OGH 4Ob532/90

OGH4Ob532/903.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als Richter in der Vormundschaftssache des mj. Adrian D***, geb. am 13. Jänner 1986, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter Christine D***, Klagenfurt, Waidmannsdorferstraße 15/72, vertreten durch Dr. Matthäus Grilc, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 19. Jänner 1990, GZ 1 R 31/90-25, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 14. Dezember 1989, GZ 1 P 107/87-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung zur Gänze wie folgt zu lauten hat:

"Dr. Franz L***, prakt. Arzt, Bleiburg, 10. Oktoberplatz 28, ist schuldig, zu Unterhalt seines am 13. Jänner 1986 außer der Ehe geborenen Sohnes Adrian D***, zuzüglich zu der zuletzt mit Vergleich vom 27. November 1986 festgelegten Unterhaltsverpflichtung von monatlich S 2.200 ab 1. Jänner 1989 bis 31. Juli 1989 einen weiteren Unterhaltsbetrag von S 1.000, insgesamt daher S 3.200, und dann ab 1. August 1989 bis auf weiteres einen weiteren Betrag von S 1.800, insgesamt sohin monatlich S 4.000, zu Handen der Mutter Christine D***, Klagenfurt, Waidmannsdorferstraße 15/72, zu zahlen. Die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses aufgelaufenen Rückstände sind binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Beträge jeweils bis zum 5. eines jeden Monates im vorhinein bei Exekution zu zahlen.

Das auf Zahlung eines weiteren Unterhaltsbetrages von S 800 im Zeitraum vom 1. Jänner 1989 bis 31. Juli 1989 gerichtete Mehrbegehren wird hingegen abgewiesen."

Text

Begründung

Dr. Franz L*** hat am 12.2.1986 vor dem Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt die Vaterschaft zu dem am 13.1.1986 außer der Ehe von Christine D*** geborenen Minderjährigen anerkannt. Am 27.11.1986 verpflichtete er sich zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 2.200. Der schwer behinderte Minderjährige befindet sich in der Obsorge der Mutter. Er leidet an Cerebralparese, Opticusatrophie und schwer einstellbaren Krampfanfällen und bedarf einer zeitaufwendigen Betreuung. Den durch seine Krankheit verursachten Sonderbedarf, wie Behandlungskosten und medizinisch-technische Geräte, hat der Vater bisher neben den laufenden Unterhaltszahlungen getragen; er ist auch in Zukunft dazu bereit. Die Mutter bezieht die Sondernotstandshilfe (seit 1.8.1989 monatlich S 5.154) und die erhöhte Familienbeihilfe von monatlich S 2.650. Seit 14.8.1989 befindet sich der Minderjährige an Werktagen von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr bei einer Tagesmutter, wofür die Mutter monatlich S 4.000 zahlt. Die Mutter beabsichtigt, demnächst wieder eine Beschäftigung anzunehmen.

Der Vater des Minderjährigen ist praktischer Arzt und erzielt ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von S 42.573. Er ist für zwei eheliche Töchter im Alter von 9 und 14 Jahren und teilweise für seine in der Ordination mittätige Ehefrau unterhaltspflichtig. Die Mutter beantragt (ON 6; Einschränkung ON 16), den monatlichen Unterhalt ab 1.1.1989 mit S 4.000 festzusetzen. Wegen seiner Behinderung habe der Minderjährige einen höheren Individualbedarf für Nahrung und Pflege. Der Vater sei auf Grund seines hohen Einkommens in der Lage, den geforderten Unterhalt zu zahlen. Seit 14.8.1989 befinde sich der Minderjährige werktags von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr bei einer Tagesmutter; die übrige Zeit werde er weiterhin von der Mutter betreut. Infolge dieser Unterbringung werde es der Mutter möglich sein, einer Beschäftigung nachzugehen und ein annehmbares Leben zu führen.

Das Erstgericht erhöhte den vom Vater monatlich zu leistenden Unterhalt ab 1.1.1989 auf S 3.200; das Mehrbegehren von monatlich S 800 wies es hingegen ab. Sein überdurchschnittliches Einkommen würde dem Vater zwar die Zahlung eines höheren Unterhaltsbetrages ermöglichen; der festgesetzte Betrag von S 3.200 reiche jedoch auch unter Berücksichtigung des durch die Behinderung des Minderjährigen zweifellos gegebenen - wenn auch nicht im Detail

nachgewiesenen - Sonderbedarfes aus, sämtliche Bedürfnisse des Minderjährigen zu decken. Den durch Behandlungen und das Erfordernis medizinisch-technischer Geräte fallweise verursachten Sonderbedarf trage der Vater ohnehin neben den monatlichen Unterhaltsleistungen. Die für eine Tagesmutter aufgewendeten Kosten seien kein zu berücksichtigender Sonderbedarf; der Elternteil, der die ihm zukommende Betreuung an Dritte überträgt, habe die dadurch verursachten Kosten selbst zu tragen.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nach § 14 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei. Die Unterhaltsbemessung habe sich einerseits nach den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten, andererseits nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen zu orientieren. Die von der Mutter angestrebte Bemessung nach Prozentsätzen führe gerade bei höheren Einkommen des Unterhaltspflichtigen zu unrealistischen Ergebnissen; das Rekursgericht habe daher stets die Bemessung des Unterhalts nach Prozentsätzen abgelehnt. Bei durchschnittlichen Lebensverhältnissen reichten die den Mindestbedarf deckenden Regelbedarfssätze aus. Der Minderjährige habe jedoch Anspruch, an den gehobenen Lebensverhältnissen des Vaters teilzunehmen. Ein höheres Einkommen des Unterhaltspflichtigen dürfe aber nicht dazu führen, einen den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten übersteigenden Unterhaltsbetrag festzulegen. Im vorliegenden Fall seien sämtliche Bedürfnisse des Minderjährigen durch den festgelegten Betrag gedeckt. Die Mehrkosten, die durch die Unterbringung des Minderjährigen bei einer Tagesmutter auflaufen, habe die Mutter als betreuender Elternteil zu tragen; sie könnten dem Vater im Rahmen seiner Unterhaltsverpflichtung nicht angelastet werden. Im übrigen könnte die Mutter vom Arbeitsamt einen Betreuungskostenzuschuß erhalten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag, den monatlichen Unterhaltsbetrag ab 1.1.1989 mit insgesamt S 4.000 festzusetzen. Der nach dem 31.12.1989 gefaßte Beschluß des Rekursgerichtes unterliegt der Anfechtung nach §§ 13 ff. AußStrG idF WGN 1989 BGBl. 343. Nach § 14 Abs 1 AußStrG ist im Außerstreitverfahren nunmehr der Revisionsrekurs - sowohl gegen bestätigende als auch abändernde - Beschlüsse zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes oder des Verfahrensrechtes abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Die Wertgrenze des § 14 Abs 2 Z 1 AußStrG (S 50.000) gilt nicht, wenn der Entscheidungsgegenstand nicht vermögensrechtlicher Natur oder - wie hier - ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch ist (§ 14 Abs 3 AußStrG). Bei der Beurteilung, ob eine nach dem 31.12.1989, aber vor dem 1.7.1994 gefällte Entscheidung der zweiten Instanz von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iS § 14 Abs 1 AußStrG abhängt, fällt es gemäß Art. XLI Z 9 WGN nicht ins Gewicht, daß eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt, wohl aber, ob das Gericht zweiter Instanz von einer nicht mehr als drei Jahre zurückliegenden Rechtsprechung eines Gerichtes zweiter Instanz abweicht, die veröffentlicht oder vom Gericht zweiter Instanz oder vom Rechtsmittelwerber angeführt worden ist. Diese Übergangsbestimmung schließt allerdings nicht aus, daß einer Rechtsfrage auch dann erhebliche Bedeutung zukommt, wenn sie bisher von allen Gerichten zweiter Instanz einheitlich gelöst wurde. Die Revisionsrekurswerberin wendet sich in der Zulassungsbeschwerde gegen die Ablehnung des Rekursgerichtes, den Unterhalt nach Prozentsätzen zu bemessen; in ihrer Rechtsrüge führt sie darüber hinaus aus, daß die Kosten der Unterbringung des Kindes bei einer Tagesmutter als Sonderbedarf qualifiziert werden müßten. Beide Fragen sind erheblich im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG: Die erstgenannte, weil die Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz in dieser Bemessungsfrage nicht einheitlich ist (siehe die Judikaturaufstellung bei Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 5 a zu § 140), die zweite, weil zu der Frage, ob die Kosten der Unterbringung eines behinderten, einer aufwendigen Pflege bedürftigen Minderjährigen bei einer Tagesmutter durch den an sich pflegenden Elternteil von dem zu einer Geldleistung verpflichteten Unterhaltspflichtigen zu tragen sind, - soweit ersichtlich - keine veröffentlichte Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz vorliegt, die Rechtsprechung zu den Betreuungskosten sonst aber nicht einheitlich oder wegen ihrer Strenge nicht zu billigen ist (vgl. auch dazu die Judikaturaufstellung bei Pichler aaO Rz 9 zu § 140). Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.

Hinsichtlich des Unterhalts unehelicher Kinder gelten gemäß § 166 ABGB die §§ 140 ff. ABGB. Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag; darüber hinaus hat er zum Unterhalt des Kindes beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müßte, als es seinen Lebensverhältnissen angemessen wäre (Abs 2). Bei der Unterhaltsbemessung kommt es daher vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; andererseits muß aber auch die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden (GlUNF 4941; GlUNF 5859; SZ 7/361; SZ 10/242). Einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, gibt das Gesetz nur durch die Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern sowie deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach ihren Kräften beizutragen. Ein konkretes Berechnungssystem kann dem Gesetz daher nicht entnommen werden. Da somit eine gesetzliche Grundlage für die Anwendung eines bestimmten Berechnungssystemes nicht besteht, kann der Oberste Gerichtshof auch nicht Regeln der Unterhaltsbemessung derart in ein System verdichten, daß sich eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall ergibt; er kann vielmehr in Fragen der Unterhaltsbemessung nur aussprechen, auf welche Umstände es ankommt (Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989, ÖJZ 1989, 743 ff. Ä748Ü). Demgemäß kann er auch keine Prozentsätze festlegen. Derartige Werte können nur bei der konkreten Berechnung eines Unterhaltsanspruches im Interesse der gleichen Behandlung gleichgelagerter Fälle herangezogen, nicht aber generell als Maßstab für die Unterhaltsbemessung festgelegt werden. Der Zuspruch bloß des Regelbedarfes ohne Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Eltern würde allerdings dem Gesetz widersprechen (Pichler aaO Rz 5 a zu § 140); andererseits darf hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die Angemessenheitsgrenze des § 140 ABGB hinaus zu alimentieren.

Bei der Ermittlung der Bedürfnisse des Minderjährigen kann zunächst - als Hilfsmittel für die Lösung der Tatfrage - von dem festgestellten, nach der Verbrauchsausgabenstatistik ermittelten Regelbedarf von S 2.000 ausgegangen werden. Berücksichtigt man weiter, daß ein Teil des Sonderbedarfes des Minderjährigen vom Vater neben der monatlichen Unterhaltsleistung erbracht wird, so nimmt der ca. vierjährige Minderjährige durch den von den Vorinstanzen festgelegten Unterhaltsbetrag von S 3.200 auch unter Berücksichtigung der durch seine Behinderung sicherlich verursachten, im einzelnen jedoch nicht festgestellten Mehraufwendungen bereits in angemessener Weise an den gehobenen Lebensverhältnissen des Vaters teil. Für den Zeitraum von der Antragstellung bis zum Ablauf des Monats Juli 1989, in welchem noch keine besonderen Betreuungskosten aufgelaufen sind, erscheint daher der von den Vorinstanzen festgesetzte

Unterhaltsbetrag - insbesondere unter Berücksichtigung des Alters des Minderjährigen - auch dem Obersten Gerichtshof angemessen. Anders verhält es sich jedoch für den Zeitraum nach dem 31.7.1989. Seit 14.8.1989 befindet sich der Minderjährige werktags von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr bei einer Tagesmutter, wofür die Mutter monatlich S 4.000 aufwendet. Es trifft zwar zu, daß der Elternteil, in dessen Haushalt der Unterhaltsberechtigte lebt, gemäß § 140 Abs 2 ABGB seinen Beitrag zum Unterhalt durch die Betreuungsleistung erbringt. Daher hat er die Kosten, die durch die teilweise Übertragung dieser Betreuung an Dritte auflaufen, regelmäßig dann zu tragen, wenn die Übertragung der Betreuung nur in seinem Interesse gelegen ist; liegen aber dafür berücksichtigungswürdige Gründe in der Person des Kindes vor, dann ist auf einen billigen Ausgleich der anteiligen Geldkosten zwischen den Eltern geboten (Pichler, Das neue Kindschaftsrecht, ÖA 1978, 21 ff. Ä23Ü; Schüch, Das neue Kindschaftsrecht, ÖA 1978, 39 ff. Ä41Ü; Schüch, Das österreichische Kindschaftsrecht, ÖA 1980, 31 ff. Ä45 f.Ü; Pichler in Rummel aaO Rz 9 zu § 140). Wenn auch die Mutter im vorliegenden Fall die teilweise Übertragung der Betreuung des Minderjährigen auf eine Tagesmutter damit begründet hat, daß ihr dadurch die Wiederaufnahme einer Beschäftigung ermöglicht wird, so steht doch fest, daß der Minderjährige einer zeitaufwendigen Pflege bedarf, weshalb schon deshalb die teilweise Übertragung der Betreuung an einen Dritten in den besonderen Verhältnissen des behinderten Minderjährigen begründet ist. Es darf auch nicht übersehen werden, daß im vorliegenden Fall mit dem Verabreichen der Mahlzeiten täglich ein Aufwand von mehreren Stunden verbunden ist. Es liegt aber auch im Interesse der Entwicklung des Minderjährigen, intensivere Kontakte zu anderen Personen zu haben. Unter diesen Umständen muß sich der gut verdienende Vater an diesen Mehrkosten in angemessener Weise beteiligen, um so einen Ausgleich der anteiligen Geldkosten zu schaffen. Im Ausmaß des im Revisionsverfahren noch strittigen Differenzbetrages von monatlich S 800 ist ein solcher Ausgleich jedenfalls billig. Der vom Vater zu zahlende monatliche Unterhaltsbetrag war daher ab 1.8.1989 in der beantragten Höhe von S 4.000 festzusetzen.

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