VwGH Ra 2020/20/0003

VwGHRa 2020/20/000330.1.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Dr. Schwarz sowie die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des Q A in W, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Mai 2019, W153 2180981-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200003.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 2. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er seit seinem ersten Lebensjahr mit seiner Familie in Pakistan gelebt habe. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara habe er Angst um sein Leben.

2 Mit Bescheid vom 24. November 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. 3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 23. September 2019, E 2379/2019-7, die Behandlung derselben ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

5 In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht. 6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 Zur Zulässigkeit der Revision wird zusammengefasst geltend gemacht, das BVwG habe bei seiner Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif nicht hinreichend beachtet, dass der Revisionswerber seit seinem ersten Lebensjahr mit seiner Familie in Pakistan gelebt habe. Es gehe davon aus, dass alleinstehenden Männern, auch ohne Unterstützungsnetzwerk, eine innerstaatliche Fluchtalternative in den genannten Städten zumutbar sei. Dabei übersehe das Verwaltungsgericht, dass die EASO "Country Guidance Afghanistan" vom Juni 2018 ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern ausnehme, die entweder außerhalb von Afghanistan geboren worden seien oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt hätten. Es habe keine hinreichenden Feststellungen dahingehend getroffen, ob die Familie des Revisionswerbers tatsächlich in der Lage wäre, diesen bei einer Rückkehr nach Afghanistan zu unterstützen. Aufgrund der langen Abwesenheit des Revisionswerbers aus Afghanistan und des mangelnden Kontaktes während dieses Zeitraumes könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass ihn ein in Afghanistan vermuteter Onkel unterstützen werde.

10 Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine - von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende - Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. etwa VwGH 23.10.2019, Ra 2019/01/0400, mwN). 11 Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass weder EASO (Leitfaden vom Juni 2018) noch UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehen. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. etwa VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, mwN). 12 Weiters ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf Afghanistan zu verweisen, wonach es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. zum Ganzen VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN; zu einem in Pakistan geborenen und dort aufgewachsenen schiitischen Afghanen unter Berücksichtigung der auch hier maßgeblichen Berichtslage VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0241).

13 Das BVwG traf im angefochtenen Erkenntnis konkrete, sowohl die persönliche Situation des Revisionswerbers als auch die allgemeine Lage (Sicherheits- und Versorgungslage) im Herkunftsstaat betreffende Feststellungen. Fallbezogen begegnet die Einschätzung des BVwG, dem Revisionswerber stehe als jungem, gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter, welcher über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, Sprachkenntnisse in Dari, Urdu, Deutsch, Englisch und Türkisch aufweise und mit dem kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei, in Mazar-e Sharif und Herat eine zumutbare innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative zur Verfügung, nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes keinen Bedenken. Entgegen den Revisionsausführungen berücksichtigte das BVwG ausdrücklich auch den Umstand, dass der Revisionswerber seit seinem ersten Lebensjahr mit seiner Familie in Pakistan gelebt habe, sein Vater und seine Geschwister noch in Pakistan seien und seine Mutter bereits verstorben sei. Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung vermag die Revision mit ihrem Vorbringen zu einer fehlenden finanziellen Unterstützung durch Familienangehörige der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht substantiiert entgegen zu treten.

14 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß Art. 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 30. Jänner 2020

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