OGH 8Ob601/86

OGH8Ob601/8628.8.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache der am 19.März 1979 geborenen Barbara L***, infolge Revisionsrekurses des Vaters Hermann L***, ÖBB-Bediensteter, Ziegeleistraße 40, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Dieter Havranek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 30.Mai 1986, GZ 1 R 226/86-56, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 9.April 1986, GZ 1 P 396/81-51, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Barbara L*** entstammt der am 5.März 1982 geschiedenen Ehe des Hermann L*** und der Gertraud P***. In dem anläßlich der Ehescheidung abgeschlossenen Vergleich vereinbarten die Eltern der Minderjährigen, daß alle elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Minderjährigen in Hinkunft der Mutter allein zustehen. Diese Vereinbarung wurde pflegschaftsgerichtlich auch genehmigt.

Am 5.September 1984 stellte Hermann L*** den Antrag, der Mutter der Minderjährigen die elterlichen Rechte und Pflichten "abzuerkennen" und diese ihm zuzuerkennen, weil ein weiteres Verbleiben der Minderjährigen bei ihrer Mutter die Minderjährige konkret gefährde. Gertraud P*** sei in einem Lokal beschäftigt, in dem Prostituierte verkehren. Die Minderjährige lebe mit ihrer Mutter im Bahnhofshotel in Klagenfurt, wo sie sich zwichen Prostituierten, Zuhältern und Betrunkenen aufhalten müsse. Herbert P***, den die Mutter der Minderjährigen am 6.Februar 1985 geheiratet hat, sei als Zuhälter tätig.

Gertraud P*** wendete dagegen ein, daß das Lokal, in dem sie arbeite, von dem im selben Haus befindlichen Bordell völlig getrennt und den Prostituierten der Zutritt dorthin verboten sei. Die Minderjährige habe keinen Kontakt zu den Gästen. In ihrer Freizeit widme sie sich ihrer Tochter. Ihr Ehegatte, Herbert P***, sei zwar vorbestraft und früher Zuhälter gewesen. Er habe jedoch mit seiner Vergangenheit "Schluß gemacht" und gehe nunmehr einer geregelten Arbeit nach.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab, wobei es von folgenden Feststellungen ausging:

Zur Zeit der Antragstellung bis ca. zum Jahreswechsel 1984/85 arbeitete Gertraud P*** im Cafe-Restaurant "A*** D***" am Bahnhof. Dieses Cafe war von dem im selben Haus befindlichen Bordell getrennt. Die Mutter arbeitete im Cafehaus zwischen 7,00 Uhr und 16,00 Uhr bzw. 17,00 Uhr, am Wochenende war das Lokal meist geschlossen. Gertraud P*** bewohnte zu dieser Zeit mit Reinhard S*** und ihrer Tochter im dritten Stock ein kleines Zimmer, in welchem drei Betten untergebracht waren. Die Wohnsituation in diesem Zimmer war für die Minderjährige nicht ideal. Die übrigen Zimmer des dritten Stockes waren im Oktober 1984 unbewohnt. Untertags besuchte die Minderjährige von September 1984 bis kurz vor Ostern 1985 den Kindergarten DON B*** in St. Ruprecht. Dort war sie in der Gruppe gut integriert und zeigte sich unauffällig. Sie wurde in der Früh von einem Taxi pünktlich zum Kindergarten gebracht und gegen 16,20 Uhr von dort wieder abgeholt. Nach dem Kindergarten widmete sich die Mutter der Minderjährigen. Gegen 19,00 Uhr wurde sie von der Mutter ins Bett gebracht. Danach arbeitete Gertraud P*** noch kurz im Cafehaus. Etwa im Herbst 1984 blieb Gertraud P***, nachdem sie ihre Tochter zu Bett gebracht hatte, noch bis ca. 1,00 Uhr oder 2,00 Uhr nachts im Lokal, da Reinhard S***, ihr Geschäftspartner, beim Bundesheer war. Etwa Anfang Dezember 1984 zog Gertraud P*** mit ihrer Tochter und Herbert P***, den sie am 6.2.1985 heiratete, in eine Wohnung in der St. Ruprechter Straße 20 in Klagenfurt, bestehend aus zwei Zimmern, Küche sowie Bad mit WC. In dieser Wohnung bewohnt die Minderjährige ein Zimmer alleine. Im Frühjahr 1985 hielt sich Gertraud P*** mit ihrer Tochter in Bleiburg bei ihrer Ziehmutter auf. Während dieser Zeit befand sie sich jedoch zeitweise tagsüber in Klagenfurt. Bis etwa Herbst 1985 arbeitete sie fallweise bei ihrem Bruder Dietmar S*** als Marktfirantin. Am 25.11.1985 begann Gertraud P*** mit der Arbeit als Serviererin im Gasthof "W*** R***" in Klagenfurt. Seit 6.2.1986 befindet sich Gertraud P*** im Krankenstand, da sie ein Kind erwartet. Gertraud P*** ist nicht vorbestraft. Sie ist sehr um das Wohl ihrer Tochter bemüht. Sie widmet sich in ihrer Freizeit voll und ganz der Minderjährigen. Herbert P*** ist seit 3.12.1985 als Kellner beschäftigt. Er hat zwölf Vorstrafen, wobei es sich hauptsächlich um Verurteilungen wegen der Vergehen der zum Teil schweren Körperverletzung und um Verstöße gegen das Waffengesetz handelt. Die letzte Verurteilung erfolgte am 16.1.1984, und zwar zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, welche Herbert P*** bereits verbüßt hat. Herbert P*** hielt und hält sich des öfteren in Zuhälterkreisen auf. Eine Verurteilung wegen Zuhälterei ist bisher noch nicht erfolgt. Er unterhält auch nach wie vor Beziehungen zu Prostitiuierten. Herbert P*** bemüht sich jedoch um die Minderjährige und betreut sie auch zeitweise, wenn Gertraud P*** arbeitet. Bekannte und Freunde des herbert P*** verkehren nicht in der Wohnung in der St. Ruprechter Straße 20. Allerdings erhält Gertraud P*** wiederholt Besuche von ihren Verwandten, welche auch ab und zu über Nacht dort bleiben. Der Vater Hermann L*** bewohnt mit seiner Mutter Barbara K*** ein Einfamilienhaus in der Ziegeleistraße Nr.40 in Klagenfurt. Er ist bei den Österreichischen Bundesbahnen in Villach beschäftigt und versieht dort Wechseldienst. Die väterliche Großmutter Barbara K***, geboren 1922, ist Pensionistin, arbeitet jedoch zeitweise als Raumpflegerin - derzeit zweimal wöchentlich für mehrere Stunden. Der Haushalt in der Ziegeleistraße wird von Barbara K*** eher großzügig geführt. Die mj. Barbara befand sich im Herbst 1985 mit Zustimmung ihrer Mutter für die Dauer von etwa zwei Monaten im väterlichen Haushalt; Gertraud P*** nahm die Minderjährige jedoch an jenen Tagen, an welchen sie frei hatte, zu sich. Barbara besucht seit September 1985 die Volksschule in St. Ruprecht, nachmittags ist sie im Hort DON B*** untergebracht. Sie erscheint immer pünktlich und sauber gekleidet zum Unterricht. In der Schule gibt sie sich angepaßt und erzählt ihrer Lehrerin, welche sie verehrt, nie Dinge, die in Zusammenhang mit der Zuhälterei gebracht werden könnten. Ihre schulischen Leistungen sind jedoch als schwach zu bezeichnen. Die mj. Barbara L*** ist ein leicht retardiertes Mädchen mit kleinkindhaften Bewegungsformen bei gut koordinierter Motorik. Sie weist eine im guten Durchschnitt der Altersnorm liegende Begabung von relativ homogener Struktur auf. Sie ist in ihrem mitmenschlichen Beziehungen ein sehr kontaktbereites und unbekümmertes Mädchen. Sie hat sowohl zu ihrem Vater als auch zu ihrer Mutter eine starke Bindung, mag die väterliche Großmutter und Herbert P***. Die Minderjährige weist keinerlei Anzeichen einer frühkindlichen Pflegeschädigung auf. Sie wird von ihrer Mutter und von der väterlichen Großmutter verwöhnt, weshalb eine gewisse Ablehnung gegenüber Herbert P***, der erzieherisch auf das Mädchen wirken will, besteht. Es sind jedoch bei ihr keinerlei Angstsymptome gegenüber Herbert P*** festzustellen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die einmal einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte und Pflichten nur dann auf den anderen Elternteil übertragen werden sollen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet sei bzw. wenn aus wichtigen Gründen im Interesse des Kindes eine solche Entziehung geboten erscheine. Dabei sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, daß das Wohl der Minderjährigen durch das Verhalten ihrer Mutter derzeit nicht gefährdet sei. Die Minderjährige habe sich zwar im Herbst 1984 im Umfang der Prostitution befunden und in ungünstigen Wohnverhältnissen gelebt. Gertraud P*** habe jedoch eine Änderung herbeigeführt, indem sie mit der Minderjährigen in eine Mietwohnung in der St. Ruprechter Straße in Klagenfurt gezogen sei. Vorstrafen des Ehegatten eines Elternteiles seien nur insoweit von Bedeutung, als sie Anlaß zur Annahme geben, daß für das Kind nachteilige Erziehungsreflexe eintreten könnten. Dies sei bei Herbert P*** nicht der Fall. Die Tatsache, daß dieser nach wie vor in Zuhälterkreisen verkehre, reiche für eine Gefährdung nicht aus. Es seien keine Berührungspunkte der Minderjährigen zu Zuhälterkreisen feststellbar. Die Minderjährige befinde sich auch in einem Alter, in welchem Wahrnehmungsprozesse keiner Reflexion zugeführt werden. Die Minderjährige habe sich bisher normal entwickelt.

Der vom Vater gegen den Beschluß des Erstgerichtes erhobene Rekurs blieb erfolglos. Das Rekursgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren für mängelfrei und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs des Vaters aus den Anfechtungsgründen der offenbaren Gesetz- und Aktenwidrigkeit mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Stattgebung des Antrages des Vaters; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Da das Rekursgericht die Entscheidung des Erstgerichtes bestätigte, ist der Beschluß des Rekursgerichtes nur aus den im § 16 AußStrG genannten Gründen anfechtbar, von welchen der Revisionsrekurswerber den der offenbaren Gesetz- und der Aktenwidrigkeit geltend macht.

Zum Anfechtungsgrund der offenbaren Aktenwidrigkeit führt der Rechtsmittelwerber aus, die Feststellungen des Rekursgerichtes, wonach zwar das soziale Umfeld, in dem sich die Mutter der Minderjährigen zum Zeitpunkt der Antragstellung durch Hermann L*** befunden habe, Bedenken erweckt habe, mittlerweile jedoch eine entscheidene Änderung eingetreten sei, die eine Gefährdung des Wohles der Minderjährigen ausschließe, der Besuch der Volksschule durch die Minderjährige erfolge klaglos, es gebe auch keine Probleme in der Beziehung zu Herbert P***, dessen Umgang habe keinerlei Einfluß auf die Minderjährige, daß die Minderjährige in der Schule schwache Leistungen erbringe, sei für sich allein nicht geeignet, eine Gefährdung des Wohles der Minderjährigen anzunehmen, stünde mit den Gutachten des Sachverständigen Dr. Herbert K*** und mit den vom Rekursgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes in Widerspruch.

Dem ist zu erwidern, daß es sich bei den wiedergegebenen Darlegungen aus der Begründung der Entscheidung des Rekursgerichtes gar nicht um tatsächliche Feststellungen handelt, sondern vielmehr um Ausführungen im Rahmen der Erledigung der Rechtsrüge des Rekurses; von einer offenbaren Aktenwidrigkeit kann daher schon aus diesem Grunde keine Rede sein.

In der Rechtsrüge des Revisionsrekurses vertritt der Vater die Auffassung, es lägen die Voraussetzungen für eine Entziehung der Elternrechte der Mutter im Sinne des § 176 Abs 1 ABGB vor, da die Erziehung der Minderjährigen im Zuhältermilieu des Ehegatten der Mutter von schädlichem Einfluß für das Kind sei. Die Gefahren für die Minderjährige bei einem weiteren Heranwachsen in diesem zweifelhaften Milieu würden mit zunehmendem Alter immer größer. Hingegen wäre beim Vater eine störungsfreie und sozial adäquate Erziehung der Minderjährigen gewährleistet.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG liegt nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß keine Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen können und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wird (vgl. SZ 39/103 uva.) oder wenn die Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechtes in Widerspruch steht (vgl. SZ 23/289 uva.). Offenbare Gesetzwidrigkeit kann aber schon begrifflich nicht vorliegen, wenn es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, außer diese verstößt gegen eine klare Gesetzeslage oder sie ist ganz willkürlich und mißbräuchlich (vgl. EvBl 1979/185 ua.). Offenbare Gesetzwidrigkeit liegt auch vor, wenn das Wohl des Kindes ganz außer acht gelassen wird (vgl. EvBl 1979/214 ua.).

Im vorliegenden Fall wurden auf Grund einer pflegschaftsgerichtlich genehmigten Vereinbarung der Eltern alle elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der Minderjährigen der Mutter übertragen. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen diese Rechte nur dann von einem auf den anderen Elternteil übertragen werden, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB n.F. vorliegen; es ist also eher noch ein strengerer Maßstab als bisher anzulegen (SZ 51/136; 8 Ob 587/85 ua.). Durch die Nichtübernahme einer dem § 142 Abs 2 ABGB aF ähnlichen Bestimmung ist deutlich zum Ausdruck gebracht, daß eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) allein zugesprochen werden sollen, nicht bereits bei geringfügigen Veränderungen der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden soll, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, wenn also besonders wichtige Gründe vorliegen und Änderungen dringend geboten sind (EvBl 1979/185; 8 Ob 655/84 ua.). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist zwar nicht geradezu ein Mißbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen, dieser Begriff erfordert aber zumindest, daß die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt werden oder daß durch das Gesamtverhalten des Erziehungsberechtigten das Wohl des Kindes gefährdet wird (SZ 53/142 ua.).

Von all dem kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes entfernte sich die Mutter der Minderjährigen mit dieser und auch ihrem jetzigen Ehegatten bereits Anfang Dezember 1984 aus dem Prostituiertenmilieu. Sie ist sehr um das Wohl ihrer Tochter bemüht und widmet sich in ihrer Freizeit zur Gänze der Minderjährigen.Sie arbeitete bis etwa Herbst 1985 bei ihrem Bruder als Marktfirantin. Am 25.November 1985 nahm sie eine Tätigkeit als Serviererin im Gasthof "W*** R***" in Klagenfurt auf und befindet sich seit 6.Februar 1986 im Krankenstand, weil sie ein Kind erwartet. Auch ihr Gatte Herbert P*** ist seit etwa einem halben Jahr beschäftigt, und zwar als Kellner. Ein Einfluß des Umganges des Herbert P***, der sich des öfteren in Zuhälterkreisen aufhielt und noch aufhält, auf die Minderjährige liegt nach den Feststellungen nicht vor. Entgegen der Auffassung des Revisionsrekurses kann daher im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, daß etwa das Wohl der Minderjährigen von den Vorinstanzen gänzlich und geradezu willkürlich außer acht gelassen worden wäre, was aber, wie oben dargelegt, die Voraussetzung für die Annahme einer offenbaren Gesetzwidrigkeit wäre.

Mangels Vorliegens eines der im § 16 AußStrG genannten Anfechtungsgründe war daher der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

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