OGH 2Ob68/81

OGH2Ob68/8119.10.1982

SZ 55/154

Normen

ZPO §268
ZPO §268

 

Spruch:

Der Zivilrichter ist an ein verurteilendes Straferkenntnis insoweit gebunden, als er von einem zivilrechtlichen Verschulden des Verurteilten ausgehen muß; eine darüber hinausgehende Bindung an die rechtliche Beurteilung des Strafgerichtes besteht nicht, so auch nicht an die Annahme des Strafgerichtes, dem bei einem Verkehrsunfall Verletzten falle eine Vorrangverletzung zur Last

OGH 19. Oktober 1982, 2 Ob 68/81 (OLG Linz 4 R 154/80; LG Linz 3 Cg 60/79)

Text

Am 28. 11. 1977 gegen 7 Uhr stieß der Kläger mit seinem Motorfahrrad auf der Kreuzung Linz, L-Straße - F-Weg, mit dem vom Erstbeklagten gelenkten und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten VW-Kastenwagen, Kennzeichen L 15.048, zusammen, wodurch er schwere Verletzungen erlitt und an seinem Fahrzeug Schäden entstanden. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles vom Bezirksgericht Linz im Verfahren 16 U 2280/77 rechtskräftig des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB schuldig gesprochen.

In der Klage behauptet der Kläger das Alleinverschulden des Erstbeklagten am Unfall und begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes bzw. gestützt auf § 63 KFG 1967 von den beklagten Parteien die Zahlung eines Schmerzensgeldes von restlich 119 000 S samt Anhang (rechtskräftiger Zuspruch im Strafverfahren 1000 S) sowie den Ersatz seines Fahrzeugschadens von 10 500 S samt Anhang. Weiters stellt er ein Feststellungsbegehren, wonach ihm die beklagten Parteien, die zweitbeklagte Partei beschränkt auf die Versicherungssumme, für alle zukünftigen Schäden aus diesem Unfall zu haften haben.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung. Der Kläger habe vorschriftswidrig mit seinem Motorfahrrad den Radweg befahren und das angezeigte Einbiegemanöver des auf der Hauptfahrbahn fahrenden Erstbeklagten nicht beachtet, weshalb ihn ein erhebliches Mitverschulden am Unfall treffe. Der beanspruchte Schmerzensgeldbetrag sei überhöht.

Das Erstgericht sprach dem Kläger einen Betrag von 85 625 S samt Anhang zu und gab seinem Feststellungsbegehren im Ausmaß von drei Vierteln statt. Das Mehrbegehren wies es ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest: Der F-Weg mundet in den stadteinwärts führenden, 10.6 m breiten Ast der L-Straße von rechts ein. An die Fahrbahn der L-Straße schließt ein 2.6 m breiter, mit Alleebäumen besetzter Grünstreifen, sodann ein 2 m breiter Radweg und schließlich ein von diesem durch eine erhöhte Bordsteinkante abgegrenzter 3 m breiter Gehsteig an. Der Erstbeklagte fuhr bei Morgendämmerung auf dem rechten Fahrstreifen der L-Straße in einer Fahrzeugkolonne mit geringem Fahrtempo, verkehrsbedingt immer wieder anhaltend, stadteinwärts und hatte am VW-Kastenwagen Abblendlicht eingeschaltet. Zirka 10 bis 15 m vor der Kreuzung mit dem F-Weg schaltete er, sehr langsam fahrend, den rechten Blinker ein und bog in der Folge nach rechts in den F-Weg ein. Dabei konnte er aus seiner normalen Sitzposition den Radweg nicht einsehen; hiezu hätte er sich vom Sitz erheben und nach rechts bis zur Mitte der Windschutzscheibe vorbeugen müssen. Der Kläger war mit seinem Motorfahrrad, an welchem ebenfalls Abblendlicht eingeschaltet war, zirka 150 m vor der genannten Kreuzung auf den dort beginnenden Radweg aufgefahren, hielt eine Geschwindigkeit von zirka 40 km/h und einen Seitenabstand von zirka 80 cm zum linken Rand des Radweges ein, bemerkte die auf der L-Straße stadteinwärts und langsamer als er selbst fahrende Fahrzeugkolonne, schenkte den sich der Kreuzung nähernden Fahrzeugen derselben aber keine Beachtung, übersah auch den rechten Blinker am VW-Kastenwagen und bemerkte dieses Fahrzeug erst, als es bereits sein Einbiegemanöver durchführte. Er unternahm einen Brems- und Ausweichversuch, konnte aber einen Zusammenstoß nicht mehr verhindern, sondern fuhr frontal gegen das einbiegende Fahrzeug unmittelbar hinter dessen vorderer Stoßstange. Erst durch den Anstoß aufmerksam gemacht, bremste auch der Erstbeklagte den von ihm mit einer Geschwindigkeit von 14 bis 17 km/h gelenkten Kastenwagen ab und kam nach 5.5 bis 6 m zum Stillstand. Er hatte bis zum Anstoßzeitpunkt insgesamt zirka 4, 5 Sekunden lang seinen rechten Blinker betätigt gehabt; dieser Vorgang hätte auch vom Kläger über eine Fahrstrecke von 45 m ohne weiteres wahrgenommen werden können, da dessen Sicht durch die Alleebäume nur ganz unwesentlich behindert war. Der Anhalteweg für den Kläger betrug zwischen 21.5 und 23.5 m.

In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf das gemäß § 268 ZPO das Zivilgericht bindende rechtskräftige strafgerichtliche Urteil, wonach der Erstbeklagte den Unfall dadurch verschuldet habe, daß er im Zuge seines Einbiegens den im Vorrang befindlichen Kläger niedergestoßen und schwer verletzt habe. Den Erstbeklagten treffe daher ein Verschulden am Unfall. Der Kläger habe zwar seinerseits gegen die Bestimmung des § 69 Abs. 1 StVO 1960, wonach mit Motorfahrrädern ausschließlich die Fahrbahn zu benützen sei, verstoßen, doch diene diese Vorschrift nur dem Schutze von Radfahrern, weshalb es diesbezüglich am Rechtswidrigkeitszusammenhang mangle. Dennoch sei dieses rechtswidrige Verhalten aber insoweit beachtlich, als es eine Berufung auf den Vertrauensgrundsatz nach § 3 StVO ausschließe, weshalb sich der Kläger auf die Wahrung seines Vorranges nicht habe verlassen dürfen. Er habe dem vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeug, an welchem auch Blinkzeichen abgegeben worden seien, aber keinerlei Beachtung geschenkt, sei also unaufmerksam gefahren und müsse demgemäß ein Mitverschulden am Unfall tragen, welches mit einem Viertel auszumessen sei. Das Schmerzensgeldbegehren erscheine mit einem Betrag von insgesamt 105 000 S gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung der Teilzahlung von 1000 S ergäbe sich somit einschließlich des Ersatzes für Sachschaden ein Zuspruch von 85 625 S und eine Berechtigung des Feststellungsbegehrens im Ausmaß von drei Vierteln.

Das Berufungsgericht gab der auf Zugrundelegung eines Mitverschuldens des Klägers von zwei Dritteln und eines Schmerzensgeldes von lediglich 37 500 S gerichteten Berufung der beklagten Parteien nicht, dagegen jener des Klägers Folge und der Klage zur Gänze statt.

Es vertrat ebenfalls die Auffassung, daß der Kläger im Vorrang gewesen sei, wobei es zusätzlich auf den seiner Meinung nach diesbezüglich bindenden Schuldspruch des Strafgerichtes verwies. Der Kläger habe daher weder nach § 19 Abs. 6 StVO noch nach § 68 Abs. 2 StVO auf die von der L-Straße kommenden, nach rechts einbiegenden Fahrzeuge Rücksicht nehmen müssen. Auch der Umstand, daß er entgegen den Bestimmungen des § 8 Abs. 4, § 69 Abs. 1 StVO mit dem Motorfahrrad den Radweg benützt habe, sei unerheblich, da der entstandene Schaden vom Schutzzweck der Verbotsnorm nicht erfaßt werde, zumal nicht angenommen werden könne, daß die Verweisung von Motorfahrrädern auf die für den Fahrzeugverkehr bestimmte Fahrbahn dazu dienen sollte, den Lenkern anderer Kraftfahrzeuge das Überqueren der Radwege zu erleichtern. Die Geschwindigkeit des Klägers von 40 km/h habe sich schon deswegen nicht auswirken können, weil der Erstbeklagte auf allfällige auf dem Radweg kommende Fahrzeuge überhaupt nicht geachtet habe. Schließlich sei der Kläger aber entgegen der Meinung des Erstgerichtes auch nicht zur Beachtung des Blinkzeichens des Erstbeklagten verpflichtet gewesen, weil er auf die Wahrung seines Vorranges jedenfalls habe vertrauen dürfen. Seine eigene vorschriftswidrige Fahrweise stehe dem mangels eines Zusammenhanges mit dem eingetretenen Erfolg nicht entgegen. Somit habe der Erstbeklagte, der bei seinem Einbiegemanöver gemäß § 11 Abs. 1 StVO andere Straßenbenützer nicht gefährden oder behindern habe dürfen, den Unfall allein verschuldet.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten teilweise Folge und änderte die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin ab, daß er dem Kläger einen Betrag von 42 500 S samt Anhang zusprach und seinem Feststellungsbegehren in Ansehung eines Drittels seiner zukünftigen Schäden aus diesem Verkehrsunfall stattgab, das Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren aber abwies.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der OGH hat bereits in seinen Entscheidungen 2 Ob 154/80 und 8 Ob 49/82 ausgesprochen, daß ein abbiegender Kraftfahrzeuglenker nicht mit einem der Vorschrift des § 8 Abs. 4 StVO widersprechenden Befahren eines Radfahrstreifens durch Kraftfahrzeuge - im Falle der Entscheidung 8 Ob 49/82 ebenso wie im vorliegenden Fall durch ein Motorfahrrad - rechnen muß. Auf den Schutzzweck der vorgenannten Norm kommt es dabei nicht an. In gleicher Weise, in der etwa der Lenker eines Kraftfahrzeuges, der eine Einbahnstraße entgegen der zulässigen Richtung befährt (ZVR 1979/34 ua.) oder der aus einer Straße mit allgemeinem Fahrverbot kommt (ZVR 1975/24 ua.) für sich keinen Vorrang in Anspruch nehmen kann, weil er damit rechnen muß, daß die Lenker anderer Fahrzeuge darauf vertrauen, daß aus dieser Straße bzw. Richtung kein Fahrzeug kommt, kann auch der auf einem Radfahrstreifen bzw. Radweg fahrende Lenker eines Kraftfahrzeuges keinen Vorrang beanspruchen, weil eben die anderen Verkehrsteilnehmer damit rechnen können, daß derartige Verkehrsflächen nicht entgegen der Vorschrift des § 8 Abs. 4 StVO von Kraftfahrzeugen befahren werden. Der Umstand, daß sich auf dem Radweg ein Fahrrad hätte nähern können, ist für die Vorrangfrage ohne Bedeutung, wenn ein solches Fahrzeug tatsächlich nicht vorhanden war, weil das Fahrverhalten nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Verkehrslage zu beurteilen ist.

Somit kann sich im vorliegenden Fall der Kläger nicht darauf berufen, daß ihm der "Vorrang" gegenüber dem nach rechts einbiegenden Erstbeklagten zugekommen sei. Entgegen der Ansicht der Unterinstanzen besteht in dieser Frage auch keine Bindung an das rechtskräftige strafgerichtliche Urteil, welches dem Erstbeklagten eine solche Vorrangverletzung anlastete. § 268 ZPO ordnet an, daß der Richter in Fällen, in denen die Entscheidung von dem Beweise und der Zurechnung einer strafbaren Handlung abhängt, an den Inhalt eines hierüber ergangenen rechtskräftigen verurteilenden Erkenntnisses gebunden ist. Der Umfang dieser Bindung wird durch die Erläuterungen der Regierungsvorlage (688 Blg. Sten. Prot. Abg. XI 1898, §§ 278 bis 284, S 264 f.) wie folgt klargestellt: "Was die Frage betrifft, welcher Einfluß einer mittels Strafurteil erfolgten Tatsachenfeststellung auf die Beweisführung im Zivilprozeß einzuräumen sei, beschränkt sich der Entwurf darauf, den Inhalt des über die bezügliche Tatsache ergangenen, verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses als für den Zivilrichter bindend zu erklären. Wenigstens in diesen Grenzen Widersprüche zwischen zivilgerichtlichen und strafrichterlichen Erkenntnissen hintanzuhalten, wird durch wichtige rechts- und legislativpolitische Gründe gefordert ... so kann es weder für notwendig noch für wünschenswert erachtet werden, nach durchgeführtem Strafprozeß eine Wiederholung des ganzen Beweisverfahrens vor dem Zivilgerichte und damit gewissermaßen eine Überprüfung des Strafprozesses durch den Zivilrichter zuzulassen. Hingegen ist das Beweisverfahren im Strafprozeß ein so eindringliches und freies, der Strafrichter mit der Beurteilung der Tatsachenwahrheit und mit der Sachverhaltsfeststellung so vertraut, daß seiner Entscheidung über die Wahrheit oder Unwahrheit prozeßerheblicher Tatsachen volle Verläßlichkeit innewohnt. Die Gleichheit der Beweisgrundsätze, welche fortan in beiden Arten des gerichtlichen Verfahrens herrschen soll "macht dieses Herüberwirken der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellung noch begreiflicher."

In diesem Sinne der Vermeidung einer Diskrepanz zwischen der strafgerichtlichen und zivilgerichtlichen Entscheidung (vgl. auch Fasching, ZVR 1958/65) wird § 268 ZPO von der ständigen Judikatur dahin ausgelegt, daß die bindende Wirkung des strafgerichtlich verurteilenden Erkenntnisses soweit besteht, als darin eine strafbare Handlung erwiesen und einer bestimmten Person zuzurechnen ist und ein kausaler Zusammenhang zwischen der strafbaren Handlung und dem zugefügten Schaden vorliegt (Neumann[4] II 987; SZ 24/307; 3 Ob 13/59 uva., zuletzt 3 Ob 557/80; 8 Ob 176/81). Der Zivilrichter muß demnach in seinem Urteil im Tatsachenbereich die vom Strafrichter getroffenen Feststellungen über die tatsächlichen Handlungen und Unterlassungen des Verurteilten und ihre Kausalität für den Schadenserfolg zugrunde legen, kann also keinen abweichenden, wohl aber einen weiteren Sachverhalt (vgl. Fasching III Anm. 2 bis 6, 9 bis 12 zu § 268; SZ 23/385; SZ 42/84; ZVR 1972/27 uva.) feststellen. Er muß darüber hinaus bei seiner rechtlichen Beurteilung von einem zivilrechtlichen Verschulden des Verurteilten ausgehen, weil eine strafbare Handlung oder Unterlassung Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzt (§§ 5, 6 StGB) und bei einer strafgerichtlichen Verurteilung somit im Sinne des § 1294 ABGB ein zivilrechtliches Verschulden an der schädigenden Handlung oder Unterlassung feststeht. In welchem Ausmaß diese vom Strafgericht festgestellte schuldhafte Handlung oder Unterlassung zum Schadenserfolg beigetragen hat, ob sie allein dafür maßgebend war oder inwieweit der Schadenserfolg auch aus Verschulden des Beschädigten eingetreten ist, diesen also ein Mitverschulden trifft, hat der Zivilrichter aber bereits wieder selbständig zu entscheiden (Neumann aaO 988; Fasching III Anm. 10 zu § 268; SZ 41/8; JBl. 1962, 387; JBl. 1979, 597; 2 Ob 250/77; 8 Ob 189/81 ua.).

Vorliegendenfalls hat das Strafgericht den Erstbeklagten rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen körperlichen Beschädigung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB schuldig erkannt. Daraus folgt auf Grund der Bindungswirkung, daß den Erstbeklagten ein Verschulden am Unfall trifft. Weiters hat das Strafgericht hinsichtlich des tatsächlichen Verhaltens des Erstbeklagten als erwiesen angenommen, daß er beim Einbiegen nach rechts mit dem neben der Fahrbahn (= auf dem Radweg) mit seinem Motorfahrrad geradeausfahrenden Kläger zusammengestoßen ist, wodurch dieser schwer verletzt wurde. Auch hinsichtlich dieser Tatsachenfeststellungen besteht demgemäß Bindung.

Die im Spruche des Strafurteils enthaltene Ausführung, der Kläger habe sich im Vorrang befunden, stellt keine Tatsachenfeststellung, sondern eine rechtliche Schlußfolgerung dar. Auf diese bezieht sich iS der obigen Darlegungen die Bindungswirkung des § 268 ZPO nicht. Rechtsfragen hat das Zivilgericht selbstständig zu lösen. Demgemäß wurde zB in der Entscheidung SZ 28/117 ausgesprochen, die Bejahung der Rechtsfrage, ob jemand Arbeiteraufseher iS des § 899 Abs. 1 RVO war, hänge davon ab, ob ihm die Überwachung der Arbeit anderer Arbeiter und die Befugnis, selbständig Anordnungen zu treffen, übertragen gewesen sei. Da eine solche Übertragung im zugrunde liegenden Fall durch das Strafgericht bindend festgestellt worden sei, weil es die Tatsache, der Beklagte habe diese Befugnisse gehabt, zugrunde gelegt habe, sei die Qualifikation als Arbeiteraufseher vom Zivilgericht zu bejahen. In der Entscheidung 2 Ob 49/64 wurde erklärt, die Rechtsfrage, ob der Beklagte auf den Vorrang verzichtet habe, sei vom Zivilrichter zu bejahen, wenn der Beklagte ein Verhalten an den Tag gelegt habe, das gemeiniglich als Vorrangverzicht zu beurteilen sei. Das Strafgericht habe festgestellt, daß er sein Fahrzeug wenige Meter vor der Fahrbahn der Landesstraße angehalten habe; an diese Feststellung sei das Zivilgericht gemäß § 268 ZPO jedenfalls gebunden. In der Entscheidung 8 Ob 104/72 wurde darauf hingewiesen, daß bei der Beurteilung einer Vorrangverletzung nach § 19 Abs. 5 StVO 1960 hinsichtlich der Annäherungsgeschwindigkeit und der Entfernung der beteiligten Fahrzeuge im Zeitpunkt des Beginnes des Linksabbiegens des einen der beiden Bindung des Zivilrichters an die strafgerichtlichen Feststellungen bestehe. Aus der Entscheidung ZVR 1974/121 folgt letztlich ebenfalls, daß die Bindung an die vom Strafgericht zugrunde gelegten Vorrangverhältnisse ausgehend von der vom Strafgericht festgestellten Art und Weise der Beschilderung, nämlich die Aufstellungsorte und Art der aufgestellten Verkehrszeichen, angenommen wurde. Lediglich in den Entscheidungen 2 Ob 336/67 und 2 Ob 35/74 wurde auf die vom Strafgericht zugrunde gelegte Vorrangverletzung als solche abgestellt. Die Frage, wie vorliegendenfalls der vom Strafgericht festgestellte Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt der Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung rechtlich zu qualifizieren ist, unterliegt somit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen als Rechtsfrage jedenfalls der selbständigen rechtlichen Beurteilung des Zivilgerichtes (Fasching III Anm. 10 zu § 268; vgl. weiters SZ 24/307, EvBl. 1974/84; ZVR 1976/77; ZVR 1978/30 uva.). Auf der Grundlage der vom Strafgericht bei seinem Schuldspruch angenommenen Unfallsörtlichkeit und tatsächlichen Fahrweise der beiden Fahrzeuglenker folgt hier aber rechtlich iS der diesbezüglichen obenstehenden Ausführungen, daß der Erstbeklagte einen Vorrang des Klägers nicht verletzt hat, weil diesem ein solcher nicht zukam. In welchem Ausmaß das bindend festgestellte schuldhafte Verhalten des Erstbeklagten aber dennoch zum Schadenseintritt beigetragen hat, ist durch Gegenüberstellung des beiderseitigen Fahrverhaltens der Fahrzeuglenker zu bestimmen. Dabei ist davon auszugehen, daß der Kläger wegen seiner verbotswidrigen Benützung des Radweges den F-Weg nur unter besonderer Bedachtnahme auf den dortigen Verkehr überqueren hätte dürfen. Tatsächlich ist er jedoch, ohne auf die für ihn auf einer Fahrstrecke von 45 m und während einer Zeit von 4 bis 5 Sekunden wahrnehmbaren Blinkzeichen am Fahrzeug des Erstbeklagten zu achten, mit unverminderter Geschwindigkeit von 40 km/h an die Fahrbahn des F-Weges herangefahren, um diese zu überqueren, und hat erst zu einem Zeitpunkt reagiert, als ihm eine unfallsverhindernde Maßnahme nicht mehr möglich war. Dagegen konnte der Erstbeklagte bei seinem Einbiegevorgang aus seiner normalen Sitzposition den sich nähernden Kläger nicht wahrnehmen; hiezu hätte er sich erheben und zur Seite beugen müssen. Ob er sodann aus der vom Kläger bei seiner Annäherung eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h auf dessen mangelnde Anhaltebereitschaft schließen und seinerseits noch rechtzeitig unfallsverhindernd reagieren hätte können, braucht aber nicht geprüft zu werden. Im Hinblick darauf, daß der Kläger den Radweg unzulässigerweise benützte und damit eine bei der Verschuldensteilung jedenfalls besonders ins Gewicht fallende Vorschriftswidrigkeit begangen hat, könnte dem Erstbeklagten nämlich auch im Falle der Unterlassung einer möglichen Abwehrreaktion kein höheres als das von den beklagten Parteien zugestandene Mitverschulden von einem Drittel angelastet werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte