VwGH Ra 2019/02/0098

VwGHRa 2019/02/009819.6.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie den Hofrat Mag. Dr. Köller und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des T W in L, vertreten durch Dr. Johann Kahrer und Dr. Christian Haslinger, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Dr. Dorfwirth-Straße 3, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 14. März 2019, Zl. LVwG-602350/15/DM/Bb, betreffend Übertretung der StVO (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Bezirkshauptmannschaft Ried im Innkreis), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §45 Abs3
AVG §66 Abs4
B-VG Art130 Abs4 idF 2012/I/051
B-VG Art133 Abs4
VStG §19
VStG §20
VStG §24
VStG §44a
VStG §51 Abs6
VwGG §34 Abs1
VwGG §42 Abs2
VwGG §42 Abs3
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §38
VwGVG 2014 §42
VwGVG 2014 §44
VwGVG 2014 §50
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019020098.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis vom 8. Jänner 2018 legte die belangte Behörde dem Revisionswerber zur Last, er habe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem konkret genannten Ort in der Gemeinde S. mit einem näher bezeichneten einspurigen Kleinkraftrad die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 48 km/h überschritten und dadurch § 20 Abs. 2 StVO verletzt, weshalb die belangte Behörde über ihn gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 210,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 76 Stunden) verhängte. 2 Mit Erkenntnis vom 29. Juni 2018 wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit der Maßgabe, dass die Strafe gemäß § 20 Abs. 2 iVm § 99 Abs. 2e StVO verhängt werde, als unbegründet ab.

3 Mit hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2019, Ra 2018/02/0284-6, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 29. Juni 2018 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil das Verwaltungsgericht entgegen § 44a Z 1 VStG das wesentliche Tatbestandselement "im Ortsgebiet" weder im Spruch noch in der Tatumschreibung angeführt und zudem gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen hat. 4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 14. März 2019 gab das Verwaltungsgericht im zweiten Rechtsgang der Beschwerde gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde insofern statt, als es die verhängte Geldstrafe auf EUR 150,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 48 Stunden herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruch des Straferkenntnisses durch die Anführung "im Ortsgebiet" ergänzt und die anzuwendende Strafbestimmung auf "§ 99 Abs. 2e StVO" richtig gestellt werde. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, der Revisionswerber habe zum Tatzeitpunkt ein konkret bezeichnetes einspuriges Kleinkraftrad an einem näher genannten Ort in der Gemeinde S. im Ortsgebiet mit einer Geschwindigkeit von 98 km/h gelenkt (abzüglich Messtoleranz). Die zulässige Höchstgeschwindigkeit habe im tatgegenständlichen Straßenabschnitt (Ortsgebiet) 50 km/h betragen. Die Geschwindigkeitsfeststellung sei durch ein näher bezeichnetes gültig geeichtes stationäres Radar-Verkehrsgeschwindigkeitsmessgerät erfolgt.

Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, in der der verkehrstechnische Sachverständige gutachterlich ausführlich dargelegt habe, dass im Hinblick auf die Aufstellung des Radargeräts von einer korrekten Messung auszugehen sei. Mit näherer Begründung kam das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass die Geschwindigkeitsmessung korrekt erfolgt sei.

In rechtlicher Hinsicht erwog es, der Revisionswerber habe dadurch den objektiven Tatbestand des § 20 Abs. 2 StVO erfüllt. Es sei dem Revisionswerber nicht gelungen darzutun, dass ihn an der Begehung der Verwaltungsübertretung kein Verschulden treffe. Es sei von fahrlässigem Verhalten auszugehen und der Revisionswerber habe sein objektiv rechtswidriges Verhalten auch subjektiv zu verantworten. Zur Strafbemessung führte das Verwaltungsgericht aus, die von der belangten Behörde fälschlicherweise herangezogene Strafbestimmung des § 99 Abs. 3 lit. a StVO sei richtig zu stellen und auf § 99 Abs. 2e StVO zu korrigieren gewesen. Strafmildernd sei die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers zu werten. Straferschwerend sei kein Umstand zu werten. Die vom Revisionswerber begangene Überschreitung der Geschwindigkeit liege 8 km/h über dem in § 99 Abs. 2e StVO angeführten Grenzwert. Eine besonders massive Überschreitung der strafsatzbestimmenden Geschwindigkeit liege nicht vor. Daher sei es geboten gewesen, die verhängte Geldstrafe auf die gesetzliche Mindeststrafe von EUR 150,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 48 Stunden zu reduzieren.

6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge die Revision zulassen, dieser Folge geben und das angefochtene Erkenntnis aufheben sowie dem Revisionswerber Kostenersatz zuerkennen.

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 In seinen Zulässigkeitsausführungen macht der Revisionswerber zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe im zweiten Rechtsgang zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt und weiche damit von näher genannter hg. Rechtsprechung ab.

11 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht im Zuge des ersten Rechtsgangs am 27. Juni 2018 eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat.

12 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss nach einer öffentlichen mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang auch im zweiten Rechtsgang eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt werden, wenn das konkrete Feststellungen auf Sachverhaltsebene erfordernde Verschulden des Revisionswerbers an den ihm angelasteten Verwaltungsübertretungen noch ungeklärt ist (vgl. VwGH 30.7.2018, Ra 2018/02/0183, mwN).

13 Dies war vorliegend nicht der Fall, zumal das Verschulden des Revisionswerbers im ersten Rechtsgang bereits hinreichend geklärt war und im zweiten Rechtsgang diesbezüglich keine weiteren Feststellungen notwendig waren. Das Verwaltungsgericht konnte daher zu Recht von der Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung absehen.

14 Damit führt auch das damit in Zusammenhang stehende Vorbringen, wonach eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses zu Unrecht unterblieben sei, nicht zur Zulässigkeit der Revision. 15 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision weiters vor, dem Verwaltungsgericht sei ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör sowie gegen das Überraschungsverbot anzulasten, weil es die von der belangten Behörde herangezogene Strafnorm des § 99 Abs. 3 lit. a StVO auf jene des § 99 Abs. 2e StVO umgestellt habe, ohne dem Revisionswerber vorher die Gelegenheit zu geben, dazu eine Äußerung zu erstatten. Durch die Heranziehung der strengeren Strafnorm des § 99 Abs. 2e StVO trete im nachfolgenden Verfahren über den Entzug der Lenkerberechtigung eine Bindungswirkung auch betreffend das Ausmaß der Geschwindigkeitsübertretung ein. Hierzu wäre dem Revisionswerber rechtliches Gehör einzuräumen gewesen.

16 Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das sogenannte Überraschungsverbot auch im Verwaltungsverfahren anzuwenden. Unter dem Überraschungsverbot ist das Verbot zu verstehen, dass die Behörde in ihre rechtliche Würdigung Sachverhaltselemente einbezieht, die der Partei nicht bekannt waren. Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt festgehalten, dass sich das zum Überraschungsverbot in Beziehung gesetzte Parteiengehör nur auf die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts, nicht aber auf die von der Behörde vorzunehmende rechtliche Beurteilung erstreckt. Auch führt ein Verstoß gegen das Überraschungsverbot nur dann zu einer Aufhebung der beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erledigung, wenn diesem Verfahrensmangel Relevanz zukommt, was im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof darzulegen ist. Diese Grundsätze sind auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten maßgeblich, zumal von den Verwaltungsgerichten auf dem Boden des § 17 VwGVG sowohl das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG als auch der Grundsatz der Einräumung von Parteiengehör iSd § 45 Abs. 3 AVG zu beachten ist (vgl. etwa VwGH 27.4.2017, Ro 2016/02/0020 bis 0023, mwN). 17 Schon nach der Rechtsprechung zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, war die Berufungsbehörde in Verwaltungsstrafsachen berechtigt, die als erwiesen angenommene Tat - unter Beachtung der durch das Verbot der reformatio in peius (§ 51 Abs. 6 VStG; nun § 42 VwGVG) gezogenen Grenzen - einer anderen rechtlichen Subsumtion, etwa der Unterstellung unter eine andere Strafnorm, zu unterziehen. Es kann auch im Hinblick auf die den Verwaltungsgerichten übertragene Pflicht, in Verwaltungsstrafsachen über Beschwerden meritorisch zu entscheiden (Art. 130 Abs. 4 erster Satz B-VG und § 50 VwGVG), für das Beschwerdeverfahren gegen Straferkenntnisse der Verwaltungsbehörden vor den Verwaltungsgerichten nichts anderes gelten (vgl. VwGH 21.11.2018, Ra 2017/17/0042, mwN). 18 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch bereits festgehalten, dass die Unterstellung eines bestimmten, als erwiesen angenommenen Sachverhaltes unter eine andere Verwaltungsvorschrift, als dies im erstinstanzlichen Straferkenntnis geschehen ist, eine Rechtsfrage betrifft und daher keines Parteiengehörs bedarf (vgl. VwGH 15.4.2019, Ra 2018/02/0076, mwN).

19 Im gegenständlichen Fall ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht seinem Erkenntnis einen anderen Sachverhalt als den von der belangten Behörde herangezogenen zugrunde gelegt hat. Die Richtigstellung der rechtlichen Grundlage der Bestrafung war im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, zumal das Verwaltungsgericht fallbezogen weder gegen das Verbot der reformatio in peius verstoßen hat, noch ist es dadurch zu einem "Austausch der Tat" durch Heranziehung eines anderen Sachverhalts gekommen. Bei der Richtigstellung der anzuwendenden Gesetzesbestimmung handelte es sich lediglich um eine Rechtsfrage, welche - entgegen dem Revisionsvorbringen - nicht dem Parteiengehör unterliegt.

20 Soweit der Revisionswerber moniert, das Verwaltungsgericht habe eine antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen, weil es zu Unrecht von den beantragten Zeugeneinvernahmen abgesehen habe, ist dem zu entgegnen, dass es nach der ständigen hg. Rechtsprechung der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts unterliegt, ob eine Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. etwa VwGH 8.1.2015, Ra 2014/08/0064, mwN).

21 Eine derart grobe Fehlbeurteilung ist im vorliegenden Fall nicht zu sehen, zumal sich die auf mehrere Aspekte stützende Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts insgesamt als schlüssig erweist.

22 Der Revisionswerber bringt weiters vor, das Verwaltungsgericht sei auf den Einwand, dass die beiden weiteren am Radarlichtbild ersichtlichen PKW von Einfluss auf das Messergebnis sein könnten, nicht eingegangen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung begründend ausführte, dass die vorliegenden Lichtbilder das vom Revisionswerber gelenkte Kleinkraftrad als einziges Fahrzeug samt Kennzeichen im relevanten Messbereich im abfließenden Verkehr zeigten. Damit ist ein Begründungsmangel nicht ersichtlich.

23 Soweit der Revisionswerber schließlich die Nichtanwendung des § 20 VStG rügt, ist zunächst festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht die Unbescholtenheit des Revisionswerbers als Milderungsgrund gewertet hat.

24 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit - auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen - für sich genommen noch kein beträchtliches Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe iSd § 20 VStG bewirken kann (vgl. VwGH 19.7.2013, 2013/02/0101; 30.6.2011, 2011/03/0078, jeweils mwN).

25 Soweit der Revisionswerber zudem auf die "überlange Verfahrensdauer" hinweist, ist auszuführen, dass nach der ständigen Rechtsprechung eine überlange Verfahrensdauer als Grund für die Milderung der Strafe gemäß § 20 VStG in Anschlag zu bringen ist. Die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist dabei an Hand der besonderen Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Partei und der staatlichen Behörden im betreffenden Verfahren und der Bedeutung der Sache für die Partei zu beurteilen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/03/0085, mwN).

26 Der Revisionswerber zeigt nicht konkret auf, warum die Strafbemessung des Verwaltungsgerichts, das ohnehin nur die gesetzliche Mindeststrafe verhängt hat, von den Leitlinien der höchstgerichtlichen Judikatur abgewichen wäre (vgl. idS erneut VwGH 30.6.2011, 2011/03/0078; 16.12.2015, Ra 2015/03/0085, jeweils mwN).

27 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. Juni 2019

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