OGH 7Ob652/90

OGH7Ob652/906.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Julian K***, geboren am 27. Juli 1983, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch Dr. Wolfgang Leitner, Rechtsanwalt ib Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgericht vom 13. Juni 1990, GZ R 251/90-14, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 27. März 1990, GZ 1 P 20/90-6, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er insgesamt zu lauten hat:

"Der Vater Harald M. K***, AHS-Lehrer, St. Pölten, Josefstraße 93, ist schuldig, dem mj. Julian K***, geboren am 27.7.1983, ab 1.3.1990 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 4.000 zu Handen der Mutter Susan K. K***, Krankenschwester, 33 Lambros Drive Benowa 4217 Gold Coast Queensland, Australien, zu leisten.

Die bisher fällig gewordenen Beiträge sind binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beiträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im vorhinein zu bezahlen.

Der Vater Harald M. K*** ist ferner schuldig, dem Minderjährigen für die Vergangenheit einen Unterhaltsbeitrag von S 124.700 zu Handen der Mutter Susan K. K*** binnen 14 Tagen zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 800 monatlich und von S 33.100 wird abgewiesen."

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Minderjährigen wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes St. Pölten vom 2. April 1990, 2 C 812/89-8, geschieden. Die Obsorge über den Minderjährigen steht nach dem anläßlich der Ehescheidung abgeschlossenen Vergleich der Mutter zu. Diese ist mit dem Minderjährigen im November 1985 nach Australien verzogen.

Der Minderjährige begehrt ab 1. März 1990 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 4.800, einen rückständigen Unterhalt und die Familienbeihilfe für die letzten 3 Jahre von zusammen S 157.800. Er behauptet ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von S 19.800 und, daß der Vater die Familienbeihilfe im Betrage von S 1.200 und ab 1. Jä ner 1990 von S 1.300 monatlich bezogen habe. Der Antrag wurde dem Vater gemäß § 185 Abs 3 AußStrG unter Setzung einer Frist von 14 Tagen zur Äußerung zugestellt.

Das Erstgericht setzte den vom Vater ab 1. März 1990 zu leistenden Unterhaltsbeitrag mit monatlich S 2.550 fest und wies das Mehrbegehren ab. Es ging davon aus, daß sich der Vater zu dem Antrag nicht geäußert habe, und legte seiner Entscheidung ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters von S 19.800 zugrunde. Es vertrat die Auffassung, daß ein überdurchschnittlicher Bedarf des Kindes nicht behauptet worden sei, sodaß nur der Regelbedarf zuzusprechen sei. Die Familienbeihilfe sei dem Vater nicht zugestanden, weil sie nur einem Haushaltsvorstand gebühre, der in Österreich aufhältig sei und in dessen Haushalt das Kind gepflegt und erzogen werde. Der Zuspruch eines Unterhaltsbeitrages für die Vergangenheit komme nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller die Umstände, die für die Unterhaltsgewährung maßgeblich seien, erst im nachhinein erfahren habe. Dies sei hier nicht der Fall.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es den monatlichen Unterhaltsbeitrag ab 1.März 1990 mit S 3.000 bestimmte. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist.

Das Rekursgericht stellte aufgrund der bereits vom Erstgericht eingeholten Auskunft über die Bezüge des Vaters fest, daß dessen monatliches Nettoeinkommen ab dem März 1989 S 21.200 beträgt. Es erachtete einen Unterhaltsbeitrag über dem sogenannten Regelbedarf, aber unterhalb der Prozentsatzkomponente als angemessen. Ein lediglich an der Prozentsatzkomponente orientierter Unterhaltsbeitrag stünde bei einem 7jährigen Kind in keiner Relation zum österreichischen Durchschnittseinkommen. Ein Luxusbedarf solle durch die Unterhaltsfestsetzung nicht abgedeckt werden. Im übrigen teilte das Rekursgericht im wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichtes.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs des Minderjährigen ist teilweise berechtigt. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, hat bei Nichtäußerung des Beteiligten nach § 185 Abs 3 AußStrG das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers, soweit es nicht durch vorliegende Beweise widerlegt wird oder sonst Anhaltspunkte dafür sprechen, daß der zur Äußerung Aufgeforderte ungeachtet seines Schweigens dem Antrag entgegentrete, als zugestanden zu gelten. Das versäumte Vorbringen des Antragsgegners kann auch nicht in Form von Neuerungen im Rekurs nachgetragen werden (SZ 52/155; EFSlg. 37.470, 35.130). Letzteres hat auch dann zu gelten, wenn, wie hier, der Antragsgegner nach Ablauf der Frist und nach der Entscheidung des Erstgerichtes eine Äußerung erstattet. Das Rekursgericht konnte daher zwar aufgrund der bereits vom Erstgericht eingeholten Auskunft über die Bezüge des Antragsgegners ab März 1989 ergänzende Feststellungen treffen. Das nicht näher substantiierte Vorbringen über Unterhaltsleistungen und die Behauptung, die Familienbeihilfe ab Mitte 1989 nicht mehr bezogen zu haben, hatten jedoch außer Betracht zu bleiben. Der Entscheidung ist ein (vom Vater auch zugestandenes) monatliches Nettoeinkommen von S 19.800 und ab März 1989 von S 21.200, der Bezug der Familienbeihilfe durch den Vater sowie die Leistung von nur sporadischen, nicht ins Gewicht fallenden Beiträgen durch den Vater zugrunde zu legen.

Bei der Unterhaltsbemessung kommt es vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; es ist aber auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, gibt das Gesetz durch Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern (4 Ob 532/90 ua). Das Rekursgericht hat daraus richtig gefolgert, daß der Zuspruch bloß des Regelbedarfs ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Eltern mit dem Gesetz nicht in Einklang steht (Pichler in Rummel2 Rz 5 a zu § 140;

4 Ob 532/90). Die Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzkomponente stellt für durchschnittliche Verhältnisse eine brauchbare Handhabe dar, um den Unterhaltsberechtigten an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen teilhaben zu lassen (Schwimann-Schlemmer, ABGB I § 140 Rz 8). Das Rekursgericht hat richtig erkannt, daß eine Unterhaltsbemessung allein nach dieser Methode bei erheblich überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen die Gefahr einer Überalimentierung des Kindes in sich birgt. Die im § 140 ABGB verankerte Angemessenheitsgrenze darf auch bei erheblich überdurchschnittlichem Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht überschritten werden (6 Ob 563/90). Die Gerichte zweiter Instanz nehmen im allgemeinen eine absolute Obergrenze (Luxusgrenze) bei ca. dem 2 1/2fachen des Regelbedarfs an (EFSlg. 53.141 ua; Pichler aaO; Schwimann-Schlemmer aaO Rz 10 je mwN). Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes besteht jedoch im vorliegenden Fall die Gefahr einer Überalimentierung nicht. Das Einkommen des Vaters liegt nicht so erheblich über dem Durchschnitt. Ausgehend von diesem Einkommen (und unter Berücksichtigung der Familienbeihilfe) entspricht ein Beitrag von monatlich S 4.000 den obgenannten Bemessungskriterien. Nach der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden. Unterhaltsansprüche für die Vergangenheit unterliegen nur der Verjährung des § 1480 ABGB (SZ 61/143; 5 Ob 520/90; 4 Ob 533/90). Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes kommt es nicht darauf an, ob der Unterhaltsberechtigte oder dessen Vertreter Kenntnis von der Berufstätigkeit des Unterhaltspflichtigen gehabt haben und daher in der Lage gewesen wären, den Unterhaltsanspruch geltend zu machen. Das Unterlassen der Geltendmachung eines Anspruchs führt grundsätzlich nicht zu dessen Verlust. Bloße Untätigkeit genügt regelmäßig auch nicht für die Annahme eines schlüssigen Verzichtes (RZ 1985/57; RZ 1978/41; 4 Ob 533/90). Andere, den Konkludenzerfordernissen des § 863 Abs 1 ABGB entsprechende Umstände, aus denen ein Verzicht abgeleitet werden könnte, liegen nicht vor. Nach den obgenannten Grundsätzen ergibt sich für die letzten 3 Jahre ein Unterhaltsanspruch des Minderjährigen von S 124.700 (24 Monate a S 3.300, 5 Monate a S 3.500 und 7 Monate a S 4.000), der ihm im Sinne der neueren Rechtsprechung auch zuzuerkennen ist. Für eine Unterhaltsleistung durch einen Dritten in Erwartung des Ersatzes vom Unterhaltsschuldner (vgl. SZ 61/143) liegen hier keine Anhaltspunkte vor.

Die Familienbeihilfe hat jedenfalls seit dem 1. Jänner 1978 den Charakter einer Betreuungshilfe und gilt als Einkommen des nach § 2 Abs 2 (bzw. nach § 11 Abs 2) FamLAG Anspruchsberechtigten und damit vor allem desjenigen, der die Familienbeihilfe bezieht (SZ 59/19; SZ 54/52; EFSlg. 44.871/9, 41.028), ohne daß der Betrag unmittelbar dem Kind zuzuwenden ist (EFSlg. 41.028). Das Kind, für das die Familienbeihilfe bezogen wird, kann daher grundsätzlich nicht deren Herausgabe vom Unterhaltspflichtigen neben dem Unterhaltsbeitrag begehren. Als Einkommen des Unterhaltspflichtigen ist sie aber bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen (Schwimann-Schlemmer aaO § 140 Rz 61 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz).

Demgemäß ist dem Revisionsrekurs teilweise Folge zu geben.

Stichworte