Normen
AlVG 1977 §1 Abs1 lita
AlVG 1977 §1 Abs8
AlVG 1977 §12 Abs3 lith
AlVG 1977 §12 Abs6 lita
ASVG §4 Abs4
ASVG §5 Abs2 Z2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2016080005.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 23. März 2015 (im Folgenden: Bescheid I) sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) aus, dass das von der Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 17. Februar bis zum 28. Juni 2014 bezogene Arbeitslosengeld gemäß § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und die Mitbeteiligte gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen von € 4.626,60 verpflichtet werde. Mit weiterem Bescheid vom 23. März 2015 (im Folgenden: Bescheid II) sprach das AMS aus, dass die von der Mitbeteiligten für den Zeitraum vom 4. Juli bis zum 10. August 2014 bezogene Notstandshilfe gemäß § 38 iVm. § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und die Mitbeteiligte gemäß § 38 iVm. § 25 Abs. 1 AlVG zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen von € 1.265,40 verpflichtet werde. Das AMS begründete die Bescheide jeweils damit, dass die Mitbeteiligte die Leistungen zu Unrecht bezogen habe, weil sie ‑ laut nachträglicher Überprüfung durch die Gebietskrankenkasse ‑ seit dem 17. Februar 2014 in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden sei.
1.2. Die Mitbeteiligte erhob Beschwerde gegen den Bescheid I und brachte ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ vor, sie sei ab dem 17. Februar 2014 bei einer (näher genannten) GmbH als freie Dienstnehmerin geringfügig beschäftigt gewesen. Dabei sei für sie nicht erkennbar gewesen, dass das für den Zeitraum vom 17. bis zum 28. Februar 2014 bezogene Entgelt von € 324,‑ ‑ die Geringfügigkeitsgrenze überschritten hätte. Ab März 2014 sei eine Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze jedenfalls nicht vorgelegen. Die Bestimmung des § 12 Abs. 3 lit. h AlVG komme schon deshalb nicht zur Anwendung, weil keine vorangehende Beschäftigung nahtlos in ein geringfügiges Dienstverhältnis umgewandelt worden sei, sondern von vornherein eine geringfügige Beschäftigung bestanden habe. Auch eine Rückforderung nach § 25 Abs. 1 AlVG komme nicht in Betracht, zumal die Mitbeteiligte das AMS ohnehin über das geringfügige Dienstverhältnis informiert habe.
1.3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 29. Juni 2015 wies das AMS die Beschwerde als unbegründet ab. Es führte ‑ soweit hier von Bedeutung ‑ aus, die Mitbeteiligte habe für den Zeitraum vom 17. Februar bis zum 28. Juni 2014 dem AMS keine Beschäftigung gemeldet. Erst im Zuge der Antragstellung auf Notstandshilfe ab dem 4. Juli 2014 habe sie eine geringfügige Beschäftigung bei der GmbH (mit einem monatlichen Einkommen von € 324,‑ ‑ jeweils für Februar und März sowie € 364,‑ ‑ ab April 2014) dem AMS bekannt gegeben. Auf Grund einer Überlagerungsmeldung des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger habe das AMS im Jahr 2015 Kenntnis davon erlangt, dass die Mitbeteiligte vom 17. bis zum 28. Februar 2014 vollversichert und ab März 2014 geringfügig beschäftigt gewesen sei. Sie habe im Zeitraum vom 17. bis zum 28. Februar 2014 ein Entgelt von € 324,‑ ‑ und daher ‑ bei Hochrechnung auf den gesamten Monat ‑ ein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze bezogen, sodass sie in einem vollversicherten Beschäftigungsverhältnis gestanden sei und gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG nicht arbeitslos gewesen sei. Auch ab März 2014 sei sie nicht arbeitslos gewesen, weil gemäß § 12 Abs. 3 lit. h AlVG Arbeitslosigkeit nicht vorliege, wenn innerhalb eines Monats nach Beendigung einer vollversicherungspflichtigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen werde. Das für den Zeitraum vom 17. Februar bis zum 28. Juni 2014 gewährte Arbeitslosengeld sei daher gemäß § 24 Abs. 2 AlVG zu widerrufen und die Verpflichtung zur Rückzahlung des unberechtigt Empfangenen nach § 25 Abs. 1 AlVG auszusprechen (gewesen).
Das AMS hielt ferner in Ansehung des Bescheids II fest, dass jene Entscheidung unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen sei.
1.4. Die Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag. Sie führte darin ‑ unter anderem ‑ in Ansehung des Bescheids II aus, dass sie seinerzeit auch gegen jene Entscheidung Beschwerde erhoben habe, aus Versehen jedoch „zwei gleiche Beschwerden“ (offenbar gemeint: zweimal dieselbe Beschwerde gegen den Bescheid I) eingebracht habe. Sie beantrage daher unter nachträglicher Vorlage der Beschwerde gegen den Bescheid II, auch darüber zu entscheiden.
2.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis ‑ in dessen Kopf als bekämpfter Bescheid die (mit Datum und Geschäftszahl bezeichnete) Beschwerdevorentscheidung, als Gegenstand jedoch „Widerruf der Notstandshilfe gem. § 38“ iVm. § 24 Abs. 2 AlVG sowie „Rückforderung gem. § 38“ iVm. § 25 Abs. 1 AlVG angeführt wurden ‑ sprach das Verwaltungsgericht aus, dass der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG Folge gegeben und „der Bescheid des AMS“ ersatzlos behoben werde.
In den Entscheidungsgründen schilderte das Verwaltungsgericht zunächst den Verfahrensverlauf. Es gab dabei eingangs nicht den Bescheid I, sondern den Bescheid II inhaltlich wieder. In der Folge zitierte es jedoch ‑ unter anderem ‑ die Beschwerdevorentscheidung vom 29. Juni 2015, mit der ‑ wie schon erörtert ‑ das AMS über die Beschwerde gegen den Bescheid I entschieden und unter anderem ausgeführt hatte, dass der Bescheid II unbekämpft geblieben und in Rechtskraft erwachsen sei.
In der rechtlichen Würdigung führte das Verwaltungsgericht aus, das AMS stütze sich auf § 12 Abs. 3 lit. h AlVG. Diese Bestimmung setze voraus, dass auf eine vorangehende vollversicherte Beschäftigung eine geringfügige Anschlusstätigkeit folge. Fallbezogen bedeute dies, dass das Einkommen der Mitbeteiligten im Februar 2014 die Geringfügigkeitsgrenze überschritten haben müsse. Ob dies zutreffe, sei ‑ da ein freier Dienstvertrag vorgelegen sei ‑ nach den Grundsätzen für die Einkommensermittlung selbständig Erwerbstätiger zu prüfen. Zentral sei dabei die Bestimmung des § 12 Abs. 6 lit. c AlVG, die wiederum auf § 36a AlVG verweise, nach dessen Abs. 5 Z 1 die Mitbeteiligte mangels Vorliegens eines Einkommensteuerbescheids eine Erklärung über ihr Einkommen hätte abgeben müssen. Da dies nicht geschehen sei, seien die einschlägigen Bestimmungen des § 36a Abs. 5 Z 1 und Abs. 7 AlVG nicht anwendbar. Allerdings verweise § 12 Abs. 6 lit. c AlVG auch auf § 5 Abs. 2 ASVG.
„Wenn man“ ‑ so das Verwaltungsgericht weiter ‑ „nun dem Verweis zum § 5 Abs. 2 ASVG folgt, ist fraglich, ob Z 1 oder Z 2 des § 5 Abs. 2 ASVG anwendbar ist. Ausschlaggebend ist dies deshalb, da nur bei Anwendung der Z 2 der Text, der auf die Z 2 folgt, beachtlich ist: ‚Keine geringfügige Beschäftigung liegt hingegen vor, wenn das im Kalendermonat gebührende Entgelt den in Z 2 genannten Betrag nur deshalb nicht übersteigt, weil [...] die Beschäftigung im Laufe des betreffenden Kalendermonates begonnen oder geendet hat oder unterbrochen wurde.‘
Der erkennende Senat geht, ebenso wie das AMS, davon aus, dass kein ‚Beschäftigungsverhältnis‘ im Sinne des § 5 Abs. 2 ASVG vorliegt. Damit der Verweis des Gesetzgebers in § 12 Abs. 6 lit. c AlVG auf § 5 Abs. 2 ASVG nicht ad absurdum geführt wird und ein, der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze gegenüberstellbarer monatlicher Vergleichsbetrag ermittelt werden kann, lässt der erkennende Senat folgende Gedanken zur Beseitigung einer Gesetzeslücke walten. Der Gesetzgeber hat im § 12 Abs. 6 lit. c AlVG auf eine Bestimmung für unselbständige Beschäftigungen im ASVG verwiesen. Um einen systemkonformen Lückenschluss zu bewältigen, ist zu beachten, dass die unselbständigen Beschäftigungsverhältnisse (...) und die selbständige Tätigkeit (...) ‑ zu letzterer zählt hier auch der freie Dienstvertrag ‑ unterschiedlich behandelt werden. Der Gesetzgeber hat dies bereits im § 44 Abs. 8 ASVG zum Ausdruck (...) gebracht. Auch der VwGH hat eine unterschiedliche Behandlung ‑ da sachlich geboten ‑ bejaht. Aus Sicht des erkennenden Senats ist daher die analoge Anwendung der Berechnungsmethode des § 36a Abs. 7 AlVG zum Zwecke der Ermittlung eines monatlichen Vergleichsbetrags gerechtfertigt.
Somit lautet die Berechnung für den monatsweisen Vergleichsbetrag: € 324/1 = € 324. Dieser Vergleichsbetrag liegt mit € 324 aber unter der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze von € 395,31. (...) Aufgrund dieses Ergebnisses kann § 12 Abs. 3 lit. h AlVG keine Anwendung finden, da keine vorhergehende Beschäftigung im Februar 2014 vorlag und somit durchgehend von Geringfügigkeit auszugehen war.“
2.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision zulässig sei, weil eine „Lösungsvariante“ aufgezeigt worden sei, die sich in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht wiederfinde.
3. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die ordentliche Revision, in der (im Ergebnis) Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht werden.
Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
4.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
4.2. Vorliegend ist die Revision ‑ entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1a VwGG) Ausspruch des Verwaltungsgerichts ‑ nicht zulässig.
5.1. Die Begründung der Zulässigkeit einer (auch ordentlichen) Revision wegen fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs erfordert die Darlegung, welche konkrete Rechtsfrage noch nicht beantwortet wurde. Dem entspricht eine Zulassungsbegründung nicht, die nur ganz allgemein bzw. pauschal auf das Fehlen von Rechtsprechung zur Lösung einer nicht konkret dargelegten Rechtsfrage hinweist (vgl. VwGH 23.11.2017, Ro 2015/17/0033; 21.1.2015, Ro 2014/04/0074).
Vorliegend wird durch den nur ganz allgemein bzw. pauschal gehaltenen Hinweis des Verwaltungsgerichts auf eine sich in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht wiederfindende „Lösungsvariante“ eine in der Rechtsprechung noch nicht beantwortete konkrete Rechtsfrage nicht dargelegt. In der Zulassungsbegründung wird daher keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufgezeigt.
5.2. Der Revisionswerber hat auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision die Zulässigkeit der Revision darzutun, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. VwGH 9.9.2019, Ro 2016/08/0009).
Das AMS macht geltend, das Verwaltungsgericht sei in zwei ‑ im Folgenden näher erörterten ‑ Punkten von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen. Wie noch näher zu zeigen sein wird, legt aber auch das AMS keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG dar.
6.1. Das AMS releviert einerseits, das Verwaltungsgericht habe zwar im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses die den Bescheid I betreffende Beschwerdevorentscheidung vom 29. Juni 2015 angeführt und der dagegen erhobenen Beschwerde stattgegeben. Gleichzeitig habe es jedoch an mehreren Stellen auf den Bescheid II Bezug genommen. Es habe daher irriger Weise über den bereits rechtskräftigen Bescheid II abgesprochen, der aber nicht Gegenstand der Beschwerdevorentscheidung gewesen sei.
6.2. Vorliegend sprach das Verwaltungsgericht im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses aus, dass der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG stattgegeben und „der Bescheid des AMS“ ersatzlos behoben werde. Mit „Bescheid des AMS“ war dabei die Beschwerdevorentscheidung vom 29. Juni 2015 gemeint, wurde diese doch unmittelbar davor im Kopf des angefochtenen Erkenntnisses mit Datum und Geschäftszahl ausdrücklich angeführt.
Das Verwaltungsgericht konnte auch nur über die Beschwerdevorentscheidung absprechen, zumal diese dem Ausgangsbescheid endgültig derogiert hat. Folglich konnte nur die Beschwerdevorentscheidung bestätigt, abgeändert oder ‑ wenn (wie hier) eine Entscheidung in der betreffenden Sache gar nicht hätte ergehen dürfen ‑ ersatzlos behoben werden (vgl. VwGH 17.12.2015, Ro 2015/08/0026; 9.9.2019, Ro 2016/08/0009).
Ausgangsbescheid, an dessen Stelle die Beschwerdevorentscheidung getreten ist, war der Bescheid I, wie aus dem angefochtenen Erkenntnisses eindeutig hervorgeht (vgl. vor allem die weitläufig zitierte Beschwerdevorentscheidung) und wie auch in der Revision eingeräumt wird.
6.3. Zwar rügt das AMS zu Recht, dass das Verwaltungsgericht im Kopf des angefochtenen Erkenntnisses den Gegenstand mit „Widerruf der Notstandshilfe gem. § 38“ iVm. § 24 Abs. 2 AlVG sowie „Rückforderung gem. § 38“ iVm. § 25 Abs. 1 AlVG anführte und auch eingangs der Entscheidungsgründe nicht den Bescheid I, sondern den Bescheid II inhaltlich wiedergab.
Diese unrichtigen Bezugnahmen sind jedoch auf ein offenkundiges Versehen zurückzuführen, das im Ergebnis unschädlich ist, zumal eindeutig feststeht, dass das angefochtene Erkenntnis (ausschließlich) den Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengelds betraf. Der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe über den Bescheid II (betreffend Notstandshilfe) abgesprochen, ist jedenfalls unbegründet. Eine diesbezügliche Rechtswidrigkeit (infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts) liegt nicht vor.
7.1. Das AMS rügt andererseits, das Verwaltungsgericht habe zur Berechnung der Geringfügigkeitsgrenze bei Bezügen freier Dienstnehmer einen Lösungsweg aufgezeigt, der nicht nachvollziehbar sei und sich auch in der Rechtsprechung nicht wiederfinde. Da gemäß § 1 Abs. 8 AlVG freie Dienstnehmer den Dienstnehmern gleichgestellt seien, habe die Berechnung der Geringfügigkeit in gleicher Weise zu erfolgen. Dies bedeute fallbezogen, dass das für Februar 2014 bezogene Entgelt von € 324,‑ ‑ auf zwölf Tage umzulegen und auf einen Monat hochzurechnen sei, was € 810,‑ ‑ ergebe. Im Hinblick darauf sei aber keine geringfügige Beschäftigung und keine Arbeitslosigkeit vorgelegen, sodass der Widerruf und die Rückforderung des Arbeitslosengelds auszusprechen gewesen seien.
7.2. Durch BGBl. I Nr. 104/2007 wurden mit der neu geschaffenen Bestimmung des § 1 Abs. 8 AlVG freie Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 4 ASVG den Dienstnehmern im Sinn des § 1 Abs. 1 lit. a AlVG gleichgestellt. Durch diese Änderung sollten freie Dienstnehmer, die schon bisher hinsichtlich der Vollversicherung in der Kranken‑, Unfall‑ und Pensionsversicherung den Dienstnehmern gleichgestellt waren, auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung den Dienstnehmern gleichgestellt werden (vgl. VwGH 23.3.2015, Ra 2014/08/0062; ErläutRV 298 BlgNR 23. GP 5 f).
Bis zur Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung durch die genannte Novelle waren freie Dienstnehmer hinsichtlich des Vorliegens von Arbeitslosigkeit ‑ ebenso wie Werkunternehmer ‑ den selbständig Erwerbstätigen zuzuordnen. Die Einkommensermittlung hatte wie bei den selbständig Erwerbstätigen zu erfolgen (vgl. VwGH 4.8.2004, 2002/08/0118; 28.6.2006, 2005/08/0038). Seit der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 trifft dies auf Grund der gesetzlich angeordneten Gleichstellung mit den Dienstnehmern nicht mehr zu (vgl. auch Sdoutz/Zechner, Arbeitslosenversicherungsgesetz (17. Lfg.), § 1 Rz 70). Gleichstellung im soeben aufgezeigten Sinn bedeutet, dass für freie Dienstnehmer sowohl im Hinblick auf das Versicherungsverhältnis als auch auf das Leistungsrecht die gleichen Regeln wie für die abhängig beschäftigten Dienstnehmer gelten (vgl. Müller in Pfeil (Hrsg.), AlV‑Komm (1. Lfg.) § 1 f Rz 38).
7.3. Gegenständlich ist unstrittig, dass die Mitbeteiligte im Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld in einem Dienstverhältnis stand und die schon genannten Einkünfte bezog. Ebenso ist unstrittig, dass sie für den Zeitraum vom 1. März bis zum 28. Juni 2014 monatliche Bezüge von € 324,‑ ‑ (im März) bzw. € 364,‑ ‑ (ab April 2014) unter der Geringfügigkeitsgrenze bezog. Strittig ist ‑ im Hinblick auf die Frage des Vorliegens von Arbeitslosigkeit im Sinn des § 12 Abs. 1 AlVG bzw. deren Ausschlusses im Sinn des § 12 Abs. 3 lit. a und h iVm. Abs. 6 lit. a AlVG ‑ lediglich, ob auch im Februar 2014 (in diesem Monat bezog sie für den Zeitraum vom 17. bis zum 28. ein Einkommen von € 324,‑ ‑) von einem geringfügigen freien Dienstverhältnis auszugehen ist.
Die Beurteilung dieser Frage hat ‑ im Sinn der obigen Ausführungen ‑ seit der Novelle BGBl. I Nr. 104/2007 nach den Regeln für die Dienstnehmer (insbesondere nach dem Entgeltbegriff des § 49 Abs. 1 ASVG) zu erfolgen. Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber auf die Regeln für selbständig Erwerbstätige abstellt, lässt es die ‑ schon eingehend erörterte ‑ Änderung der Rechtslage durch die genannte Novelle außer Acht. Die diesbezüglichen weitläufigen Erwägungen des Verwaltungsgerichts stellen daher keine taugliche „Lösungsvariante“ dar, sondern sind verfehlt.
7.4. Nach dem Vorgesagten hat das Verwaltungsgericht zwar die Rechtslage verkannt. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist es letztlich aber doch zum richtigen Ergebnis gelangt, sodass die Revision nicht von der vom AMS geltend gemachten Rechtsfrage abhängt.
8.1. Nach § 5 Abs. 2 ASVG in der zeitraumbezogen maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 4/2013 (bezüglich der Grenzwerte in der Fassung BGBl. II Nr. 434/2013) gilt ein Beschäftigungsverhältnis als geringfügig, wenn es (Z 1) nur für kürzere Zeit als einen Kalendermonat vereinbart ist und das gebührende Entgelt (näher bezifferte) Höchstbeträge nicht überschreitet oder (Z 2) für mindestens einen Kalendermonat oder auf unbestimmte Zeit vereinbart ist und im Kalendermonat kein höheres Entgelt als € 395,31 gebührt. Keine geringfügige Beschäftigung liegt ‑ unter anderem ‑ dann vor, wenn das im Kalendermonat gebührende Entgelt den in Z 2 genannten Betrag nur deshalb nicht übersteigt, weil die Beschäftigung im Lauf des betreffenden Kalendermonats begonnen oder geendet hat oder unterbrochen wurde.
8.2. Vorliegend wurde das freie Dienstverhältnis evidenter Weise für länger als einen Monat vereinbart, sodass § 5 Abs. 2 Z 2 ASVG zur Anwendung kommt. Da die Mitbeteiligte für Februar 2014 ein Entgelt von lediglich € 324,‑ ‑ bezog, hat sie ‑ auf den ersten Blick ‑ die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten. Allerdings könnte sich eine Überschreitung aus der (oben wiedergegebenen) Sonderregelung für Rumpfmonate ergeben. Nach der Rechtsprechung würde die Anwendung dieser Regelung aber voraussetzen, dass die Geringfügigkeitsgrenze nur deshalb nicht überschritten wurde, weil das freie Dienstverhältnis erst im Verlauf eines Monats begonnen oder geendet hat (vgl. eingehend VwGH 20.2.2020, Ra 2019/08/0156).
8.3. Dass dies hier der Fall ist, ist nicht zu sehen. Die Mitbeteiligte brachte stets vor, dass sie nur ein geringfügiges freies Dienstverhältnis vereinbart habe, in dem das monatliche Entgelt die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschreiten sollte. Sie legte zum Beweis auch den abgeschlossenen freien Dienstvertrag (mit einer monatlichen Höchstzahl von 18 Stunden und einem Stundensatz von € 18,‑ ‑) sowie Bestätigungen über die gebührende monatliche Entlohnung (von zunächst € 324,‑ ‑ bzw. ab April 2014 € 364,‑ ‑) vor. Die Meldungen bei der Gebietskrankenkasse wiesen ebenso nur eine geringfügige Beschäftigung aus. Der einzige Hinweis auf ein vollversichertes Beschäftigungsverhältnis besteht in den beim Hauptverband geführten Versicherungsdaten, eine Bindung an diese Daten ist dem Gesetz allerdings nicht zu entnehmen (vgl. VwGH 24.7.2013, 2011/08/0221, 0222).
8.4. Liegt aber ‑ wie hier ‑ kein Hinweis auf eine umfangreichere Arbeitspflicht bei einem vereinbarten früheren Beginn des freien Dienstverhältnisses im betreffenden Monat bzw. auf einen damit verbundenen höheren Entgeltanspruch vor, so ist es nicht zulässig, das erzielte Entgelt auf den gesamten Monat fiktiv hochzurechnen (vgl. in dem Sinn neuerlich VwGH Ra 2019/08/0156).
Im Hinblick darauf ist fallbezogen für Februar 2014 von keinem die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden Einkommen und damit vom Vorliegen von Arbeitslosigkeit nach § 12 Abs. 6 lit. a AlVG auszugehen (vgl. auch VwGH 6.7.2011, 2011/08/0048).
9.1. Was den weiteren Bezugszeitraum vom 1. März bis zum 28. Juni 2014 betrifft, so steht unstrittig fest, dass die Mitbeteiligte ein Einkommen unter der Geringfügigkeitsgrenze bezog. Das AMS gründete den Widerruf insofern auf § 12 Abs. 3 lit. h AlVG, wonach Arbeitslosigkeit (auch) dann nicht vorliegt, wenn bei Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung beim selben Dienstgeber zwischen einer vorhergehenden vollversicherten Beschäftigung und der neuen geringfügigen Beschäftigung kein Zeitraum von mindestens einem Monat gelegen ist (vgl. VwGH 11.6.2014, 2013/08/0205).
9.2. Die genannte Bestimmung kommt ‑ wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend erkannte ‑ vorliegend (schon) deshalb nicht zur Anwendung, weil sie voraussetzt, dass vor der geringfügigen Beschäftigung eine die Arbeitslosigkeit ausschließende vollversicherungspflichtige Beschäftigung beim selben Dienstgeber vorgelegen ist (vgl. VwGH 16.2.2011, 2008/08/0028). Diese Voraussetzung steht im Zusammenhang mit dem weiteren Erfordernis, dass an die vorhergehende (vollversicherte) Beschäftigung die Aufnahme einer „neuen“ geringfügigen Beschäftigung anschließen muss. Das Dienstverhältnis darf also nicht bloß unverändert fortgeführt werden, sondern hat zumindest eine maßgebende Änderung (jedenfalls in Bezug auf die Entgelthöhe und den naheliegend damit einhergehenden Arbeitsumfang) zur Voraussetzung, um von der Aufnahme einer „neuen“ Beschäftigung ausgehen zu können (vgl. näher VwGH 20.2.2008, 2005/08/0217; 29.4.2002, 99/03/0070).
9.3. Vorliegend sind die soeben erörterten Anforderungen nicht erfüllt, zumal die Mitbeteiligte für Februar 2014 kein die Geringfügigkeitsgrenze überschreitendes Einkommen bezog. Folglich lag keine vorangehende (vollversicherte) Beschäftigung vor, an die ab dem 1. März 2014 eine geringfügige Beschäftigung ohne eine zumindest einmonatige Unterbrechung hätte anschließen können. Vielmehr wurde das von Anfang an geringfügige freie Dienstverhältnis ohne maßgebende Veränderung (über Ende Februar 2014 hinaus) fortgeführt.
10. Insgesamt ergibt sich daher, dass im betreffenden Bezugszeitraum (vom 17. Februar bis zum 28. Juni 2014) vom durchgehenden Bestehen eines geringfügigen freien Dienstverhältnisses und damit vom Vorliegen von Arbeitslosigkeit im Sinn des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG auszugehen ist. Die Voraussetzungen für den Widerruf (und die Rückforderung) des Arbeitslosengelds sind nicht erfüllt.
11. Die Revision war ‑ da das Verwaltungsgericht wenn auch mit falscher Begründung zum richtigen Ergebnis gelangt ist und zu sämtlichen berührten Rechtsfragen auch bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs vorliegt ‑ als unzulässig zurückzuweisen.
12. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 13. Oktober 2020
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