VwGH Ra 2019/18/0258

VwGHRa 2019/18/025829.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M Q, vertreten durch Mag. Manuela Prohaska, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2019, W265 2187404-1/21E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
FlKonv Art1 AbschnA Z2
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019180258.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 28. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, in seinem ersten bzw. zweiten Lebensjahr mit seiner Familie in den Iran geflohen und seither dort gelebt zu haben. Er habe im Iran als Afghane keine Rechte und sei dort als Hazara und Schiit gefährdet. 2 Mit Bescheid vom 12. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4 In seiner Begründung führte das BVwG zusammengefasst aus, eine persönliche Bedrohung bzw. Verfolgung in Afghanistan sei nicht glaubhaft vorgebracht und eine asylrelevante Verfolgung nicht festgestellt worden. Auch liege eine Verfolgung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit nicht vor. Bezüglich der Konversion des Revisionswerbers könne nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden sei und er daher im Falle einer Rückkehr massiven Einschränkungen bzw. Verfolgungen aufgrund seiner religiösen Überzeugung ausgesetzt sei. Überdies hätten jene Fluchtgründe, welche sich auf den Iran bezogen hätten, aufgrund der afghanischen Staatsangehörigkeit des Revisionswerbers keine asylrechtliche Relevanz. Hinsichtlich subsidiären Schutzes führte das BVwG aus, die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers sei volatil und eine Rückkehr daher ausgeschlossen. Dem Revisionswerber stünde jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Auch wenn der Revisionswerber im Iran aufgewachsen sei und in Afghanistan über keine Familienangehörigen verfüge, so begründe dies noch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz.

5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das BVwG habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung Aussagen des Revisionswerbers zu seiner christlichen Glaubensüberzeugung nicht ausreichend bzw. in einer unschlüssigen und unvertretbaren Weise gewürdigt und sich mit der Gefahr einer Zwangsrekrutierung sowie einer Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit nicht näher auseinandergesetzt. Hinsichtlich der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative seien mangelhafte Feststellungen getroffen worden. Der Revisionswerber verfüge über kein familiäres Netzwerk in Afghanistan und habe - entgegen der Ansicht des BVwG - den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran verbracht. Des Weiteren sei die im Rahmen der Rückkehrentscheidung durchgeführte Interessenabwägung unvertretbar, weil im gegenständlichen Fall eine außergewöhnliche Integration vorliege. 6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 Sofern sich die Revision gegen die Beweiswürdigung des BVwG wendet, ist ihr zu entgegnen, dass im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung klargestellt hat, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 1.3.2019, Ra 2018/18/0446, mwN).

11 Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung der eine Konversion behauptenden Person an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist. Wesentlich ist dabei, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines (behaupteten) inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (vgl. etwa VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0436, mwN).

12 Maßgebliche Indizien für einen aus innerer Überzeugung vollzogenen Religionswechsel sind beispielsweise das Wissen über die neue Religion, die Ernsthaftigkeit der Religionsausübung, welche sich etwa in regelmäßigen Gottesdienstbesuchen oder sonstigen religiösen Aktivitäten manifestiert, eine mit dem Religionswechsel einhergegangene Verhaltensbzw. Einstellungsänderung des Konvertiten sowie eine schlüssige Darlegung der Motivation bzw. des auslösenden Moments für den Glaubenswechsel (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2018/18/0441). 13 Im vorliegenden Fall setzte sich das BVwG mit dem vom Revisionswerber erstatteten Vorbringen eingehend auseinander, würdigte dieses und kam zum Ergebnis, dass sich der Revisionswerber zwar für das Christentum "interessiere", der christliche Glaube jedoch kein wesentlicher Bestandteil der Identität des Revisionswerbers geworden sei. Dabei stützte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung auf bloß rudimentäres Wissen und vage Äußerungen des Revisionswerbers bezüglich dessen, was das Christentum für ihn bedeute, sowie auf lediglich oberflächliche Angaben seinerseits zur religiösen Bedeutung und Symbolik der Taufe. Vor diesem Hintergrund sei nicht anzunehmen, dass der Revisionswerber bei Rückkehr nach Afghanistan seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben weiter nachkomme und ein Verfolgungsrisiko von privater wie auch von staatlicher Seite bestehe.

14 Auch hinsichtlich der vom BVwG im Rahmen seiner Beweiswürdigung gleichfalls verneinten (drohenden) Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner bei Rückkehr drohenden Zwangsrekrutierung oder seiner Volkgruppenzugehörigkeit als Hazara und Schiit vermochte die Revision eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung des BVwG gegenständlich nicht aufzuzeigen.

15 Um schließlich von einer zumutbaren innerstaatlichen Schutzalternative sprechen zu können, reicht es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0292, mwN). Dabei hat sich das BVwG auch mit den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie den Vorgaben der EASO Country Guidance Notes zu Afghanistan in adäquater Weise auseinanderzusetzen (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241, sowie 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, jeweils mwN).

16 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten hat, hindert allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0398, sowie 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

17 Das BVwG traf fallbezogen hinreichend aktuelle Länderfeststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mazare Sharif und Herat, berücksichtigte die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 sowie die EASO-Richtlinien für Afghanistan (EASO Country Guidance: Afghanistan, June 2018) und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Demnach sei dieser im Kleinkindalter mit seiner Familie in den Iran geflohen, dort im Kreise seiner afghanischen Familie aufgewachsen und so mit der Landessprache und den kulturellen Gepflogenheiten des Herkunftsstaates vertraut. Er sei gesund, verfüge über eine zweijährige Schulbildung sowie Berufserfahrung am Bau und im Einzelhandel und könne sich so seine Existenzgrundlage sichern. In Hinblick auf die individuelle Versorgungslage gehöre der Revisionswerber keinem besonders schutzbedürftigen Personenkreis an und könne Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

18 Die Revision vermag nicht darzutun, dass das BVwG mit dieser Begründung von der oben genannten Rechtsprechung abgegangen wäre. Daran ändert auch der Hinweis in der Revision nichts, dass das BVwG in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses - im Widerspruch zu seinen eigenen Feststellungen - irrtümlich davon gesprochen hat, dass der Revisionswerber den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht habe, weil eine Relevanz dieses Fehlers nicht aufgezeigt werden konnte. Es ist vor dem Hintergrund der im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Länderfeststellungen auch nicht ersichtlich, dass es der Annahme der Zulässigkeit einer Rückführung in die revisionsgegenständlichen afghanischen Städte bereits für sich entgegenstehen sollte, wenn ein afghanischer Staatsangehöriger, der die längste Zeit seines Lebens im Ausland verbracht hat, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara ist (zur Lage nach Afghanistan rückkehrender Hazara vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0282, sowie 17.9.2019, Ra 2019/14/0160). 19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme und von denen das rechtliche Schicksal der Revision abhängt. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 29. Jänner 2020

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