OGH 2Ob197/97b

OGH2Ob197/97b10.7.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Sandro K*****, vertreten durch Dr.Helmut Rainer und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17‑19, 2. Land Tirol, vertreten durch Dr.Walter Heel, Rechtsanwalt in Innsbruck, 3. S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Waldeck und Dr.Hubert Hasenauer, Rechtsanwälte in Wien, und 4. P***** S.A., ***** Frankreich, vertreten durch Dorda, Brugger & Jordis Rechtsanwälte‑Partnerschaft in Wien, wegen Zahlung von S 35.000 sA und Feststellung, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 10.Jänner 1997, GZ 4 R 276/96m‑89, womit infolge Berufungen der erst- und zweitbeklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.August 1996, GZ 6 Cg 318/93b‑74, bestätigt wurde, sowie infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 10.Jänner 1997, GZ 4 R 276/96m‑89, womit infolge Berufungen der dritt- und viertbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 12.August 1996, GZ 6 Cg 318/93b‑74, aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1997:0020OB00197.97B.0710.000

 

Spruch:

Die Revision der zweitbeklagten Partei sowie der Rekurs der klagenden Partei werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der drittbeklagten Partei die mit S 7.605 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.267,50, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei sowie die viertbeklagte Partei haben die Kosten ihrer Revisions- bzw Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

 

Am 17.6.1989 sprach der Oberste Sanitätsrat Österreichs die Empfehlung aus, ab 1.1.1990 die generelle BCG‑Säuglingsimpfung (gegen Tuberkulose) bei Neugeborenen in Österreich zu sistieren und nur mehr jene Säuglinge zu impfen, die einer erhöhten Tuberkuloseansteckungsgefahr ausgesetzt sind. Diese Empfehlung wurde deshalb ausgesprochen, weil das Infektionsrisiko so niedrig geworden war, daß eine generelle Neugeborenenimpfung als nicht mehr berechtigt und sinnvoll erschien. Die Empfehlung wurde allen Ämtern der Landesregierungen, der Österreichischen Ärztekammer, den Landesärztekammern und der Österreichischen Apothekerkammer zur Kenntnis gebracht. Darüber hinaus wurde sie Ende 1989 auch in einer Broschüre "Impfungen, wer, wann, warum" bekanntgemacht, die ebenfalls an alle Ämter der Landesregierungen verteilt wurde.

Aufgrund der Empfehlung verschiedener Fachleute in Tirol beschloß der Landessanitätsrat für Tirol am 12.6.1990, der Empfehlung des Obersten Sanitätsrates zu widersprechen, und es wurde die Beibehaltung der bisherigen generellen Tuberkuloseschutzimpfung für Neugeborene in der ersten Lebenswoche beschlossen. Dies wurde damit begründet, daß die Tuberkulose in Tirol noch immer sehr häufig sei, eine hohe Ausländerbeschäftigung vorliege und durch die Öffnung der Grenzen vermehrt Personen aus Ländern nach Tirol kämen, in denen eine hohe Tuberkulosemorbidität bestehe, und daß schließlich die Argumentation des Obersten Sanitätsrates nicht logisch sei, weil durch die generelle BCG‑Impfung in der ersten Lebenswoche die Häufigkeit der Erkrankungen im Kindesalter zurückgegangen sei.

Seit 1984 sind der WHO zahlreiche Berichte über das Ansteigen der Häufigkeit vom Lymphadenitis nach BCG‑Impfungen von Kindern zugegangen. Die Ursache lag hauptsächlich im Wechsel des BCG‑Impfstammes auf den Pasteurimpfstoff; eine große Rolle spielten die irrtümliche Gabe der doppelten Dosis, eine schlechte Aufbereitung der Vaccine und schlechte Impftechnik. Es zeigte sich auch, daß der Pasteurimpfstoff gegenüber anderen Impfstoffen häufiger Lymhadenitis verursacht. Die WHO hat 1989 empfohlen, daß nur Länder, die Pasteurvaccine ohne Probleme verwenden, diese Produkte weiterverwenden sollten. In keinem Fall sollte das Pasteurprodukt in einem Land verwendet werden, welches erfolgreich ein anderes Produkt verwendet, außer, daß dieses speziell den Pasteurstamm anfordert.

In Österreich stand bis 1989 der BCG‑Impfstoff "BCG‑Sec Berna" zur Verfügung. Per 1.1.1990 lag kein Angebot für die Lieferung des erforderlichen weiteren Impfstoffes vor. Eine korrekte Impfstoffbeschaffung benötigt einen Zeitraum von 8 Monaten. Die drittbeklagte Partei erklärte sich bereit, kurzfristig aus internationalen Kontingenten einen BCG‑Impfstoff mit dem gleichen Stamm wie BCG‑Sec Berna (nämlich Stamm Kopenhagen) zur Verfügung zu stellen. Es kamen zwei Chargen dieses Impfstoffes auf den Markt, die sofort verimpft wurden. Im Juli 1990 teilte die drittbeklagte Partei mit, daß kein weiterer Impfstoff mit dem bisher verwendeten Kopenhagen‑Stamm lieferbar sei. Als Ersatz wurde ein BCG‑Impfstoff mit dem Stamm Pasteur BCG‑Intradermal P aus einem für die UNICEF bestimmten Kontingent angeboten und die Chargenfreigabe beantragt. Der drittbeklagten Partei wurden seitens des Bundeskanzleramtes für die Chargenfreigabe verschiedene Maßnahmen auferlegt, darunter die Vorlage eines Gutachtens des Bundesstaatlichen Serumsprüfungsinstitutes (BSPI). Die drittbeklagte Partei ersuchte daher am 3.7.1990 das BSPI, diesen Impfstoff zu untersuchen, um die Freigabe zu erlangen. Ohne jedoch dieses Gutachten abzuwarten, wurde von einem Beamten des Bundeskanzleramtes mündlich die Freigabe erteilt, ein schriftlicher Freigabebescheid wurde nicht erlassen. Mit Schreiben vom 18.9.1990 teilte das BSPI der drittbeklagten Partei mit, daß weder die Prüfung auf ein entnehmbares Volumen noch die ermittelte Keimzahl den gesetzlich in Österreich geforderten Bestimmungen entspreche. In seinem Gutachten vom 28.11.1990, welches an das Bundeskanzleramt gerichtet war, wies das BSPI darauf hin, daß aufgrund der (mittlerweiligen) offensichtlichen Häufung von BCG‑Lymphadeniten, aufgrund der Anwendung der Pasteurvaccine entgegen der WHO‑Empfehlung und aufgrund der mangelnden Qualität der Vaccine eine sofortige Außerkraftsetzung der Charge dringend empfohlen werde. Noch am selben Tag wurde der Impfstoff aus dem Verkehr gezogen. Das Bundeskanzleramt wies verschiedene Behörden darauf hin, daß die Charge von der österreichischen Vertriebsfirma wegen der zu hohen Reaktogenität nicht mehr abgegeben werde.

An dem am 8.9.1990 geborenen Kläger wurde am 10.9.1990 eine Tuberkuloseimpfung mit 0,025 ml des Impfstoffes BCG‑Pasteur Intradermal P durchgeführt. Die Mutter des Klägers hatte für diese Impfung ihre Einverständniserklärung abgegeben, ohne daß sie über den Wert einer Tuberkuloseimpfung, noch darüber, daß ein neuer Impfstoff verwendet werde, aufgeklärt worden wäre. Auch wurde sie von der Empfehlung des Obersten Sanitätsrates nicht in Kenntnis gesetzt. Es lag im Bereich des Klägers keine besondere Tuberkulosegefährdung vor.

Am 28.11.1990 trat beim Kläger ein entzündliches Lymphknotenpaket auf, das am 16.1.1991 operiert wurde.

Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von 30.000 S, einer Verunstaltungsentschädigung von 5.000 S sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden.

Die Haftung der erstbeklagten Partei wird darauf gestützt, daß sie schuldhaft und rechtswidrig das Impfserum freigegeben habe. Die zweitbeklagte Partei hafte als Krankenanstaltsträger für die falsche Impftechnik und/oder die falsche Dosierung durch den Impfarzt; weiters wegen Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Die Haftung der dritt- und viertbeklagten Parteien ergebe sich aufgrund des PHG; es liege ein fehlerhaftes Produkt vor, weil das Impfserum zu aggressiv gewesen sei. Es hätte selbst bei Verabreichung in der angegebenen Dosis zu Überreaktionen führen können.

Die Beklagten bestritten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme des Begehrens auf Zahlung der Verunstaltungsentschädigung statt, wobei es - kurz zusammengefaßt - noch folgenden Sachverhalt feststellte:

Die Tuberkulose im Kindesalter ist stark zurückgegangen. Dies ist nicht eine Folge der häufig angewendeten BCG‑Schutzimpfungen in Österreich, weil auch in Ländern ohne diese Impfung der Rückgang eintrat. Das Impfrisiko liegt nunmehr höher als das Infektionsrisiko. Die Tuberkuloseschutzimpfung mit dem BCG‑Impfstoff ist aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen und möglicher Komplikationen keine harmlose Impfung. Zur normalen Impfreaktion gehört der tuberkulöse Primärkomplex mit Knötchen oder Ulcusbildung an der Impfstelle. Als Impfkomplikation ist dagegen die Abszedierung eines oder mehrerer Lymphknoten zu werten, man spricht von einer abszedierenden Lymphadenitis. Der zur Vorbeugung gegen Tuberkulose verwendete BCG‑Impfstoff ist eine Zubereitung aus lebenden Bakterien. Von diesem Impfstoff gibt es verschiedene reaktogene Stämme, wobei der ab August 1990 in Österreich erstmals verwendete BCG‑Pasteurstamm im Vergleich zu anderen Stämmen eine erhöhte Reaktogenität aufweist, was bedeutet, daß die körpereigene Abwehrreaktion auf diesen vergleichsweise virulenteren Impfstoff stärker ausfällt und somit häufiger überschießende Impfreaktionen bis hin zu Komplikationen, wie etwa eine eitrige Lymphadenitits, auftreten. Die wesentliche Ursache für derartige Komplikationen ist in der stärkeren Virulenz der Keime und dadurch in der stärkeren Reaktogenität des Impfstoffes zu sehen. Dazu kommt, daß ganz allgemein bei einem Wechsel von einem Impfstoff auf einen anderen schon allein durch den Wechsel verstärkte und vermehrte Impfreaktionen und Komplikationen auftreten.

Eine besondere Tuberkulosegefährdung lag zum Zeitpunkt der Impfung des Klägers nicht vor. Es war keine medizinische Indikation für die an ihm durchgeführte Impfung gegeben.

Beim Kläger sind bleibende Schäden eingetreten, es sind auch Spätschäden nicht auszuschließen.

Weder auf dem Beipackzettel noch auf der Verpackung des neuen Impfstoffes wurde ein für den anzuwendenden Arzt deutlicher Hinweis auf die in der Literatur beschriebene besondere Reaktogenität des in Frankreich zugelassenen Pasteur‑Impfstoffes gegeben. Lediglich auf dem deutschsprachigen Beipackzettel wird die Lymphadenitis als eine (der vielen) Komplikationen angeführt.

Das Erstgericht bejahte die Haftung der erstbeklagten Partei, weil sie den Impfstoff nicht zulassen hätte dürfen. Der zweitbeklagten Partei wurde die mangelnde Aufklärung der Mutter des Klägers vorgeworfen, die Haftung der drittbeklagten Partei auf § 5 PHG gestützt. Da der Impfstoff selbst in den Fällen der Verabreichung mit der richtigen Technik und der angegebenen Dosis zu Überreaktionen führen könnte, hätte er in dieser Form nicht auf den Markt gebracht werden dürfen. Hersteller und Importeur hätten auch die ihnen obliegenden Instruktionspflichten nicht erfüllt. Dazu gehöre es nämlich, den Benützer auf gefährliche Eigenschaften des Produktes hinzuweisen.

Das Berufungsgericht gab den von der erst- und zweitbeklagten Partei gegen dieses Urteil des Erstgerichtes erhobenen Berufungen nicht Folge und bestätigte das angefochtene Urteil in diesem Umfange als Teilurteil. Hingegen gab es den Berufungen der dritt- und viertbeklagten Partei Folge, hob das angefochtene Urteil insoweit auf und wies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurück. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit über 50.000 S und sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen das Teilurteil und der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluß zulässig seien.

Auch das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, die zweitbeklagte Partei hafte wegen Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Impfarzt. Eine Aufklärungspflicht habe bestanden, weil in medizinischen Fachkreisen die Nutzens‑Schadens‑Abwägung einer Neugeborenen‑Tuberkuloseimpfung umstritten sei (siehe die widersprüchlichen Empfehlungen des Obersten Sanitätsrates und des Landessanitätsrates für Tirol, deren Kenntnis einem Impfarzt zugemutet werden müsse), und zudem, weil es sich bei der Tuberkuloseimpfung aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen und möglicher Komplikationen um keine harmlose Impfung handle. Es habe auch keine medizinische Indikation bestanden, den Kläger bereits als Neugeborenen zu impfen. Mangels entsprechender Aufklärung sei die von der Mutter des Klägers erteilte Zustimmung zur Impfung unwirksam und stelle der Impfeingriff eine rechtswidrige Körperverletzung dar, für die die zweitbeklagte Partei als Träger der Krankenanstalt, in deren Betrieb die Impfung erfolgte, einzustehen habe.

Zur Haftung der dritt- und viertbeklagten Parteien führte das Berufungsgericht aus, es liege eine Fehlerhaftigkeit des Impfstoffes im Hinblick auf die Darbietung des Produktes (§ 5 Abs 1 Z 1 PHG) vor. Auch wenn das von der viertbeklagten Partei hergestellte und von der drittbeklagten Partei importierte Serum international vielfach (allenfalls auch überwiegend) verwendet werde und seine vergleichsweise hohe Reaktogenität in vielen Staaten hingenommen werde, liege jedenfalls ein Serum mit relativ erhöhter Reaktogenität vor. Weiters sei zu bedenken, daß nach der publizierten Empfehlung der WHO in keinem Fall das Pasteurprodukt in einem Land verwendet werden sollte, welches erfolgreich ein anderes Produkt verwendet. Eine korrekte Darbietung des Produktes hätte auf diese beiden Umständen hinweisen müssen, um der relativ höheren Gefährlichkeit des Produktes Rechnung zu tragen. Diese Mangelhaftigkeit in der Darbietung des Produktes könnte für die Schäden des Klägers auch kausal gewesen sein. Ob dies der Fall sei, hänge davon ab, ob eine solche Information, wäre sie etwa in der Gebrauchsanweisung gegeben worden, den Impfarzt dazu bestimmt hätte, die Impfung beim Kläger überhaupt nicht vorzunehmen, oder ob sie ihn wenigstens dazu veranlaßt hätte, eine entsprechende Aufklärung der Mutter des Klägers vorzunehmen, und ob in diesem Falle die Mutter des Klägers ihre Zustimmung zur Impfung erteilt hätte. Zu allen diesen Fragen habe aber das Erstgericht keine Feststellungen getroffen, weshalb das Urteil insoweit aufzuheben sei.

Das Feststellungsbegehren erachtete das Berufungsgericht grundsätzlich als berechtigt, weil Spätfolgen nicht auszuschließen seien. Die Änderung der Rechtsprechung durch die Entscheidung des verstärkten Senates 1 Ob 621/95 über die Verjährung eines Schadens schließe die Annahme des Bestehens eines Feststellungsinteresses im Sinne des § 228 ZPO nicht aus.

Die Revision und den Rekurs an den Obersten Gerichtshof erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil der Prozeß Modellcharakter für andere Verfahren habe und deshalb eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wünschenswert erscheine. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rekurses seien auch in bezug auf die Berechtigung des Feststellungsbegehrens nach der Entscheidung 1 Ob 621/95 gegeben.

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der zweitbeklagten Partei, gegen den Aufhebungsbeschluß erhob die klagende Partei Rekurs.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß §§ 508 a Abs 1, 526 Abs 2 ZPO besteht keine Bindung an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision und des Rekurses.

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes über das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage sind nicht zutreffend. Daß der Prozeß "Modellcharakter" hat, ist nicht anzunehmen, weil nicht wahrscheinlich ist, daß in Zukunft über vergleichbare Sachverhalte zu entscheiden sein wird. Hinsichtlich des Feststellungsinteresses hat der erkennende Senat in den Entscheidungen 2 Ob 2165/96p und SZ 68/5 ausgesprochen, daß dieses schon dann zu bejahen ist, wenn die Möglichkeit offenbleibt, daß das schädigende Ereignis den Eintritt eines künftigen Schadens verursacht, und daß sich aus der Entscheidung des verstärkten Senates 1 Ob 621/95 nicht die Verneinung eines Feststellungsinteresses ergibt.

Auch in den hier zu behandelnden Rechtsmitteln wird eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht dargetan.

Zur Revision der zweitbeklagten Partei:

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens werden Mängel des Verfahrens erster Instanz gerügt, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde; diese Mängel können in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (siehe die Nachweise bei Kodek in Rechberger Rz 3 zu § 502). Auch die gerügte Aktenwidrigkeit ist nicht gegeben, weil eine solche nur dann vorliegt, wenn Feststellungen aufgrund aktenwidriger Grundlage getroffen wurden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum, der aus den Prozeßakten selbst erkennbar und behebbar ist, beruhen; die unrichtige Wiedergabe der Parteienbehauptungen bedeutet hingegen keine Aktenwidrigkeit (s Kodek, aaO Rz 4 zu § 503).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vertritt die zweitbeklagte Partei die Ansicht, es liege keine Verletzung der Aufklärungspflicht vor, weil auf objektiv unbedeutende Risken und Nebenwirkungen nur dann hinzuweisen sei, wenn für den Arzt erkennbar sei, daß diese aus besonderen Gründen für den Patienten wichtig seien. Die besondere Reaktogenität des Impfstoffes sei den Impfärzten aber nicht bekannt gewesen. Es sei unrichtig, daß ein Impfarzt eine Diskussion mit der Mutter des Säuglings herbeiführen müsse, wonach die Empfehlung des Obersten Sanitätsrats in Wien eine andere sei; vielmehr sei es selbstverständlich, daß sich ein Impfarzt in Innsbruck an die Empfehlung des Sanitätsrates für Tirol halte und an keine andere. Die Vorinstanzen hätten auch außer acht gelassen, daß es für einen Impfarzt praktisch unmöglich sei, die konkreten Lebensverhältnisse der Verwandtschaft des Impflings zu erforschen. Es sei auch eindeutig, daß der Vorname des Klägers "Sandro" ein im deutschen Sprachraum äußerst seltener und dem italienischem und sohin für Tuberkulose anfälligeren Raum zuzuordnen sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (zuletzt 7 Ob 12/97h; RdM 1977, 22) umfaßt der mit dem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten. Diese Aufklärungspflicht besteht nicht nur bei operativen Eingriffen, sondern auch bei medikamentöser Heilbehandlung, bei physikalischen Eingriffen und auch bei Impfungen (5 Ob 1524/94). In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten bzw seinen gesetzlichen Vertreter aufklären muß, stellt eine Rechtsfrage dar. Eine Aufklärung über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung ist dann nicht erforderlich, wenn die Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, daß sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluß, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zu der ärztlichen Maßnahme erteilt hätte, geht es doch darum, daß der Arzt bzw Krankenhausträger das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffes ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen hat. Die Aufklärungspflicht des Arztes ist umso umfassender, je weniger die Maßnahme dringlich oder gar geboten erscheint (5 Ob 1524/94). Das Berufungsgericht hat sich an diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze gehalten. In der von ihm vertretenen Ansicht, es hätte einer Aufklärung der Mutter des Klägers bedurft, weil in medizinischen Fachkreisen die Nutzens‑Schadens‑Abwägung der Impfung umstritten war, weil die Impfung nicht harmlos ist und überdies auch keine besondere Dringlichkeit bestand, kann ein Abweichen von diesen Grundsätzen oder eine auffallende Fehlbeurteilung nicht erblickt werden. Nur in diesen Fällen wäre die Revision der zweitbeklagten Partei aber gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig (vgl RZ 1994/45 ua).

Zum Rekurs der klagenden Partei:

Unter dem Rekursgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens macht die klagende Partei geltend, das Berufungsgericht hätte die erforderliche Ergänzung des mangelhaften Verfahrens selbst vornehmen und in der Sache selbst entscheiden müssen.

Zutreffend ist, daß im allgemeinen die Verfahrensergänzung durch die zweite Instanz zwingend ist. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn mit einer Verhandlung vor dem Berufungsgericht voraussichtlich eine Verzögerung gegenüber der Verhandlung vor dem Erstgericht verbunden wäre oder ein erheblicher Mehraufwand an Kosten verursacht würde. Sind der Umfang der Prozeßstoffsammlung und die Weiterungen des Verfahrens nicht abzusehen, so kann nicht angenommen werden, daß mit der Ergänzung der Verhandlung durch das Berufungsgericht kein erheblicher Kostenmehraufwand verbunden wäre (SZ 68/189). Die im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens (siehe die Ausführungen unter Punkt 7.2 der Entscheidung des Berufungsgerichtes) sind so umfangreich, daß in der Ansicht, eine Verhandlung vor dem Berufungsgericht würde eine Verzögerung gegenüber der Verhandlung vor dem Erstgericht und einen erheblichen Mehraufwand an Kosten verursachen, eine grobe Fehlbeurteilung nicht erblickt werden kann. Im übrigen ist aber die Frage, wann mit der Ergänzung der Verhandlung durch das Berufungsgericht kein erheblicher Kostenmehraufwand verbunden wäre, immer aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, sodaß eine beispielgebende Entscheidung nicht zu erwarten ist.

Unter dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht der Kläger geltend, es handle sich beim verwendeten Impfstoff um ein gefährliches Produkt, das in Österreich keinesfalls verimpft werden hätte dürfen. Zum einen weise der Impfstoff eine erhöhte Reaktogenität auf, zum anderen komme es bei einem Wechsel von einem Impfstoff auf einen anderen schon allein dadurch zu verstärkten und vermehrten Impfreaktionen. Selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Impfarzt und Zustimmung der Mutter bleibe das verwendete Produkt gefährlich im Sinne des § 5 Abs 1 Z 2 PHG.

Diesen Ausführungen entgeht aber, daß § 5 PHG nicht auf die Gefährlichkeit, sondern auf die Fehlerhaftigkeit eines Produktes abstellt. Bei vielen Erzeugnissen werden von der Allgemeinheit schädliche Nebenwirkungen und andere Nachteile akzeptiert. Solche durch die Natur des Produktes bedingte Eigenschaften sind kein Fehler. Sind solche Gefahren dem allgemeinen Benützerkreis nicht bekannt, kann der Unternehmer die Fehlerfreiheit seiner Ware nur durch entsprechende Darbietung mit zur Bildung eines allgemeinen Gefahrenbewußtseins ausreichenden Warnungen herbeiführen (Preslmayr, Handbuch des Produkthaftungsgesetzes, 70). Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst in der Entscheidung 7 Ob 2224/96a ausgesprochen, daß der Verkäufer eines an sich fehlerfreien Produktes, dessen Verwendung in spezifischen Teilbereichen zu Schädigungen führen könnte, die Nebenverpflichtung zur Anleitung und Aufklärung hat. Die Entscheidung des Berufungsgerichtes entspricht auch dieser Rechtsprechung, weshalb auch insoweit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind. Auf die in den Rekursbeantwortungen vertretene Ansicht, es sei bereits Spruchreife im Sinne einer Abweisung des gegen die dritt- und viertbeklagte Partei gerichteten Klagebegehrens gegeben, ist nicht einzugehen, weil ein zulässiges Rechtsmittel der klagenden Partei nicht vorliegt.

Es waren sohin die Revision der zweitbeklagten Partei und der Rekurs der klagenden Partei zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 41, 50 ZPO. Da lediglich die drittbeklagte Partei auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der klagenden Partei hingewiesen hat, waren nur ihr Kosten für die Rekursbeantwortung zuzusprechen.

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