OGH 1Ob262/00m

OGH1Ob262/00m27.3.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Kaan, Cronenberg & Partner, Rechtsanwaltssozietät in Graz, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 200.560,83 S sA und Feststellung (Streitwert 70.000 S) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 27. Juni 2000, GZ 5 R 38/00y-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Dezember 1999, GZ 13 Cg 39/99i-9, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Eine Gesellschaft (im Folgenden nur Anlagenbetreiberin) plante für ihr Mischfutterwerk einen Selbstfahreraufzug (im Folgenden nur Aufzug). Dessen von einem von der Anlagenbetreiberin beauftragten Zivilingenieur für Maschinenbau (im Folgenden 1. Zivilingenieur) geprüften Beschreibung vom 18. August 1967 auf einem Formular der ÖNORM B2450 weist u.a. folgende Spezifikation auf: Baujahr 1967, Steuerung: Innen: Druckknopf; ... Außen: nur Ruf - Steuersperre: Türkontakt ... Türverriegelung: Vorhanden - Verriegelungskontakt ... Die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde erklärte als Gewerbebehörde (im Folgenden nur Gewerbebehörde) mit Bescheid vom 3. Oktober 1967 (im Folgenden nur Genehmigungsbescheid) die Errichtung des Aufzugs in gewerbepolizeilicher Beziehung als zulässig und genehmigte diese im Zusammenhalt u.a. mit den Bestimmungen der damals geltenden Verordnung über die Einrichtung und den Betrieb von Aufzügen in den Alpen- und Donau-Reichsgauen, im Reichsgau Sudetenland und in den eingegliederten Ostgebieten vom 15. Juni 1943, Reichsministerialblatt (RMinBl) Nr 12 S 46 idFd Berichtigung vom 16. August 1943, RMinBl S 81 (im Folgenden nur AufzugsVO 1943). Deren § 4 lautet:

Allgemeine Grundsätze

(1) Die Aufzugsanlagen müssen in Bauart, Ausführung und Ausrüstung den folgenden Bestimmungen und den anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik entsprechen. Als solche gelten neben den allgemeinen Regeln und den in Betracht kommenden baupolizeilichen Vorschriften die vom Deutschen Aufzugsausschuss aufgestellten Technischen Grundsätze.

(2) Für die im § 2 Buchst c angeführten Aufzüge werden die Technischen Grundsätze vom Deutschen Aufzugsausschuss mit den Berufsgenossenschaften vereinbart."

Der Aufzug wies zwar eine Tür- und eine mechanische Verriegelung auf, aber keinen "Riegelschalter", somit eine Einrichtung, die das Einrasten der Magnetverriegelung registriert und bewirkt, dass die Kabine nur bei geschlossenem Magnetriegel bewegt werden kann. Die Gewerbehörde erteilte u.a. folgende Auflagen: Der Aufzug darf vor Durchführung einer Abnahmeprüfung durch einen Sachverständigen und erlangter gewerbebehördlicher Betriebsbewilligung nicht in Betrieb genommen werden. Nach Vorliegen des Abnahmebefunds vom 16. April 1968, worin der 1.Zivilingenieur bestätigte, dass der Aufzug den behördlichen Vorschriften entspreche, und Durchführung der Abnahmeverhandlung am 19. April 1968 genehmigte die Gewerbehörde mit Bescheid vom 30. April 1968 (im Folgenden nur Kollaudierungsbescheid) die Inbetriebnahme des Aufzugs iSd §§ 26, 30 Abs 3 und 32 GewO RGBl 1909/199 im Zusammenhalt mit den Bestimmungen der AufzugsVO 1943 und erteilte u.a. folgende Auflagen:

"Die ständig wiederkehrenden Überprüfungen an der Aufzugsanlage sind in den ersten zwei Jahren alle sechs Monate durchzuführen.

Die Aufzugsanlage ist bei einem Aufzugssachverständigen zur ständigen Überwachung anzumelden. Die Abnahmebefunde der wiederkehrenden Überprüfungen sind vom Sachverständigen im Aufzugsbuch zu vermerken. Etwa vom Sachverständigen festgestellte Mängel sind unverzüglich beheben zu lassen, wobei bis zu deren einwandfreien Behebungen die Aufzugsanlage nicht betrieben werden darf."

Zur Zeit der Erlassung des Genehmigungsbescheids und des Kollaudierungsbescheids war die damals noch nicht durch Gesetz oder Verordnung als verbindlich erklärte ÖNORM B2450 (5. geänderte Ausgabe: November 1966) maßgeblich, die u.a. vorsah:

"Zahl 220,041: Riegelschalter sind an jedem Riegel einer Schalttüre erforderlich. Ausgenommen sind Hubtüren bei Aufzügen mit einer Betriebsgeschwindigkeit von höchstens 9,85 m/s.

Zahl 220,042: Der Riegelschalter darf den Stromsteuerkreis nur dann schließen, wenn der Riegel die Tür gesperrt hat (Fehlschusssicherung nach Zahl 225,4).

...

Zahl 225.4: Ein Riegel darf erst bei geschlossener Schachttür eingerückt werden können, oder es darf der Steuerstromkreis nicht geschlossen werden, wenn der Riegel bei offener Schachttür in Verriegelungsstellung gelangt (Zahl 220,042)."

Am 21. Mai 1971 wurde das stmk. Landesgesetz vom 26. Jänner 1971 über den Bau und den Betrieb von Aufzügen, LGBl 1971/41 (stmk. AufzugsG 1971), ausgegeben und versendet. Dessen §§ 2 und 16 lauten:

"§ 2

Bau- und Betriebsvorschriften

(1) Aufzüge müssen in allen ihren Teilen nach den Erfahrungen der technischen Wissenschaften so hergestellt, instandgehalten und betrieben werden, dass sie nach ihrem Verwendungszweck und den örtlichen Verhältnissen den Anforderungen der Sicherheit, der Festigkeit, des Schall- und des Brandschutzes entsprechen.

(2) Der Nachweis der Erfüllung der Bestimmungen des Abs 1 bei Planung und Ausführung eines Aufzuges kann jedenfalls durch den Nachweis der Anwendung der Ö-Normen im Sinne des Normengesetzes, BGBl 64/1954, erbracht werden.

§ 16

Schlussbestimmungen

(1) Dieses Gesetz tritt mit dem Tag seiner Kundmachung in Kraft.

(2) Gleichzeitig verliert die ... (AufzugsVO 1943) insoweit ihre Geltung, als nicht bundesrechtliche Vorschriften betroffen werden."

Am 10. Februar 1992 wurde ein Dienstnehmer der Anlagenbetreiberin, der die Verriegelung der Aufzugstür nicht mit Gewalt geöffnet hatte, bei einem Sturz in den Aufzugsschacht schwer verletzt. Unfallsursache war, dass die mechanische Verriegelung nicht geschlossen und die Magnetfalle - entweder wegen der durch die Abnützung der mechanischen Verriegelung bedingten falschen Schließposition der Tür oder wegen Verschmutzung der Anlage - nicht eingerastet war. Der Aufzug war infolge jahrzehntelanger Abnützung völlig ausgeleiert. Die Führungsschienen des Aufzugs waren stark abgenutzt; es war alles relativ stark verstaubt und verbogen. Der Aufzug war zum Unfallszeitpunkt nicht mehr betriebssicher.

Ein bei der Rechtsvorgängerin der klagenden Versichungsgesellschaft haftpflichtversichert gewesener Zivilingenieur für Maschinenbau (im Folgenden nur 2. Zivilingenieur) war im Laufe seiner Berufstätigkeit u.a. von 1975 bis 1991 im Auftrag der Gesellschaft mit der Überprüfung des Aufzugs befasst. Er hätte als jener Sachverständiger, der die laufend zu wiederholenden Prüfungen vornahm, gemäß ÖNORM B2452 (Abnahmeprüfung und wiederkehrende Prüfungen) Zl. 2.1. den Aufzug nicht nur auf die die Türverriegelung betreffenden Abschnitte 1.2.1 bis 1.2.10, sondern auch auf seinen Allgemeinzustand überprüfen müssen und dabei das Fehlen der Riegelschalter feststellen können. Er wurde in einem Vorverfahren von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) und der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (PVA) belangt und mit Urteil vom 4. April 1997 dazu verhalten, den beiden dort klagenden Parteien 201.682,48 S sA zu zahlen; außerdem wurde festgestellt, dass er beiden Anstalten für künftige Pflichtaufwendungen an den verletzten Dienstnehmer der Gesellschaft aus dem Unfall vom 10. Februar 1992 bis zur Höhe des Deckungsfonds hafte.

Die klagende Partei als Haftpflichtversicherer des mittlerweile verstorbenen 2. Zivilingenieurs (§ 67 VersVG) begehrte vom beklagten Rechtsträger aus dem Rechtsgrund der Amtshaftung die Zahlung von zuletzt 200.560,83 S sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für ein Drittel der Aufwendungen, die aufgrund des Urteils im Vorverfahren an die PVA zu erbringen sein werden. Die klagende Partei habe bisher 621.795,47 S geleistet. Der 2. Zivilingenieur wäre als Mitschädiger zufolge § 896 ABGB berechtigt, von der beklagten Partei im Regressweg die Erstattung eines Drittels der Aufwendungen (207.265,16 S sA) zu verlangen. Die Gewerbebehörde habe als Organ des beklagten Rechtsträgers rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, weil der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebene Riegelschalter gefehlt habe. Die Gewerbebehörde bzw die für sie tätigen Amtssachverständigen hätten nicht erkannt, dass die laut Beschreibung des Aufzugs geplanten und durch die ÖNORM B2450 als dem Stand der Technik entsprechend vorgeschriebenen Riegelschalter tatsächlich nicht vorhanden gewesen seien, sodass beim Aufzug von Anfang an die Unfallsgefahr bestanden habe, die sich schließlich 1992 verwirklicht habe. Deshalb hafte die beklagte Partei als funktioneller Rechtsträger der Behörde und Haftpflichtiger der für die Behörde tätigen Organe einschließlich der Amtssachverständigen für die Schäden des Dienstnehmers der Gesellschaft, wobei die Schadenersatzansprüche, soweit die AUVA und die PVA Leistungen zu erbringen haben, gemäß § 332 ASVG auf diese übergegangen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. 1967/68 sei die ÖNORM B2450 noch nicht gesetzlich verbindlich gewesen sei; nicht verbindliche ÖNORMEN könnten als Zusammenfassung von Sorgfaltsanforderungen richtig oder falsch seien. Die Verbindlicherklärung der ÖNORM B2450 sei erst Jahre nach der Bewilligung des Aufzugs durch das stmk. AufzugsG 1971 erfolgt. Der Aufzug sei den Auflagen und der Beschreibung konform genehmigt worden. Aus der ÖNORM B2450 ergebe sich nicht, dass die fehlenden Riegelschalter dem Stand der Technik iSd AufzugsVO 1943 entsprochen hätten; dies habe die klagende Partei ebenso wenig bewiesen wie den Umstand, dass ein Riegelschalter den Unfall verhindert hätte. Selbst wenn dies der Fall wäre, läge kein Verschulden der beklagten Partei vor. Der Anlagebetreiber habe nach dem stmk. AufzugsG 1971 einen Sachverständigen mit der Überprüfung zu betrauen. Dieser hätte Mängel und Gebrechen aufzuzeigen gehabt. Dies habe der 2.Zivilingenieur unterlassen.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und ließ sich dabei im Wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten:

Unter Normen verstehe man im hier maßgeblichen engeren Sinn (Normenwesen) Richtlinien, die insbesondere die Vereinheitlichung von Begriffen, Formen und Abmessungen, von Eigenschaften, Verfahren sowie von Lieferbedingungen bezwecken und die die Vereinheitlichung, Vereinfachung und Erleichterung der beruflichen Tätigkeit zum Ziel haben. ÖNORMEN seien vom Österreichischen Normungsinstitut erstellte Richtlinien. Sie gäben die technischen Erfahrungen wieder, wie sie bei der Herstellung baulicher Anlagen zu berücksichtigen seien. Diese baulichen Anlagen müssten den technischen Erfahrungen und damit den jeweiligen ÖNORMEN im Zeitpunkt ihrer Errichtung entsprechen. Die ÖNORMEN stellten eine Zusammenfassung üblicher Sorgfaltsanforderungen aus dem Wirtschaftsleben dar und verpflichteten dazu, die für den Regelfall vorgesehenen Maßnahmen einzuhalten. Durch die Anordnung einer Rechtsnorm, dass eine ÖNORM Rechtswirkungen entfalten solle, werde diese selbst zur Rechtsnorm, wobei sie grundsätzlich den Rechtsquellencharakter und Geltungsumfang der replizierenden Vorschrift enthalte. Vor dem Hintergrund des Berichts des Handelsausschusses, dass sich das Normenwesen einer zunehmenden Inanspruchnahme und Anerkennung erfreue und zu einem unentbehrlichen Faktor der Industrie und der gewerblichen Wirtschaft entwickelt habe und dass infolge Außerkraftsetzens der - näher erwähnten - reichsdeutschen Verordnung eine gesetzliche Regelung (iSd NormenG) unerlässlich geworden sei, werde den ÖNORMEN ein entsprechender Standard zugebilligt. Deshalb habe die Verwaltung bei der Verbindlicherklärung solcher Normen keine umfassende Nachprüfung dieser Normen vorzunehmen, sondern könne sich auf die Sachkunde deren Produzenten verlassen. ÖNORMEN würden nur kraft Vereinbarung, aber auch als Handelsbrauch, durch Gesetz oder Verordnung allgemein verbindlich. Ungeachtet einer hier fehlenden Vereinbarung bildeten die technischen ÖNORMEN einen Maßstab für die Sorgfaltspflicht und stellten eine Zusammenfassung üblicher Sorgfaltsanforderungen an den Unternehmer dar. Wenngleich die vom österr. Normungsinstitut herausgegebenen ÖNORMEN erst - von spezieller vertraglicher Vereinbarungen abgesehen - durch Gesetz oder Verordnung allgemein verbindlich würden, sei die Gewerbebehörde erster Instanz schon nach den allgemeinen - "übrigens unpolitischen" - Grundsätzen des § 4 AufzugsVO 1943 verpflichtet gewesen, auf die anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik Bedacht zu nehmen. ÖNORMEN gälten als Spiegel technischen Standards und seien auch (schon) im Jahr 1966 und in den Folgejahren somit der AufzugsVO 1943 zugrunde zu legen. Insoweit liege in der Bezugnahme der AufzugsVO 1943 auf den Stand der Technik und Wissenschaft eine besondere Form der dynamischen Verweisung vor, die in ihrer Auswirkung der Verbindlicherklärung der ÖNORMEN durchaus nahekomme. Das Berufungsgericht habe im Vorverfahren gegen den 2. Sachverständigen - wenngleich in diesem Verfahren für die beklagte Partei unverbindlich - ausgesprochen, dass Riegelschalter laut ÖNORM B2450 vom November 1966 erforderlich gewesen seien; diese Auffassung sei vom Obersten Gerichtshof, an den eine außerordentliche Revision herangetragen worden sei, nicht als rechtswidrig aufgegriffen worden (7 Ob 365/97w).

Erweise sich die Bewilligung des Aufzugs als ÖNORM-gemäß, so sei die Kollaudierung damit nicht konform gegangen. Falls bloß die Kollaudierung fehlerhaft gewesen sein sollte, bestehe die Haftung der beklagten Partei ebenso, wie wenn der fehlerhafte Kollaudierungsvorgang einem fehlerhaften Bewilligungsvorgang entsprochen habe. Wenngleich die klagende Partei expressis verbis der Gewerbebehörde bei Erlassung des Kollaudierungsbescheids einen schweren Fehler vorwerfe, könne aus der Gesamtheit deren Vorbringens, insbesonders in den Punkten 5. und 6. der Klage und im Schriftsatz der klagenden Partei vom 14. Oktober 1999 ON 4, "die Haftung auf den Bewilligungsvorgang schlechthin bezogen werden", denn auch der Kollaudierungsbescheid fuße auf der AufzugsVO 1943 und gehe davon aus, dass gegen die Inbetriebnahme kein Einwand bestehe, was aber bei Fehlen von Riegelschaltern nicht zutreffe. Das Haftungsausmaß richte sich aber nach der Intensität des vorliegenden Fehlverhaltens. Ein Fehlverhalten nur bei der Kollaudierung sei jedenfalls anders zu gewichten als ein zusätzliches Fehlverhalten im Bewilligungsverfahren.

Mangels ausreichend geklärten Sachverhalts, insbesondere der allfälligen ÖNORM-Konformität des Bewilligungsbescheids, und mangels Feststellungen über die Schadenshöhe sei das Ersturteil aufzuheben. Im fortgesetzen Verfahren werde das Erstgericht unter Beiziehung eines Sachverständigen vorerst zu klären haben, ob der Genehmigungsbescheid in Ansehung der Steuerung und Verriegelung der ÖNORM B2450 Ausgabe November 1966 entsprochen habe oder nicht. Sodann werde die Haftungsfrage iSd Rechtsauffassung des Berufungsgerichts neuerlich zu beurteilen sein.

Der von der zweiten Instanz zugelassene Rekurs der beklagten Partei ist zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Verfahren ist vorerst die Rechtswidrigkeit des Organhandelns bei der gewerbebehördlichen Genehmigung und Kollaudierung eines Aufzugs zu untersuchen. Die Angelegenheiten des Gewerbes sind gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache, so dass das Organ des beklagten Rechtsträgers, dem rechtswidriges Verhalten vorgeworfen wird, als Organ der mittelbaren Bundesverwaltung (in dem vom beklagten Bund übertragenen Wirkungsbereich) eingeschritten ist (Art 102 und 119 B-VG).

Unbestrittenermaßen wies der Aufzug jedenfalls im 3. Stock keinen Riegelschalter auf. Das Erstgericht vertrat in seiner rechtlichen Beurteilung - entgegen der Prozessbehauptung der klagenden Partei - die als Feststellung zu wertende Auffassung, der Aufzug sei auflagen- und beschreibungskonform errichtet worden, denn die in der Beschreibung vom 18. August 1967 aufscheinenden Türverriegelungskontakte seien "offenkundig" in Form der mechanischen und der Magnetverriegelung vorhanden gewesen. Das Berufungsgericht erachtete diese Feststellung als bedenklich, gehe das Erstgericht doch davon aus, dass die Kollaudierung, mit der der Aufzug bei beschreibungs- und planmäßiger Ausführung in gewerbepolizeilicher Beziehung als zulässig erklärt und (unter Erfüllung bzw. Einhaltung näher beschriebener Auflagen) genehmigt worden sei, entsprochen habe, dass somit der Genehmigungsbescheid keine Riegelschalter vorgeschrieben habe. Dementgegen weise der Inhalt der - oben wiedergegebenen - Beschreibung des Aufzugs betreffend die Steuerung und die Türverriegelung nicht "offenkundig" darauf hin, dass damit die Riegelschalter laut ÖNORM B2450 nicht vorgeschrieben worden seien. Es sei nicht hervorgekommen, dass das Fachwissen des Erstrichters ausreiche, um die nicht unwesentliche Frage zu lösen, ob die auf einem Vordruck zur ÖNORM B2450 vorgenommene Beschreibung des Aufzugs in Ansehung der Steuerung und Türverriegelung der schon damals geltenden ÖNORM B2450 entsprochen habe. Die in rechtliche Überlegungen gekleidete erstinstanzliche Feststellung sei nicht genügend begründet, weil der bloße Hinweis auf "Offenkundigkeit" dazu nicht ausreiche. Die zweite Instanz verlangte dazu vielmehr nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu treffende verlässliche Feststellungen darüber, ob die technische Beschreibung und der Genehmigungsbescheid tatsächlich den Einbau eines Riegelschalters vorgesehen habe. Soweit die zweite Instanz, ausgehend von einer richtigen Rechtsansicht, dazu verläßliche Feststellungen als erforderlich erachtete, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dem nicht entgegen treten.

Fehlen aber solche Feststellungen, sind zwei denkbare Varianten rechtswidrigen Behördenhandelns erwägbar: Einerseits wäre es möglich, dass die Beschreibung des Aufzugs und der ihr folgende Genehmigungsbescheid einen Riegelschalter zwar vorsahen, dieser aber nicht eingebaut wurde und dieser Mangel unbeachtet blieb, andererseits wäre es aber auch denkbar, dass schon in der Beschreibung des Aufzugs und demgemäß auch im Genehmigungsbescheid ein solcher Riegelschalter nicht vorgeschrieben war.

a) In der letzteren Variante - im gewerbebehördlichen Genehmigungsbescheid war der Einbau eines Riegelschalters gar nicht vorgesehen - stellt sich die Frage, ob die Gewerbebehörde den Einbau hätte vorschreiben müssen und ob die hier derzeit bloß unterstellte unterbliebene Vorschreibung das Behördenverhalten mit einer Rechtswidrigkeit als Voraussetzung jedes Amtshaftungsanspruchs belastete.

Nach § 4 Abs 1 der bei der Genehmigung des Aufzugs noch in Geltung gestandenen AufzugsVO 1943 mussten Aufzugsanlagen in Bauart, Ausführung und Ausrüstung den folgenden Bestimmungen und den anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik entsprechen. Als solche galten neben den allgemeinen Regeln und den in Betracht kommenden baupolizeilichen Vorschriften die vom Deutschen Aufzugsausschuss aufgestellten Technischen Grundsätze. Unbekämpft und zutreffend führte das Berufungsgericht aus, die vom Deutschen Aufzugsausschuss aufgezählten, als anerkannte Regeln der Wissenschaft und Technik geltenden Technischen Grundsätze zwar Norm- bzw Gütevorschriften gemäß der "GüteZ-VO" darstellten, diese Vorschriften jedoch nach dem Wiedererstehen Österreichs 1945 aus dem Rechtsbestand eleminiert worden seien. Auf eine Verletzung solcher deutschen Vorschriften wird auch das Klagebegehren nicht gestützt. Damit bleibt die Frage, ob die Behörde rechtswidrig handelte, weil sie die in Zl. 220,041 der ÖNORM B2450 geforderten Riegelschalter (Riegelschalter sind an jedem Riegel einer Schalttüre erforderlich) nicht vorschrieb.

Die österreichischen Normen (ÖNORMEN) werden vom Normungsinstitut, einem privatrechtlich konstituierten Verein, herausgegeben. Soweit ÖNORMEN nicht durch Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt werden, kommt ihnen nur der Charakter einer Richtlinie (Allgemeine Geschäftsbedingungen) zu, die als Bestandteile von Einzelverträgen gelten soll. Die ÖNORMEN gelten daher nur kraft Vereinbarung (auch konkludent) oder wenn sie durch tatsächliche Übung der beteiligten Verkehrskreise zum Handelsbrauch oder zur Verkehrssitte erstarken und damit zur ergänzenden Auslegung heranzuziehen sind (stRsp, zuletzt 1 Ob 359/98w, 7 Ob 265/00x; RIS-Justiz RS0038622). ÖNORMEN stellen somit nach herrschender Auffassung zwar eine Zusammenfassung üblicher Sorgfaltsanforderungen an den Werkunternehmer dar (ecolex 1990, 543; 3 Ob 70/98k; 1 Ob 278/98h = RdW 2000, 142 ua; RIS-Justiz RS0038622), sie sind aber bloß Richtlinien, die als Vertragsbestandteile gelten sollen (SZ 59/91; 3 Ob 70/98k, 1 Ob 359/98w ua). Mangels einer Anordnung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber (§ 4 Abs 6 NormenG 1954 BGBl 1954/64, § 5 NormenG 1971 BGBl 1971/240) gelten sie daher nur kraft Vereinbarung oder als Verkehrssitte (SZ 59/86; 3 Ob 70/98k ua, zuletzt 1 Ob 278/98h). Die Rsp bezieht sich somit auf Werkverträge und die Frage, inwieweit bestimmte ÖNORMEN ungeachtet fehlender Anordnung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber dennoch konkludent (§ 914 ABGB) als Vertragsbestandteil zwischen Werkvertragsparteien Geltung haben. Im vorliegenden Fall geht es aber darum, ob Bestimmungen der ÖNORM B2450, denen erst Jahre nach der Genehmigung und Kollaudierung eines schadenstiftenden Aufzugs durch die Gewerbebehörde aufgrund des stmk. AufzugsG 1971 bindende Wirkung zukam, dennoch von der Gewerbehörde zu beachten waren und deren Nichtbeachtung den Rechtsträger zum Schadenersatz verpflichtet. Diese Frage ist zu verneinen, weil der hier maßgeblichen ÖNORM im Zeitpunkt der Genehmigung und Kollaudierung des Aufzugs unbestrittenermaßen noch keine bindende Wirkung zukam. Dem entsprechend wurden auch ÖNORMEN, die noch nicht gemäß § 5 NormenG 1971 für verbindlich erklärt wurden, nicht als "Baugesetze" iSd Pkt 3 Z 5 der EHVB beurteilt (7 Ob 45/82 = EvBl 1983/41) beurteilt. Daran kann auch nichts ändern, dass ÖNORMEN die technischen Erfahrungen wiedergeben, wie sie bei der Herstellung baulicher Anlagen zu berücksichtigen sind (1 Ob 564/95 = SZ 68/105; 4 Ob 179/99y = RdW 1999, 715 ua).

Damit ist freilich für die beklagte Partei noch nichts gewonnen, musste der Aufzug doch jedenfalls nach § 4 Abs 1 AufzugsVO 1943 den anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik entsprechen. Ob dies der Fall war, ist eine Tatfrage. Es liegt daher ein sekundärer Feststellungsmangel insoweit vor, als nicht festgestellt ist, ob der Einbau eines Riegelschalters damals den anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik entsprach oder nicht. Allein daran ist die allfällige Rechtswidrigkeit allfälligen Behördenhandelns zu messen. Insoweit ist der Ergänzungsauftrag der zweiten Instanz zu erweitern. Wurde damals der Einbau eines Riegelschalters - unabhängig von den Bestimmungen der ÖNORM B2450 - von den anerkannten Regeln der Wissenschaft und Technik nicht gefordert, so ist das Klagebegehren mangels Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines Organs des beklagten Rechtsträgers abzuweisen.

b) Die andere Variante besteht darin, dass die Beschreibung des Aufzugs den Einbau eines Riegelschalters zwar vorsah und die Gewerbebehörde dem folgend in ihrem Genehmigungsbescheid den Einbau eines Riegelschalters ohnehin vorschrieb, dann aber nicht überprüfte, ob der Riegelschalter tatsächlich eingebaut worden war. Dazu steht lediglich fest, dass der 1. Zivilingenieur, der nicht Amtssachverständiger, sondern ein von der Gesellschaft beauftragter Sachverständiger war, in seinem Abnahmebefund vom 16. April 1968 bestätigte, die Abnahmeprüfung habe ergeben, dass die Aufzugsanlage den behördlichen Vorschriften entspreche. Voraussetzung der Erteilung der Betriebsbewilligung ist die projektgemäße Fertigstellung der genehmigten Betriebsanlage und die Erfüllung aller im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen. Auch in der unterlassenen Überprüfung des Abnahmebefunds bei der Kollaudierungsverhandlung kann, wie die zweite Instanz zutreffend ausführte, rechtswidriges Behördenhandeln liegen. Abschließend kann mangels ausreichender Feststellungen dazu noch nicht Stellung genommen werden.

Bei beiden Varianten kann auch zur Vertretbarkeit des Verhaltens der Gewerbebehörde noch nicht Stellung genommen werden. Sollte das Erstgericht die Vertretbarkeit des Organverhaltens verneinen, so wird es zur Prüfung der Rechtswidrigkeit des Bescheids (Variante a)) beim Verwaltungsgerichtshof das Verfahren gemäß § 11 Abs 1 AHG einzuleiten haben.

c) Das Erstgericht führte in seiner rechtlichen Beurteilung aus, die klagende Partei habe nicht bewiesen, dass ein Riegelschalter den Unfall verhindert hätte. Falls darin eine Feststellung gelegen sein sollte, liegt dazu in der Berufung eine als "Feststellungsrüge" bezeichnete - vom Berufungsgericht nicht behandelte - Rüge mit dem Antrag vor, eine gegenteilige Feststellung zu treffen. Dazu kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht Stellung nehmen.

Festzuhalten bleibt, das entgegen dem Vortrag in der Rekursbeantwortung die Kausalität von der klagenden Partei zu beweisen ist. Zur Amtshaftung wurde ausgesprochen, der Geschädigte müsse nur den Eintritt des Schadens sowie die Übertretung eines Schutzgesetzes durch das Organverhalten beweisen, sofern er seinen Anspruch auf die Verletzung einer solchen Norm stütze; dagegen bedürfe es keines strikten Nachweises des Kausalzusammenhangs, weil die Pflichtwidrigkeit vermutet werde (SZ 66/97, SZ 69/147 uva, zuletzt etwa 1 Ob 52/00d); wer Schutzgesetze verletze, könne sich von seiner Haftung nur dadurch befreien, dass er sein mangelndes Verschulden nachweise oder die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich in Zweifel ziehe (1 Ob 178/00h ua; RIS-Justiz RS0022474). Hier indes ist eine unverbindliche ÖNORM gerade kein Schutzgesetz (JBl 1972, 569; Reischauer in Rummel2, § 1311 ABGB Rz 5 mwN; Harrer in Schwimann2 § 1311 ABGB Rz 24). Vom Grundsatz, dass sich die Beweislastumkehr nur auf das Verschulden erstrecke, der Beweis der Kausalität jedoch weiterhin dem Gläubiger (Geschädigten) obliege, ist der Oberste Gerichtshof zwar bei ärztlichen Behandlungsfehlern abgegangen, weil dort wegen der in diesen Fällen besonderen Beweisschwierigkeiten für den Patienten, die Kausalität nachzuweisen, nur dem zur Haftung herangezogenen Arzt die Mittel und die Sachkunde für den Nachweis zur Verfügung stehen, daher von einer "prima-facie-Kausalität" auszugehen sei, dass es in anderen Fällen indes bei der Beweispflicht des Geschädigten bleibe (SZ 70/179 uva, RIS-Justiz RS0106890). Die Beweislast, dass bei gebotenem Verhalten der Schaden nicht eingetreten wäre, trifft sohin den Geschädigten (1 Ob 31/92 = EvBl 1993/57). Daran ist festzuhalten.

Der Neuerung in der Rekursbeantwortung, der Aufzug wäre als gefährlicher Betrieb zu beurteilen, ist entgegen zu halten, dass bereits in der Entscheidung SZ 25/84 (Sturz in den Schacht eines unzureichend gesicherten Lastenaufzugs) die Eigenschaft des Lastenaufzugs in einem Gewerbebetrieb als gefährlicher Betrieb und damit die analoge Anwendung der Bestimmungen über die Gefährdungshaftung abgelehnt wurde. Erst jüngst wurde weiters in der Entscheidung 8 Ob 103/97y = RdW 1999, 202 = ZVR 1999/51 mit eingehender Begründung unter Bedachtnahme auf das Gefahrenpotential eines gefährlichen Betriebs ein Personenaufzug in einem Hotel unter Berücksichtigung des modernen Standards an Sicherheitseinrichtungen nicht als gefährlicher Betrieb beurteilt, weil der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts als äußerst gering einzuschätzen sei. Daher kann auch der vorliegende Aufzug nicht als gefährlicher Betrieb beurteilt werden. Die aus einer Beurteilung als gefährlicher Betrieb abgeleiteten rechtlichen Schlüsse der Rekursbeantwortung erweisen sich damit als verfehlt.

Aus all diesen Erwägungen kann dem Rechtsmittel kein Erfolg beschieden sein.

Der Kostenvorbehalt fußt auf dem § 52 Abs 2 ZPO.

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