Spruch:
1. Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
2. Die Anträge der Revisionsrekurswerber auf
a) Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 234 EG vor dem Europäischen Gerichtshof,
b) Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof
werden zurückgewiesen.
Text
Begründung
Im Firmenbuch des Landes- als Handelsgerichtes Feldkirch ist die R***** GmbH mit dem Sitz in R***** eingetragen. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. 12. Die Gesellschaft wird durch den Zweit- und Drittrevisionsrekurswerber als ihre Geschäftsführer vertreten.
Nachdem das Erstgericht die Gesellschaft und danach ihre Geschäftsführer mehrmals erfolglos aufgefordert hatte, den Jahresabschluss zum 31. 12. 1997 und danach jenen zum 31. 12. 1998 offenzulegen, verhängte es die ihnen nach § 24 Abs 1 FBG anlässlich der Aufforderung angedrohten Zwangsstrafen von je 5.000 S und forderte sie neuerlich unter Androhung der Verhängung einer weiteren Zwangsstrafe in der Höhe von 15.000 S auf, die Jahresabschlüsse binnen zwei Monaten ab Rechtskraft des Beschlusses einzureichen oder darzutun, dass diese Verpflichtung nicht bestehe (ON 50).
Der Anregung der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof leistete das Erstgericht nicht Folge (Beschluss ON 49). In ihrer Anregung hatten die Revisionsrekurswerber geltend gemacht, die den Rechnungsvorschriften zugrunde liegenden Richtlinien des Rates verstießen gegen die Grundrechte der Gemeinschaft auf Privatautonomie, Erwerbsfreiheit und Unverletzlichkeit des Eigentums, verletzten die Privatsphäre und das Grundrecht auf Datenschutz; die Offenlegungspflicht widerspräche auch dem Sachlichkeitsgebot und verletze Berufs- und Geschäftsgeheimnisse. Im Übrigen sei zu prüfen, ob die erste und vierte gesellschaftsrechtliche Richtlinie nicht materiell derogiert sei.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer nicht Folge und wies die neuerliche auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens und eines Gesetzesprüfungsverfahrens gerichteten Anträge der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer zurück. Die durch das EU-GesRÄG 1996 BGBl 1996/304 getroffenen innerstaatlichen Regelungen seien in Umsetzung der ersten und vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien des Rates erfolgt, die ihrerseits auf Art 44 Abs 2 lit g EG beruhten. Demnach liege der Zweck in der Koordination von Schutzbestimmungen, die den Gesellschaften in ihren Mitgliedstaaten im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben seien, um diese Bestimmungen gleichwertig zu halten. Die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, geeignete Maßnahmen für den Fall anzudrohen, dass die vorgeschriebene Offenlegung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung unterbleibe. Der Europäische Gerichtshof habe in Auslegung dieser Bestimmung bereits erkannt, dass die Offenlegung des Jahresabschlusses hauptsächlich der Unterrichtung Dritter diene, welche die buchhalterische und finanzielle Situation nicht hinreichend kennen oder kennen könnten. Art 3 der Richtlinie, der die Führung eines öffentlichen Registers, in das alle offenzulegenden Urkunden und Angaben einzutragen seien, sowie für jedermann die Möglichkeit vorsehe, Abschriften der Jahresabschlüsse zugesandt zu bekommen, bestätige das Bestreben, diese Information jeder interessierten Person zugänglich zu machen. Dieses Bestreben komme auch in den Begründungserwägungen der vierten Richtlinie zum Ausdruck. Ein Verstoß der Offenlegungsvorschriften des HGB gegen die Publizitäts- oder die Bilanzrichtlinie könne nicht unterstellt werden. Das Rekursgericht verneinte einen Verstoß der in den gesellschaftsrechtlichen Richtlinien vorgesehenen Offenlegung gegen die durch die EMRK und deren Zusatzprotokolle gewährleisteten Grundfreiheiten und Menschenrechte und sah keinen Anlass für ein Vorabentscheidungsersuchen. Unter Berücksichtigung des Regelungszweckes der Offenlegungsvorschriften verneinte es auch einen Verstoß gegen § 1 DatenschutzG, der - richtlinienkonform ausgelegt - den Offenlegungsvorschriften nicht entgegenstehe. Im Übrigen genieße Gemeinschaftsrecht Vorrang vor innerstaatlichem Recht - auch vor entgegenstehendem Verfassungsrecht - sodass kein Anlass für die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gesehen werden könne. Mit Rücksicht auf die hier gegebene Säumnis bei Offenlegung der Jahresabschlüsse seien die im gesetzlichen Rahmen verhängten Zwangsstrafen nicht zu beanstanden.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach § 14 Abs 1 AußStrG iVm § 15 Abs 1 FBG zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichtes - nicht zulässig.
Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung der Anträge auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH und eines Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof richtet, ist er schon deshalb unzulässig, weil den Rechtsmittelwerbern diesbezüglich kein Antragsrecht zukommt, sie können die Einleitung dieser Verfahren nur anregen (EvBl 1999/69; JBl 1994, 57). Im Übrigen gelangte der erkennende Senat in einer Reihe von Vorentscheidungen (6 Ob 307/99m = RdW 2000/250, 283; 6 Ob 5/00d; 6 Ob 14/00b; 6 Ob 77/00t) bereits zur Auffassung, dass gegen die in §§ 277 ff HGB verankerten Offenlegungsvorschriften keine relevanten Bedenken bestehen, die die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens erforderten. Er hat unter Hinweis auf den Zweck der in der ersten und vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie verankerten Bestimmungen (Information Dritter, die die finanzielle Situation der Kapitalgesellschaft nicht hinreichend kennen oder kennen können) auch eine Unzumutbarkeit der in den Richtlinien (und in den zu ihrer Umsetzung erlassenen innerstaatlichen Vorschriften) geschaffenen Regelung ebenso verneint wie eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Freiheit der Erwerbsbetätigung, der Unverletzlichkeit des Eigentums, des Grundrechtes auf Datenschutz und des Gleichheitssatzes.
Der Revisionsrekurs verkennt nun nicht, dass die Umsetzung ins innerstaatliche österreichische Recht richtlinienkonform erfolgte, vertritt aber die Auffassung, die zugrunde liegenden Richtlinien verstießen gegen die im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaften verankerten Grundsätze. Dazu hat der erkennende Senat in der Entscheidung 6 Ob 307/99m unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH vom 4. 12. 1997, Slg 1997 I-6843 Daihatsu (im Folgenden nur Daihatsu-Urteil) bereits die Auffassung vertreten, diese Entscheidung lasse keine Zweifel darüber offen, dass der EuGH die in den genannten Richtlinien normierten Offenlegungspflichten als vertrags- und grundrechtskonform ansehe. Diese Auffassung hat der erkennende Senat auch in seinen weiteren Entscheidungen 6 Ob 5/00d, 6 Ob 14/00b und 6 Ob 77/00t aufrechterhalten. Sie deckt sich mit der in der deutschen Lehre vertretenen Ansicht (De Weerth, Europarechtliche Sanktionierung der unterlassenen Offenlegung des Jahresabschlusses ? in BB 1998, 366 ff), im Verfahren "Daihatsu" sei allen Beklagten klar gewesen, dass die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen den Erlass der Richtlinien decke, und der Publizitätszwang nicht gegen gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundsätze verstoße. Davon gehe auch der EuGH in seiner bisherigen - näher zitierten - Rechtsprechung aus. So habe er sogar die systematische Sammlung von Daten aus den zu veröffentlichenden Jahresabschlüssen als nicht gegen gemeinschaftsrechtliche Grundrechte verstoßend angesehen.
Der erkennende Senat hat in seinen Vorentscheidungen bereits im Einzelnen ausgeführt, weshalb keine Bedenken gegen die Verletzung von Gemeinschaftsgrundrechten bestehen. Weder führe die Verhängung von Zwangsstrafen gegen jeden der Geschäftsführer zu einer gleichheitswidrigen Benachteiligung von Gesellschaften mit mehreren Geschäftsführern, noch übe das Gericht damit unverhältnismäßigen Zwang aus. Im Übrigen sei der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz nicht darauf gerichtet, alle in der menschlichen Gesellschaft oder im Wirtschaftsleben auftretenden Ungleichheiten zu vermeiden; er solle vielmehr verhindern, dass die Rechtsordnung in unsachlicher Weise differenziert und Rechtsfolgen gleicher (vergleichbarer) Sachverhalte unterschiedlich gestaltet werden. Der erkennende Senat hat auch bereits darauf hingewiesen, dass die Grundrechte des Eigentumsschutzes und der Berufsfreiheit bestimmten Beschränkungen im öffentlichen Interesse unterworfen werden dürfen, wenn diese nicht unverhältnismäßig sind und den Wesensgehalt dieser Rechte nicht antasten; dass die in der Bilanz- und der Publizitätsrichtlinie vorgesehene Offenlegung wesentlicher Urkunden der Gesellschaft (zu denen auch die Bilanz samt Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang gehören) und deren Erzwingung dem öffentlichen Interesse an der Offenlegung der Dritten nicht bekannten buchhalterischen und finanziellen Situation der Gesellschaft zum Schutz Dritter sowie zur Sicherstellung eines funktionierenden Wettbewerbes diene, sei evident; eine Unverhältnismäßigkeit der dabei angewendeten Mittel sei genausowenig zu erkennen wie ein Eingriff in den Wesensgehalt dieser Rechte. Die Möglichkeit, die angestrebte Information in Einzelfällen auch auf andere Weise zu erlangen, nehme der vorgesehenen Regelung nicht ihre sachliche Rechtfertigung.
Der erkennende Senat hat auch darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Geheimhaltung personenbezogener Daten in jedem Fall ein schutzwürdiges Interesse voraussetze und Beschränkungen des Geheimhaltungsanspruches aus den in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen (so auch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer wie auch zur Wahrung berechtigter Interessen eines anderen) zulässig seien, und die gesetzliche Regelung der Offenlegungspflicht gerade dem Schutz dieser Rechte Dritter (vor allem Gläubiger oder Vertragspartner der Gesellschaft) diene, um ihnen die in aller Regel sonst nicht zugängliche Information über die finanzielle Lage der Gesellschaft zu ermöglichen. Den durch die Rechnungslegungsvorschriften Dritten zur Kenntnis gelangenden wirtschaftsbezogenen Informationen komme daher in diesem Sinn nur ein eingeschränkter Schutz zu.
Aus diesen - zusammengefasst wiedergegebenen - Erwägungen hat der erkennende Senat keine Veranlassung gesehen, der Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens zur Prüfung einer allfälligen Primärrechtswidrigkeit der ersten und vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie Folge zu leisten (6 Ob 5/00d; 6 Ob 14/00b; 6 Ob 77/00t).
Eine materiellrechtliche Derogation der ersten und vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie durch die Datenschutzrichtlinie (95/46/EG) und die Telekommunikationsrichtlinie (97/66/EG), wie auch die Verordnung (EG) Nr 515/97 des Rates ist schon deshalb nicht zu erkennen, weil der EuGH aus Anlass seines Daihatsu-Urteiles eine Überprüfung dieser Richtlinien im dargelegten Umfang vorgenommen und erkannt hat, dass die Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber nicht richtlinienkonform erfolgte. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass der EuGH die in der ersten und vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie festgelegten Offenlegungsvorschriften als nach wie vor materiellrechtlich gültig erachtet. Im Übrigen versteht die Datenschutzrichtlinie unter personenbezogenen Daten nur solche natürlicher Personen (Art 2 lit a) und berührt nach Erwägungsgrund Nr 14 nicht die Rechtsvorschriften zum Schutz juristischer Personen bei der Verarbeitung von Daten, die sich auf diese beziehen (vgl Ehmann/Helfrich, EG Datenschutzrichtlinie 54 f, 73 f). Die Telekommunikationsrichtlinie hat zum Ziel, einen gleichwertigen Schutz des Rechtes auf Privatsphäre in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der Telekommunikation, sowie den freien Verkehr dieser Daten zu gewährleisten. Sie steht damit zu den Zielsetzungen der Bilanz- und der Publizitätsrichtlinie in keinen Widerspruch. Gleiches gilt auch die Verordnung (EG) Nr 515/97 des Rates über die gegenseitige Amtshilfe und Zusammenarbeit des Verwaltungsbehörden und der Kommission. Diese Verordnung regelt Einschränkungen der Weitergabe persönlicher - im Rahmen von Amtshandlungen gewonnener - Daten an Privatpersonen. Ihr Regelungsbereich steht daher in keinem Zusammenhang mit jenem der ersten und vierten gesellschaftsrechtlichen Richtlinien. Der dort zum Ausdruck kommende Schutz der Privatsphäre kann daher nicht in gleicher Weise auf die im Interesse Dritter offenzulegender Unternehmensdaten übertragen werden.
Diese Erwägungen führten zur Zurückweisung des Revisionsrekurses und der gleichzeitig gestellten Anträge auf Einleitung von Verfahren zur Vorabentscheidung und Gesetzesprüfung.
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