Normen
EURallg
KFG 1967 §134 Abs1
KFG 1967 §134 Abs1b
VStG §19
VStG §20
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGG §42 Abs2 Z3 lita
32006L0022 HarmonisierungDV-RL Strassenverkehr AnhIII
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art8 Abs1
32006R0561 Harmonisierung best Sozialvorschriften Strassenverkehr Art8 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2018020195.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten vom 10. Jänner 2018 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe an näher genannten Tagen als Fahrer eines zur Güterbeförderung im innerstaatlichen Straßenverkehr eingesetzten Kraftfahrzeuges mit zulässiger Weise 3,5 t übersteigender Höchstmasse die Tageslenkzeit öfter als zwei Mal pro Woche auf 10 Stunden verlängert und danach die Tageslenkzeit von höchstens 9 Stunden zwischen zwei täglichen Ruhezeiten überschritten, nicht innerhalb jedes Zeitraumes von 24 Stunden eine tägliche Ruhezeit von mindestens 11 zusammenhängenden Stunden eingehalten, obwohl der Fahrer zwischen zwei wöchentlichen Ruhezeiten höchstens drei reduzierte tägliche Ruhezeiten einlegen dürfe und nach einer Lenkdauer von 4,5 Stunden keine ununterbrochene Fahrtunterbrechung von mindestens 45 Minuten eingelegt. Dies stelle anhand des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG schwerwiegende Verstöße dar. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 134 Abs. 1 KFG iVm Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 verletzt und über ihn wurden gemäß § 134 Abs. 1 und 1b KFG drei Geldstrafen von jeweils EUR 200 (Ersatzfreiheitsstrafen jeweils 48 Stunden) verhängt. 2 In der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten wird u. a. die Anwendung des § 20 VStG begehrt, weil keine Erschwerungsgründe vorlägen, der Mitbeteiligte unbescholten sei und die Tat keine nachteiligen Folgen nach sich gezogen habe. Im bekämpften Straferkenntnis seien die geringe Intensität der Beeinträchtigung und das geringe Verschulden nicht im entsprechenden Umfang berücksichtigt worden.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde insofern Folge gegeben, als die drei Geldstrafen auf jeweils EUR 100 und die Ersatzfreiheitstrafen auf jeweils 24 Stunden herabgesetzt wurden. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich schließe sich der Argumentation in der Beschwerde an und erachte entsprechend dem dortigen Vorbringen die Anwendbarkeit des außerordentlichen Strafmilderungsrechtes nach § 20 VStG als gegeben.
4 Dagegen richtet sich die Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete.
5 Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. 8 Nach § 34a Abs. 1a zweiter Satz VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 9 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis verletzte tragende Grundsätze des Verfahrensrechts, weil nach dem Akt elf Verwaltungsstrafvormerkungen des Mitbeteiligten vorlägen und das Verwaltungsgericht aktenwidrig von dessen Unbescholtenheit ausgehe. Darüber hinaus sei das Verwaltungsgericht von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach dem alleinigen Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlich en Unbescholtenheit kein solches Gewicht beigemessen werden könne, dass deshalb auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen § 20 VStG anzuwenden wäre.
10 Die Revision ist bereits aus dem erstgenannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt:
11 Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung können nicht nur solche des materiellen Rechts, sondern auch des Verfahrensrechts sein, etwa bei Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts oder gegebenenfalls dann, wenn der vom Verwaltungsgericht angenommene Sachverhalt in unvertretbarer Weise nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt, also Aktenwidrigkeit vorliegt (VwGH 6.12.2018, Ra 2018/02/0280, mwN). 12 Aktenwidrigkeit liegt vor, wenn die Entscheidung in ihrer Begründung von Sachverhalten ausgeht, die sich aus dem Akt überhaupt nicht oder nicht in der angenommenen Weise ergeben, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (vgl. VwGH 25.10.2018, Ra 2018/07/0408, mwN).
13 Selbst wenn die Bezirkshauptmannschaft Amstetten in ihrem Straferkenntnis noch von der Unbescholtenheit des Mitbeteiligten ausging, so ersuchte sie nach der Erhebung der Beschwerde andere Behörden um Bekanntgabe von Vormerkungen über den Mitbeteiligten. Im Akt befinden sich Mitteilungen diverser Bezirkshauptmannschaften über Strafverfahren gegen den Mitbeteiligten (Seiten 103, 106 und 109 des vorgelegten Aktes der Bezirkshauptmannschaft Amstetten). Mögen auch die zu Beginn des genannten Aktes (Seiten 1 und 2) angeführten "Metadaten" teilweise unverständliche Abkürzungen sowie Buchstaben- und Ziffernkombinationen enthalten und einen Bezug zu den Aktenseiten vermissen lassen, so sind doch auch daraus die Reihenfolge der wesentlichen Aktenstücke und vor allem die Ersuchen an Behörden um Bekanntgabe von Vormerkungen und daran anschließende E-Mails dieser Behörden ersichtlich.
14 Entgegen dem dargestellten Akteninhalt legte indes das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung - ohne darauf näher einzugehen - die aktenwidrige Sachverhaltsannahme zu Grunde, der Mitbeteiligte sei unbescholten. Diese Feststellung im angefochtenen Erkenntnis war auch wesentlich für die rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, dass der Milderungsgrund der Unbescholtenheit vorliege. Damit belastete das Verwaltungsgericht seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
15 Zur Unanwendbarkeit des § 20 VStG im Fall eines schweren Verstoßes im Sinne des Anhanges III der Richtlinie 2006/22/EG , in der Fassung der Verordnung (EU) 2016/403 iVm § 134 Abs. 1b KFG bei Vorliegen des alleinigen Milderungsgrundes der Unbescholtenheit gegenüber sonst fehlenden Erschwerungsgründen wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf VwGH 27.6.2019, Ra 2018/02/0096, verwiesen.
16 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 24. Juli 2019
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