VwGH Ra 2019/20/0445

VwGHRa 2019/20/044531.10.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Eder und Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des H N in B, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. August 2019, W173 2118431-1/35E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200445.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 19. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 26. November 2015 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer Verhandlung - mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis vom 2. August 2019 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. In seiner Begründung stellte es im Wesentlichen darauf ab, dass die Angaben des Revisionswerbers zu den Gründen seiner Flucht nicht glaubwürdig seien. In Bezug auf die Frage des subsidiären Schutzes ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Heimatort in Afghanistan zwar wegen der dort herrschenden Sicherheitslage und der "nicht hinreichend gesicherten Erreichbarkeit" dieses Ortes "scheitere". Jedoch stelle die Ansiedelung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat eine innerstaatliche Fluchtalternative dar, deren Inanspruchnahme dem Revisionswerber auch zumutbar sei.

4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts und macht in diesem Zusammenhang geltend, das Verwaltungsgericht hätte von Amts wegen weitere Ermittlungen vornehmen müssen. Es hätte erheben müssen, "aus welchem Grund der Mutter des Revisionswerbers die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt" worden sei und "welchen Aufenthaltsstatus die anderen Brüder des Revisionswerbers in Deutschland aus welchem Grund" hätten. Es hätte auch der derzeit in Österreich aufhältige weitere Bruder vernommen oder zumindest "dessen Akt" (betreffend das in Österreich geführte Asylverfahren dieses Bruders) einbezogen werden müssen. Da die freie Beweiswürdigung erst nach vollständiger Beweiserhebung "einzusetzen" habe, habe das Bundesverwaltungsgericht eine vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen.

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage, ob amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar, weil es sich dabei um eine einzelfallbezogene Beurteilung handelt. Solchen Fragen kann dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen (vgl. VwGH 15.5.2019, Ra 2018/20/0496, mwN). Die Revision zeigt allerdings nicht auf, weshalb das Bundesverwaltungsgericht, das eine Verhandlung durchgeführt hat, angesichts des bisherigen Verfahrensablaufes und der dabei hervorgekommenen Ermittlungsergebnisse gehalten gewesen wäre, von Amts wegen ergänzende Erhebungen durchzuführen.

9 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss zudem auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. etwa VwGH 8.8.2019, Ra 2019/20/0188; 22.8.2019, Ra 2019/14/0343, jeweils mwN). Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist - um die Relevanz des behaupteten Verfahrensfehlers darzulegen - in der Revision konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung aussagen hätte können und welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. VwGH 27.6.2019, Ra 2019/14/0085). All dem kommt die Revision - insbesondere auch in Bezug auf das Vorbringen zu der vom Revisionswerber in der Beschwerde beantragten, aber letztlich vom Bundesverwaltungsgericht nicht durchgeführten Vernehmung des in Österreich aufhältigen Bruders (nach den im angefochtenen Erkenntnis enthaltenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts wurde dessen Antrag auf internationalen Schutz im Übrigen ebenfalls im Instanzenzug abgewiesen) - nicht nach.

10 Weiters wird in der Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe die Verpflichtung zur Beachtung von aktuellen Empfehlungen des UNHCR gänzlich übergangen, indem es die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazare Sharif als zumutbar erachtet habe.

11 Dieser in der Revision erhobene Vorwurf stellt sich vor dem Hintergrund des Inhaltes der angefochtenen Entscheidung als unzutreffend dar (vgl. insbesondere die Ausführungen im bekämpften Erkenntnis auf S. 111 ff.). Wie sich aus dem übrigen Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision ergibt, macht der Revisionswerber damit aber der Sache nach ohnedies keinen Begründungsmangel geltend, sondern er bekämpft die vom Bundesverwaltungsgericht aus den Feststellungen gezogenen rechtlichen Schlüsse. Anders als der Revisionswerber meint, stellt sich die unter Berücksichtigung seiner individuellen Verhältnisse - nach den diesbezüglich getroffenen Feststellungen handle es sich bei ihm um einen jungen, alleinstehenden, volljährigen und gesunden Mann, der im Kreis seiner afghanischen Familie aufgewachsen sei, einen Teil seines Lebens im Iran verbracht habe, der weiters über eine umfassende Schulbildung sowie über Arbeitserfahrung (als Schweißer und im Rahmen diverser Tätigkeiten auf Baustellen) verfüge und der (ohne iranischen, sondern vielmehr mit kabuler Akzent) Dari, Farsi und Paschtu spreche - vorgenommene rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts als nicht zu beanstanden dar (vgl. zur vom Revisionswerber angesprochenen Berichtslage ausführlich VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153; 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung, wobei sich der Verwaltungsgerichtshof im letztgenannten Erkenntnis im Besonderen mit der Situation von im Iran geborenen afghanischen Staatsangehörigen sowie solchen, die die längste Zeit dort gelebt haben, befasst hat, vgl. weiters in diesem Sinn auch VwGH 17.9.2019, Ra 2019/20/0438, mwN).

12 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wendet, ist er zunächst darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 2.9.2019, Ra 2019/20/0407, mwN).

13 In diesem Zusammenhang führt der Revisionswerber diverse Umstände ins Treffen, die seiner Ansicht nach im Rahmen der Beurteilung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz nicht berücksichtigt worden seien und zudem im Rahmen einer weiteren Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung hätten erörtert werden müssen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht das vom Revisionswerber zu seinen Integrationsschritten im weiteren Beschwerdeverfahren erstattete Vorbringen ohnedies über weite Strecken den Feststellungen zugrunde gelegt hat und im Übrigen den geltend gemachten Umständen unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein solches Gewicht zugemessen hat, wonach sich die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als unverhältnismäßig dargestellt hätte.

14 Der Revision, in der im Übrigen wesentliche Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts - so im Rahmen des Vorbringens zum Familienleben mit seinem Bruder: jene Feststellungen, wonach auch gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen und dessen Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht abgewiesen worden sei - zwar nicht bestritten, aber doch ausgeblendet werden, gelingt es nicht, aufzuzeigen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung als unvertretbar einzustufen wäre. 15 Es ist sohin anhand des Revisionsvorbringens auch nicht zu sehen, weshalb es fallbezogen zur Klärung des entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltes geboten gewesen wäre, eine weitere Verhandlungstagsatzung durchführen zu müssen (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0069, insbes. Pkt. 4.7. der Entscheidungsgründe). Schon deshalb ist dem darauf Bezug nehmenden Vorbringen der Boden entzogen (vgl. allerdings dazu, dass es zudem beim Vorbringen, nach Durchführung einer Verhandlung erfordere der Sachverhalt eine weitere Aktualisierung und daher wäre eine weitere Tagsatzung erforderlich, die Relevanz des Verfahrensfehlers darzulegen ist, VwGH 10.9.2018, Ra 2017/19/0431).

16 In der Revision werden nach dem Gesagten keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 31. Oktober 2019

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