OGH 6Ob214/00i

OGH6Ob214/00i23.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Fellinger als weitere Richter in der Firmenbuchsache der Hermann P***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in L***** über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und deren Geschäftsführer Ing. Hermann P*****, Mag. Peter P***** und Mag. Johann L*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 18. Juli 2000, GZ 3 R 191/00p-56, womit der Beschluss des Landes- als Handelsgerichtes Feldkirch vom 13. Juni 2000, GZ 15 Fr 3828/00x-53, bestätigt und der Rekurs der Gesellschaft sowie der Antrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 BVG beim Verfassungsgerichtshof zurückgewiesen wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der Gesellschaft wird Folge gegeben. Punkt I. des angefochtenen Beschlusses (Zurückweisung des Rekurses der Gesellschaft) wird aufgehoben und dem Rekursgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Gesellschaft aufgetragen.

2. Der Revisionsrekurs der Geschäftsführer wird zurückgewiesen.

3. Die Anträge der Revisionsrekurswerber auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 234 EG vor dem Europäischen Gerichtshof, auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof und auf Anberaumung einer mündlichen Revisionsrekursverhandlung werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

Im Firmenbuch des Landes- als Handelsgerichtes Feldkirch ist die Hermann P***** mit dem Sitz in L***** eingetragen. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. 12. Die Zweit- bis Viertrevisionsrekurswerber sind vertretungsbefugte Geschäftsführer der Gesellschaft.

Nachdem das Erstgericht die vertretungsbefugten Organe der Gesellschaft mehrmals erfolglos aufgefordert hatte, den Jahresabschluss zum 31. 12. 1997 offenzulegen, verhängte es die ihnen nach § 24 Abs 1 FBG anlässlich der Aufforderung angedrohten Zwangsstrafen von je 10.000 S und forderte sie neuerlich unter Androhung weiterer Zwangsstrafen von je 30.000 S auf, den Jahresabschluss binnen zwei Monaten ab Rechtskraft des Beschlusses einzureichen oder darzutun, dass diese Verpflichtung nicht besteht. Der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) leistete das Erstgericht nicht Folge.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Gesellschaft (Punkt I.) und den Antrag der Rekurswerber auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof (Punkt II.) zurück und gab den Rekursen der Geschäftsführer im Übrigen nicht Folge (Punkt III.). Es vertrat die Auffassung, die im angefochtenen Beschluss verhängten Zwangsstrafen richteten sich gegen die Geschäftsführer, sodass der Rekurs der Gesellschaft mangels Beschwer zurückzuweisen sei. Im Übrigen liege zur Frage der Verfassungskonformität der handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und der Grundrechtskonformität der dadurch umgesetzten Publizitäts- und Bilanzrichtlinie gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vor, auf die verwiesen werde. Im Hinblick auf diese Überlegungen sprach das Rekursgericht aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der Revisionsrekurs der Gesellschaft ist zulässig und im Sinn einer Aufhebung des Punktes I. des angefochtenen Beschlusses auch berechtigt. Im Zwangsstrafenverfahren kommt auch der Gesellschaft selbst Beteiligtenstellung und Rechtsmittelbefugnis zu. Mit den gegen die Geschäftsführer verhängten Zwangsstrafen soll eine Offenlegung von Gesellschaftsdaten als unmittelbare Verpflichtung (auch) der Gesellschaft selbst bewirkt werden, hängt doch diese Verpflichtung nicht davon ab, welche konkreten Personen jeweils die Vertretungsbefugnis innehaben. Die Rechtsmittellegitimation (auch)

der Gesellschaft ist daher zu bejahen (6 Ob 9/94 = EvBl 1994/145 =

GesRZ 1994, 222 = WBl 1994, 240; 6 Ob 101/99t; RIS-Justiz RS0112094).

Der den Rekurs der Gesellschaft zurückweisende Teil des angefochtenen Beschlusses ist somit aufzuheben und dem Rekursgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Geschäftsführer ist jedoch mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig.

Soweit sich der Revisionsrekurs der Geschäftsführer gegen die Zurückweisung ihres Antrages auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof richtet, ist er schon deshalb unzulässig, weil den Rechtsmittelwerbern diesbezüglich kein Antragsrecht zukommt, sie können die Einleitung dieses Verfahrens nur anregen (EvBl 1999/69; JBl 1994, 57; 6 Ob 163/00i ua). Im Übrigen hat der erkennende Senat bereits wiederholt ausgesprochen, dass gegen die Offenlegungsvorschriften des HGB weder Bedenken gegen deren Gemeinschaftsrechtskonformität noch gegen deren

Verfassungsmäßigkeit bestehen (vgl insbesondere 6 Ob 5/00d = GesRZ

2000, 173; 6 Ob 14/00b = wbl 2000, 286 [Gruber 251], 6 Ob 77/00t =

RdW 2000, 472, 6 Ob 126/00y, 6 Ob 163/00i und 6 Ob 165/00h). Die zitierten Entscheidungen behandelten Rechtsmittel, die zu den auch hier relevanten Fragen der Grundrechtskonformität und Verfassungsmäßigkeit ähnliche Argumente wie der vorliegende Revisionsrekurs vorbrachten. Auch sie erblickten durch die in der Publizitäts- und der Bilanzrichtlinie vorgegebenen - und in den Offenlegungsvorschriften des HGB umgesetzten - Offenlegungspflichten dieselben Grundrechtsverletzungen, die auch die Revisionsrekurswerber im vorliegenden Fall geltend machen (und zwar das Recht auf Gleichheit, Datenschutz, Schutz des Geschäfts- und Betriebsgeheimnisses, wirtschaftliche Betätigung und Erwerbsfreiheit, Privatautonomie, Privatsphäre, Unverletzlichkeit des Eigentums, sowie auf Beachtung des Sachlichkeitsgebotes und der Verhältnismäßigkeit).

Trotz der umfangreichen Ausführungen des Revisionsrekurses sieht der erkennende Senat keinen Anlass für ein neuerliches Eingehen auf die Frage der Verfassungskonformität der Offenlegungsvorschriften. Soweit der Revisionsrekurs hiezu unter anderem darauf verweist, dass das Bezügebegrenzungsgesetz im Verfassungsrang stehe und eine personenbezogene Grundbuchsabfrage nur öffentlichen Stellen und Notaren, nicht aber der "Allgemeinheit" möglich sei, fehlt es allein schon am konkreten Bezug der jeweiligen Materien zu den Veröffentlichungsbestimmungen des HGB und der damit umgesetzten Richtlinien. Die in den Richtlinien vorgesehene Offenlegung bezieht sich auf Wirtschaftsdaten der Gesellschaft, denen - wie bereits wiederholt ausgeführt wurde - angesichts des Interesses von Dritten an deren Offenlegung von vornherein nur eingeschränkter Schutz zukommt. Beschränkungen des Schutzes sind aber aufgrund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art 8 Abs 2 MRK genannten Gründen (hier: Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) notwendig sind. Gerade dies ist hier der Fall, dient doch die gesetzliche Regelung der Offenlegungspflicht ausschließlich dem Schutz der Rechte Dritter (vor allem Gläubiger oder Vertragspartner der Gesellschaft), um ihnen die in aller Regel sonst nicht zugängliche Information über die finanzielle Lage der Gesellschaft zu ermöglichen (6 Ob 5/00d, 6 Ob 14/00b, 6 Ob 77/00t).

Soweit der Revisionsrekurs die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens deshalb für erforderlich hält, weil eine materielle Derogation der Bilanz- und der Publizitätsrichtlinie durch nachfolgende Richtlinien und Verordnungen eingetreten sei, bringt er keine überzeugenden neuen Argumente vor. Er weist zwar neben der Datenschutzrichtlinie, der Telekommunikationsrichtlinie und der Amtshilfeverordnung (VO [EG] Nr 515/97), - auf deren mangelnde Beziehung zu den hier relevanten Offenlegungspflichten der erkennende Senat bereits im Einzelnen in den Vorentscheidungen 6 Ob 163/00i und 6 Ob 165/00h hingewiesen hat - auf eine Vielzahl weiterer Rechtsakte der Gemeinschaft hin, deren jeweilige Regelungen einerseits die Primärrechtswidrigkeit der beiden hier maßgebenden Richtlinien und andererseits deren Derogation unter Beweis stellen sollen (darunter die Umweltverträglichkeitsprüfrichtlinie 1985 und ihre Aktualisierung 1997, die Verpackungsrichtlinie, die Wettbewerbsverordnung, die Fusionskontrollverordnung sowie eine Reihe von Urteilen des EuGH). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass der Umstand, dass in Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen der jeweils hiefür zuständigen Gemeinschaftsorgane und Entschlussanträgen des Generalanwaltes (hier wird wiederholt dessen Schlussantrag in einem die Tabakwerberichtlinie betreffenden Verfahren vor dem EuGH ziitiert) wohl die besondere Gewichtung des Datenschutzes zum Ausdruck bringt. Daraus wird zwar deutlich, dass die Abwägung gegenläufiger Interessen verschiedener Gruppierungen bei bestimmten, konkret zu würdigenden oder generell zu regelnden Sachverhalten des Wirtschaftslebens zugunsten des Geheimnisschutzes ausfällt. Es lässt sich aus diesen Überlegungen aber nicht der Schluss ziehen, dass der Geheimnisschutz in jedem Fall über gegenläufigen Interessenlagen stehen müsse. Der erkennende Senat hat in seinen Vorentscheidungen bereits ausführlich dargelegt, dass keine zur Einholung einer Vorabentscheidung Anlass gebenden Bedenken dagegen bestehen, dass bei der Frage der Offenlegung von Unternehmensdaten im Sinn der beiden einschlägigen Richtlinien die Informationsinteressen Dritter höher zu gewichten sind. Dies geht auch aus der Entscheidung "Daihatsu" des EuGH (vom 4. 12. 1997, C-97/96 Slg 1997 I-6843) hervor. Der erkennende Senat hält die abermalige Kritik an seinen diesbezüglichen Ausführungen in den zitierten Vorentscheidungen für nicht überzeugend. Die Auffassung, wonach aufgrund der "Daihatsu"-Urteile davon auszugehen sei, dass der EuGH die in den beiden Richtlinien festgelegten Offenlegungsvorschriften als nach wie vor materiellrechtlich gültig erachte, wird aufrechterhalten. Insoweit wird nochmals darauf hingewiesen, dass der Rechtsvertreter der Revisionsrekurswerber selbst in einer 1997 veröffentlichten Abhandlung ausführte, der EuGH prüfe aus Anlass von Vorabentscheidungsersuchen die Primärrechtskonformität jeder Sekundärrechtsnorm (Weh, Vom Stufenbau zur Relativität 183).

Der Umstand, dass der Rechtsvertreter der Revisionsrekurswerber inzwischen die Darlegungen im vorliegenden Revisionsrekurs weitgehend inhaltsgleich in einer Fachzeitschrift publiziert hat (Weh, Die Bilanzoffenlegungsrichtlinien und die Grundrechte in GesRZ 2000, 114

ff) vermag diesen kein größeres Gewicht zu verleihen, kann doch bei der Veröffentlichung einer naturgemäß von Parteiinteressen getragenen, der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes widersprechenden Lehrmeinung noch nicht von einer sich abzeichnenden Tendenz der Lehre zur Abkehr von bisher überwiegend vertretenen Ansichten gesprochen werden, wozu der Oberste Gerichtshof nunmehr im Einzelnen neuerlich Stellung nehmen müsste. Im Übrigen hat die vom erkennenden Senat in den zitierten Vorentscheidungen vertretene Rechtsauffassung in der Lehre durchaus auch Zustimmung gefunden (Gruber, Neues zur Bilanzpublizität in WBl 2000, 251 ff).

Der erkennende Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass ein Anlass, eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung der Revisionsrekurswerber abzuhalten, nicht besteht (6 Ob 126/00i, 6 Ob 165/00h und insbesondere die dort zitierten Entscheidungen des EGMR).

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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