkläger einen Ingenieurkonsulenten für das Vermessungswesen beauftragt, zur Sicherung des letzten ruhigen Besitzstandes einen Lageplan zu errichten. Dieser Auftrag sei erfüllt worden. Am 5.5.1993 sei von den Klägern ein Grenzberichtigungsverfahren eingeleitet worden, das infolge Einbringens der vorliegenden Klage unterbrochen worden sei. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Kläger ihren seit 1964 innegehabten Besitz im Herbst 1992 dadurch verloren hätten, daß sie der Besitzstörung nicht innerhalb der 30tägigen Frist mit einer Besitzstörungsklage begegneten. Demnach mangle es an der 30 Jahre währenden Besitzausübung. Eine Ersitzung sei nicht eingetreten. Auf die Anrechnung einer allfälligen Besitzzeit der Voreigentümerin hätten sich die Kläger nicht berufen. Die Voreigentümerin der Kläger sei aber jedenfalls nicht gutgläubig gewesen, weil diese über die „Ungenauigkeit“ des behelfsmäßig aufgestellten Zauns habe Bescheid wissen müssen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands S 50.000 übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen, die seiner Meinung nach eine ausreichende Grundlage für die rechtliche Beurteilung bildeten, daß die Voreigentümerin nicht gutgläubig gewesen sei. Auch eine allfällige Anrechnung der Besitzzeit der Voreigentümerin der Kläger hätte daher nicht zur Verlängerung der Ersitzungszeit geführt. Das Entfernen eines Zaunstücks zwischen den beiden Grundstücken sei als Unterbrechung der tatsächlichen Besitzausübungshandlungen der Kläger während der Ersitzungszeit zu betrachten, sodaß deren Rechtsausübung nicht mehr als kontinuierlich - und daher als geeignet, die Ersitzung herbeizuführen - angesehen werden könne.

Die Revision der Kläger ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Sinne einer allseitigen rechtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist vorweg klarzustellen, daß die Passivlegitimation der beklagten Partei gegeben ist. Zu diesem Thema ist auf die von der beklagten Partei schon im Berufungsverfahren nicht mehr in Zweifel gezogenen zutreffenden Rechtsausführungen des Erstgerichts zu verweisen.

Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren schon deshalb abgewiesen, weil sie die Meinung vertraten, die Kläger seien jedenfalls nicht 30 Jahre hindurch Besitzer des strittigen Liegenschaftsteils gewesen. Nach den unbekämpften Feststellungen nahmen die Kläger selbst Besitzhandlungen erstmals im Jahre 1964 vor. Ihnen obliegt der Beweis über die Art und den Umfang der Besitzausübung und der Besitzdauer, wogegen die beklagte Partei mit dem Beweis deren Unredlichkeit belastet ist, weil die Redlichkeit des Besitzes vermutet wird (NZ 1996, 297; 1 Ob 3/93; SZ 66/59; MietSlg 40.204; JBl 1988, 730; SZ 56/111; SZ 52/174; EvBl 1965/364). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen läßt sich noch gar nicht verläßlich beurteilen, ob bereits im Herbst 1992 der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube der Kläger weggefallen ist. Eine Feststellung im Sinne des Vorbringens der beklagten Partei, den Klägern sei schon von jeher bekannt gewesen, daß der von der Voreigentümerin errichtete Zaun nicht dem wahren Grenzverlauf entsprochen habe, wurde nicht getroffen. Festgestellt wurde lediglich, daß die Tochter des Erich M***** im Herbst 1992 ein etwa 20 m langes Zaunstück zwischen den Liegenschaften entfernt habe und daß Äste einer Eibe abgeschnitten worden seien. Der Grund für diese Vorkehrungen ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Der gute Glaube fällt nur dann weg, wenn der Besitzer Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes Anlaß geben oder wenn er positive Kenntnis davon erlangt, daß sein Besitz nicht rechtmäßig sei (NZ 1996, 297; MietSlg 40.204; SZ 55/46; SZ 50/91; SZ 27/284). Es ist durchaus denkbar, daß der Zaun etwa nur wegen Instandsetzungsarbeiten entfernt wurde (so der Inhalt des Schreibens des Erich M***** vom 9.2.1993, Beilage K); deshalb allein bestünde noch kein Anlaß, an der Rechtmäßigkeit des eigenen Besitzes zu zweifeln. Es werden daher ausreichende Feststellungen zu treffen sein, aus denen sich die Gut- oder die Schlechtgläubigkeit der Kläger ab dem Jahre 1964 ableiten läßt. Die beklagte Partei ist dafür beweispflichtig, daß die Kläger durch die Entfernung des Zauns Anlaß gehabt hätten, ihr vormals ausgeübtes Benützungsrecht in Zweifel zu ziehen. Es fehlen aber auch Feststellungen, denen zufolge verläßlich beurteilt werden könnte, ob durch die Entfernung des Zauns die von den Klägern angeblich widerrechtlich vorgenommene Besitzausübung ernstlich erschwert und gefährdet wurde oder ob sie ohnehin auch nach der Zaunentfernung den Besitz am strittigen Grundstücksstreifen ausgeübt haben (vgl hiezu SZ 59/50). Nur dann, wenn sich die Kläger nur aus zumindest fahrlässiger Unkenntnis der wahren Sachlage für berechtigt hielten, den Grundstücksstreifen zu benutzen, obwohl sie bei gehöriger Sorgfalt hätten wissen müssen, daß ihnen das in Anspruch genommene Recht nicht zustehe, wären sie als unredlich anzusehen (JBl 1989, 377; 2 Ob 521/82).

Entgegen der Ansicht des Erstgerichts haben die Kläger ausdrücklich vorgebracht, daß der strittige Grundstücksstreifen auch von der Voreigentümerin in der Überzeugung, es handle sich um ihr Eigentum, also „gutgläubig und redlich“ besessen und benutzt worden sei (S 3 der Klage). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bilden die Feststellungen des Erstgerichts keine ausreichende Grundlage für den rechtlichen Schluß, die Voreigentümerin sei, was den Grenzverlauf betrifft, nicht gutgläubig gewesen: Allein aus den Umständen, daß im Zeitpunkt der Zaunerrichtung ein Plan vorhanden war und daß die Person, die den Zaun montierte, „keine besonderen Vemessungen“ vorgenommen hat, kann noch nicht auf die Schlechtgläubigkeit der Voreigentümerin geschlossen werden, insbesondere wenn in Rechnung gestellt wird, daß nach den Feststellungen der Vorinstanzen die Grenze im strittigen Bereich ziemlich verwachsen und schwer überblickbar war. Sollte den Klägern der Beweis einer eigenen 30jährigen Besitzausübung nicht gelingen, so werden konkrete Feststellungen zu treffen sein, die verläßliche Schlüsse auf die Gut- bzw Schlechtgläubigkeit der Rechtsvorgängerin der Kläger zulassen. Die Schlechtgläubigkeit der Voreigentümerin bleibt nach den bisher getroffenen Feststellungen auch schon deshalb zweifelhaft, weil Erich M***** den Standort der vom Erstkläger errichteten Hütte, die sich zum Teil im Bereich des strittigen Grenzverlaufs befindet, stets unbeanstandet ließ und 1972 sogar im beiderseitigen Einvernehmen der damaligen Liegenschaftseigentümer eine Tür in den Grenzzaun eingelassen wurde. Sollte die Voreigentümerin den strittigen Grundstücksstreifen gutgläubig besessen haben, dann sind die Kläger als deren Rechtsnachfolger berechtigt, sich die Ersitzungszeit ihrer Vorgängerin mit einzurechnen (NZ 1996, 297 mwN).

Das Erstgericht wird das Verfahren im Sinne der obigen Ausführungen und unter Bedachtnahme auf die eigenen Darlegungen (siehe S 10 des Ersturteils) zu ergänzen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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