Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 16.384,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 1.489,50, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 2.9.1983 ereignete sich auf einer Arbeitsstelle der Firma Emil K*** Gesellschaft mbH in Gailitz, Gemeinde Arnoldstein, ein Arbeitsunfall, bei dem der bei diesem Unternehmen beschäftigte und bei der Klägerin pflichtversicherte Nikolaus G*** tödlich verletzt wurde. Der Beklagte war damals verantwortlicher Betriebsleiter dieses Unternehmens. Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 6.4.1984, 7 E Vr 689/84-15, des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80
StGB schuldig erkannt. Aus dem im Strafakt befindlichen Protokolls- und Urteilsvermerk ergibt sich, daß ihm zur Last gelegt wurde, als verantwortlicher Betriebsleiter der Firma Emil K*** Gesellschaft mbH dadurch, daß er Nikolaus G*** Arbeiten an Stellen durchführen ließ, die nur über Gerüste erreichbar waren, obwohl dieser den linken Unterarm in Gips hatte, und eine nicht den Arbeitnehmerschutzvorschriften entsprechende Gerüstleiter zur Durchführung der Arbeiten zur Verfügung stellte, wodurch Nikolaus G*** vom Gerüst stürzte, fahrlässig dessen Tod herbeigeführt zu haben.
Die Klägerin erbrachte an die Witwe und die Waisen des Getöteten bis 30.6.1986 Pflichtleistungen von insgesamt S 355.540,30, deren Ersatz sie vom Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit im wesentlichen mit der Begründung begehrte, daß er als Aufseher im Betrieb und Vertreter des Dienstgebers den Arbeitsunfall des Nikolaus G*** grob fahrlässig herbeigeführt habe und daher der Klägerin gemäß § 334 Abs 1 ASVG alle von ihr erbrachten Pflichtaufwendungen zu ersetzen habe. Der im Krankenstand befindliche und arbeitsunfähige Nikolaus G*** habe über Auftrag des Beklagten das Gerüst besteigen müssen. Der Beklagte habe G***
unter Androhung der sonstigen Kündigung geradezu dazu gezwungen. Überdies stellte die Klägerin mit der Behauptung, auch in Zukunft zu Leistungen an die Hinterbliebenen des Getöteten verpflichtet zu sein, deren Höhe noch nicht abschließend beurteilt werden könne, ein auf Feststellung der Haftung des Beklagten für alle ihre künftigen Pflichtaufwendungen gerichtetes Feststellungsbegehren. Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, daß er den Arbeitsunfall des Nikolaus G*** nicht grob fahrlässig verursacht habe. G*** habe ihn gebeten, ihn trotz seiner durch einen Gipsverband an der linken Hand bedingten körperlichen Behinderung arbeiten zu lassen, damit er Schulden, die er für seine neue Wohnung aufnehmen habe müssen, abstatten könne. G*** habe nur Arbeiten am Boden durchzuführen gehabt und hätte nicht das Gerüst besteigen müssen. Nur unter diesen Voraussetzungen habe der Beklagte seine Zustimmung zur Arbeitsaufnahme durch G*** gegeben.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Nikolaus G*** erlitt am 26.8.1983 eine leichte Verletzung (Sehnenzerrung) und es wurde ihm ein Gipsverband an der linken Hand angelegt. Ob er diese Verletzung bei einem Raufhandel erlitt oder durch einen Sturz infolge starker Alkoholisierung, kann nicht festgestellt werden.
G*** war als Vorarbeiter bei der Emil K*** Gesellschaft mbH beschäftigt. Die Geschäftsführerin Ingrid R*** war krank; ihr Vater, der Beklagte, war als verantwortlicher Betriebsleiter tätig. Zufolge des Gipsverbandes war Nikolaus G*** im Krankenstand, was er auch dem Beklagten mitteilte. Er ersuchte ihn aber, ob er trotz des Krankenstandes weiterarbeiten könne. Der Grund dafür lag darin, daß G*** Geld brauchte, weil er ziemlich hohe Schulden hatte; andererseits war auch eine gewisse Arbeitsplatzangst vorhanden. Der Beklagte hat G*** nicht mit einer Kündigung gedroht. G*** arbeitete dann als Vorarbeiter vom 29.8.1983 (Montag) bis 1.9.1983 (Donnerstag). Dabei war ihm ein Gehilfe beigestellt. Dieser hatte die eigentlichen Sandstrahlarbeiten am Kessel in der B*** B*** durchzuführen und mußte zu diesem Zweck auf ein Gerüst steigen. G*** mußte bei seiner Tätigkeit nicht auf das Gerüst steigen; er bediente den Druckkessel, der sich auf ebener Erde befand. Von diesem Druckkessel ging ein Schlauch in die Höhe zum Arbeitsplatz der Person, die die eigentlichen Sandstrahlarbeiten durchführte.
Am 1.9.1983 kam der Arbeiter, der vorher mit G*** gearbeitet hatte, nicht mehr zur Arbeit. Am Morgen dieses Tages bekam G*** einen neuen Gipsverband. Über seine Vermittlung wurde Johann D*** für die Sandstrahlarbeiten anstelle des ausgebliebenen Arbeiters aufgenommen. An diesem Tag begann um 22 Uhr für G*** die Nachtschicht. Er führte seine Arbeiten wie immer zu ebener Erde durch. Er bediente also den Druckkessel, während D*** die eigentlichen Sandstrahlarbeiten durchführte. G*** hätte nicht auf das Gerüst hinaufsteigen müssen, um irgendwelche Arbeiten zu konktrollieren. Dies wurde von einem Beschäftigten der K*** M*** V*** (KMF) durchgeführt. Um 6 Uhr morgens hatte G*** Arbeitsschluß. Um diese Zeit kam Gerhard L***, der Vorarbeiter der KMF, zur Arbeitsstelle. Er kletterte um etwa 6,10 Uhr auf das Gerüst, um die in der Nacht durchgeführten Sandstrahlarbeiten zu kontrollieren. Gleichzeitig kletterte auch G*** auf einer anderen Leiter des Gerüstes den Kessel hoch.
Unmittelbar danach stürzte er ab. Es wäre nicht notwendig gewesen, daß G*** auf das Gerüst kletterte. Wenn L*** bei der Kontrolle gefunden hätte, daß etwas nicht in Ordnung gewesen wäre, hätte er G*** heraufgebeten, damit er ihm dies zeigen könne. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Erstgericht im wesentlichen aus, dem Beklagten sei in dem gegen ihn ergangenen Strafurteil nicht zur Last gelegt worden, daß er G*** aufgetragen habe, trotz seiner körperlichen Behinderung ein nicht den Arbeitnehmerschutzvorschriften entsprechendes Gerüst zu besteigen, sondern nur, daß er G*** die Möglichkeit dazu verschafft habe. Das strafrechtlich festgestellte Verschulden des Beklagten müsse noch nicht grobe Fahrlässigkeit bedeuten. Im konkreten Fall könne dem Beklagten vielmehr grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden. Er habe der Ansicht sein können, daß G*** nur die ihm übertragene Arbeit durchführen und nicht auf das Gerüst steigen werde. Den Absturz des G*** vom Gerüst habe er nicht vorhersehen können.
Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil S 300.000,- übersteigt.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung im wesentlichen aus, daß grobe Fahrlässigkeit dann anzunehmen sei, wenn dem Täter eine ungewöhnliche, auffallende Sorglosigkeit zur Last liege und ihm der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als entfernt möglich vorhersehbar gewesen sei. Trotz der strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten nach § 80 StGB sei die Frage nach dem Grad seiner Fahrlässigkeit vom Zivilgericht selbständig zu prüfen. Der Umstand, daß der Beklagte dem Verunglückten Arbeiten an Stellen habe durchführen lassen, die über Gerüste erreichbar gewesen seien, könne deshalb nicht als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden, weil für die eigentlichen Arbeiten am Gerüst dem Nikolaus G*** ein Gehilfe beigegeben worden sei und für G*** keine unbedingte Notwendigkeit bestanden habe, selbst auf das Gerüst zu steigen. Der Beklagte hätte allerdings voraussehen können, daß der im Krankenstand befindliche und durch den Unterarmgips behinderte G*** auch das Gerüst besteigen werde und ein solches Verhalten des G*** dessen Tod herbeiführen könne. Er hätte demnach erkennen können, daß er durch seine Genehmigung das Tatbild nach § 80 StGB verwirklichte. Deshalb sei der Beklagte auch strafgerichtlich verurteilt worden.
Diese Verurteilung genüge aber nicht für die Bejahung des geltend gemachten Ersatzanspruches der Klägerin. Dem Beklagten könne keinesfalls eine ungewöhnliche auffallende Sorglosigkeit zur Last gelegt werden, sodaß ihm der Eintritt des Todes des G*** als wahrscheinlich und nicht bloß als entfernt möglich vorhersehbar gewesen wäre. Das Erstgericht habe mit Recht das Vorliegen grober Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten verneint und daher das Klagebegehren abgewiesen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Der Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Klägerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt.
Soweit die Klägerin in ihren Revisionsausführungen einen den Vorinstanzen unterlaufenen Verstoß gegen die im § 268 ZPO normierte Bindungswirkung des gegen den Beklagten ergangenen strafgerichtlichen Erkenntnisses behauptet, macht sie in Wahrheit die unrichtige Anwendung von Verfahrensvorschriften und damit den Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO geltend (1 Ob 19/82; 8 Ob 52/86; 2 Ob 556/87 uva), der aber nicht vorliegt. Zunächst hat die Klägerin einen derartigen Verfahrensverstoß des Erstgerichtes bereits in ihrer Berufung behauptet und das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines derartigen Verfahrensverstoßes (zumindest sinngemäß) verneint. Dies hindert nach ständiger Rechtsprechung (SZ 22/106; EvBl 1968/344 uva) die erfolgreiche Geltendmachung eines derartigen Verfahrensverstoßes im Revisionsverfahren. Im übrigen erstreckt sich die im § 268 ZPO normierte Bindungswirkung eines rechtskräftigen strafgerichtlichen Erkenntnisses auch auf Protokolls- und Urteilsvermerke (3 Ob 577/85; 2 Ob 43/85; 7 Ob 39/85 uva); sie kann sich dann aber nur auf jene Tatumstände beziehen, die sich aus der in derartigen Protokolls- und Urteilsvermerken enthaltenen Sachverhaltsdarstellung ergeben (6 Ob 818/77 ua). Im vorliegenden Fall wurde im Protokolls- und Urteilsvermerk des Landesgerichtes Klagenfurt vom 6.4.1984, 7 E Vr 689/84-15, bezüglich des Sachverhaltes auf den in diesem Verfahren gestellten Strafantrag der Staatsanwaltschaft Klagenfurt (ON 3 des Strafaktes) verwiesen. Aus diesem ergibt sich aber in tatsächlicher Richtung nur der Vorwurf, daß der Beklagte Nikolaus G*** trotz dessen körperlicher Behinderung Arbeiten an Stellen durchführen ließ, die nur über Gerüste erreichbar waren. Ein ausdrücklicher Befehl des Beklagten an G*** zur Durchführung von Arbeiten unter derartigen Umständen ergibt sich daraus nicht. Die Bindungswirkung des strafgerichtlichen Erkenntnisses erstreckt sich nur auf die Tatsachenfeststellungen des Strafgerichtes, soweit sie die Verurteilung begründen, nicht aber auf die vom Strafgericht vorgenommene rechtliche Qualifikation (SZ 55/154; 8 Ob 68/85; ZVR 1988/26 uva). Unter diesen Gesichtspunkten verstoßen die vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen nicht gegen die im § 268 ZPO normierte Bindungswirkung des gegen den Beklagten ergangenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Erkenntnisses.
Geht man von dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalt aus, dann erweist sich die Rechtsrüge der Klägerin als unberechtigt, weil dem Beklagten nicht im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG angelastet werden kann, daß er den Arbeitsunfall des Nikolaus G*** durch grobe Fahrlässigkeit (Vorsatz wurde nicht behauptet) verursacht hätte. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Annahme grober Fahrlässigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle die weit überdurchschnittliche Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht, einen objektiv besonders schweren Sorgfaltsverstoß, der bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Es muß sich um eine Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt handeln, die sich über alltäglich vorkommende Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt. Es ist dabei zu berücksichtigen, ob der Betreffende Überlegungen, die nach den besonderen Verhältnissen, insbesondere nach seinen beruflichen Erfahrungen, von ihm erwartet werden müssen, nicht angestellt hat. Die Beurteilung des Verschuldensgrades hat auch unter Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse des fahrlässig Handelnden zu erfolgen. Die Übertretung von Dienstnehmerschutz- und Unfallverhütungsvorschriften muß ebensowenig grobe Fahrlässigkeit begründen wie eine strafgerichtliche Verurteilung; es kommt vielmehr immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Auch das Verhalten des Verunglückten ist bei der Beurteilung der Frage, ob der Dienstgeber oder ein ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellter grob fahrlässig gehandelt hat, mitzuberücksichtigen (ZVR 1984/326 mwN uva).
Unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten ist vor allem die Feststellung der Vorinstanzen bedeutsam, daß G*** im Zuge der Arbeiten, die ihn der Beklagte trotz seiner durch die Verletzung seiner linken Hand bedingten körperlichen Behinderung durchführen ließ, im allgemeinen kein Gerüst besteigen mußte, weil er den am Boden befindlichen Druckkessel zu bedienen, nicht aber Sandstrahlarbeiten unter Benützung des Gerüstes durchzuführen hatte. Gewiß mußte der Beklagte die Möglichkeit in Rechnung stellen, daß G*** im Zuge seiner Arbeitsleistung etwa zu Kontroll- oder Hilfszwecken auch das Gerüst besteigen werde. Im Hinblick darauf aber, daß es sich dabei nur um Ausnahmsfälle handeln konnte, während G*** im Zuge seiner normalen Arbeitstätigkeit nach den Feststellungen der Vorinstanzen auf dem Gerüst nichts zu tun hatte, kann im Sinne obiger Rechtsausführungen im Verhalten des Beklagten, der G*** trotz dessen körperlicher Behinderung an der hier in Frage stehenden Arbeitsstelle unter den dort gegebenen Umständen arbeiten ließ, eine zum Arbeitsunfall des G*** führende grobe Fahrlässigkeit nicht erblickt werden.
Mit Recht haben unter diesen Umständen die Vorinstanzen das Klagebegehren abgewiesen. Der Berufung der Klägerin muß daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)