OGH 1Ob337/98k

OGH1Ob337/98k19.1.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Thomas M*****, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter Gabriele und Dipl. Ing. Walter M*****, vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 111.600 S sA und Feststellung (Streitwert 100.000 S) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 12. Oktober 1998, GZ 3 R 154/98g-21, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der jetzt 13jährige Kläger ist Schüler im Halbinternat einer Höheren Internatsschule des Bundes. Nach der Schule werden dort die Kinder am Nachmittag von Erziehern betreut und fahren um etwa 17.30 Uhr nach Hause zu ihren Eltern. Für diese Beaufsichtigung gibt es Tagespläne, nach denen etwa von 14.15 bis 15.45 Uhr Studienzeiten, aber auch Zeiten der Freizeit vorgesehen sind; ein Erzieher kann nach eigenem Ermessen von diesen Tagesplänen abweichen. Am 13. Jänner 1997 verbrachten etwa 20 bis 30 Kinder im Alter von etwas über zehn Jahren, darunter auch der Kläger, den Nachmittag mit Rodeln auf einem zum Schulgelände gehörenden Hang vor dem Schulgebäude; sie waren von zunächst drei und sodann von zwei Erziehern beaufsichtigt. Bei diesem Rodeln wurde der Kläger durch einen Unfall schwer verletzt. Die Vorinstanzen wiesen das auf Amtshaftung gestützte Schadenersatzklagebegehren ab, die zweite Instanz mit der Begründung, dem beklagten Rechtsträger komme das Haftungsprivileg nach den §§ 333, 335 ASVG zugute.

Rechtliche Beurteilung

a) Zum Schmerzengeldanspruch von 106.000 S sA:

Höhere Internatsschulen sind gemäß § 38 Abs 1 SchulorganisationsG allgemein bildende höhere Schulen, die mit einem Schülerheim derart organisatorisch verbunden sind, daß die Schüler nach einem einheitlichen Erziehungsplan Unterricht, Erziehung und Betreuung sowie ferner Unterkunft und Verpflegung erhalten. Nach den Materialien (EB zur RV, 733 BlgNR 9. GP, 34 f) handelt es sich beim Internatsschulwesen um eine selbständige Schulform, dessen Charakteristikum die organische Verbundenheit von Schule und Internat sei, die in der Einheit deren Erziehungsplans ihren Ausdruck finde. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß die Höheren Internatschulen „daher streng von jenen Schulen unterschieden werden (müssen), denen ein Schülerheim nur angeschlossen ist“. Zutreffend erkannte die zweite Instanz, daß Schule und Internat einer höheren Internatsschule eine Einheit bilden, auf die die schulrechtlichen Vorschriften, insbesondere das SchulunterrichtsG, zur Anwendung kommen (VwGH Zl. 92/10/0464, 0465, 0466 = ZfVB 1996/264).

Mit der Einführung der Unfallversicherung (Teilversicherung) der Schüler (und Studenten) durch die 32. ASVG-Novelle wurde der Begriff des Arbeitsunfalls auf Unfälle erstreckt, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Schul(Universitäts-)ausbildung ereignen (§ 175 Abs 4 erster Satz ASVG). Der Schutzbereich ist damit analog § 175 Abs 1 ASVG generalklauselartig umschrieben. Im Sinn der neueren Rspr des Obersten Gerichtshofs soll nach der Grundintention des Gesetzes jede Tätigkeit geschützt sein, die sich als Ausübung der Rolle des Schülers (oder Studenten) darstellt (SZ 64/11 = JBl 1991, 606 = ZAS 1992/6 [zust J. Winkler] = SSV-NF 5/13 [Bejahung des Unfallversicherungs- schutzes beim Sturz eines an einem Schulskikurs teilnehmenden Schülers während des Schlafs aus dem Stockbett]; 10 ObS 193/93 = SZ 66/155 = EvBl 1994/35 = SSV-NF 7/118 [Bejahung des Unfallversicherungsschutzes beim Sturz eines Schülers von einem Sessel anläßlich der Mittagsmahlzeit in einem Tagesschulheim]; 2 Ob 15/94 [Verkehrsunfall]; 10 ObS 2030/96v = SZ 69/183 = SSV-NF 10/81 [Verneinung des Unfallversicherungsschutzes beim Unfall eines Schülers anläßlich der Tanzprobe - zum Maturaball - mit einem von den Schülern engagierten und bezahlten Tanzlehrer; RIS-Justiz RS0085063). Diese Rspr geht mit der Lehre weitgehend (vgl die Nachweise in SZ 66/155) konform. Ein Schüler steht somit solange unter Unfallversicherungsschutz, als er sich im organisatorischen Verantwortungsbereich der von ihm besuchten Schule befindet (SZ 66/155; 10 ObS 23/98z; RIS-Justiz RS0085089).

Im vorliegenden Fall befand sich der Kläger zum Unfallszeitpunkt sowohl örtlich (Schulgelände) wie auch zeitlich (Halbinternatszeit) innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereichs der von ihm besuchten und durch einen einheitlichen Erziehungsplan gekennzeichneten Höheren Internatsschule; nach diesem Erziehungsplan hatte der Kläger zwar zum Unfallszeitpunkt „Freizeit“, unterstand aber dennoch aufsichtsweiser Überwachung durch die Schulleitung mit der von den Erziehern ausgehenden Autorität und dementsprechender Abhängigkeit des klagenden Schülers: So war das Verlassen des Internats nur nach Abmeldung möglich und ein verantwortlicher Erzieher mußte permanent anwesend, jedenfalls aber erreichbar sein (vgl dazu 10 ObS 23/98z). Die schwere Verletzung, die der Kläger erlitt, war auch eine Folge der typischen Gefahrenlage, der er durch die Unterbringung im Schulinternat ausgesetzt war. Das Rodeln entsprang auch nicht überwiegend privaten, (außerschulischen) Interessen des Klägers, sondern gehörte beim vorliegenden Schultyp zu dessen ausbildungsbezoger Tätigkeit, sodaß entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung von einem „außerschulischen Freizeitunfall“ keine Rede sein kann, bei dem wohl auch von einer Aufsichtspflichtverletzung, die der beklagten Partei zuzurechnen wäre nicht die Rede sein könnte. Vielmehr nahm der Kläger an der zum Unfall führenden Rodelfahrt in Ausübung seiner Rolle als Schüler teil. Damit bestand aber Unfallversicherungsschutz nach § 175 Abs 4 ASVG.

Daß Rspr zu einem Fall wie dem vorliegenden fehle, wie im Rechtsmittel vorgetragen wird, trifft nicht zu. Gerade die Entscheidungen SZ 66/155 und 10 ObS 23/98z betrafen Unfälle in einem Schülerheim bzw in einem Internat.

Die Auffassung der zweiten Instanz, der - vom Kläger nicht mit einer Klage nach § 67 Abs 2 ASGG bekämpfte - Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 12. Februar 1997 entfalte für die Beurteilung der Frage, ob ein versicherungspflichtiger Unfall vorliege, im gerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung (RIS-Justiz RS0037248), wird im Rechtsmittel nicht in Zweifel gezogen. In Ansehung des für den vorliegenden Schadensfall in der Unfallversicherung teilversicherten Klägers steht der „Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt“ (hier: Bund als Schulerhalter), soweit es um die Anwendung der §§ 333, 334 und 335 Abs 1 und 2 ASVG geht, dem Dienstgeber gleich (§ 335 Abs 3 ASVG). Ihm kommen daher auch die Haftungsprivilegien der §§ 333 ff ASVG zugute. Daran muß auch ein Amtshaftungsanspruch des Schmerzengeld begehrenden geschädigten Schülers scheitern (JBl 1988, 521; 1 Ob 76/98b ua; Schragel, AHG2 Erg Rz 336). Eine vorsätzliche Schadenszufügung (§ 333 Abs 1 und 2 ASVG) wird nicht einmal behauptet. Auf die „deliktische Haftung der beklagten Partei für die von ihr tätigen Organe“ kommt das Rechtsmittel nicht mehr zurück.

b) Zum Klagebegehren auf Zahlung von 5.000 S für Fahrtkosten, Telefongebühren und Ersatz für Zeitversäumnis sowie 600 S Rezeptgebühren und zum Feststellungsbegehren enthält das Rechtsmittel keine Ausführungen, sodaß sich Erwägungen zu diesen Fragen erübrigen.

Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO muß das Rechtsmittel zurückgewiesen werden.

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