OGH 8Ob655/84

OGH8Ob655/8417.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.

 Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache des mj Reinhard S*****, und der mj Marion S*****, infolge der Revisionsrekurse des ehelichen Vaters Raimund S*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 28. August 1984, GZ 1 R 418/84‑44, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 23. Juli 1984, GZ 2 P 325/82‑39, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00655.840.0117.000

 

Spruch:

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Ehe der Eltern der beiden Kinder ist geschieden. Mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 19. 4. 1983 (ON 21) wurde entschieden, dass alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich beider Kinder der Mutter allein zustehen. Seit Anfang April 1984 sind die beiden Kinder mit Zustimmung der Mutter im SOS‑Kinderdorf in Lienz untergebracht.

Der Vater beantragte, die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich beider Kinder der Mutter zu entziehen und ihm zu übertragen. Er begründete dieses Begehren im Wesentlichen damit, dass die Kinder bei ihm besser aufgehoben wären als im SOS‑Kinderdorf unter fremden Leuten. Er lebe zwar derzeit noch mit seiner Mutter, seiner Schwester, deren Tochter und seinem Neffen in einer 50 m 2 großen Wohnung, werde aber bald vom Magistrat Klagenfurt eine eigene Wohnung zugewiesen erhalten. Die Beaufsichtigung der beiden Kinder könne teils durch seine Mutter, teils durch ihn selbst erfolgen. Seine geschiedene Frau sei schon oft in der Nervenklinik gewesen, lasse mehrere Männer bei sich wohnen und halte sich öfter im Gasthaus auf.

Die Mutter sprach sich gegen den Antrag des Vaters aus und führte im Wesentlichen aus, dass dieser die Kinder während der Ehe häufig geschlagen habe, immer wieder betrunken nach Hause gekommen und nur selten einer Arbeit nachgegangen sei. Weder der Vater selbst noch seine Mutter seien in der Lage, die Kinder ordnungsgemäß zu erziehen.

Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab.

Es stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die beiden Kinder wurden nach der Ehescheidung der Eltern im Einverständnis beider Elternteile im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe auf verschiedenen Pflegeplätzen untergebracht, weil sich die Mutter aus gesundheitlichen Gründen und deswegen, weil sie nach der Scheidung wieder einer Arbeit nachging, nicht ausreichend um sie kümmern konnte. Vom 15. 12. 1983 bis Anfang April 1984 befanden sich die Kinder auf der heilpädagogischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt. Seither leben sie im SOS‑Kinderdorf Lienz.

Der Vater lebt in einer ca 50 m² großen Wohnung gemeinsam mit seiner Mutter Theresia S*****, seiner Schwester Gudrun S*****, deren mj Tochter Bernadette S***** und seinem mj Neffen Rene S*****. Von all diesen Personen verfügt nur Theresia S***** über ein geregeltes Einkommen; sie erhält eine Mindestpension. Für den mj Rene S***** wird ein monatlicher Unterhaltsvorschuss von 700 S gewährt.

Der Vater, der in den letzten Jahren nur tageweise einer Beschäftigung nachging, bedarf zur Deckung seines eigenen Lebensbedarfs oft der Hilfe des Sozialamts. Infolge von Strafhaften und längerer selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit hat er Schwierigkeiten, sein eigenes Leben zu bewältigen. Er hält seine derzeitigen häuslichen Verhältnisse für ideal und spricht über seine Verdienstmöglichkeiten, will aber nicht wahrhaben, dass seine Vorstellungen nicht der Realität entsprechen, da er nichts tut, was zu einer Verbesserung seiner Situation führen könnte. Seine am 29. 5. 1984 aufgestellte Behauptung, er werde in ca zwei Wochen vom Magistrat Klagenfurt eine eigene Wohnung zugewiesen erhalten, stellte sich als unrichtig heraus; er wohnt nach wie vor unter den dargestellten Verhältnissen.

Die Mutter des Vaters ist mit der Betreuung ihrer beiden Enkelkinder Rene S***** und Bernadette S***** voll ausgelastet.

Das Stadtjugendamt Klagenfurt spricht sich aufgrund der von ihm durchgeführten Erhebungen gegen die Übertragung der elterlichen Rechte und Pflichten auf den Vater aus.

Am 15. 2. 1984 erstellte Dr. B***** rein heilpädagogisches Gutachten über die beiden Kinder. Aus diesem ergibt sich, dass sich die Besuche der Eltern und der Mutter des Vaters negativ auf die Persönlichkeit und das Verhalten der Kinder auswirkten. Die Eltern versuchten dabei nur, mit Geschenken auf die Kinder Einfluss zu nehmen.

Die Mutter zeigte ehrliches Bemühen um ihre Kinder.

Aufgrund ihrer psychischen, körperlichen und materiellen Situation ist sie derzeit aber nicht in der Lage, die Kinder allein und konsequent positiv zu versorgen, weshalb die Unterbringung der Kinder auf einem geeigneten Pflegeplatz erforderlich ist, um damit die persönliche Betreuung der Kinder im Kleinfamilienmilieu, die für eine weitere positive Entwicklung der Kinder notwendig ist, zu gewährleisten. Die Mutter lebt mit einem Lebensgefährten zusammen, mit dem sie sich sehr gut versteht. Später, wenn die Kinder älter sind und die Situation sich wieder mehr beruhigt haben wird, will sie ihre Arbeit aufgeben, wieder zu Hause bleiben und wieder selbst ihre Kinder betreuen. Sie ist zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bereit und mit der Unterbringung der Kinder im SOS‑Kinderdorf in Lienz einverstanden.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass eine Abänderung einer im Sinne des § 177 ABGB getroffenen Entscheidung nur dann zu erfolgen habe, wenn durch eine solche Entscheidung eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs‑ und Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder zu erwarten sei und wenn zwingende Gründe für einen derartigen Wechsel der Erziehungsrechte gegeben seien. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu. Der Vater könne seinen beiden Kindern weder eine ordnungsgemäße Wohnstätte bieten noch ausreichend für ihren Unterhalt sorgen. Auch seine Mutter sei mit der Betreuung ihrer beiden weiteren Enkelkinder voll ausgelastet. Die Mutter gehe einem geregelten Leben nach. Die vom Vater behaupteten Männerbekanntschaften und häufigen Gasthausbesuche seien ihr nicht nachzuweisen. Auch wenn sie derzeit infolge ihrer psychischen, körperlichen und materiellen Situation nicht in der Lage sei, ihre Kinder selbst zu erziehen und die Kinder daher vorübergehend besser auf einem geeigneten Pflegeplatz untergebracht seien, gefährde die Mutter damit nicht ihr Wohl. Der Antrag des Vaters sei daher abzuweisen.

Dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss keine Folge.

Es führte im Wesentlichen aus, dass nach einer erfolgten Zuteilung der Elternrechte eine Änderung der getroffenen Regelung nur unter den Voraussetzungen des § 176 ABGB möglich sei; dabei sei ein strenger Maßstab anzulegen. Eine Änderung sei nur dann durchzuführen, wenn eine Gefährdung der Kinder durch den erziehungsberechtigten Elternteil vorliege oder wenn durch eine solche Änderung aus besonderen Umständen eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs‑ und Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder zu erwarten sei.

Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu. Der Vater müsse in seinem Rekurs selbst einräumen, dass er derzeit wieder arbeitslos sei und von einer Sozialhilfe von 280 S monatlich und von Gelegenheitsarbeiten für Nachbarn und Freunde lebe. Seine festgestellten Wohnverhältnisse ließen eine gedeihliche Entwicklung der Kinder nicht erwarten. Wenn der Vater eine Änderung seiner Verhältnisse in Aussicht stelle, wonach er seinen Unterhalt und den der Kinder durch ein Schulgeld von 3.000 S, das er durch den Besuch der Handelsakademie für Berufstätige erhalten wolle, den Kinderzuschuss und die Familienbeihilfe decken werde und wonach er vom Magistrat Klagenfurt eine neue Wohnung zu bekommen erwarte, wenn ihm die Kinder überlassen würden, handle es sich um wenig realitätsbezogene Vorstellungen. Derartige durch nichts erhärtete Erwartungen seien keine geeignete Grundlage für die Annahme, dass ein Wechsel in der Erziehungsberechtigung eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungs‑ und Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder erwarten lasse.

Auch ein Beschluss nach § 176 ABGB habe ausschließlich auf das Wohl der Kinder Bedacht zu nehmen. Voraussetzung für eine solche Entscheidung sei somit eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Mutter und die konkret begründete Erwartung einer wesentlichen Verbesserung der Lage für die Kinder. Davon könne aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Die Mutter sei um ihre Kinder bemüht und zur Zusammenarbeit mit dem Jugendamt bereit. Die Kinder seien mit Zustimmung der Mutter vom Jugendamt im Kinderdorf in Lienz unterbracht worden. Eine Änderung dieser Situation wäre mit Rücksicht auf die Verhältnisse beim Vater dem Kindeswohl abträglich.

Diese Entscheidung des Rekursgerichts wurde dem Vater am 13. 9. 1984 zugestellt. Frühestens am 9. 11. 1984 langte ein als „neuerlicher Rekurs“ bezeichnetes mit 8. 11. 1984 datiertes Schreiben des Vaters beim Erstgericht ein, mit dem er erkennbar den Beschluss des Rekursgerichts mit dem Antrag bekämpfte, ihn dahin abzuändern, dass die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der beiden Kinder an ihn überragen werden. Am 3. 12. 1984 gab der Vater beim Erstgericht einen gegen die Entscheidung des Rekursgerichts gerichteten Revisionsrekurs zu Protokoll, in dem er ausdrücklich den Antrag stellte, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich beider Kinder ihm übertragen werden.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsmittel sind zurückzuweisen.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass zunächst die Zulässigkeit und dann erst die Rechtzeitigkeit eines Rekurses zu prüfen ist (7 Ob 567, 568/79; 8 Ob 564/83; 8 Ob 539/84 uva).

Gemäß § 16 Abs 1 AußStrG findet gegen eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichts nur im Falle einer offenbaren Gesetz‑ oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt.

Das Vorliegen der Rechtsmittelgründe der Nichtigkeit oder der Aktenwidrigkeit wird in den Rechtsmitteln des Vaters nicht behauptet und ergibt sich auch aus der Aktenlage nicht.

Aber auch eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG wird mit den Rechtsmittelausführungen des Vaters nicht aufgezeigt. Eine solche liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn ein Fall im Gesetz ausdrücklich und so klar gelöst ist, das kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (SZ 39/103 uva).

Es entspricht Lehre und ständiger Rechtsprechung, dass die einem Elternteil zuerkannten rein persönlichen Rechte und Pflichten aus dem Eltern‑ und Kindesverhältnis nur dann auf den anderen zu übertragen sind, wenn die Voraussetzungen des § 176 Ab 1 ABGB vorliegen; es müssen hiefür besonders wichtige die Änderung rechtfertigende Gründe gegeben sein ( Gschnitzer , Familienrecht 2 106; SZ 51/136; EFSlg 33.600; 1 Ob 740/83 uva). Das Rekursgericht hat unter Zugrundelegung dieser Rechtsansicht den festgestellten Sachverhalt geprüft und kam dabei zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall derartige wichtige Gründe nicht vorliegen. Der Vater zeigt weder auf, dass das Rekursgericht bei seiner Entscheidung den ihm eingeräumten Ermessensspielraum überschritten noch die im Gesetz normierten Kriterien für die Beachtung des Kindeswohls (§ 178a ABGB) vernachlässigt hätte. Er versucht nur darzutun, dass es seiner Meinung nach besser für die Kinder wäre, wenn die Elternrechte ihm übertragen würden. Damit zeigt er aber das Vorliegen einer offenbaren Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG nicht auf.

Die vorliegenden Rechtsmittel des Vaters erweisen sich daher im Sinne dieser Gesetzesstelle als unzulässig.

Selbst im Fall ihrer Zulässigkeit müssten sie aber als verspätet zurückgewiesen werden, ohne dass auf die Frage einzugehen ist, ob allenfalls das zu Protokoll gegebene Rechtsmittel des Vaters nur als Verbesserung seines ersten schriftlichen Rechtsmittels anzusehen ist. Beide wurden nämlich nach Ablauf der im § 11 Abs 1 AußStrG normierten 14‑tägigen Rechtsmittelfrist eingebracht. Im Sinne der auch für Revisionsrekurse geltenden Bestimmung des § 11 Abs 2 AußStrG lässt sich die angefochtene Entscheidung ohne Nachteil eines Dritten nicht abändern. „Dritter“ im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede am Verfahren beteiligte vom Rechtsmittelwerber verschiedene Person, somit im vorliegenden Fall auch die Mutter der beiden Kinder. Diese hat durch die angefochtene Entscheidung bereits das Recht erlangt, die ihr zuerkannten Elternrechte über die Kinder weiter auszuüben. Eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung wäre somit ohne Nachteil der Mutter nicht möglich. Es müssten daher die vorliegenden Rechtsmittel des Vaters selbst im Fall ihrer Zulässigkeit als verspätet zurückgewiesen werden.

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