OGH 6Ob563/90

OGH6Ob563/9031.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Christian, geboren am 30.Oktober 1972, der mj. Brigitte, geboren am 3.Juli 1978 und der mj. Manuela G***, geboren am 20.August 1980, infolge Revisionsrekurses des Vaters Adolf G***, Postbeamter, 3910 Zwettl, vertreten durch Dr. Gerhard Rössler und Dr. Clemens Schnelzer, Rechtsanwälte in Zwettl, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 12.Februar 1990, GZ 1 a R 107/89-39, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Zwettl vom 9.Oktober 1989, GZ P 16/88-33, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Obsorge für die drei Minderjährigen und deren mj. Schwester Bettina (geboren am 28.10.1973) aus der am 15.9.1988 geschiedenen Ehe deren Vaters Adolf G*** steht der Mutter Brigitte G*** zu, in deren Haushalt alle vier Minderjährigen auch betreut werden. Der Vater war zu monatlichen Unterhaltsleistungen von je S 1.300 verpflichtet.

Am 25.7.1989 beantragten die vier Minderjährigen vom Antragstag an die Erhöhung der monatlichen Unterhaltsleistungen auf S 2.180 (für Christian), S 1.980 (für Bettina), S 2.850 (für Brigitte) und S 2.480 (für Manuela). Der Vater stellte dagegen den Antrag, ihn seiner Unterhaltsverpflichtung Christian und Bettina gegenüber zu entheben, weil diese bereits selbsterhaltungsfähig geworden seien, und im übrigen den Unterhaltsbetrag insgesamt höchstens mit S 5.100 festzusetzen.

Das Erstgericht enthob den Vater mit 1.9.1989 seiner Unterhaltsverpflichtung Bettina gegenüber, erhöhte dagegen dessen monatliche Unterhaltsverpflichtungen ab 25.7.1989 auf S 1.890 (Christian), S 1.910 (Brigitte) und S 1.660 (Manuela) und wies das Mehrbegehren aller Minderjährigen sowie das des Vaters ab. Es stellte fest, Christian sei seit Juli 1987 Malerlehrling und beziehe bei anteiliger Berücksichtigung der Sonderzahlungen eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 2.713. Sein restlicher Unterhaltsbedarf belaufe sich unter Bedachtnahme auf die Berufsausbildungskosten auf monatlich S 2.800. Bettina erlerne seit September 1988 den Kellnerberuf, erhalte einschließlich des aliquoten Teiles der Sonderzahlungen eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 3.790 und sei unter Berücksichtigung einerseits der einkommenserhöhenden Naturalleistungen und andererseits der Berufsausbildungskosten bereits selbsterhaltungsfähig. Das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters betrage - einschließlich des Anteiles an den Sonderzahlungen - S 16.317,60. Er habe der Mutter der Kinder aufgrund eines gerichtlichen Vergleiches monatliche Unterhaltsleistungen von S 3.000 zu erbringen.

Daraus folge in rechtlicher Hinsicht, daß die ermittelte Bemessungsgrundlage um die Unterhaltszahlungen an die Mutter zu kürzen sei. Der verbleibende Betrag von S 13.317,60 sei angesichts der Alimentierung der geschiedenen Ehefrau in Anlehnung an das Lohnpfändungsgesetz mit 41 %, also mit S 5.460, für den Unterhalt seiner Kinder belastbar. Der Regelbedarf von Christian, Brigitte und Manuela betrage zusammen monatlich S 8.130 und finde daher nur zu 67,2 % Deckung. Deren monatliche Unterhaltsansprüche seien deshalb entsprechend zu kürzen.

Das Rekursgericht setzte die Unterhaltsbeiträge mit S 2.180 (Christian), S 2.376 (Brigitte) und S 2.100 (Manuela) fest und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es stellte - nach Ergänzung des Verfahrens - fest, daß das monatliche Nettoeinkommen des Vaters unter Einrechnung der anteiligen Sonderzahlungen S 16.611,57 betrage, und führte in rechtlicher Hinsicht aus, das Erstgericht habe zu Unrecht den Unterhalt an die Mutter der Kinder (monatlich S 3.000) gleichzeitig von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abgezogen und diese Sorgepflicht außerdem bei Ermittlung der Belastbarkeitsgrenze erneut berücksichtigt. Diese Methode werde vom Rekursgericht nur dann angewendet, wenn dem geschiedenen Ehegatten für die zu berücksichtigende Sorgepflicht kein Unterhaltstitel zu Gebote stehe. Andernfalls werde der feststehende Unterhaltsbetrag von dem der Bemessung zugrunde zu legenden Nettoeinkommen abgezogen und die Differenz zur Gänze zur Bemessung des Unterhaltes der Kinder herangezogen. Ziehe man daher den Unterhalt für die Mutter der Minderjährigen (monatlich S 3.000) von der Bemessungsgrundlage ab, sei ein monatlicher Betrag von S 13.612 der Bemessung des Unterhaltes für die Minderjährigen zugrunde zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung des Rekursgerichtes sei eine solche Bemessungsgrundlage in Anlehnung an das Lohnpfändungsgesetz mit einem Anteil von 50,5 % zugunsten der Kinder belastbar. Der Unterhaltsbedarf der drei Kinder belaufe sich auf monatlich insgesamt S 8.130 und sei demnach nur mit 84,6 % gedeckt, sodaß sich die Kinder eine entsprechende Kürzung gefallen lassen müßten. Damit sei aber dem Rekurs, soweit er von Brigitte erhoben worden sei, zur Gänze, dem Rechtsmittel Christians bis zur Höhe des in erster Instanz gestellten Erhöhungsantrages gleichfalls in vollem Umfange und, soweit das Rechtsmittel von Manuela erhoben worden sei, teilweise Folge zu geben. Soweit Christian im Rekurs mehr als im Antrag an das Erstgericht verlangt habe, sei sein Rechtsmittel unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig, weil die vom Rekursgericht herangezogene Bemessungsmethode (Regelbedarf in Verbindung mit an das Lohnpfändungsgesetz angelehnter Belastbarkeitsgrenze) von jenen anderer Gerichtshöfe erster Instanz (Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners mit Hilfe von sich an Erfahrungswerten orientierenden Hundertsätzen) abweicht und zu anderen Ergebnissen führen kann (vgl. Pichler in Rummel, ABGB2, § 140 Rz 5 a). Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Der Vater beschränkt seine Ausführungen im Revisionsrekurs darauf, § 140 ABGB zufolge sei die Bemessung des Unterhaltes in Prozentsätzen vom Einkommen des Unterhaltsschuldners unter Bedachtnahme auf das Alter des Antragsberechtigten und die konkurrierenden Unterhaltsansprüche festzusetzen, ohne dieses Vorbringen näher zu begründen, und gelangt zu einer Bemessung, die allerdings von den von einer Reihe von Gerichtshöfen erster Instanz (namentlich auch vom Landesgericht für ZRS Wien) angewendeten Hundertsätzen deutlich - zu seinen Gunsten - abweicht. Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen, doch leistet Abs 2 zufolge der Elternteil, der den Haushalt führt, dadurch seinen Beitrag und hat zum Unterhalt des Kindes darüber hinaus nur beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müßte, als seinen Lebensverhältnissen angemessen wäre. Bei der Unterhaltsbemessung kommt es daher vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an, doch darf der Unterhaltsschuldner nicht über seine konkrete Leistungsfähigkeit hinaus zu Unterhaltsleistungen verhalten werden.

Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 3.4.1990, 4 Ob 532/90, ausgesprochen hat, bietet das Gesetz einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist, nur durch die Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern sowie deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach ihren Kräften beizutragen. Ein konkretes Berechnungssystem kann dem Gesetz, das die Bemessungskriterien nur durch unbestimmte Rechtsbegriffe umschreibt, demnach nicht entnommen werden. Ohne gesetzliche Grundlage bleibt es daher auch dem Obersten Gerichtshof verwehrt, Regeln der Unterhaltsbemessung derart zu einem System zu verdichten, daß als Ergebnis geradezu eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall zur Verfügung stünde. In Fragen der Unterhaltsbemessung hat sich der Oberste Gerichtshof vielmehr darauf zu beschränken, jene Umstände zu bezeichnen, auf die es im Einzelfall ankommt (vgl. Petrasch in ÖJZ 1989, 743, 748). Demnach kann er auch keine Prozentsätze festlegen. Solche Hundertsätze können lediglich bei der konkreten Berechnung eines Unterhaltsanspruches im Interesse der Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle herangezogen, nicht aber etwa generell als Maßstab für die Unterhaltsbemessung schlechthin festgelegt werden. Der Zuspruch des Unterhaltes in Höhe des Regelbedarfes würde freilich dem Gesetz widersprechen, soweit ein solcher Betrag nicht auch den Lebensverhältnissen der Eltern gerecht würde (vgl. Pichler, aaO, Rz 5 a). Andererseits darf ein weit überdurchschnittliches Einkommen des Unterhaltsschuldners nicht zu einer Alimentierung des Unterhaltsberechtigten über die im § 140 ABGB verankerte Angemessenheitsgrenze hinaus führen.

Bei der Ermittlung der Bedürfnisse der Minderjährigen kann zunächst - als Orientierungshilfe für die Lösung der Tatfrage - mit den Vorinstanzen von dem vom Vater der Höhe nach nicht weiter bekämpften Regelbedarf, dem die nach dem Verbraucherpreisindex den gegenwärtigen Verhältnissen angepaßte Verbrauchsausgabenstatistik zugrundeliegt (vgl. Pichler, aaO, Rz 2), ausgegangen werden. Dem trägt auch die Rechtsprechung des Gerichtes zweiter Instanz Rechnung (vgl. die Nachweise bei Pichler, aaO, Rz 5 und 5 a). Fraglich ist es dann jedoch, in welcher Weise die als weiteres Bemessungskriterium zu beachtende Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners - ohne eine dem Zweck der Unterhaltsbemessung abträgliche allzu aufwendige Stoffsammlung - zu ermitteln ist. Dabei erscheint es gerechtfertigt, jenen Teil des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Unterhaltsschuldners, der dem Unterhaltsschuldner auch im Falle der exekutiven Durchsetzung des Unterhaltstitels (§ 6 LPfG) verbleiben muß, von der Bemessung auszunehmen und damit bloß den der Pfändung unterworfenen Bezugsteil entsprechend dem festgestellten Bedarf der Unterhaltsberechtigten auf die miteinander konkurrierenden Unterhaltsberechtigungen aufzuteilen. Berücksichtigt man einerseits, daß den Eltern das beneficium competentiae - also die Einrede, daß bei gegebener Unterhaltsbemessung der eigene angemessene Unterhalt gefährdet wäre (vgl Pichler, aaO, § 141 Rz 5) - nicht zusteht (Pichler, aaO, § 140 Rz 4), andererseits aber auch, daß der Unterhaltsschuldner nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden darf, weil er sonst in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre, so erscheint es jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in welchen einem durchschnittlichen Nettoeinkommen des Unterhaltsschuldners mehrere Unterhaltsansprüche gegenüberstehen, durchaus gerechtfertigt, jenen Teil der Unterhaltsbemessungsgrundlage, der voraussichtlich auch der Pfändung unterworfen sein würde (§ 6 in Verbindung mit § 5 LPfG), auf die Unterhaltsberechtigten zur Deckung ihrer Ansprüche im Verhältnis ihres Bedarfes aufzuteilen, sodaß die am Lohnpfändungsgesetz orientierte Belastbarkeit (vgl. Pichler in ÖA 1981, 41) jedenfalls jene Grenze bildet, die bei der Unterhaltsbemessung zu Lasten des Unterhaltsschuldners im Interesse beider Teile zwar keineswegs überschritten, bis zu der jedoch zumindest in Fällen mehrerer miteinander konkurrierender konkreter Unterhaltspflichten die Bemessungsgrundlage voll ausgeschöpft werden darf.

Das Ausmaß der Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung des Revisionsrekurswerbers seiner geschiedenen Ehegattin gegenüber durch das Rekursgericht in Form des Abzuges des im Vergleich festgesetzten Unterhaltsbetrages von der Bemessungsgrundlage bekämpft der Unterhaltsschuldner nicht. Es begegnet aber auch deshalb keinen Bedenken, weil dieser vergleichsweise festgesetzte Betrag offenbar ohnedies in Berücksichtigung der weiteren Unterhaltspflichten des Revisionsrekurswerbers in dieser Höhe festgelegt wurde. Es trifft zwar zu, daß die Anwendung der von der Rechtsprehung der Gerichte zweiter Instanz vielfach herangezogenen Hundertsätze (wie Pichler in Rummel, ABGB2, § 140 Rz 5 a referiert) zwischen 4 und 13 % geringere Unterhaltsbeträge errechnen ließe, bei einer Abweichung in diesem Ausmaß könnte angesichts der bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. hiezu Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 1924) stets zu billigende Bandbreite selbst dann keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden, wenn man der "Prozentmethode" den Vorzug gäbe (vgl. Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht6, Rz 579).

Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

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