European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018170055.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 31. Mai 2016 wurde der Revisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft der dreifachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt. Es wurden über ihn drei Geldstrafen in der Höhe von jeweils EUR 20.000,-- (samt Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 240 Stunden) verhängt. Die Kosten gemäß § 64 Abs. 2 VStG wurden mit EUR 6.000,-- bestimmt.
2 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG).
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG der Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - insoweit statt, als die Geldstrafe mit EUR 30.000,-- (sowie die Ersatzfreiheitsstrafe mit 15 Tagen) neu bemessen wurde (Spruchpunkt 1.). Die Kosten des behördlichen Verfahrens wurden mit EUR 3.000,-- bestimmt (Spruchpunkt 2.) und gemeinsam mit dem Strafbetrag zur Zahlung vorgeschrieben (Spruchpunkt 3.). Weiters sprach das LVwG aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt 4.).
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, stellt die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 28.2.2018, Ra 2017/17/0703, mwN).
6 Die Revision erweist sich hinsichtlich des Zulässigkeitsvorbringens, das LVwG habe entgegen der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine mündliche Verhandlung durchgeführt, als zulässig und begründet.
7 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war der gegen den Revisionswerber erhobene Vorwurf, eine Übertretung des GSpG zu verantworten zu haben, sodass im Hinblick auf die Pflicht zur Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung § 44 VwGVG anzuwenden war.
8 Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. So entfällt die Verhandlung nach Abs. 2, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Beide Voraussetzungen lagen im Revisionsfall nicht vor. Da das LVwG mit Erkenntnis entschieden hat, kam auch ein Absehen von der Verhandlung nach § 44 Abs. 4 VwGVG, das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat, nicht in Betracht (vgl. wieder VwGH 28.2.2018, Ra 2017/17/0703, mwN).
9 Der Revisionswerber hatte in seiner Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragt. Ein nachfolgender Verzicht wurde nicht festgestellt und ist auch nach der Aktenlage nicht ersichtlich. Aus diesem Grunde konnte das LVwG das Unterbleiben der Verhandlung auch nicht auf § 44 Abs. 3 oder Abs. 5 VwGVG stützen.
10 Indem das LVwG die Durchführung der mündlichen Verhandlung unterlassen hat, erweist sich das angefochtene Erkenntnis infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften als rechtswidrig.
11 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich aber auch als inhaltlich rechtswidrig:
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG begeht jeder, der mit mehreren Glücksspielgeräten "zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht" mehrere selbständige Übertretungen im Sinne des § 22 VStG, für die nebeneinander Strafen zu verhängen sind (vgl. z.B. VwGH 7.10.2013, 2013/17/0274, mwN).
13 Im vorliegenden Fall hat das LVwG - im Gegensatz zur erstinstanzlichen Behörde - nach dem Spruch des angefochtenen Erkenntnisses die Strafe nicht pro Glückspielgerät, sondern in Form einer Gesamtstrafe (in der Höhe von EUR 30.000,--) verhängt. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses. Damit verstößt dieses aber gegen das Kumulationsprinzip des § 22 VStG, demzufolge über jemanden, der durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Durch die Verhängung einer Gesamtstrafe ist nicht erkennbar, wie hoch das Ausmaß der Strafe für jede einzelne der selbständigen Handlungen ist, sodass keine nachprüfende Kontrolle des Gerichtshofes in der Richtung möglich ist, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm bei der Strafbemessung zustehenden Ermessen hinsichtlich jeder der einzelnen Übertretungen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat (vgl. z.B. wieder VwGH 7.10.2013, 2013/17/0274, mwN).
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
15 Im fortzusetzenden Verfahren wird das LVwG überdies eine Prüfung im Hinblick auf § 43 VwGVG anzustellen haben. Nach dieser Bestimmung tritt ein verwaltungsbehördliches Straferkenntnis außer Kraft, wenn seit Einlangen der rechtzeitig eingebrachten und zulässigen Beschwerde 15 Monate vergangen sind, wobei in diese Frist die Zeiten gemäß § 34 Abs. 2 und § 51 VwGVG nicht eingerechnet werden.
16 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Juni 2018
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