Normen
BauO Wr §129 Abs10
BauRallg
VVG §10 Abs2
VVG §10 Abs2 idF 2012/I/050
VVG §10 Abs2 idF 2013/I/033
VVG §4 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021050113.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien (Verwaltungsgericht) vom 9. Jänner 2019 wurde der revisionswerbenden Partei gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien folgender baupolizeilicher Auftrag erteilt: „1.) Die ohne Erwirken einer Baubewilligung hergestellte Dachkonstruktion [...] und die in dieser Dachkonstruktion hergestellte Ziegeldecke [...] sind abzutragen und der konsensgemäße Zustand entsprechend der Baubewilligung vom 19.12.1844 [...] ist wieder herstellen zu lassen“; „2. Das ohne Erwirken einer Baubewilligung errichtete Ziegelmauerwerk [...] ist abzutragen und der konsensgemäße Zustand entsprechend der Baubewilligung vom 19.12.1844 [...] ist wieder herstellen zu lassen.“
2 Mit Schreiben der belangten Behörde vom 10. Oktober 2019 wurde der revisionswerbenden Partei die Ersatzvornahme des genannten baupolizeilichen Auftrages angedroht.
3 Mit Vollstreckungsverfügung der belangten Behörde vom 6. August 2020 wurde gemäß § 4 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 (VVG) die zwangsweise Durchführung des mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes vom 9. Jänner 2019 erteilten baubehördlichen Auftrages durch Ersatzvornahme angeordnet.
4 Gegen diesen Bescheid erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde an das Verwaltungsgericht, in der sie unter anderem vorbrachte, es sei bereits eine neuerliche Baubewilligung für den Dachbodenausbau beantragt worden. Dieses Ansuchen um Baubewilligung beinhalte auch die derzeit bestehende Dachkonstruktion und das errichtete Ziegelmauerwerk und es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Baubewilligung nicht erteilt werde. Die Vollstreckung des baupolizeilichen Auftrages sei daher aufgrund der Anhängigkeit des Bauverfahrens nicht zulässig.
5 Mit Erkenntnis vom 16. November 2020 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet ab und bestätigte die angefochtene Vollstreckungsverfügung (I.). Gleichzeitig sprach es aus, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei (II.).
6 Begründend führte das Verwaltungsgericht dazu auf das Wesentliche zusammengefasst aus, bei unverändertem Sachverhalt könnten im Vollstreckungsverfahren keine Umstände mehr behandelt werden, über die im Titelbescheid bereits rechtskräftig entschieden worden sei. Eine nur für den Verpflichteten bestehende Unmöglichkeit der Leistungserbringung stehe der Vollstreckung durch Ersatzvornahme nicht entgegen. Zudem sei zwar die Vollstreckung eines Bauauftrages nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „tatsächlich solange unzulässig“, als ein Bauansuchen anhängig sei; ein nachträgliches Ansuchen um Bewilligung stehe jedoch der Erlassung einer Vollstreckungsverfügung nicht entgegen, weil dieses „nur die Hemmung der Vollstreckung“ bewirke.
7 Dagegen erhob die revisionswerbende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese mit Beschluss 24. Februar 2021, E 7/2021‑5, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Nunmehr richtet sich gegen dieses Erkenntnis die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur „Sperrwirkung“ eines anhängigen Antrags auf Erteilung einer Baubewilligung im Verfahren über die Vollstreckung eines Bauauftrages rügt. Nach der näher zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfe ein Bauauftrag während eines anhängigen Verfahrens auf eine entsprechende Baubewilligung nicht vollstreckt werden. Es dürfe sohin auch keine Vollstreckungsverfügung erlassen werden, weil diese einzig dazu diene, die Vollstreckung des gehemmten Bauauftrages zu ermöglichen.
9 Die belangte Behörde erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision erweist sich im Sinne des genannten geltend gemachten Zulässigkeitsgrundes als zulässig. Sie ist auch begründet.
11 § 4 VVG in der Stammfassung BGBl. I Nr. 53/1991 und § 10 VVG in der Fassung BGBl. I Nr. 33/2013 lauten:
„Erzwingung anderer Leistungen und Unterlassungen
a) Ersatzvornahme
§ 4. (1) Wenn der zu einer Arbeits- oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Pflicht gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, so kann die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.
(2) Die Vollstreckungsbehörde kann in einem solchen Fall dem Verpflichteten die Vorauszahlung der Kosten gegen nachträgliche Verrechnung auftragen. Der Auftrag zur Vorauszahlung ist vollstreckbar.“
„Verfahren
§ 10. (1) Auf das Vollstreckungsverfahren sind, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, der I. Teil, hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung die §§ 58 Abs. 1 und 61 und der 2. und 3. Abschnitt des IV. Teiles des AVG sinngemäß anzuwenden.
(2) Die Beschwerde beim Verwaltungsgericht gegen die Vollstreckungsverfügung hat keine aufschiebende Wirkung.“
12 Die Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 2 VVG, BGBl. Nr. 53/1991 in der (seit der Stammfassung BGBl. I Nr. 53/1991 unveränderten) Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 (vor dem Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Ausführungsgesetzes 2013, BGBl. I Nr. 33/2013) ‑ in der Folge: VVG aF, lautete:
„Verfahren
„§ 10. [...]
(2) Die Berufung gegen eine nach diesem Bundesgesetz erlassene Vollstreckungsverfügung kann nur ergriffen werden, wenn
1. die Vollstreckung unzulässig ist oder
2. die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder
3. die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 im Widerspruch stehen.
[...]“
13 Bei der Anordnung der Ersatzvornahme handelt es sich um eine Vollstreckungsverfügung im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG (vgl. etwa VwGH 26.9.2017, Fe 2016/05/0001).
14 Während nach der bis zum Inkrafttreten des Verwaltungsgerichtsbarkeits‑Ausführungsgesetzes 2013, BGBl. I Nr. 33/2013, geltenden Rechtslage die Gründe für eine Berufung gegen eine Vollstreckungsverfügung auf den Rahmen des § 10 Abs. 2 VVG aF beschränkt waren, ist im VVG in der ‑ auch im vorliegenden Fall anzuwendenden ‑ oben angeführten Fassung in Bezug auf Vollstreckungsverfügungen keine Beschränkung der Beschwerdegründe normiert (vgl. nochmals VwGH 26.9.2017, Fe 2016/05/0001, oder auch 1.2.2022, Ra 2019/05/0116, mwN).
15 Soweit sich eine gegen die bescheidmäßige Anordnung der Ersatzvornahme erhobene Beschwerde auf Gründe stützt, die inhaltlich Berufungsgründe im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG aF darstellen, kann auf die zu dieser Gesetzesbestimmung ergangene hg. Judikatur zurückgegriffen werden (vgl. neuerlich VwGH 26.9.2017, Fe 2016/05/0001, mwN).
16 § 10 Abs. 2 Z 1 VVG aF sah ausdrücklich vor, dass eine Berufung gegen eine Vollstreckungsverfügung unter anderem dann ergriffen werden kann, wenn die Vollstreckung unzulässig ist. Im Gesetz wurde aber nicht näher ausgeführt, wann eine Vollstreckung unzulässig ist. Jedenfalls gegeben war nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Berufungsgrund der Unzulässigkeit der Vollstreckung dann, wenn kein entsprechender Titelbescheid vorlag, wenn ein solcher dem Verpflichteten gegenüber nicht wirksam war oder wenn der Verpflichtung innerhalb der festgesetzten Frist oder doch bis zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens bereits entsprochen wurde. Unzulässig war eine Vollstreckung auch dann, wenn sich nach der Entstehung des Exekutionstitels die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse in einem wesentlichen Punkt geändert haben und damit die objektiven Grenzen der Bescheidwirkungen andere geworden sind, wenn der Bescheid (auf Grund einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage) nicht mehr in derselben Form ergehen hätte dürfen (vgl. zu allem VwGH 28.10.2013, 2011/05/0152, mwN).
17 Daneben hat der Verwaltungsgerichtshof auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Vollstreckung eines baupolizeilichen Beseitigungsauftrages während der Anhängigkeit eines Ansuchens um nachträgliche Baubewilligung unzulässig ist (vgl. zur Unzulässigkeit der Erlassung einer Vollstreckungsverfügung während eines aufrechten Bauansuchens explizit VwGH 5.7.2007, 2006/06/0110, oder auch bereits 24.1.1991, 88/06/0067, jeweils mwN). Voraussetzung für die Unzulässigkeit der Vollstreckung eines Beseitigungsauftrages während der Anhängigkeit eines Bauansuchens ist jedoch, dass sich das nachträgliche Bauansuchen auf das vom Vollstreckungsverfahren betroffene Bauobjekt bezieht und dass diesbezüglich überhaupt eine nachträgliche Baubewilligung erteilt werden kann (vgl. Moritz, Bauordnung für Wien6 (2019) S. 414f sowie nochmals VwGH 28.10.2013, 2011/05/0152 und auch 30.4.2013, 2013/05/0007 oder 28.5.2013, 2011/05/0139, jeweils mwN).
18 Nach der eingangs bereits wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auf die nach der alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung hinsichtlich der Berufungsgründe des § 10 Abs. 2 VVG aF zurückgegriffen werden. Eine Vollstreckungsverfügung kann somit nach § 10 Abs. 2 VVG auch mit der Begründung der Unzulässigkeit der Vollstreckung mit Beschwerde an das Verwaltungsgericht bekämpft werden.
19 Eine solche Unzulässigkeit der Vollstreckung liegt nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem im Falle der Anhängigkeit eines Ansuchens um nachträgliche Baubewilligung, sofern sich diese auf das vom Vollstreckungsverfahren betroffene Bauobjekt bezieht und diesbezüglich überhaupt eine nachträgliche Baubewilligung erteilt werden kann, vor (vgl. neuerlich VwGH 28.10.2013, 2011/05/0152; 30.4.2013, 2013/05/0007; 28.5.2013, 2011/05/0139, jeweils mwN).
20 Ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht, wonach die Erlassung einer Vollstreckungsverfügung trotz eines anhängigen Verfahrens auf Erteilung einer nachträglichen Baubewilligung (in jedem Fall) zulässig sei, hat es das Verwaltungsgericht verabsäumt, sich näher damit auseinanderzusetzen und entsprechende Feststellungen dazu zu treffen, ob sich das von der revisionswerbenden Partei ins Treffen geführte nachträgliche Bauansuchen auf das vom Vollstreckungsverfahren betroffene Bauobjekt bezieht und ob diesbezüglich überhaupt eine nachträgliche Baubewilligung erteilt werden kann. Es liegt somit ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet (vgl. dazu VwGH 8.11.2021, Ro 2021/05/0020, mwN).
21 Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen war.
22 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem in der genannten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag die Umsatzsteuer bereits enthalten ist (vgl. etwa VwGH 12.4.2021, Ra 2019/06/0118, mwN).
Wien, am 29. März 2022
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