OGH 6Ob5/00d

OGH6Ob5/00d9.3.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der beim Landesgericht Linz zu FN 116127a eingetragenen F***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in Freistadt, über den Revisionsrekurs der Geschäftsführer 1. Ing. Wilhelm P*****, 2. Friedrich P*****, und 3. Josef Z*****, alle vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 12. November 1999, GZ 6 R 227/99s-12, mit dem der Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 4. Oktober 1999, GZ 13 Fr 3411/99h-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Stichtag für den Jahresabschluss der Gesellschaft ist der 31. Dezember. Der Gesellschaftsvertrag vom 5. 9. 1994 enthält ua folgende Bestimmungen:

Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer.

Die Gesellschaft wird, wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, durch diesen vertreten.

Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird sie durch je zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten, sofern nicht im Bestellungsbeschluss eine andere Vertretungsregelung angeordnet, insbesondere nicht einzelnen Geschäftsführern Alleinvertretungsrecht eingeräumt wird.

Der Jahresabschluss ist unter Verantwortlichkeit der (des) Geschäftsführer(s) unter Beachtung der Vorschriften des § 22 (Paragraph zweiundzwanzig) GmbHG aufzustellen und nach Erstellung unverzüglich der Generalversammlung zur Genehmigung (Feststellung) vorzulegen.

Das Erstgericht forderte mit seinen Beschlüssen vom 14. 7. 1999 und vom 1. 9. 1999 die Geschäftsführung der Gesellschaft erfolglos auf, den Jahresabschluss offenzulegen und die Merkmale für die Einordnung in die Größenklassen gemäß § 221 HGB für das Geschäftsjahr 1997 binnen 14 Tagen einzureichen.

Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte das Erstgericht über die drei Geschäftsführer wegen Nichtvorlage des Jahresabschlusses nach §§ 277 ff HGB für das Geschäftsjahr 1997 die angedrohte Zwangsstrafe in Höhe von je 10.000 S und forderte sie neuerlich zur Einreichung innerhalb von zwei Wochen nach Rechtskraft des Beschlusses auf, widrigenfalls eine Zwangsstrafe von je 20.000 S verhängt werde.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Geschäftsführer, insoweit er sich gegen die Androhung einer weiteren Zwangsstrafe richtete, zurück und gab im Übrigen dem Rekurs (gegen die Verhängung der Zwangsstrafen) nicht Folge. Eine Geschäftsverteilungsregel sei grundsätzlich nicht geeignet, die Geschäftsführer von der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu entlasten. Bei Kollegialorganen seien alle Mitglieder ohne Rücksicht auf die interne Ressortverteilung Adressaten der Zwangsstrafen. Bei den Rechnungslegungspflichten handle es sich um "Kardinalpflichten" der Geschäftsführer.

Die verlangte Offenlegung sei auch nicht auf Grund der von den Geschäftsführern behaupteten Marktverhältnisse unzumutbar. Das Zwangsstrafenverfahren sei seit dem EU-GesRÄG nicht mehr antragsabhängig, sondern von Amts wegen durchzuführen. Die 1996 eingeführten Neuerungen im Bereich der Offenlegungs- und Veröffentlichungsvorschriften seien zwingend für alle Geschäftsjahre nach dem 30. 6. 1996. Mit der neuen Rechtslage sei ein europäisches Richtlinienrecht in Österreich umgesetzt worden. Relevant sei die Umsetzung der "Publizitätsrichtlinie" und der "Bilanzrichtlinie". Damit solle dem Ziel der Niederlassungsfreiheit gedient werden. Die Offenlegung diene dem Schutz der Interessen Dritter, weil bei Kapitalgesellschaften lediglich das Gesellschaftsvermögen für eine Haftung zur Verfügung stehe. Bei der Umsetzung der Richtlinien sei dem nationalen Organ die Wahl der Form und der Mittel überlassen. Es bestehe eine Verpflichtung zur Umsetzung. Wenn der Gesetzgeber keinen Spielraum auf Grund des nationalen Verfassungsrechtes habe, sei er dennoch zur Umsetzung der Richtlinie gezwungen. Eine Schranke finde diese Konsequenz nur dann, wenn die Umsetzung eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bedeutete. Der EuGH habe in seinem "Daihatsu-Urteil" ausgeführt, dass die Offenlegung dazu diene, die Informationen jeder interessierten Person zugänglich zu machen. Die Einschränkung der Offenlegung auf die Gläubiger, die Gesellschaft und den Betriebsrat als antragsberechtigte Gruppen sei als unzureichend erachtet worden. In der Lehre werde die in Österreich vorgenommene gesetzliche Regelung über die Offenlegung als dem Gemeinschaftsrecht entsprechend empfunden. In Deutschland werde diskutiert, ob nicht bei kleinen Gesellschaften durch die Offenlegung entscheidende Wettbewerbsnachteile am Markt entstehen könnten. Die Rekurswerber würden hier nicht darauf Bezug nehmen, wodurch die Gesellschaft bei Entsprechung ihrer Offenlegungsverpflichtung im Verhältnis zu vergleichbaren Unternehmen sachlich ungleich behandelt werden würde. Auf eine nicht ausreichende Umsetzung von Richtlinien in einem anderen Mitgliedstaat könnten sie sich nicht berufen. Die von den Geschäftsführern angesprochene Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens könne nicht unmittelbar von einer Offenlegung der Jahresergebnisse abhängen.

Die relevierte Verletzung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Freiheit der Erwerbsbetätigung, Eigentumsfreiheit, Gleichbehandlung vor dem Gesetz, Grundrecht auf Datenschutz) sei in den Offenlegungsvorschriften der §§ 277 bis 279 HGB nicht zu erblicken. Das Gemeinschaftsrecht zwinge zu einer Umsetzung. Der Gesetzgeber sei verpflichtet gewesen, die Einhaltung der Offenlegungsverpflichtung durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen abzusichern. Eine Unverhältnismäßigkeit der Regelung liege nicht vor. Die Einschränkung des Grundrechts auf Datenschutz liege im Rahmen des Art 8 Abs 2 EMRK. Der EuGH habe in dem erwähnten Urteil in den Bestimmungen der angeführten Richtlinien keinen Verstoß gegen das Primärrecht der Gemeinschaft erblickt. Die Umsetzung der Richtlinien im österreichischen Recht sei richtlinienkonform. Das Rekursgericht sehe sich daher zu einer Vorabentscheidungsvorlage beim EuGH nicht veranlasst. Die Androhung einer weiteren Zwangsstrafe sei nach ständiger Rechtsprechung nicht selbständig anfechtbar.

Das Rekursgericht sprach aus, dass hinsichtlich der bestätigten Zwangsstrafe der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Mit ihrem ordentlichen Revisionsrekurs beantragen die Geschäftsführer die ersatzlose Behebung der Entscheidungen der Vorinstanzen, hilfsweise die Aufhebung zur neuerlichen Entscheidung. Im Rechtsmittel wird ferner angeregt, die Überprüfung der Zwangsstrafenbestimmungen beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 B-VG zu veranlassen sowie beim EuGH eine Vorabentscheidung einzuholen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass der vorliegende Sachverhalt völlig vergleichbar ist mit demjenigen, der dem Zwangsstrafenverfahren der E***** mbH mit dem Sitz in Wels zugrunde liegt. Zwei der dort rekurrierenden Geschäftsführer sind mit den Revisionsrekurswerbern im vorliegenden Verfahren ident. Die Geschäftsführer haben im Parallelverfahren Revisionsrekurs erhoben, über den der erkennende Senat zu 6 Ob 14/00b entscheidet. Der hier zu behandelnde Revisionsrekurs releviert nur zusätzlich (ab S 28 P. 7 des Rechtsmittels) die Rechtsfrage des Verhältnisses der Strafbestimmung des § 283 HGB zu derjenigen des § 24 FBG. Diese Frage ist hier gesondert zu behandeln. Im Übrigen ist zu den Revisionsrekursgründen, wie sie in beiden Verfahren wortident ausgeführt werden, wie im Parallelverfahren 6 Ob 14/00b Folgendes auszuführen:

Der Revisionsrekurs macht geltend, die Verhängung einer Zwangsstrafe über jeden einzelnen Geschäftsführer benachteilige Gesellschaften mit mehreren vertretungsbefugten Organen und führe so zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung. Selbst unter der Annahme, dass eine Geschäftsverteilung für die Verpflichtung zur Rechnungslegung nicht maßgeblich sei, dürfte bei verfassungskonformer Interpretation der insoweit nicht eindeutigen Regelung nur eine Strafe verhängt werden.

Nach Lehre und Rechtsprechung wirkt sich eine unter mehreren Geschäftsführern vorgenommene Geschäftsverteilung nur im Innenverhältnis auf die Verantwortlichkeit der einzelnen Organe aus (SZ 66/40), sie kann diese jedoch nicht von zwingenden gesetzlichen Verpflichtungen befreien (RIS-Justiz RS0023825; Koppensteiner, GmbHG2 Rz 12 zu § 21). Wenngleich es ausreicht, dass die Einreichung des Jahresabschlusses beim Firmenbuchgericht durch die Geschäftsführer in der vertretungsbefugten Anzahl erfolgt (Geist in Jabornegg, HGB Rz 4 zu § 275), richten sich die zwingenden Offenlegungsvorschriften der §§ 277 ff HGB an die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften, somit an alle Geschäftsführer. Unterbleibt die Offenlegung, sind nach § 283 Abs 1 HGB auch die Vorstandsmitglieder bzw Geschäftsführer zur Befolgung der Offenlegungsvorschriften durch Zwangsstrafen anzuhalten. Schon diese Formulierung weist als Adressaten der Zwangsstrafenandrohung alle Mitglieder eines kollegialen Vertretungsorganes aus. Auf die für das Innenverhältnis maßgebliche Geschäftsverteilung kommt es dabei nicht an (Geist aaO Rz 3 zu § 283; Zehetner, Folgen der Nichtoffenlegung des Jahresabschlusses ecolex 1998, 482 ff). Im vorliegenden Fall berufen sich sämtliche Geschäftsführer darauf, dass die Offenlegung aus Gründen der Unzumutbarkeit und Verfassungswidrigkeit nicht erzwungen werden dürfe. Sie machen damit aber deutlich, dass keiner von ihnen versucht hatte, dem gesetzlichen Auftrag nachzukommen oder den durch die (im Übrigen auch nicht konkret dargestellte Geschäftsverteilung) intern dazu verpflichteten Mitgeschäftsführer dazu zu bestimmen. Sie können daher aus einer allfälligen Geschäftsverteilung keine Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe ableiten.

Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerber führt die Verhängung von Zwangsstrafen gegen jeden der Geschäftsführer weder zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung von Gesellschaften mit mehreren Geschäftsführern, noch übt das Gericht damit unverhältnismäßigen Zwang aus. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz ist nicht darauf gerichtet, alle in der menschlichen Gesellschaft oder im Wirtschaftsleben auftretenden Ungleichheiten zu vermeiden; er soll vielmehr verhindern, dass die Rechtsordnung in unsachlicher Weise differenziert und Rechtsfolgen gleicher (vergleichbarer) Sachverhalte unterschiedlich gestaltet (Berka, Die Grundrechte, Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich Rz 890 ff). Angesichts der durch die Offenlegungsvorschriften verfolgten Ziele, die Informationsinteressen Dritter zu schützen, denen nur das Gesellschaftsvermögen zur Deckung ihrer Ansprüche zur Verfügung steht, entbehrt die alle Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft treffende gesetzliche Verpflichtung, für die Offenlegung des Jahresabschlusses zu sorgen, und die aus der Nichterfüllung dieser Pflicht resultierende, gleichfalls jeden von ihnen treffende Zwangsstrafe weder einer sachlichen Rechtfertigung, noch kann sie als Ausübung unverhältnismäßigen Zwanges angesehen werden. Erst das empfindliche Instrument der gegen alle Geschäftsführer auch wiederholt zu verhängenden Zwangsstrafe eröffnet die Möglichkeit, die Offenlegungsverpflichtungen auch tatsächlich zu erzwingen und damit den europarechtlichen Vorgaben Rechnung zu tragen (vgl Zehetner, Zur Erzwingung der Offenlegung des Jahresabschlusses - kein Anpassungsbedarf, NZ 1998, 200). An der Verhältnismäßigkeit der bei Umsetzung der Richtlinie geschaffenen Regelung besteht daher kein Zweifel, sodass sich das vom Revisionsrekurs angeregte Vorabentscheidungsersuchen erübrigt.

Dass die Offenlegung wegen der vom Revisionsrekurs befürchteten Folgen (Preisdruck von Seiten der durch die Offenlegung über die geschäftlichen Verhältnisse des Erzeugers informierten Händler) unzumutbar wäre, ist nicht zu erkennen, liegt doch gerade die Information Dritter, die die finanzielle Situation der Kapitalgesellschaft nicht hinreichend kennen, im unmittelbaren Zweckbereich der Offenlegungsvorschriften. Die durch das GesRÄG 1996 getroffenen innerstaatlichen Regelungen erfolgten in Umsetzung der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 - Publizitätsrichtlinie; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 - Bilanzrichtlinie), die ihrerseits auf Art 44 Abs 2 lit g EG beruhen. Danach liegt der Zweck in der Koordination von Schutzbestimmungen, die den Gesellschaften in ihren Mitgliedstaaten im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu halten. Art 6 der 1. Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen für den Fall anzudrohen, dass die in Art 2 Abs 1 lit f der Richtlinie vorgeschriebene Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unterbleibt. In Auslegung dieser Bestimmung hat der Europäische Gerichtshof bereits erkannt (EuGH vom 4. 12. 1997 Slg 1997 I - 6843 - Daihatsu), dass die Offenlegung des Jahresabschlusses hauptsächlich der Unterrichtung Dritter dient, die die buchhalterische und finanzielle Situation nicht hinreichend kennen oder kennen können. Art 3 der Richtlinie, der die Führung eines öffentlichen Registers, in das alle offenzulegenden Urkunden und Angaben einzutragen sind, sowie für jedermann die Möglichkeit vorsieht, Abschriften der Jahresabschlüsse zugesandt zu bekommen, bestätigt das Bestreben, diese Informationen jeder interessierten Person zugänglich zu machen. Dieses Bestreben kommt auch in den Begründungserwägungen der 4. Richtlinie zum Ausdruck, in denen auf das Erfordernis hingewiesen wird, hinsichtlich des Umfangs der zu veröffentlichenden finanziellen Angaben in der Gemeinschaft gleichwertige rechtliche Mindestbedingungen für miteinander in Wettbewerb stehende Gesellschaften herzustellen (Erwägungsgrund 22). Für die vom Revisionsrekurs angestrebte Abwägung der Interessen Dritter an der Information gegenüber jenen der Gesellschaft an deren Geheimhaltung anhand besonderer Marktsituationen bleibt damit kein Raum.

Der Revisionsrekurs vertritt die Auffassung, die Offenlegungspflicht der §§ 277 ff HGB wie auch die Vorschreibung von Zwangsstrafen verletze verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, wie jenes der Freiheit der Erwerbsbetätigung, der Unverletzlichkeit des Eigentums, das Grundrecht auf Datenschutz und den Gleichheitssatz. Die hier angesprochenen Bestimmungen des HGB wurden durch das EuGesRÄG 1996 in Umsetzung der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie formuliert. Richtlinien richteten sich gemäß Art 249 Abs 3 EG an die Mitgliedstaaten und sind hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich; sie überlassen es den innerstaatlichen Organen, Form und Mittel ihrer Umsetzung zu bestimmen, wobei der jeweils zuständige Gesetzgeber nach Maßgabe des von der Richtlinie offengelassenen Spielraumes eine verfassungskonforme Regelung zu schaffen hat, die den Zielsetzungen der Richtlinie entspricht. Ist aber die Umsetzung einer Richtlinie wegen des fehlenden Spielraumes nur unter Verletzung von Grundrechten möglich, ist der nationale Gesetzgeber dessenungeachtet zur Umsetzung verpflichtet und - solange nicht die Grundprinzipien der Verfassung berührt werden - an die Grundrechte nicht gebunden. Das so erlassene Gesetz ist demnach nicht als verfassungswidrig zu beurteilen (Berka aaO Rz 332; Mayer, Die österreichische Grundrechtsordnung nach dem EU-Beitritt AnwBl 1996, 152 ff [157]). Überdies besteht der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch gegenüber österreichischem Verfassungsrecht (Berka aaO Rz 332; Mayer aaO 154), sodass Gemeinschaftsrecht auch dann anzuwenden ist, wenn seine Regelungen innerstaatlichen Grundrechten widersprechen (vgl Thun-Hohenstein/Cede, Europarecht 88 f).

Die detaillierten Regelungen der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinien ließen dem nationalen Gesetzgeber einen nur sehr geringen Umsetzungsspielraum; er hat auch dafür zu sorgen, dass die Einhaltung der Offenlegungsverpflichtungen durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen abgesichert wird (Gruber, Bilanzpublizität für jedermann, Überlegungen zum "Daihatsu"-Urteil des EuGH RdW 1998, 525 ff mwN). Die Gestaltung dieser Sanktionen überlassen die Richtlinien dem nationalen Gesetzgeber, sodass nur unverhältnismäßige und damit unsachliche Strafen auch nach innerstaatlichem Recht unzulässig wären (Berka aaO Rz 337). Dass das EuGesRÄG 1996 die Bestimmungen über die Offenlegung bei Kapitalgesellschaften und deren Erzwingung richtlinienkonform umsetzte, unterliegt keinem Zweifel (Zehetner, Zur Erzwingbarkeit der Offenlegung des Jahresabschlusses - kein Anpassungsbedarf NZ 1998, 200; ders ecolex 1998, 482; Gruber aaO RdW 1998, 525 sieht nur insofern einen Anpassungsbedarf, als die Richtlinie die Zusendung der Rechnungslegungsunterlagen an jedermann über Verlangen vorsehe, dies aber erst nach elektronischer Erfassung der Urkundensammlung technisch auch möglich wäre).

Schon das Rekursgericht verwies zutreffend auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 4. 12. 1997 Slg 1997 I-6843 - Daihatsu, in welchem der EuGH eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, dass die Pflicht zur Offenlegung dem Ziel diene, die offenzulegenden Informationen jeder interessierten Person zugänglich zu machen, und dass dieser Gedanke auch der Umsetzung in das österreichische Recht zugrundeliege. Die Auffassung des Revisionsrekurses, es müsste eine Interessenabwägung stattfinden, wobei der Öffentlichkeit nur ein sehr begrenztes Interesse an einer Offenlegung zukomme, lässt diesen schon in Art 44 Abs 2 lit g EG zum Ausdruck kommenden Grundsatz des Schutzes der Interessen Dritter und auch die Zielsetzungen der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinien außer Acht, durch die Offenlegung des Jahresabschlusses jene dritten Personen zu informieren, die die buchhalterische und finanzielle Situation der Gesellschaft nicht ausreichend kennen bzw kennen können.

Die in Umsetzung der Richtlinie vom österreichischen Gesetzgeber getroffene Regelung ist auch dann nicht unverhältnismäßig, wenn die Zwangsstrafe zufolge fortgesetzter Nichteinhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen mehrmals gegen alle Geschäftsführer verhängt wird. Erst diese für die Betroffenen empfindliche Sanktion stellt die Befolgung des gesetzlichen Auftrages zur Offenlegung einigermaßen sicher. Mit den vom Revisionsrekurs angestrebten gelinderen Zwangsmitteln könnten die von den Richtlinien angestrebten Zielsetzungen nicht erreicht werden. In diesem Sinn hat auch der Europäische Gerichtshof in seinem Erkenntnis Daihatsu in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalanwalts die Sanktion einer Zwangsstrafe (nur) dann als geeignete Maßregel angesehen, wenn sie auch abschreckend ist (siehe Gruber aaO RdW 1998, 525 ff FN 11; ZIB 1997, 1234 [1236]).

Dass die über alle zur Offenlegung Verpflichteten (und diese Verpflichtung ausdrücklich verweigernden) Geschäftsführer verhängte Zwangsstrafe (20 % der möglichen Höchststrafe) im vorliegenden Fall genausowenig unangemessen ist wie die der Erzwingung dienende angedrohte Steigerung, hat schon das Rekursgericht zutreffend erkannt.

Der Revisionsrekurs macht schließlich noch geltend, selbst wenn der nationale Gesetzgeber mangels eines durch die Richtlinien eingeräumten beschränkten Spielraumes zur grundrechtskonformen Umsetzung diese nur unter Verletzung nationaler Grundrechte habe umsetzen können (in welchem Fall nach der Lehre ein Verstoß gegen die nationale Grundrechtsordnung nicht geltend gemacht werden könne), dürfe nicht übersehen werden, dass auch das Gemeinschaftsrecht einem Grundrechtskatalog verpflichtet sei. So wende auch der EuGH die EMRK als System allgemeiner Rechtsgrundsätze an und sei zur Überprüfung vom Gemeinschaftsrecht auf seine Übereinstimmung mit dieser zuständig. Es müsse daher im vorliegenden Fall geprüft werden, ob die beiden gesellschaftsrechtlichen Richtlinien mit den Grundrechten der Gemeinschaft vereinbar seien.

Der erkennende Senat hat in seiner E 15. 12. 1999, 6 Ob 307/99m unter Hinweis darauf, dass der EuGH als den für das Gemeinschaftsrecht allgemein gültigen Maßstab nicht nur Vertragsrecht, sondern auch allgemeine Rechtsgrundsätze im Sinn der den mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen innewohnenden Rechtsprinzipien zur Beurteilung heranzieht (wozu insbesondere auch die Grundrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip gehörten) ausgesprochen, dass das Urteil "Daihatsu" keine Zweifel darüber offen lasse, dass der EuGH die in der 1. und 4. Richtlinie normierten Offenlegungspflichten als vertrags- und grundrechtskonform ansehe. Diese Auffassung wird aufrechterhalten, wobei zu den Argumenten des Revisionsrekurses ergänzend Stellung genommen wird:

Wenngleich das Gemeinschaftsrecht keinen kodifizierten Grundrechtskatalog umfasst, ist in Lehre und Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass die durch die EMRK und ihre Zusatzprotokolle gewährleisteten Grundfreiheiten und Menschenrechte den Kernbestand der Gemeinschaftsgrundrechte bilden (Berka aaO Rz 347 ff mwN aus Lehre und Rechtsprechung). So hat der EuGH einen allgemeinen Gleichheitssatz anerkannt, der Ungleichbehandlung verbietet, wenn diese nicht durch das Vorliegen objektiver Umstände von einigem Gewicht gerechtfertigt ist (Berka Rz 348; EuGHSlg 62, 655 - Glöckner Werke AG). Soweit der Revisionsrekurs in der Gleichbehandlung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Aktiengesellschaften eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes erblickt und meint, Gesellschaften mit beschränkter Haftung müssten in der Frage der Offenlegung den Personengesellschaften gleichgestellt werden, übersieht er den allein maßgeblichen Grund für die in den Richtlinien und deren Umsetzung vorgenommene Gleichbehandlung von GmbHs mit Aktiengesellschaften: Beide Gesellschaftsformen gehören den Kapitalgesellschaften an und sind durch eine massive Einschränkung der Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Gesellschaft Dritten gegenüber gekennzeichnet. Während der persönlich haftende Gesellschafter von Personengesellschaften mit seinem gesamten Vermögen auch für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, steht den Gläubigern von Kapitalgesellschaften nur das Vermögen der Gesellschaft als Haftungsfonds zur Verfügung. Indem nun die Richtlinien verschärfte Bestimmungen über die Offenlegung bei Kapitalgesellschaften vorsehen und dabei GmbH und Aktiengesellschaft gleich behandeln, tragen sie dem schon in Art 44 Abs 2 lit g EG angesprochenen Schutz des Dritten Rechnung. Es ist somit sachlich gerechtfertigt, dass die Richtlinien und deren Umsetzung Gesellschaften mit beschränkter Haftung in der Frage der Offenlegung nicht gleich den Personengesellschaften behandeln. Von einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes kann daher keine Rede sein. Der Umstand, dass die Zwangsstrafe gegen alle Geschäftsführer verhängt werden kann, findet seine sachliche Rechtfertigung in der jeden Geschäftsführer der GmbH unabhängig von einer allfälligen Geschäftsverteilung treffenden Pflicht zur Rechnungslegung, deren Überprüfung und Unterfertigung.

Nach der hier maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH dürfen auch die Grundrechte des Eigentumsschutzes und der Berufsfreiheit im öffentlichen Interesse bestimmten Beschränkungen unterworfen werden, wenn diese nicht unverhältnismäßig sind und den Wesensgehalt dieser Rechte nicht antasten (Berka aaO Rz 349 mwN). Dass die in Bilanz- und Publizitätsrichtlinie vorgesehene Offenlegung wesentlicher Urkunden der Gesellschaft (zu denen auch die Bilanz samt Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang gehören) und deren Erzwingung dem öffentlichen Interesse an der Offenlegung der Dritten nicht bekannten buchhalterischen und finanziellen Situation der Gesellschaft zum Schutz Dritter sowie zur Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbs dient, ist evident und bedarf keiner weiteren Begründung. Eine Unverhältnismäßigkeit der dabei angewendeten Mittel ist - wie bereits ausgeführt - genausowenig zu erkennen wie ein Eingriff in den Wesensgehalt dieser Rechte.

Dass die angestrebte Information in Einzelfällen auch auf andere Weise erlangt werden könnte (der Revisionsrekurs nennt beispielsweise bei der Gesellschaft oder Gesellschaftern einzuholende Auskünfte oder Anfragen bei Banken), nimmt der vorgesehenen Regelung nicht die sachliche Rechtfertigung, zumal derartige Auskünfte das Informationsinteresse nur unzureichend erfüllen.

Der Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten bezieht sich nicht nur auf den Privat- oder Familienbereich, sondern auch auf wirtschaftsbezogene Informationen, wobei den Letzteren dann nur eingeschränkter Schutz zukommt, wenn sie mit gewichtigen Gegeninteressen abgewogen werden müssen (Berka aaO Rz 481). Der Anspruch auf Geheimhaltung setzt in jedem Fall ein schutzwürdiges Interesse voraus. Dem gegenüber sind Beschränkungen des Geheimhaltungsanspruches aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen, so auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, wie auch zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen zulässig (Berka Rz 483). Die in den Richtlinien vorgesehene Offenlegung bezieht sich auf Wirtschaftsdaten der Gesellschaft, denen nach den dargelegten Grundsätzen und angesichts des dagegen abzuwägenden Interesses von Dritten an deren Offenlegung von vornherein nur eingeschränkter Schutz zukommt. Beschränkungen des Schutzes sind aber auch aufgrund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen (hier Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) notwendig sind. Gerade dies ist hier der Fall, dient doch die gesetzliche Regelung der Offenlegungspflicht ausschließlich dem Schutz der Rechte Dritter (vor allem Gläubiger oder Vertragspartner der Gesellschaft), um ihnen die in aller Regel sonst nicht zugängliche Information über die finanzielle Lage der Gesellschaft zu ermöglichen.

Soweit nun die Rekurswerber schließlich meinen, die Umsetzung des österreichischen Gesetzgebers diskriminiere österreichische Gesellschaften gegenüber solchen aus anderen Staaten, die mangels vollständiger Umsetzung der Richtlinie nicht denselben strengen Offenlegungsvorschriften unterliegen, sie seien deshalb im Wettbewerb jenen gegenüber benachteiligt, machen sie einen - unzulässigen - Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht geltend. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit Gesellschaften, deren Rechtsordnung zu Unrecht Richtlinien noch nicht umgesetzt hat, kann im Rahmen des Diskriminierungsverbotes nicht geltend gemacht werden.

An der Vereinbarkeit der Offenlegungs- und Sanktionsbestimmungen der 1. und 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie mit den Grundrechten der Gemeinschaft bestehen somit keine Zweifel. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, die Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens oder Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof aufzugreifen.

Die Revisionsrekurswerber relevieren abschließend noch das Verhältnis der Zwangsstrafenbestimmungen des § 283 HGB zu denjenigen nach § 24 FBG. Dazu ist Folgendes auszuführen:

Die Rekurswerber stehen auf dem Standpunkt, dass § 283 HGB als lex specialis Vorrang vor der jüngeren Bestimmung des § 24 FBG habe und verweisen auf das unterschiedliche Höchstmaß der Strafen. Das Erstgericht hätte wegen der unterschiedlichen Strafhöhe keine Strafe nach § 24 FBG aussprechen dürfen. Richtig ist, dass nach § 24 FBG bei weiterer Nichtbefolgung des gerichtlichen Auftrags eine Zwangsstrafe bis 100.000 S verhängt werden kann, nach § 283 Abs 2 HGB aber nur 50.000 S. Der erkennende Senat hat - allerdings in der Begründung eines Zurückweisungsbeschlusses - schon ausgesprochen, dass § 283 HGB nicht im Verhältnis der Spezialität zu § 24 FBG stehe und dass diese Norm die maßgebliche Vorschrift zur Verhängung einer Zwangsstrafe über einen Geschäftsführer einer Gesellschaft sei (6 Ob 226/99z). Eine nähere Untersuchung dieser Rechtsfrage ist hier aber entbehrlich, weil es nicht um eine wiederholte Zwangsstrafe nach fruchtloser Verhängung einer Erststrafe geht. Für die erste Strafverhängung ist das Höchstmaß in beiden Gesetzesstellen dasselbe, sodass die aufgezeigte Rechtsfrage nicht entscheidungswesentlich ist.

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