VwGH Ra 2020/19/0155

VwGHRa 2020/19/01558.6.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A M, vertreten durch Prutsch & Partner, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Joanneumring 6/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. August 2019, W230 2163120‑1/18E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §41
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190155.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 5. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte vor, er sei ‑ mit Ausnahme eines Aufenthaltes von wenigen Monaten in Afghanistan ‑ im Iran aufgewachsen. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat sei er aufgrund der prekären Sicherheitslage bzw. aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bedroht.

2 Mit Bescheid vom 19. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VGnicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG aus, dem Revisionswerber drohe in Afghanistan weder aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara noch aus einem anderen Grund asylrelevante Verfolgung. Er sei ‑ mit Ausnahme einer Zeit von etwa acht Monaten, in denen er in Kabul gelebt habe ‑ im Iran aufgewachsen. Vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Afghanistan stehe dem jungen und gesunden Revisionswerber, der über Berufserfahrung im Iran und in Österreich verfüge und finanzielle Unterstützung durch seine Familie sowie Rückkehrhilfe erhalten könne, in den Städten Herat, Kabul oder Mazar‑e Sharif eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative offen. Auch unter Berücksichtigung der vom Mitbeteiligten gesetzten Schritte zur Integration im Inland ‑ insbesondere dem Beginn einer Lehre ‑ würden seine persönlichen Interessen am Verbleib im Inland durch das öffentliche Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes überwogen.

5 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 5. März 2020, E 3719/2019‑12, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Beschwerde ab und trat die Beschwerde ‑ über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers ‑ mit Beschluss vom 18. März 2020, E 3719/2019‑14, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, das BVwG habe es verabsäumt, aktuelle Länderberichte ‑ insbesondere auch des UNHCR und der EASO ‑ zu berücksichtigen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das BVwG hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0418, mwN).

11 Entgegen dem Vorbringen der Revision hat das BVwG neben dem aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowohl Berichte des UNHCR (Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018) als auch der EASO (Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019) berücksichtigt. Im Übrigen zeigt die Revision nicht auf, welche Tatsachen sich aus der Berücksichtigung weiterer Länderberichte ergeben hätten, sodass ein relevanter Verfahrensmangel nicht dargelegt wird.

12 Unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision weiters gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten und bringt vor, das BVwG habe insbesondere nicht berücksichtigt, dass der Zugang des Revisionswerbers zu einer Unterkunft, sauberem Wasser, sanitären Einrichtungen und zu Gesundheitsdiensten bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht gesichert sei. Auch der Verwaltungsgerichtshof sei im Übrigen dazu verpflichtet, seiner Entscheidung aktuelle Länderberichte zu Grunde zu legen. In diesem Zusammenhang werde zu beachten sein, dass weltweit Maßnahmen gegen COVID‑19‑Erkrankungen gesetzt worden seien. Auch sei ‑ wie im Revisionsverfahren zu berücksichtigen sei ‑ nach § 55a Fremdenpolizeigesetz (FPG) die Frist des Revisionswerbers, der in Österreich eine Lehre begonnen habe, zur Ausreise gehemmt.

13 Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision zunächst, dass der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen hat. Daraus wird in ständiger Rechtsprechung auch abgeleitet, dass neue Tatsachen, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgebracht werden, bei der Entscheidung über die Revision keine Berücksichtigung finden können (vgl. VwGH 13.2.2020, Ra 2020/19/0001, mwN). Das Vorliegen einer grundsätzlichen Rechtsfrage kann daher nicht mit einem Vorbringen begründet werden, das unter das aus § 41 VwGG abgeleitete Neuerungsverbot fällt (vgl. etwa VwGH 10.4.2020, Ra 2019/07/0096, mwN). Mit dem Hinweis auf die erst nach Erlassung des in Revision gezogenen Erkenntnisses des BVwG vom 27. August 2019 aufgetretenen COVID‑19‑Erkrankungen bzw. die in diesem Zusammenhang gesetzten staatlichen Maßnahmen vermag die Revision daher schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.

14 Die Rechtmäßigkeit bei ihm angefochtener Entscheidungen hat der Verwaltungsgerichtshof - jedenfalls dann, wenn nicht Gegenteiliges ausdrücklich angeordnet ist - im Sinn der dargestellten Grundsätze ohne Rücksicht auf spätere (allenfalls auch rückwirkende) Änderungen der Rechtslage zu überprüfen (vgl. VwGH 26.4.2017, Ro 2015/13/0013; 6.11.2019, Ra 2018/12/0021; jeweils mwN). § 55a FPG wurde mit der am 27. Dezember 2019 kundgemachten Änderung des FPG, BGBl. I Nr. 110/2019, eingefügt und ist gemäß § 126 Abs. 23 FPG mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft getreten. Eine Ausnahme von den genannten Grundsätzen ist in der Novelle nicht vorgesehen (vgl. §§ 125 Abs. 31 bis 34, 126 Abs. 23 FPG; sowie VwGH 13.2.2020, Ra 2019/19/0500). Bei Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses des BVwG vom 27. August 2019 durch den Verwaltungsgerichtshof ist daher § 55a FPG nicht heranzuziehen.

15 Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. etwa VwGH 21.2.2020, Ra 2020/18/0055, mwN).

16 Das BVwG hat im vorliegenden Fall Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Frage kommenden Städten Afghanistans sowie zu den persönlichen Umständen des Revisionswerbers getroffen und hat sich auf dieser Grundlage insbesondere auch mit der in der Revision angesprochenen Frage der bei einer Rückkehr zu erwartenden Lebensumstände des Revisionswerbers auseinandergesetzt. Die Revision vermag vor dem Hintergrund der unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG, wonach es sich beim Revisionswerber um einen volljährigen, gesunden und arbeitsfähigen Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung handle, der eine der Landessprachen Afghanistans spreche und finanzielle Unterstützung seiner Familie sowie Rückkehrhilfe erhalten könne, nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG, dem Revisionswerber stehe jedenfalls in der Stadt Mazar‑e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre (vgl. auf ähnlicher Sachverhaltsgrundlage zu nicht im Herkunftsstaat aufgewachsenen Angehörigen der Volksgruppe der Hazara VwGH 30.1.2020, Ra 2020/20/0003; 29.1.2020, Ra 2019/18/0258; 13.2.2020, Ra 2018/19/0628, jeweils mit weiteren Hinweisen).

17 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 8. Juni 2020

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