VwGH Ra 2018/07/0408

VwGHRa 2018/07/040825.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Ing. S N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. Mai 2018, Zl. LVwG 40.28-1136/2018-4, betreffend Abweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme eines Verfahrens in einer Angelegenheit der Bodenreform (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Agrarbezirksbehörde für Steiermark), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018070408.L00

 

Spruch:

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 23. Mai 2018 wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) einen Antrag des Revisionswerbers auf Wiederaufnahme des Regulierungsverfahrens der Agrargemeinschaft F (in weiterer Folge: Agrargemeinschaft) gemäß § 32 VwGVG wegen Verspätung zurück.

2 Das LVwG ging davon aus, dass der Antrag des Revisionswerbers auf Wiederaufnahme des Regulierungsverfahrens am 24. April 2018 eingelangt sei; darin werde behauptet, dass der Revisionswerber am 9. April 2018 an der Vollversammlung der Agrargemeinschaft teilgenommen habe und ihm dort erstmals der "originale Optionsvertrag" betreffend den Windpark F unterbreitet worden sei. Auf dieser Urkunde fehle aber die erforderliche Unterschrift des Schriftführers, weshalb der Vertrag (und alle Folgeverträge) nicht zustande gekommen seien. Der Regulierungsplan habe nun auf den Windpark inhaltlich Rücksicht genommen, weshalb das Regulierungsverfahren, das sich bei der Herstellung der planmäßigen Ordnung an den rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu orientieren habe, wozu eine rechtswidrig errichtete Windenergieanlage aber nicht zähle, wieder aufzunehmen wäre.

3 Nach Ansicht des LVwG habe die zweiwöchige Frist des § 32 Abs. 2 VwGVG für die Geltendmachung neuer Tatsachen und Beweismittel am 9. April 2018 zu laufen begonnen und sei am 23. April 2018 abgelaufen, weshalb sich der am Tag danach eingebrachte Wiederaufnahmeantrag als verspätet erweise.

4 Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. 5 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Beschluss

außerordentliche Revision, in der er Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Aktenwidrigkeit) geltend macht.

6 Er brachte - unter Vorlage des Protokolls der Jahreshauptversammlung der Agrargemeinschaft vom 17. April 2018 - vor, er habe erst an diesem Tag anlässlich der Überreichung des originalen Optionsvertrages an ihn Kenntnis vom Vertragsinhalt und der fehlenden zweiten Unterschrift erhalten. Am 9. April 2018 habe es weder eine Vollversammlung der Agrargemeinschaft gegeben noch sei ihm der Optionsvertrag damals bereits zur Verfügung gestanden.

 

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision macht als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung eine Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechtes geltend, weil Aktenwidrigkeit im Zusammenhang mit der Feststellung der Fristversäumnis vorliege.

11 Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung können nicht nur solche des materiellen Rechts, sondern auch des Verfahrensrechts sein, etwa bei Verletzung tragender Grundsätze des Verfahrensrechts (VwGH 20.11.2014, Ra 2014/07/0052), oder gegebenenfalls dann, wenn der vom Verwaltungsgericht angenommene Sachverhalt in unvertretbarer Weise nicht mit den vorgelegten Akten übereinstimmt, also Aktenwidrigkeit vorliegt (VwGH 24.3.2015, Ra 2014/09/0043; 12.7.2018, Ra 2018/17/0134).

12 Aktenwidrigkeit liegt vor, wenn die Entscheidung in ihrer Begründung von Sachverhalten ausgeht, die sich aus dem Akt überhaupt nicht oder nicht in der angenommenen Weise ergeben, wenn also die Feststellung jener tatsächlichen Umstände unrichtig ist, die für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend sind (VwGH 31.8.2016, Ro 2014/17/0149, ua).

13 Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

14 Gemäß § 32 Abs. 2 VwGVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

15 Vorauszuschicken ist, dass der Antrag auf Wiederaufnahme - nach dem Spruch des angefochtenen Beschlusses - ausdrücklich und ausschließlich wegen Verspätung zurückgewiesen wurde. Darin läge dann eine Rechtsverletzung des Revisionswerbers, wenn die Feststellungen, auf die sich die Annahme der Fristversäumnis stützte, aktenwidrig wären.

16 Davon ist aus nachstehenden Gründen auszugehen:

17 Der Wiederaufnahmeantrag des Revisionswerbers vom 24. April 2018 hat - soweit hier von Interesse - folgenden Wortlaut (Hervorhebungen im Original):

"Sehr geehrte Damen und Herren,

auf gestellten Antrag vom 09.04.2018 an die Vollversammlung der Agrargemeinschaft F wurde mir erstmals der originale Optionsvertrag (Urschrift) betreffend Windpark F - jedoch ohne der erforderlichen Unterschrift des Schriftführers Ing. A R - unterbreitet, weshalb dieser originale Optionsvertrag vom 08.12.2006/21.12.2006 nach den geltenden Verwaltungssatzungen iSd § 22 Abs. 1 nicht zu Stande gekommen ist und daher keine Rechtswirksamkeit entfaltet hat.

Gleiches gilt für sämtliche Folgeverträge aufbauend auf diesen originalen Optionsvertrag vom 08.12.2006/21.12.2006 und ist bereits Beschwerde mit 17.04.2018 an die Aufsichtsbehörde ergangen."

18 Dem Wiederaufnahmeantrag waren mehrere Beilagen angeschlossen. Als Beilage C wurde der im Text erwähnte Antrag vom 9. April 2018 dem Wiederaufnahmeantrag angeschlossen. Aus diesem Antrag ergibt sich, dass er im Vorfeld und zur Vorbereitung der damals bevorstehenden Vollversammlung vom 17. April 2018 gestellt wurde, zumal der Optionsvertrag "nach § 15 Abs. 3 Z 16 der Verwaltungssatzungen unter sicherer Verwahrung beim Obmann aufbewahrt" sei.

19 Dem Wiederaufnahmeantrag war weiters als Beilage D eine "Beschwerde" des Revisionswerbers vom 17. April 2018 angeschlossen, in der er darauf hinweist, dass ihm der Optionsvertrag im Original bei der Vollversammlung vom gleichen Tag vorgelegt worden war.

20 Der Formulierung im Wiederaufnahmeantrag, "auf gestellten Antrag vom 9. April 2018 wurde mir erstmals der originale

Optionsvertrag ... unterbreitet" ist lediglich zu entnehmen, dass

der Revisionswerber an diesem Tag einen Antrag auf Einsicht in diesen Vertrag an die Agrargemeinschaft stellte, nicht aber, dass er an diesem Tag bereits Kenntnis vom Inhalt des Vertrages erhalten hat. Ebenso wenig ergibt sich aus diesem Antragstext, dass der Revisionswerber am 9. April 2018 an einer Vollversammlung teilgenommen hat. Wann der Revisionswerber Kenntnis vom originalen Optionsvertrag erhielt, ergibt sich aber - wie dargestellt - aus den einen Bestandteil des Wiederaufnahmeantrags darstellenden Beilagen.

21 Der Revisionswerber hat daher - entsprechend der Bestimmung des § 32 Abs. 2 letzter Satz VwGVG - auch die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, glaubhaft gemacht.

22 Im Übrigen ergibt sich auch aus dem - erst mit der Revision vorgelegten - Protokoll der Jahreshauptversammlung der Agrargemeinschaft vom 17. April 2018, und zwar dessen Punkt 16.) Z 2), dass dem Revisionswerber in Entsprechung seines schriftlichen Antrags vom 9. April 2018 an diesem Tag (ua) der originale Optionsvertrag vom 8.12./21.12.2006 zur Ansicht vorgelegt worden war.

23 Das LVwG hat den Tag der Antragstellung auf Einsicht in diesen Vertrag (9. April 2018) mit dem Tag der Einsichtnahme selbst (17. April 2018) verwechselt und ging daher in Bezug auf die Einhaltung der Frist des § 32 Abs. 2 erster Satz VwGVG von aktenwidrigen Annahmen aus, die zur Zurückweisung des Wiederaufnahmeantrags wegen Verspätung führten. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels liegt auf der Hand.

24 Der angefochtene Beschluss war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG aufzuheben.

Wien, am 25. Oktober 2018

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