VwGH Ra 2019/02/0227

VwGHRa 2019/02/02274.3.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Krems, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 9. Oktober 2019, LVwG-S-1910/004-2017, betreffend Übertretung des KFG (mitbeteiligte Partei: H in G), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58
AVG §60
KFG 1967 §134 Abs1
KFG 1967 §134 Abs1b
VStG §24
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §29 Abs1
VwGVG 2014 §38
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art7
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art8 Abs1
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art8 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019020227.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der revisionswerbenden Bezirkshauptmannschaft vom 17. Juli 2017 wurde dem Mitbeteiligten "als Lenker (Fahrer)" des zur Güterbeförderung im Straßenverkehr eingesetzten Kraftfahrzeuges mit 3,5 t übersteigendem höchstzulässigen Gesamtgewicht und dem behördlichen Kennzeichen MW- ... zur Last gelegt, die vorgeschriebene tägliche Ruhezeit nicht eingehalten zu haben. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 8 Abs. 1 und 2 der VO (EG) Nr. 561/2006 übertreten, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs. 1 und 1b KFG eine Geldstrafe von EUR 350,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt wurde.

2 Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) zunächst mit Erkenntnis vom 20. September 2017 statt, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer von der Bezirkshauptmannschaft erhobenen Revision wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes mit Erkenntnis vom 19. November 2018, Ra 2017/02/0248, aufgehoben.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz‑)Erkenntnis vom 9. Oktober 2019 gab das LVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten erneut statt, hob das bekämpfte Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Weiters sprach es aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei. 4 Begründend führte das LVwG aus, der Mitbeteiligte sei durch Beamte der Landespolizeidirektion Niederösterreich am Tattag einer Kontrolle unterzogen worden, wobei die Übertretungen beanstandet worden seien. Der Sachverhalt sei "zweifelsfrei erwiesen". In der Folge gab das LVwG den Text des Art. 7 der VO (EG) Nr. 561/2006 wörtlich wieder und führte u.a. aus, auf der Baustelle hätten "ungewöhnliche vom sonstigen Arbeitsablauf abweichende Bedingungen" geherrscht. Auf einer näher genannten Baustelle sei die Grundsituation durch einen unvorhergesehenen Defekt oder Ausfälle verschärft worden. Der Mitbeteiligte habe durch Anweisungen von außen das Mischgut auf dem Fahrzeug kurzfristig abzuladen und neues Mischgut zu holen gehabt, damit die Wartezeit, die durch einen Fräsendefekt entstanden sei, habe überbrückt werden können. Daraus würden die kurzen Zwischenlenkzeiten auf der Kontrollkarte resultieren. Die unterdurchschnittlichen Zeitüberschreitungen seien auf äußere Einflüsse und Anweisungen zurückzuführen, welche außerhalb der Einflusssphäre des Mitbeteiligten "angesiedelt" gewesen seien. Es könne daher nicht von einer subjektiven Tatseite ausgegangen werden.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der Bezirkshauptmannschaft wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften.

6 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Die revisionswerbende Partei bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das angefochtene Erkenntnis weiche insofern von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, als sich das LVwG aktenwidrig auf Art. 7 der VO (EG) Nr. 561/2006 gestützt habe. Damit gehe es von einem Sachverhalt aus, der nicht mit dem Akteninhalt in Einklang zu bringen und offenkundig unzutreffend sei (Hinweis auf VwGH 20.12.2017, Ra 2017/12/0119). 8 Die Revision ist - entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes, der zudem nur formelhaft, im Wesentlichen mit dem Wortlaut des Art. 133 Abs. 4 B-VG, und damit nicht gesetzmäßig im Sinne des § 25a Abs. 1 VwGG begründet ist - aufgrund dieses Vorbringens zulässig und begründet:

9 Gemäß § 134 Abs. 1 erster Satz KFG 1967 begeht derjenige, der u.a. den Artikeln 5 bis 9 und 10 Abs. 4 und 5 der VO (EG) Nr. 561/2006 zuwiderhandelt, eine Verwaltungsübertretung. Nach Art. 8 Abs. 1 VO (EG) Nr. 561/2006 muss der Fahrer tägliche und wöchentliche Ruhezeiten einhalten. 10 Der vom LVwG zitierte Art. 7 der VO (EG) Nr. 561/2006 lautet:

"Nach einer Lenkdauer von viereinhalb Stunden hat ein Fahrer eine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von wenigstens 45 Minuten einzulegen, sofern er keine Ruhezeit einlegt.

Diese Unterbrechung kann durch eine Unterbrechung von mindestens 15 Minuten, gefolgt von einer Unterbrechung von mindestens 30 Minuten, ersetzt werden, die in die Lenkzeit so einzufügen sind, dass die Bestimmungen des Absatzes 1 eingehalten werden."

11 Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung können nicht nur solche des materiellen Rechts, sondern auch des Verfahrensrechts sein, etwa bei Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts oder gegebenenfalls dann, wenn der vom Verwaltungsgericht angenommene Sachverhalt in unvertretbarer Weise nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt, also Aktenwidrigkeit vorliegt (VwGH 6.12.2018, Ra 2018/02/0280, mwN). 12 Aktenwidrigkeit liegt vor, wenn die Entscheidung in ihrer Begründung von Sachverhalten ausgeht, die sich aus dem Akt überhaupt nicht oder nicht in der angenommenen Weise ergeben, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. VwGH 24.7.2019, Ra 2018/02/0195, mwN).

13 Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. VwGH 25.10.2019, Ra 2019/02/0075, mwN).

14 Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. erneut VwGH 25.10.2019, Ra 2019/02/0075, mwN).

15 Nach der hg. Rechtsprechung führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. etwa VwGH 30.7.2019, Ra 2017/05/0001, 0002, mwN).

16 Diesen Anforderungen an die Begründung wird das angefochtene Erkenntnis, nicht gerecht:

17 Das angefochtene Erkenntnis lässt nicht erkennen, von welchem Sachverhalt das LVwG ausgeht, weil es keine im Indikativ gehaltenen Feststellungen enthält. Das LVwG gibt Art. 7 der VO (EG) Nr. 561/2006 wörtlich wieder und beschäftigt sich in seinen Erwägungen mit "kurzen Zwischenlenkzeiten" und Störungen im Gesamtarbeitsablauf. Dem Mitbeteiligten ist jedoch nach dem Akteninhalt keine Übertretung des Art. 7 der VO (EG) Nr. 561/2006 angelastet worden, sondern vielmehr die Verkürzung der täglichen Ruhezeiten nach Art. 8 Abs. 1 dieser VO. Mit diesem Akteninhalt setzt sich das LVwG jedoch überhaupt nicht auseinander. Vor diesem Hintergrund entzieht sich das angefochtene Erkenntnis des LVwG schon mangels näherer Sachverhaltsfeststellungen einer näheren Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf seine inhaltliche Rechtsmäßigkeit (vgl. erneut VwGH 30.7.2019, Ra 2017/05/0001, 0002).

18 Damit belastete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Wien, am 4. März 2020

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