Spruch:
Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgerichte nicht als solche erkannt worden sind, können nicht nach § 503 Z. 2 ZPO. geltend gemacht werden.
Entscheidung vom 20. Juli 1949, 1 Ob 313/49.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Unterinstanzen haben das Begehren des Klägers auf Scheidung der am 30. Mai 1921 geschlossenen Ehe gemäß § 55 EheG. abgewiesen. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß Kläger vor mehr als drei Jahren die eheliche Gemeinschaft aufgegeben, sich einer anderen Frau genähert und mit dieser längere Zeit zusammen gewohnt hat. Das Berufungsgericht nimmt als erwiesen an, daß nicht zu erwarten ist, daß der Kläger nochmals in die eheliche Gemeinschaft zurückkehren werde. Das Berufungsgericht nimmt daher an, daß eine unheilbare Ehezerrüttung vorliege. Der von der beklagten Partei erhobene Widerspruch wurde für zulässig erklärt, weil wohl ehewidrige Beziehungen des Klägers zu R. T., aber keine Eheverfehlungen der Beklagten festgestellt worden seien. Der Widerspruch der Beklagten sei auch beachtlich, weil das Verschulden an der Ehezerrüttung ausschließlich den Kläger treffe. Die Ehe habe, wenn auch nicht immer ungetrübt, durch 27 Jahre bestanden, es entstammten ihr zwei Kinder, die Beklagte habe ihre besten Lebensjahre der Erfüllung ihrer Pflichten als Hausfrau und Mutter gewidmet, den als Schwerinvaliden aus dem ersten Weltkrieg zurückgekehrten Kläger betreut und gepflegt, durch längere Zeit durch Verdienst aus Heimarbeit zum Haushalt beigesteuert, ihre Rente mit dem Kläger geteilt. Heute sei sie kränklich und gemindert erwerbsfähig. Bei dieser Sachlage müsse daher der Widerspruch der Beklagten gegen die Scheidung als beachtlich angesehen werden. Das Berufungsgericht kam daher zur Bestätigung des die Klage abweisenden erstrichterlichen Urteiles.
Der Kläger hat diese Entscheidung mit Revision angefochten, in der die Revisionsgrunde des § 503 Z. 2 und 4 ZPO. geltend gemacht werden.
Die Revision blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen des Obersten Gerichtshofes:
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wird darin erblickt, daß die beiden unteren Instanzen es unterlassen haben, die Beklagte als Partei einzuvernehmen.
Das Erstgericht hat Beweis durch Parteienvernehmung über die Berechtigung des Widerspruches der Beklagten zugelassen. Bei der Beweistagsatzung ist nur der Kläger erschienen, die Beklagte hat durch ihren Prozeßbevollmächtigten die Erklärung abgegeben, daß sie auf ihre Einvernahme als Partei verzichte. Obwohl der Kläger erklärt hat, auf der Einvernahme der Beklagten zu bestehen, ist das Erstgericht sofort mit Urteilsfällung vorgegangen.
Dieser Vorgang kann nicht als rechtswidrig bezeichnet werden. Gemäß § 12 der Verordnung RGBl. Nr. 283/1897 kann im Ehetrennungs- (nunmehr Ehescheidungs-) Verfahren ein Ehegatte, der der richterlichen Aufforderung zu einer Einvernehmung keine Folge leistet, sofern sein Erscheinen für die Feststellung der für die Aufhebung (jetzt Scheidung) der Ehe angeführten Gründe von Wichtigkeit ist, durch Androhung oder Verhängung von Ordnungsstrafen zum Erscheinen genötigt werden. Ein Zwang, sich als Partei vernehmen zu lassen, ist auch im Eheverfahren nicht vorgesehen. Hier gelten die Grundsätze des allgemeinen Prozeßrechtes nach § 381 ZPO. Es liegt im Ermessen des Gerichtes, ob es von der Ermächtigung des § 12 der Verordnung RGBl. Nr. 283/1897 Gebrauch machen oder davon absehen will, zumal dann, wenn das Gericht den Eindruck gewonnen hat, daß die nichterschienene Partei auch bei zwangsweisem Erscheinen von ihrem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machen wird.
Diese Ermessensentscheidung ist vom Berufungsgericht überprüfbar. Wenn das Berufungsgericht, wie diesmal, die Auffassung des Erstgerichtes gebilligt und keine Veranlassung gesehen hat, den Beweis durch Parteienvernehmung zu wiederholen und das Erscheinen der im erstinstanzlichen Verfahren nicht erschienenen Partei zu erzwingen, so ist diese Frage auch für das Revisionsverfahren abschließend entschieden, weil das Revisionsgericht nur Mängel des Berufungsverfahrens wahrnehmen kann, nicht aber angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die das Berufungsgericht für nicht gegeben erachtet hat. Das Gegenteil würde dem Grundsatz widersprechen, daß immer nur einmal - in der nächsthöheren Instanz - überprüft werden darf, ob ein Verfahrensmangel vorliegt.
In dem Unterlassen der Wiederholung der Parteienvernehmung durch das Berufungsgericht und dem Unterlassen der Anordnung des zwangsweisen Erscheinens der Beklagten kann daher ein Mangel im Sinne des § 503 Z. 2 ZPO. nicht erblickt werden.
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