Normen
AVG §8;
B-VG Art133 Abs4;
GSpG 1989 §3;
GSpG 1989 §50 Abs5;
GSpG 1989 §52 Abs1;
GSpG 1989 §54 Abs1;
GSpG 1989 §54;
GSpG 1989 §60 Abs25;
VwGVG 2014 §44 Abs3;
VwGVG 2014 §44 Abs5;
VwGVG 2014 §44;
VwGVG 2014 §48;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170703.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts
aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 verfügte die Landespolizeidirektion Oberösterreich die Einziehung dreier beschlagnahmter Glücksspielgeräte zur Verhinderung weiterer Übertretungen des § 52 Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG) gemäß § 54 Abs. 1 GSpG.
2 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) und brachte zusammengefasst vor, es mangle aufgrund Unterlassung jedweder Ermittlungstätigkeit an Feststellungen zum technischen Ablauf und zur Funktionsweise der eingezogenen Apparate, deren Qualifikation als Glücksspielautomaten ausdrücklich bestritten werde. Gleichzeitig beantragte die mitbeteiligte Partei in der Beschwerde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
3 Das LVwG gewährte sodann der mitbeteiligten Partei, der belangten Behörde sowie dem Finanzamt Kirchdorf Perg Steyr als Amtspartei Parteiengehör zu der in der Beschwerde nicht relevierten Unionsrechtskonformität von Bestimmungen des österreichischen Glücksspielgesetzes und führte - trotz der von der mitbeteiligten Partei in der Beschwerde bestrittenen Eigenschaft der eingezogenen Gegenstände als Glücksspielgeräte - aus, dass "der Sachverhalt als unstrittig" erscheine. Gleichzeitig ersuchte das LVwG um Bekanntgabe, ob auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet werde, woraufhin lediglich die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde ausdrücklich auf eine mündliche Verhandlung verzichteten, das Finanzamt Kirchdorf Perg Steyr jedoch mit Schreiben 15. Mai 2017 einen solchen Verzicht mangels unstrittig erscheinenden Sachverhalts ablehnte.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das LVwG - ohne eine mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben - der Beschwerde statt, hob den Einziehungsbescheid auf und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
5 Das LVwG traf zur Beurteilung der Vereinbarkeit von Regelungen des Glücksspielgesetzes mit Art. 56 AEUV ausführliche Feststellungen und gelangte nach umfangreicher Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes rechtlich zum Ergebnis, dass das in den §§ 3 ff GSpG normierte System des Glücksspielmonopols deshalb in Art. 56 AEUV keine Deckung finde und somit dem Unionsrecht widerspreche, weil es nicht auf einem durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses - wie etwa dem Spielerschutz und der Suchtvorbeugung oder der Kriminalitätsbekämpfung - basiere, sondern primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an Staatseinnahmen diene. Darüber hinaus seien die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Notwendigkeit einer vorhergehenden richterlichen Ermächtigung jeweils unverhältnismäßig.
6 Das Absehen von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung begründete das LVwG mit dem von den Verfahrensparteien erklärten Verzicht und dem unter Heranziehung der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) mangelnden Erfordernis einer Verhandlung auch in Strafverfahren, wenn es um bloße Eingriffsmaßnahmen im Umfeld von Verwaltungsübertretungen gehe und für die durch die angefochtene Entscheidung belastete Partei keine gravierenden Rechtsfolgen auf dem Spiel stünden.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Die vorliegende Revision erweist sich als zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis sowohl zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes, als auch zur Frage der Verhandlungspflicht gemäß § 44 VwGVG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Sie ist auch berechtigt.
9 Der Revisionsfall gleicht zur Frage der Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der vom Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, entschieden wurde. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof, nach der vom EuGH geforderten Gesamtwürdigung der Umstände, unter denen die Dienstleistungsfreiheit beschränkende Bestimmungen des Glücksspielgesetzes erlassen worden sind und unter denen sie durchgeführt werden, eine Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmungen des Glücksspielgesetzes nicht erkannt. Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 945/2016-24, E 947/2016-23, E 1054/2016-19, angeschlossen.
10 Eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes ist somit ausgehend von den Verfahrensergebnissen im Revisionsfall nicht zu erkennen.
11 Das LVwG hat bereits zu dieser Rechtsfrage in unvertretbarer Weise die Rechtslage verkannt und das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
12 Darüber hinaus ist auf Folgendes hinzuweisen:
13 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, stellt die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar (vgl. VwGH 5.4.2017, Ra 2017/04/0028, zuletzt 31.1.2018, Ra 2017/17/0861).
14 Das LVwG hat im vorliegenden Fall keine mündliche Verhandlung durchgeführt und dies einerseits aktenwidrig mit einem von den Verfahrensparteien erklärten Verzicht, andererseits mit Hinweis auf Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK, wonach eine öffentliche Verhandlung auch in Strafverfahren nicht erforderlich sei, wenn es - wie im vorliegenden Fall - bloß um Eingriffsmaßnahmen im Umfeld von Verwaltungsübertretungen gehe, für die durch die angefochtene Entscheidung belastete Partei keine gravierenden Rechtsfolgen auf den Spiel stünden, begründet.
15 Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war der Einziehungsbescheid nach § 54 GSpG der Landespolizeidirektion Oberösterreich betreffend dreier im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehender, beschlagnahmter Glücksspielgeräte.
16 Auch wenn die Einziehung nach § 54 GSpG unabhängig von einer Bestrafung eines Beschuldigten vorgesehen ist und nach den Erläuterungen zu § 54 GSpG in der Fassung BGBl. I Nr. 73/2010 (zuletzt durch BGBl. I Nr. 70/2013 lediglich in Abs. 2 in Bezug auf das Wort "Berufung" ersetzt durch das Wort "Beschwerde" geändert) eine Sicherungsmaßnahme und keine Strafe darstellt (657 BlgNR 24. GP , zu Z 20 und 24 (§ 54 und § 60 Abs. 25 GSpG)), hängt sie doch gemäß § 54 Abs. 1 GSpG von der Verwirklichung eines objektiven Tatbilds nach § 52 Abs. 1 GSpG ab, weil sie voraussetzt, dass mit dem von der Einziehung betroffenen Gegenstand "gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 GSpG verstoßen wird" und der Verstoß überdies nicht geringfügig sein durfte. Das Verfahren zur Erlassung des Einziehungsbescheides stellt somit eine "Verwaltungsstrafsache" dar (vgl. VwGH 22.8.2012, 2011/17/0323), sodass im Hinblick auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung § 44 VwGVG anzuwenden war.
17 Das LVwG hat gemäß § 44 Abs. 1 VwGVG grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs. 2 bis 5 leg. cit. finden sich Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. So entfällt die Verhandlung nach Abs. 2 leg. cit., wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
18 Die Voraussetzungen hierfür lagen im vorliegenden Verfahren nicht vor, weil das LVwG den in Beschwerde gezogenen Bescheid im Hinblick auf die von ihm bejahte Unionsrechtswidrigkeit des in den §§ 3 ff GSpG normierten Systems des Glücksspielmonopols auf der Grundlage von vom LVwG auf Basis von in früheren beim LVwG anhängigen gleichartigen Verfahren erhobenen Beweisen und der von den Parteien im konkreten Verfahren vorgelegten Beweismittel im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen aufgehoben hat.
19 Sofern - wie im vorliegenden Verfahren - eine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat, kann einerseits das Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 3 Z 1 bis 4 VwGVG nicht von der Durchführung einer Verhandlung absehen, andererseits ein solcher Antrag gemäß § 44 Abs. 3 letzter Satz VwGVG nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Konkret hat zwar die mitbeteiligte Partei entgegen ihrem Antrag auf Durchführung einer Verhandlung in ihrer Beschwerde mit Schreiben vom 12. Mai 2017 darauf - wie auch die belangte Behörde mit Schreiben vom 16. Mai 2017 - verzichtet, nicht jedoch das Finanzamt Kirchdorf Perg Steyr, das als anzeigende Abgabenbehörde seit der Novelle BGBl. I Nr. 54/2010 gemäß § 50 Abs. 5 GSpG unter anderem im Verwaltungsverfahren nach § 54 GSpG Parteistellung hat (vgl. VwGH 31.1.2018, Ra 2017/17/0861). Als Formalpartei hat die Abgabenbehörde zwar keine subjektiv-öffentlichen Rechte, jedoch kommen ihr die prozessual-subjektiven Rechte einer Partei des Verfahrens zu (vgl. zur Parteistellung der Abgabenbehörde in verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen Übertretungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes gemäß § 28a Abs. 1 AuslBG:
VwGH 24.2.2016, Ra 2015/09/0125, und VwGH 26.4.2016, Ra 2015/09/0141). Insofern hätte eine wirksame Zurückziehung des Antrags auf Durchführung der Verhandlung gemäß § 44 Abs. 3 letzter Satz VwGVG im vorliegenden Verfahren auch der Zustimmung des Finanzamts Kirchdorf Perg Steyr bedurft. Eine solche Zustimmung wurde ebenso wie ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung der Verhandlung iSd § 44 Abs. 5 VwGVG gerade nicht ausgesprochen.
20 Da das LVwG mit Erkenntnis entschieden hat, kommt letztlich auch ein Absehen von der Verhandlung nach § 44 Abs. 4 VwGVG, das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat, nicht in Betracht (VwGH 20.4.2016, Ra 2015/04/0016).
21 Das LVwG hätte daher eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen müssen. Indem es deren Durchführung unterlassen hat, hat es das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften in unvertretbarer Weise belastet.
22 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
23 Der mitbeteiligten Partei steht bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG auch kein Anspruch auf Kostenersatz zu.
Wien, am 28. Februar 2018
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