OGH 15Os132/96

OGH15Os132/9619.8.1996

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder und Dr. Rouschal als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Scholz als Schriftführerin in der beim Landesgericht Feldkirch zum AZ 17 E Vr 136/93 anhängigen Strafsache gegen Stefan D***** wegen des Verbrechens der Desertion nach § 9 Abs 1 MilStG und einer anderen strafbaren Handlung, über die Grundrechtsbeschwerde des Stefan D***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 26. März 1996, AZ 6 Bs 154/96, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Stefan D***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. November 1993, GZ 17 E Vr 136/93-32, wurde (der damals noch auf freiem Fuß befindliche) Stefan D***** wegen des Verbrechens der Desertion nach § 9 Abs 1 MilStG sowie des Vergehens der Nichtbefolgung des Einberufungsbefehles nach § 7 Abs 1 MilStG zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen, im Fall der Uneinbringlichkeit 120 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und zu einer (für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen) viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt; von der weiteren Anklage wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 StGB wurde er hingegen freigesprochen. D***** verzichtete auf Rechtsmittel. In Stattgebung der gegen diesen Freispruch vom öffentlichen Ankläger erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit hob das Oberlandesgericht Innsbruck am 22. Februar 1994 das angefochtene Urteil im Freispruch sowie im Strafausspruch auf und verwies die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurück (ON 41).

Die Ladung zu der (im zweiten Rechtsgang) für den 28.März 1994 anberaumten Hauptverhandlung konnte dem Angeklagten nicht zugestellt werden (295), weil er sich nach den sicherheitsbehördlichen Erhebungen Ende Dezember 1993 für unbestimmte Zeit nach Santa Domingo begeben hatte (19 des vom Obersten Gerichtshof zur Einsicht beigeschafften Aktes 3 U 144/96 des Bezirksgerichtes Lienz). Die deswegen eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen (ON 49, 53) blieben bis zu seiner Verhaftung am 11.Februar 1996 anläßlich einer versuchten Ausreise nach Slowenien erfolglos (333). Von der Verhängung der Untersuchungshaft wurde damals abgesehen (ON 62), weil an D***** bis 28. Februar 1996 eine dreißigtägige Ersatzfreiheitsstrafe für eine nicht bezahlte Geldstrafe zu 5 U 616/91 des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vollzogen und er nach Bezahlung der "Reststrafe" zu 17 E Vr 136/93 des Landesgerichtes Feldkirch in "Verwahrungshaft" übernommen wurde (ON 69).

Nachdem die Einzelrichterin (im zweiten Rechtsgang) die Hauptverhandlung vom 1.März 1996, in der nur mehr über das ursprüngliche Anklagefaktum wegen des Verbrechens nach § 217 Abs 1 StGB, über ein gemäß § 56 StPO einbezogenes (348) und vom Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung ausgedehntes Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (371; U 51/94 = 3 U 144/96 des Bezirksgerichtes Lienz) sowie insgesamt über den Strafausspruch (auch wegen der eingangs erwähnten Militärdelikte) zu verhandeln war, auf unbestimmte Zeit vertagt hatte, verhängte sie auf Antrag des Anklägers über Stefan D***** die Untersuchungshaft wegen Flucht- und Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO; 397, ON 71). In der am 26.April 1996 fortgesetzten Hauptverhandlung wurde das Verfahren wegen § 83 Abs 1 StGB gemäß § 57 (im Hauptverhandlungsprotokoll versehentlich § 56) StPO ausgeschieden und an das Bezirksgericht Lienz rückabgetreten (447); für die bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldsprüche wegen der Militärstrafdelikte wurde der Angeklagte zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, während er vom Anklagevorwurf wegen des Verbrechens nach § 217 Abs 1 StGB (abermals) freigesprochen wurde (ON 82).

Gegen die Strafhöhe meldete der Angeklagte Berufung an (ON 84) und bekämpfte den Beschluß auf Verhängung der Untersuchungshaft mit einer schriftlich ausgeführten Beschwerde (ON 72). Die Staatsanwaltschaft erhob gegen das Urteil Berufung wegen Nichtigkeit, in eventu Berufung wegen Strafe (ON 85).

Der Haftbeschwerde gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 26.März 1996, AZ 6 Bs 154/96 (= ON 75 des Vr-Aktes), nicht Folge. Die Nichtigkeitsberufung der Staatsanwaltschaft blieb zwar gleichfalls erfolglos, jedoch erhöhte der Gerichtshof zweiter Instanz zufolge der Berufung wegen Strafe die ausgesprochene Freiheitsstrafe auf ein Jahr (ON 95), die der Verurteilte bis voraussichtlich 28. Februar 1997 (urteilsmäßiges Strafende) verbüßt (ON 98).

Rechtliche Beurteilung

Gegen den am 3. April 1996 zugestellten Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 26. März 1996 richtet sich die am 18. April 1996 (rechtzeitig) beim Erstgericht eingelangte Grundrechtsbeschwerde (deren Ernstlichkeit und Sinnhaftigkeit allerdings unter dem Gebot der Dringlichkeit der Behandlung von Grundrechtsbe- schwerden [§ 4 Abs 2 GRBG] wegen des vom Verteidiger des Angeklagten der Verhandlungsrichterin gegenüber geäußerten Junktims - siehe den Aktenvermerk vom 30.April 1996 S 480: "Vert.RA Mag M***** zieht sowohl die Grundrechtsbeschwerde als auch die Strafberufung zurück; dies sofern der StA die Berufung ebenfalls zurückzieht!" - schon von vorneherein fraglich zu sein scheint), in der sich der Beschwerdeführer durch die unrichtige Beurteilung der Haftvoraussetzungen (Tatverdacht und Haftgründe) im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt erachtet.

Indes zu Unrecht.

Angesichts dessen, daß nach der Spruchpraxis des Grundrechtsbeschwerdegerichtshofes schon durch einen (wenngleich noch nicht rechtskräftigen) Schuldspruch der dringende Tatverdacht ausreichend indiziert wird (11 Os 58/96; Mayrhofer/E.Steininger GRBG 1992 Rz 39 zu § 2 mit Judikaturhinweisen), gilt dies im aktuellen Fall umsomehr, zumal der (vom Angeklagten unangefochten gebliebene) Schuldspruch wegen des Verbrechens der Desertion nach § 9 Abs 1 MilStG und des Vergehens nach § 7 Abs 1 MilStG zur Zeit der Entscheidung zweiter Instanz bereits in Rechtskraft erwachsen war. Demzufolge wäre nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (vgl abermals 11 Os 58/96 mit Judikaturzitaten; Mayrhofer/E.Steininger aaO Rz 41 f mwN) die Prüfung nicht mehr notwendig, inwieweit der Tatverdacht auch bezüglich der übrigen anklagegenständlichen Straftaten (§§ 217 Abs 1; 83 Abs 1 StGB) gegeben war. Dessen ungeachtet sei der Beschwerde erwidert, daß das Oberlandesgericht die Dringlichkeit des Tatverdachtes bezüglich des Verbrechens nach § 217 Abs 1 StGB aktenkonform und zutreffend bejaht und insbesondere den dringenden Verdacht eines in der Beschwerdeschrift wiederholt als unbegründet hingestellten "Abhängigkeitsverhältnisses" der ausländischen Prostituierten Carmen Evelyne T***** auf (zahlenmäßig angeführte) Aktenbelegstellen gestützt hat.

Der dringende Tatverdacht einer Körperverletzung konnte sich nicht nur darauf stützen, daß der Begleiter des Täters diesen als "Stefan" benannt hatte, sondern - was die Beschwerde übergeht - der Täter jenes Fahrzeug gelenkt hatte, das auf den Beschwerdeführer zugelassen war.

Was die Beschwerdeeinwände gegen die Haftgründe anlangt, ist dem Vorbringen unter Punkt 2.a durch den erstgerichtlichen Berichtigungsbeschluß des Hauptverhandlungsprotokolls vom 5.April 1996 (ON 77), der dem Verteidiger allerdings erst nach Einlangen der Grundrechtsbeschwerde am 25.April 1996 zugestellt worden war, der sachliche Boden entzogen.

Den - nach Lage des Falles durch gelindere Mittel nach § 180 Abs 5 StPO nicht substituierbaren - Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) hinwieder hat das Beschwerdegericht mit dem Verweis auf den in Santa Domingo gelegenen familiären und wirtschaftlichen Mittelpunkt des Angeklagten sowie auf dessen ungefähr 22 Monate währende Ausschreibung zur Verhaftung, die schließlich nur zufällig zum Erfolg geführt hatte, zureichend auf tragfähige bestimmte Tatsachen gestützt, denen der Beschwerdeführer nichts Substantielles entgegenzuhalten vermag.

Überlegungen zum weiteren vom Gerichtshof zweiter Instanz begründeten Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO) können daher im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens entfallen (11 Os 30/96, 11 Os 58/96, 13 Os 77/96, 15 Os 94/95 mwN;

Mayrhofer/E.Steininger aaO Rz 57).

Da sonach Stefan D***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt worden ist, war seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Stichworte