VwGH Ra 2020/02/0248

VwGHRa 2020/02/02484.3.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der L in L, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 12. August 2020, LVwG‑603601/4/FP, betreffend Übertretung des KFG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Braunau), zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §44 Abs3
VwGVG 2014 §44 Abs3 Z3
VwGVG 2014 §44 Abs5
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020020248.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau vom 15. Jänner 2020 wurde der Revisionswerberin zur Last gelegt, sie habe als zur Vertretung gemäß § 9 VStG nach außen berufenes Organ einer näher angeführten Gesellschaft zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Zulassungsbesitzerin auf schriftliches Verlangen der Behörde vom 1. August 2019 bekannt zu geben, wer das dem Kennzeichen nach bestimmte Kraftfahrzeug an einem näher konkretisierten Ort am 8. Juli 2019 „gelenkt bzw. abgestellt“ habe, diese Auskunft nicht erteilt und auch keine andere Person benannt, die die Auskunft hätte erteilen können. Dadurch habe die Revisionswerberin § 103 Abs. 2 KFG verletzt, weshalb über sie eine Geldstrafe von € 365,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe: 3 Tage 1 Stunde) gemäß § 134 Abs. 1 KFG verhängt wurde.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (in der Folge: Verwaltungsgericht) insoweit statt als es die Geldstrafe auf € 180,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass im Spruch die Wendung „bB1“ auf „B1“ korrigiert werde und die Wortgruppe „bzw. abgestellt“ zu entfallen habe. Zudem müsse die Revisionswerberin keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens leisten, die Kosten des behördlichen Verfahrens setzte es auf € 18,‑‑ herab. Eine Revision erklärte es für unzulässig.

3 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die näher genannte Gesellschaft ‑ deren handelsrechtliche Geschäftsführerin die Revisionswerberin sei und zum Zeitpunkt der Anfrage gewesen sei ‑ als Zulassungsbesitzerin des Kraftfahrzeugs mit Schreiben vom 1. August 2019 von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck aufgefordert worden sei, binnen zwei Wochen ab Zustellung der anfragenden Behörde bekanntzugeben, wer das angeführte Kraftfahrzeug am 8. Juli 2019 an einem näher konkretisierten Ort „gelenkt bzw. abgestellt“ habe. Eine Lenkerauskunft sei nicht erteilt worden. Die Revisionswerberin habe als zur Vertretung der angeführten Gesellschaft gemäß § 9 VStG nach außen berufenes Organ zu verantworten, dass diese Auskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilt worden sei. Es sei auch keine andere Person genannt worden, die die Auskunft hätte erteilen können. Die Revisionswerberin habe weder ein Schriftstück über eine interne Aufgabenverteilung, noch eine Bestellungsurkunde über die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten vorgelegt.

4 Das Verwaltungsgericht erläuterte ausführlich die rechtlichen Erwägungen sowie die Strafbemessung. Das Verwaltungsgericht begründete das Absehen von der mündlichen Verhandlung damit, dass die anwaltlich vertretene Revisionswerberin nur die rechtliche Beurteilung bekämpft habe und keine € 500,‑‑ übersteigende Geldstrafe verhängt worden sei. Zudem habe die Revisionswerberin keine Verhandlung beantragt.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, dieses aufzuheben.

6 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil der nach § 44a Z 2 VStG gebotenen Angabe der Verwaltungsvorschrift die angewendete Fassung fehle und entgegen § 44 Abs. 3 VwGVG keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei, womit sie sich als zulässig und begründet erweist.

8 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, stellt die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. etwa VwGH 14.6.2018, Ra 2018/17/0055, mwN).

9 Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung wäre nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen gewesen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 8.3.2018, Ra 2017/02/0273, mwN).

10 So entfällt die Verhandlung nach § 44 Abs. 2 VwGVG, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Beide Voraussetzungen lagen im Revisionsfall nicht vor. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kam ebenso wenig ein Absehen von der Verhandlung nach § 44 Abs. 4 VwGVG, das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat, in Betracht (vgl. erneut VwGH 14.6.2018, Ra 2018/17/0055, mwN).

11 Auch die das Absehen von einer Verhandlung ermöglichende Bestimmung des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG kommt im Revisionsfall nicht zur Anwendung. Im vorliegenden Fall hat die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde gegen das Straferkenntnis nämlich aufgrund des Vorbringens betreffend die Bestellung ihres Bruders zum verantwortlichen Vertretungsorgan nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG aus dem Kreis der nach außen für die Gesellschaft vertretungsbefugten Geschäftsführer, ein wesentliches Tatsachenvorbringen erstattet und somit nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet, so wie es das Verwaltungsgericht vermeint. Damit lagen die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG nicht vor.

12 Der Tatbestand des § 44 Abs. 3 Z 3 VwGVG (die weiteren Tatbestände dieser Bestimmung kommen fallbezogen nicht in Betracht) setzt voraus, dass eine € 500,‑‑ nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde und ‑ dies gilt für alle Tatbestände dieser Bestimmung ‑ keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Die Bestimmung räumt Ermessen ein und lässt damit eine verfassungskonforme Anwendung im Einzelfall zu. Soweit es Art. 6 EMRK gebietet, ist eine mündliche Verhandlung jedenfalls durchzuführen, sofern die Parteien nicht darauf verzichtet haben (vgl. VwGH 24.9.2019, Ra 2017/06/0091, mwN).

13 Ausführungen für die Ermessensübung enthält das angefochtene Erkenntnis allerdings nicht. Damit wurde das Absehen von der Verhandlung gemäß § 44 Abs. 3 VwGVG nicht ausreichend begründet.

14 Ebenso wenig ist den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten ein Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung durch die Revisionswerberin und die belangte Behörde zu entnehmen; solches wurde auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgebracht (§ 44 Abs. 5 VwGVG).

15 Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. VwGH 19.2.2018, Ra 2018/02/0027) und führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

16 Darüber hinaus ist dem Spruch des behördlichen Straferkenntnisses eine Fundstelle der als verletzte Verwaltungsvorschrift zitierten Norm des § 103 Abs. 2 KFG nicht zu entnehmen. Durch die ‑ insoweit teilweise erfolgte ‑ Abweisung der Beschwerde übernahm das Verwaltungsgericht den Spruch des mit Beschwerde bekämpften Bescheids der vor ihm belangten Behörde. Eine Fundstelle der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift (§ 44a Z 2 VStG) und der der Strafsanktionsnorm (§ 44a Z 3 VStG) führte das Verwaltungsgericht nicht an (vgl. zum Gebot der Angabe der Fundstellen VwGH 29.3.2021, Ra 2021/02/0023, mwN) und belastete damit sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

17 Das angefochtene Erkenntnis war sohin schon wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

19 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. März 2022

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