VwGH Ra 2017/12/0119

VwGHRa 2017/12/011920.12.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Zens und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Artmann, über die außerordentliche Revision des I P in K, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz‑Josefs‑Kai 5, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. August 2017, W213 2156633‑1/2Z, betreffend Aussetzung eines Verfahrens i.A. Besoldungsdienstalter (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38
VwGG §25a Abs3 implizit
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017120119.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber wurde mit 1. März 2017 in ein öffentlich‑rechtliches Dienstverhältnis ernannt. Er steht als Inspektor bei der Landespolizeidirektion Wien in Verwendung.

2 Anlässlich dieser Ernennung sprach die vor dem Verwaltungsgericht belangte Dienstbehörde mit Bescheid vom 14. März 2017 aus, dass dem Revisionswerber gemäß § 12 Gehaltsgesetz 1956 (GehG) zwei Jahre, sechs Monate und ein Tag auf sein Besoldungsdienstalter in der Verwendungsgruppe E 2b angerechnet werden.

3 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde, die er im Wesentlichen darauf stützte, dass ihm weitere Zeiten, die er beim österreichischen Bundesheer verbracht habe, als Vordienstzeiten anzurechnen seien.

4 Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Bundesverwaltungsgericht das Beschwerdeverfahren gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das ihm mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2017, W128 2148285‑1/2Z, (Anmerkung: zur Rechtssache C‑396/17, Martin Leitner) vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen aus. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte es für nicht zulässig.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Beschwerde gleiche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in den wesentlichen Aspekten der zu W128 2148285‑1/2Z protokollierten Beschwerde, in der das Bundesverwaltungsgericht den Gerichtshof der Europäischen Union mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung zu folgenden Fragen der Auslegung des Unionsrechts befasst habe:

„1.1. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm Art. 21 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die zur Beseitigung einer Diskriminierung von Beamten im Dienststand eine Überleitungsregelung vorsieht, bei der anhand eines ‚Überleitungsbetrages‘, der zwar in Geld bemessenen wird, aber dennoch einer bestimmten, konkret zuordenbaren Einstufung entspricht, die Einreihung vom bisherigen Biennalsystem in ein neues (in sich geschlossen für neueintretende Beamte diskriminierungsfreies) Biennalsystem erfolgt und somit die Altersdiskriminierung auf Beamte im Dienststand unvermindert fortwirkt?

1.2. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 17 der Richtlinie 2000/78/EG sowie Art. 47 GRC, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die verhindert, dass Beamte im Dienststand, entsprechend der vom Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteil vom 11.11.2014, C‑530/13 (Schmitzer) getroffenen Auslegung zu Art. 9 und 16 der Richtlinie 2000/78 , ihre besoldungsrechtliche Stellung unter Berufung auf Art. 2 der Richtlinie 2000/78 zum Zeitpunkt vor der Überleitung in das neue Besoldungssystem feststellen lassen können, indem die entsprechenden Rechtsgrundlagen rückwirkend mit dem Inkrafttreten ihres historischen Stammgesetzes für nicht mehr anwendbar erklärt werden und insbesondere ausgeschlossen wird, dass Vordienstzeiten vor dem 18. Geburtstag angerechnet werden können?

1.3. Für den Fall der Bejahung der Frage 1.2:

Gebietet der im Urteil vom 22.11.2005, C‑144/04 (Mangold) und weitere, postulierte Anwendungsvorrang des Unionsrechts, dass die rückwirkend außer Kraft getretenen Bestimmungen für Beamte im Dienststand zum Zeitpunkt vor der Überleitung weiterhin anzuwenden sind, sodass diese Beamten rückwirkend diskriminierungsfrei im Altsystem eingereiht werden können und sohin diskriminierungsfrei in das neue Besoldungssystem übergeleitet werden?

1.4. Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG iVm Art. 21 und 47 der Grundrechtecharta, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine bestehende Altersdiskriminierung (in Bezug auf die Anrechnung von Vordienstzeiten vor dem 18. Lebensjahr) bloß deklarativ beseitigt, indem bestimmt wird, dass die unter der Diskriminierung real zurückgelegten Zeiten rückwirkend nicht mehr als diskriminierend anzusehen sind, obwohl die Diskriminierung faktisch unverändert fortwirkt?“

6 Die Beantwortung dieser Fragen im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens sei für das vorliegende, gleichgelagerte Beschwerdeverfahren präjudiziell, zumal auch dem vorliegenden Verfahren ein Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags bzw. Feststellung der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung zugrunde liege.

7 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sowie damit, dass keine Zweifel an der Präjudizialität der Vorlagefragen für das gegenständliche Verfahren bestünden.

8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhalts. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde nahm in dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

9 Der Revisionswerber führt zur Zulässigkeit seiner Revision aus, dass dem vorliegenden Verfahren nicht wie vom Verwaltungsgericht angenommen ein Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags und der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung zu Grunde liege. Auf Grund der Definitivstellung des Revisionswerbers sei mit Bescheid vom 14. März 2017 sein Besoldungsdienstalter festgesetzt worden. Die im gegenständlichen Verfahren zu klärenden Rechtsfragen beträfen die rechtliche Qualifikation seiner Zeit beim Bundesheer und die Berücksichtigung dieser Zeit als einschlägige Vordienstzeit im Sinn des § 12 Abs. 3 GehG. Die im Vorabentscheidungsersuchen zu W128 2148285‑1/2Z aufgeworfenen Fragen an den Europäischen Gerichtshof seien für die gegenständlich zu treffende Entscheidung nicht relevant. Dort gehe es um Fragen der Altersdiskriminierung im Sinn der Richtlinie 2000/78/EG und die Überleitung in ein neues Besoldungssystem. Aus dem beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Verfahren könnten keine rechtlichen Schlüsse für das gegenständliche Verfahren gezogen werden. Es liege daher mangels Präjudizialität kein Anwendungsfall des § 38 AVG vor. Die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens stelle daher einen Verstoß gegen das Gesetz und die (im Einzelnen angeführte) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revision ist aus den aufgezeigten Gründen zulässig; sie ist auch berechtigt.

11 Zunächst ist festzuhalten, dass eine gemäß § 17 VwGVG in Verbindung mit § 38 AVG ergangene Aussetzungsentscheidung keine bloß verfahrensleitende Entscheidung im Sinn des § 25a Abs. 3 VwGG ist und sie damit nicht dem Revisionsausschluss nach dem ersten Satz dieser Bestimmung unterliegt (VwGH 29.6.2017, Ra 2016/04/0150, ua).

12 Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B‑VG (ua) die Bestimmungen des AVG mit der Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles anzuwenden.

13 Gemäß § 38 AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zu Grunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

14 Zwar ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob eine dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegte Rechtsfrage der im gemäß § 38 AVG zu unterbrechenden Verfahren zu beurteilenden Rechtsfrage „ähnlich“ im Verständnis der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (siehe dazu VwGH 19.9.2001, 2001/16/0439) ist. Diese Beurteilung ist ‑ jedenfalls dann, wenn sie nicht offenkundig unzutreffend ist ‑ daher nicht revisibel (vgl. VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0068). Im vorliegenden Fall ist das Bundesverwaltungsgericht jedoch von einem mit dem Akteninhalt nicht in Einklang zu bringenden Sachverhalt ausgegangen. Es ist daher zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Ergebnis gelangt, weil sich die von ihm vorgenommene Beurteilung als offenkundig unzutreffend darstellt.

15 Wie der Revisionswerber zutreffend ausführt, lag dem Beschwerdeverfahren kein Antrag auf Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags bzw. Feststellung der daraus resultierenden besoldungsrechtlichen Stellung zu Grunde, wie das Bundesverwaltungsgericht annahm, sondern einer auf (erstmalige) Festsetzung des Besoldungsdienstalters und die Beurteilung der voranzustellenden Zeiten. Dies hat in dem ‑ im Antrag auf Vorabentscheidung für neueintretende Beamte (wie der Revisionswerber einer ist) als in sich diskriminierungsfrei bezeichneten ‑ neuen System zu erfolgen. Die von den Vorabentscheidungsfragen angesprochene Möglichkeit einer Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit der Überleitung von Bestandsbeamten in das System des Besoldungsdienstalters stellt sich im vorliegenden Fall daher von vornherein nicht. Eine allfällige Unionsrechtswidrigkeit der die Überleitung von Bestandsbeamten regelnden Bestimmungen hätte demnach keine Auswirkung auf die vom Bundesverwaltungsgericht hier zu entscheidende erstmalige Festsetzung des Besoldungsdienstalters des Revisionswerbers.

16 Das Verwaltungsgericht war somit zu der von ihm mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochenen Verfahrensaussetzung nicht befugt. Der Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. Dezember 2017

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