OGH 7Ob12/97h

OGH7Ob12/97h29.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ida R*****, vertreten durch Dr.Christoph Koller, Rechtsanwalt in Seekirchen, wider die beklagte Partei Dr.Helmut W*****, vertreten durch Dr.Friedrich Oedl und Dr.Rudolf Forstenlechner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 294.312,19 sA und Feststellung (Feststellungsinteresse S 50.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 30.September 1996, GZ 54 R 250/96w-37, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Neumarkt bei Salzburg vom 9.April 1996, GZ 2 C 579/94-29, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Patei auf Kostenzuspruch für die Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die am 20.4.1930 geborene Klägerin leidet an chronischer Polyarthritis. Im Jahre 1979 wurden ihr beiderseits Implantate nach einer Coxarthrose eingesetzt. Im Jahre 1992 erfolgte durch Dr.M***** eine Arthroskopie in das rechte Knie der Klägerin.

Der Beklagte ist Facharzt für Orthopädie. Die Klägerin ließ sich von ihrem Rheumatologen Prim.Dr.H***** wegen rheumatischer Bschwerden eine Hyalgan-Spritzenkur zur Bereicherung der Knorpelmasse verschreiben. Zur Verabreichung von 10 Spritzen je Knie sollte die Klägerin einen Facharzt für Orthopädie aufsuchen. Die Klägerin besorgte sich das Medikament und suchte den Beklagten auf, damit er die Spritzenkur (intraartikuläre Injektionen) durchführe.

Weder Prim.Dr.H***** noch der Beklagte machten die Klägerin darauf aufmerksam, daß es bei der Verabreichung der Spritzen zu Infektionen kommen könnte. Ansonsten pflegt der Beklagte meist darauf hinzuweisen, daß gelegentlich Schmerzen bei Infektionen auftreten können und daß sich die Patienten melden sollen, wenn Beschwerden auftreten, weil Infektionen nie 100 %ig ausgeschlossen werden können. Bei den vom Beklagten verabreichten ersten beiden Spritzen gab es keine Komplikationen, beim zweiten Besuch der Klägerin (am 3.6.1993) war die Injektion in das rechte Knie für die Klägerin schmerzhaft, was sie auch dem Beklagten mitteilte. Der Beklagte verabreichte die Injektion fachgerecht und nach den geforderten Sterilitätsrichtlinien. Dennoch kam es bei der Klägerin zu einer Infektion des rechten Kniegelenkes. Am nächsten Tag war das Bein versteift, die Klägerin konnte aber den Beklagten nicht erreichen. Am darauffolgenden Samstag war das Knie schon sehr dick und schmerzte die Klägerin erheblich. Die Klägerin konnte den Beklagten abermals nicht erreichen und suchte einen anderen Arzt auf, der ihr eine schmerzlindernde Spritze verabreichte. Auch am Sonntag erhielt sie eine Spritze, ohne daß sich ihr Zustand besserte. Am Montag nahm der Beklagte eine Punktion vor und teilte ihr mit, daß eine Notoperation vorzunehmen sei, die am Spätnachmittag Dr.M***** durchführte. Ein neuntägiger stationärer Aufenthalt und eine bis Oktober 1993 dauernde ambulante Bewegungstherapie folgten.

Im April 1994 traten abermals Beschwerden auf, worauf im Oktober 1994 eine Arthroskopie durchgeführt wurde, die abermals mit Schmerzen verbunden war. Diese Beschwerden waren eine weitere Folge der Injektion vom 3.6.1993.

Wäre die Klägerin vor Verabreichung der Spritzen auf die möglichen Folgen einer Infektion hingewiesen worden, so hätte sie von deren Verabreichung Abstand genommen. Auch bei sorgfältiger Durchführung von Gelenkspunktionen (wie im gegenständlichen Fall) verbleibt ein Restrisiko, das unter einem Promille liegt. Eine vollständige Vermeidung von Gelenksinfektionen nach Punktionen erscheint auch bei hochsterilem Vorgehen unmöglich. Die eingetretene Infektion war eine Folge der klagsgegenständlichen, vom Beklagten verabreichten Injektion.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Bezahlung von insgesamt 294.312,19 S an Schmerzengeld und diversen durch Fehler des Beklagten hervorgerufenen Auslagen; sie begehrt ihm gegenüber auch die Feststellung, daß er für alle weiteren Folgen aufgrund der am 3.6.1993 bei ihr durchgeführten Behandlung zu haften habe. Sie stützte ihren Anspruch zunächst auf einen dem Beklagten unterlaufenen Behandlungsfehler und erst in der letzten mündlichen Streitverhandlung auch darauf, daß sie vom Beklagten nicht über die möglichen Folgen einer nicht auszuschließenden Infektion durch die Spritzenkur aufgeklärt worden sei. Die nach der Behandlung durch den Beklagten am rechten Knie aufgetretene Infektion habe letztlich zu einer Totaloperation dieses Gelenkes verbunden mit der Einsetzung eines neuen Kniegelenkes geführt. Die Spritzenkur sei nicht dringend geboten gewesen, bei entsprechender Aufklärung über das damit verbundene Risiko hätte sich die Klägerin keine Spritze geben lassen.

Der Beklagte bestritt und beantragte die Klagsabweisung. Er habe die intraartikuläre Injektion lege artis verabreicht. Ein nicht ausschließbares Restrisiko von 1 : 10.000 und der Umstand, daß die Spritzenkur ein anderer Arzt verordnet habe, habe eine Aufklärung nicht nötig gemacht.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 114.312,19 zu, gab dem Feststellungsbegehren statt und wies das darüber hinausgehende Zahlungsmehrbegehren ab. Der Beklagte habe die Klägerin auf die möglichen Folgen der von ihm verabreichten Injektionen, nämlich mögliche Infektionen und dann damit verbundene Operationen, nicht hingewiesen. Er habe dadurch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, wenn ihm auch bei der Durchführung der Injektion an sich ein Fehler nicht vorgeworfen werden könne. Die mangelnde Aufklärung sei auch ursächlich für die aufgetretenen Beschwerden gewesen, hätte sich doch die Klägerin bei entsprechender Aufklärung die Spritzen nicht verabreichen lassen. Die kausalen Beschwerden rechtfertigten ein Schmerzengeld von insgesamt S 70.000,-- für einen Schmerzenszeitraum von Juni bis Oktober 199 und von April bis Oktober 1994. Außerdem erachtete das Erstgericht Aufwendungen von einerseits S 34.431,65 und andererseits von S 9.880,54 für ersatzfähig. Es stellte auch fest, daß aufgrund der Infektion weitere Folgeschäden nicht auszuschließen seien, sodaß auch das Feststellungsbegehren gerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine, der des Beklagten aber Folge und änderte dieses Urteil mit der angefochtenen Entscheidung in eine gänzliche Klagsabweisung ab. Es erklärte die Erhebung der ordentlichen Revision für zulässig. Ohne auf die Behandlung der Beweisrügen einzugehen, folgerte es aus den unbekämpften Feststellungen, daß der Beklagte davon habe ausgehen dürfen, daß die Klägerin vom überweisenden Arzt über das minimale Infektionsrisiko hinreichend belehrt worden sei. Wenn auch den behandelnden Arzt die Beweislast für die ausreichende Kenntnis des Patienten über mögliche Behandlungsfolgen treffe, könne er in manchen Fällen doch davon ausgehen, daß der Patient auf eine Belehrung konkludent verzichte. Dem Arzt sei in diesem Zusammenhang auch ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Dazu komme noch, daß das Infektionsrisiko mit einer Häufigkeit von unter 1 %o außerordentlich gering gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung von der Klägerin erhobene Revision war zurückzuweisen, weil die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes mit der einhelligen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes übereinstimmt.

Der mit dem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag umfaßt auch die Pflicht, den Patienten über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung zu unterrichten (vgl. Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 120; Aicher in Rummel ABGB2 § 16 Rz 17; SZ 63/152; JBl 1992, 520;

SZ 59/18; SZ 55/114; Mertens in Münchener Komm.2 § 823 BGB Rz 421;

Soergel-Zeuner11 § 823 BGB Rz 200 ff). Die Aufklärungspflicht gilt nicht nur bei operativen Eingriffen, sondern auch bei medikamentöser Heilbehandlung (vgl. JBl 1991, 316) sowie bei physikalischen Eingiffen (vgl. SZ 59/18). Da dem Kranken in aller Regel die Kenntnisse fehlen, um die Mitteilungen des Arztes richtig einzuschätzen, muß der Umfang der Aufklärung aufgrund gewissenhafter ärztlicher Übung und Erfahrung nach den Umständen des Einzelfalles unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes beurteilt werden. In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung, in die Behandlung einzuwilligen, überschauen kann, also weiß, worin er einwilligt, stellt eine Rechtsfrage dar (vgl. SZ 55/114; SZ 62/154). Grundsätzlich ist eine Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Folgen einer Behandlung dann nicht erforderlich, wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, daß sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluß, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen (vgl. 1 Ob 532/94). Auf objektiv unbedeutende Risken oder Nebenwirkungen ist nur dann hinzuweisen, wenn für den Arzt erkennbar ist, daß diese aus besonderen Gründen für den Patienten wichtig sind (vgl. Mertens aaO Rz 428). Nur auf typische Risken einer Operation ist ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes hinzuweisen (vgl. SZ 57/207). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. War das mit der Heilbehandlung verbundene Infektionsrisiko durch das Verabreichen einer Spritze dem Patienten bekannt oder durfte der behandelnde Arzt annehmen, daß es ihm, etwa aufgrund bisheriger Behandlungen bekannt ist, so darf er von einer Aufklärung darüber absehen. Unbestritten ist, daß es sich bei der Klägerin um eine Patientin handelte, die wegen ihrer Beschwerden schon wiederholt behandelt worden war. Dazu kommt, daß ihr die gegenständliche Spritzenkur nicht nur von einem anderen Arzt empfohlen worden war, sondern daß sie bereits mit den von ihr gekauften Spritzen den Beklagten um deren Verabreichung ersuchte und jener allein schon aus diesem Grund von einer entsprechenden Information der Klägerin über ein allfälliges Infektionsrisiko ausgehen durfte.

Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung einen Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision unterlassen.

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