VwGH Ro 2018/10/0028

VwGHRo 2018/10/002825.6.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der H Z in W, vertreten durch die Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. April 2018, Zl. W129 2172309- 1/11E, betreffend Studienbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Studienbeihilfenbehörde), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1
AVG §56
EURallg
StudFG 1992 §35
StudFG 1992 §37 Abs1
StudFG 1992 §4 Abs1a idF 2015/I/047
StudFG 1992 §4 Abs1a Z3 idF 2015/I/047
StudFG 1992 §42
StudFG 1992 §45 Abs1
StudFG 1992 §51 Abs1 idF 1994/619
StudFG 1992 §51 Abs1 Z4 idF 1994/619
StudFG 1992 §51 idF 1994/619
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012
VwGG §41
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwRallg
12010E267 AEUV Art267
32004L0038 Unionsbürger-RL Art24 Abs2
62003CJ0209 Dany Bidar VORAB
62006CJ0011 Morgan VORAB
62007CJ0158 Förster VORAB
62009CJ0162 Taous Lassal VORAB
62009CJ0325 Dias VORAB
62011CJ0523 Prinz und Seeberger VORAB
62013CJ0359 Martens VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018100028.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Antrag vom 14. November 2016 begehrte die Revisionswerberin, eine kroatische Staatsangehörige, die Gewährung von Studienbeihilfe für das im Wintersemester 2014 an der Wirtschaftsuniversität Wien aufgenommene Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

2 Mit Bescheid vom 4. Jänner 2017 erkannte die Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Wien, der Revisionswerberin ab September 2016 eine monatliche Studienbeihilfe in der Höhe von EUR 442,-- zu.

3 Über die dagegen erhobene Vorstellung entschied der Senat der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien mit Bescheid vom 30. Juni 2017 dahingehend, dass der Antrag auf Gewährung einer Studienbeihilfe vom 14. November 2016 abgewiesen werde. Weiters wurde die Revisionswerberin verpflichtet, die bezogene Studienbeihilfe in der Höhe von EUR 4.862,-- innerhalb von vier Wochen ab Zustellung dieses Bescheides zurückzuzahlen. Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, es habe sich aufgrund von Ermittlungen anlässlich des Rechtsmittelverfahrens ergeben, dass die Revisionswerberin von 2006 bis 2014 - und damit mehr als zwei aufeinander folgende Jahre - nicht in Österreich gemeldet gewesen sei, weshalb sie ihr Recht auf Daueraufenthalt in Österreich gemäß Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG verloren habe. Damit sei sie nicht gemäß § 4 Abs. 1a Z 2 Studienförderungsgesetz 1992 (StudFG) österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Da sie keine Berufstätigkeit ausgeübt habe, könne sie auch nicht gemäß § 4 Abs. 1a Z 1 StudFG gleichgestellt sein. Auch sonst lägen keine Gründe für eine Gleichstellung gemäß § 4 StudFG vor.

4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 9. April 2018 wurde die gegen den Bescheid des Senats der Studienbeihilfenbehörde erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof für zulässig erklärt.

5 Seiner Entscheidung legte das BVwG als Sachverhalt zu Grunde, die Revisionswerberin sei eine kroatische

Staatsangehörige, die am 8. September 1993 in Linz geboren sei. Bis zu ihrem 13. Lebensjahr habe sie in Österreich gelebt, einen Kindergarten besucht sowie die Volksschule und zwei Jahre eines Gymnasiums absolviert. Im Jahr 2006 sei die Revisionswerberin mit ihren Eltern nach Kroatien gezogen, wo sie eine zweisprachige (Kroatisch und Deutsch) Schule des kroatischen Staates (keine österreichische Auslandsschule) besucht habe. In Kroatien habe sie die Matura absolviert und zwei Jahre lang Wirtschaftswissenschaften

studiert. Im Wintersemester 2014/15 sei die Revisionswerberin von Kroatien nach Wien gezogen und habe an der Wirtschaftsuniversität Wien das Bachelorstudium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften begonnen. Das genannte Studium bestehe größtenteils aus Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht. Die Revisionswerberin verbringe zumindest vier Tage in der Woche an der Wirtschaftsuniversität Wien. Im Rahmen des an der Universität Zagreb 2012/13 sowie 2013/14 belegten Studiums "business economics" habe die Revisionswerberin Prüfungsleistungen im Ausmaß von 108 ECTS absolviert, wovon ihr Prüfungen im Ausmaß von 24 ECTS für das Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien angerechnet worden seien. Außerdem habe die Revisionswerberin zum Zeitpunkt der Antragstellung acht positive Prüfungsleistungen (im Gesamtausmaß von 35 ECTS) und elf negative Prüfungsleistungen (im Gesamtausmaß von 50 ECTS) an der Wirtschaftsuniversität Wien erbracht. Die Revisionswerberin sei in Österreich nicht berufstätig. Sie verfüge über perfekte Deutschkenntnisse. Ihre Eltern, ebenfalls kroatische Staatsangehörige, lebten seit dem Umzug im Jahr 2006 durchgehend in Kroatien und seien dort berufstätig.

6 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG nach Darstellung der maßgeblichen Rechtsgrundlagen zur Frage der Anspruchsberechtigung der Revisionswerberin aus, dass sie zwar Unionsbürgerin sei, jedoch zweifelsfrei weder Wanderarbeitnehmerin oder Familienangehörige einer Wanderarbeitnehmerin oder eines Wanderarbeitnehmers sei, da sie selbst in Österreich keiner Beschäftigung nachgehe und ihre Eltern seit dem Jahr 2006 in Kroatien lebten und dort berufstätig seien.

7 Nach § 20 Abs. 4 NAG erlösche das unbefristete Aufenthaltsrecht, wenn sich der Fremde länger als

zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des EWR-Gebietes aufhalte, jedenfalls aber nach 24 Monaten. Da Kroatien zu diesem Zeitpunkt noch kein Mitgliedstaat des EWR-Raumes gewesen sei, sei der unbefristete Aufenthaltstitel somit spätestens im Verlauf des Kalenderjahres 2008 erloschen. Ungeachtet des erst im Jahr 2013 erfolgten EU-Beitritts Kroatiens sehe auch die Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG ) in Art. 16 Abs. 4 einen Verlust des Rechts auf Daueraufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nach einer über zweijährigen Abwesenheit vor.

8 Aber auch eine Gleichstellung aufgrund einer zu bejahenden Integration in das österreichische Bildungsbzw. Gesellschaftssystem sei zu verneinen. Die Novelle des StudFG BGBl. I Nr. 47/2015 und die zugehörigen Gesetzeserläuterungen knüpften an EuGH-Judikatur an, insbesondere an den Fall Bidar, Rs. C-209/03 , vom 15. März 2005. Im Fall Bidar habe der Antragsteller, ein französischer Staatsangehöriger, bereits drei Jahre lang in England gelebt und dort auch seine Matura absolviert, bevor er sein Studium in England begonnen und um Studienbeihilfe angesucht habe. Diese Konstellation sei in Österreich durch einen Erlass der Wissenschaftsministerin vom 29. Dezember 2005 in die Verwaltungspraxis der belangten Behörde dahingehend umgesetzt worden, dass eine Integration als ausreichend gegeben erachtet werde, wenn der Studierende einen großen Teil seiner Ausbildung an einer Höheren Schule im Mitgliedstaat erhalten habe (z.B. Oberstufe und Reifeprüfung; Hinweis auf EuGH, Bidar, Rn. 62). Auch die Absolvierung einer österreichischen Auslandsschule sei als Integration in das österreichische Bildungssystem zu qualifizieren. Das BVwG verkenne nicht, dass die Revisionswerberin über perfekte Deutschkenntnisse verfüge und zumindest ihre ersten Schuljahre in Österreich verbracht habe. Der weitere Lebenslauf der Revisionswerberin erweise sich jedoch geradezu gegenteilig zur Fallkonstellation der EuGH-Entscheidung Bidar (EuGH 15.3.2005, Rs. C-209/03 ), da die Revisionswerberin eben nicht den Großteil der Sekundarausbildung (einschließlich Reifeprüfung) im Aufnahmemitgliedstaat absolviert habe. Zum Antragszeitpunkt habe die Revisionswerberin erst seit zwei Jahren wieder in Wien gelebt und sie habe an der Wirtschaftsuniversität Wien acht positive Prüfungsleistungen im Gesamtausmaß von 35 ECTS und elf negative Prüfungsleistungen im Gesamtausmaß von 50 ECTS erbracht. Von den an der Universität Zagreb absolvierten Studienleistungen habe nur ein kleiner Teil (24 von 108 ECTS) an der Wirtschaftsuniversität Wien anerkannt werden können. Es erscheine somit vertretbar, dass die belangte Behörde von einer zum Zeitpunkt der Antragstellung (§ 1 Abs. 4 StudFG) vorerst unzureichenden Integration in das österreichische Bildungs- und Gesellschaftssystem ausgegangen sei.

9 Die weitere - in der Beschwerde bestrittene - Frage der Zuständigkeit des Senats der Studienbeihilfenbehörde, die Rückzahlung der zu Unrecht bezogenen Studienbeihilfe zu verfügen, bejahte das BVwG. Mit der B-VG-Novelle BGBl. I Nr. 51/2012 sei der administrative Instanzenzug mit einer einzigen Ausnahme (diese betreffe die Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde) abgeschafft worden. Es gebe somit - außer in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde - nur noch eine einzige Verwaltungsinstanz. Jede Verwaltungsbehörde sei daher "erste und letzte Instanz" und gegen die von ihr erlassenen Bescheide könne als einziges Rechtsmittel Beschwerde beim Verwaltungsgericht erhoben werden. Diese Abschaffung des administrativen Instanzenzugs sei eine vollständige und es bestünden von ihr keine Ausnahmen. Ungeachtet dessen blieben remonstrative Rechtsmittel zulässig. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Provisorialentscheidungen - etwa Strafverfügungen oder Mandatsbescheide - vorgesehen würden, welche durch einen Widerspruch der Parteien außer Kraft träten und wodurch das ordentliche Verwaltungs(straf)verfahren eingeleitet werde. Die Vorstellung nach § 42 StudFG sei ein dem § 57 AVG (Mandatsverfahren) teilweise nachgebildetes, jedoch selbstständiges Rechtsmittel. Die Vorstellung löse die Verpflichtung aus, ein ordentliches Ermittlungsverfahren unter Wahrung des Parteiengehörs durchzuführen. Eine Besonderheit des Studienbeihilfenverfahrens liege aber darin, dass über die Vorstellung gegen den monokratisch erlassenen Bescheid der Studienbeihilfenbehörde ein Kollegialorgan, nämlich der Senat der Studienbeihilfenbehörde, entscheide. Insofern sei die Vorstellung nach dem StudFG ein modifiziertes remonstratives Rechtsmittel, über das zwar formell dieselbe Behörde, jedoch nach verschiedenen Regeln über die Willensbildung zu entscheiden habe (Hinweis auf VwGH 4.7.2001, 99/12/0170; 14.9.1994, 94/12/0081).

10 Die Senate der Studienbeihilfenbehörde seien keine selbstständigen Behörden, sondern vielmehr willensbildende (Hilfs‑)Organe der Studienbeihilfenbehörde, deren Entscheidungen der Studienbeihilfenbehörde zuzurechnen seien. Konsequenterweise entscheide daher mit dem Senat dasselbe Organ, das den bekämpften Bescheid erlassen habe, auch über die dagegen erhobene Vorstellung. Somit bestünden seitens des BVwG keine Bedenken, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Rückzahlung der zuerkannten Studienbeihilfe verfügt habe.

11 Die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, dass keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob auch jene Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts und der (Aus‑)Bildung bei der Frage der Integration in das österreichische Bildungs- und Gesellschaftssystem (§ 4 Abs. 1a Z 3 StudFG) maßgeblich zu berücksichtigen seien, die vor einer mehrjährigen Abwesenheit und dem damit verbundenen Erlöschen des Aufenthaltsrechts im österreichischen Bundesgebiet verbracht worden seien.

12 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

13 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14 Die Revisionswerberin führt die vom BVwG aufgeworfene Rechtsfrage im Wesentlichen dahingehend aus, dass zu klären sei, unter welchen Voraussetzungen ein EWR-Bürger iSd § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG "in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert" sei. Darüber hinaus liege auch keine Rechtsprechung zur Frage vor, ob kroatische Staatsangehörige überhaupt unter den Begriff des "EWR-Bürgers" fielen, weil Kroatien mit dem Beitritt zur EU am 1. Juli 2013 nicht automatisch Mitglied des EWR geworden sei und der Ratifizierungsprozess des diesbezüglichen Beitrittsübereinkommens, das seit 11. April 2014 "vorläufig angewandt" werde, noch nicht abgeschlossen sei. Es fehle auch an Rechtsprechung zur Frage, ob für einen Sachverhalt wie den vorliegenden überhaupt § 51 Abs. 1 Z 4 StudFG einschlägig sei. Zudem sei das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, indem es unter Missachtung der unterschiedlichen funktionellen Zuständigkeiten zwischen den Stipendienstellen einerseits und den Senaten andererseits die Unzuständigkeit des Senates der Studienbeihilfenbehörde zur erstmaligen Anordnung einer Rückzahlungsverpflichtung, bei der es sich nach der Rechtsprechung nicht um eine Annexzuständigkeit handle, nicht aufgegriffen habe. Darüber hinaus sei die Beweiswürdigung fallbezogen in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Weise vorgenommen worden. Schließlich fehle es an Rechtsprechung des EuGH zu den Fragen, ob der "Ausschluss" des Gleichbehandlungsrechts für Studienbeihilfe für wirtschaftlich nicht aktive Unionsbürger vor Erwerb des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts in Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie gegen Primärrecht verstoße und nach welchen Kriterien die "gewisse Integration in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates" zu beurteilen sei.

15 Die Revision ist schon im Hinblick auf die Frage nach den Kriterien zur Beurteilung einer "Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem" iSd § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG und die behauptete Unzuständigkeit hinsichtlich der Rückzahlungsentscheidung zulässig.

16 Die maßgeblichen Bestimmungen des StudFG, BGBl. Nr. 305/1992, in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung BGBl. I Nr. 54/2016, lauten:

"Gleichgestellte Ausländer und Staatenlose

§ 4. (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und von Vertragsparteien des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie Drittstaatsangehörige sind österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, soweit es sich aus diesen Übereinkommen ergibt.

(1a) EWR-Bürger erfüllen die Gleichstellungsvoraussetzungen, wenn sie

1. Wanderarbeitnehmer im Sinne des Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) oder Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern sind oder

2. das Recht auf Daueraufenthalt in Österreich im Sinne des Artikels 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, haben oder

3. in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert sind.

...

Stipendienstellen

§ 34. (1) Stipendienstellen der Studienbeihilfenbehörde bestehen in Wien, Graz, Innsbruck, Linz, Salzburg und Klagenfurt.

...

Zuständigkeit der Studienbeihilfenbehörde

§ 35. (1) Die Studienbeihilfenbehörde ist in erster Instanz zuständig für die Erledigung von Anträgen auf

  1. 1. Studienbeihilfen,
  2. 2. Studienzuschüsse und
  3. 3. Beihilfen für Auslandsstudien.

    ...

    Senate der Studienbeihilfenbehörde

§ 37. (1) Senate der Studienbeihilfenbehörde entscheiden über Förderungen nach diesem Bundesgesetz aufgrund von Vorstellungen und Vorlageanträgen sowie über Beschwerden im Beschwerdevorentscheidungsverfahren gemäß § 14 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013.

(2) Bei jeder Stipendienstelle ist mindestens ein Senat einzurichten, der für Studierende aller zum örtlichen Wirkungsbereich der Stipendienstelle gehörenden Ausbildungseinrichtungen zuständig ist.

...

Rückzahlung

§ 51. (1) Studierende haben zurückzuzahlen:

1. Studienbeihilfenbeträge, deren Zuerkennung erschlichen wurde;

2. Studienbeihilfenbeträge, deren Zuerkennung durch unvollständige oder unwahre Angaben bewirkt wurde;

3. Studienbeihilfenbeträge, die nach dem Eintritt eines gesetzlichen Erlöschensgrundes oder während des Ruhens des Anspruches ausbezahlt wurden;

4. Studienbeihilfenbeträge, für deren Auszahlung die Voraussetzungen durch eine nachträgliche Abänderung des Bewilligungsbescheides weggefallen ist;

5. den gesamten Betrag der erhaltenen Studienbeihilfe, der in den ersten beiden Semestern insgesamt, in den ersten beiden Semestern eines Masterstudiums oder in den ersten beiden Semestern eines Doktoratsstudiums bezogen wurde, wenn nicht wenigstens Studiennachweise in dem in § 48 Abs. 2 festgelegten Ausmaß vorgelegt werden;

6. den gesamten Betrag der im ersten Semester bezogenen Studienbeihilfe, wenn nach einem Studienabbruch oder einer Studienunterbrechung nicht wenigstens Studiennachweise in dem in § 48 Abs. 3 festgelegten Ausmaß vorgelegt werden.

..."

17 Die Gesetzesmaterialien (IA 922/A XXV. GP ) zu § 4 Abs. 1a StudFG, der mit der Novelle BGBl. I Nr. 47/2015 eingefügt wurde, lauten:

"Gemäß § 4 Abs. 1 StudFG sind Staatsbürgerinnen und Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und von Vertragsparteien des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie Drittstaatsangehörige österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgestellt, soweit es sich aus diesen Übereinkommen ergibt.

Den Gesetzesmaterialien zufolge (ErläutRV 1166 BlgNR 12 GP 18) soll durch den Verweis des § 4 Abs. 1 StudFG auf die europäischen Übereinkommen eine flexible Anpassung der Vollziehung an allfällige Änderungen durch die Rechtsprechung der EuGH ermöglicht werden.

Fest steht, dass die Unionsbürgerschaft alleine noch zu keiner Gleichstellung führt. Dem entsprechend wurden vor dem Hintergrund der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften und der Judikatur des EuGH in Vollziehung des § 4 Abs. 1 StudFG folgende Gruppen von gleichgestellten EWR-Bürgerinnen und EWR-Bürgern entwickelt:

● Wanderarbeitnehmer und deren Familienangehörige (Art. 45 AEUV, Art. 7 und 10 VO-EU 492/2011)

● Daueraufenthaltsberechtigte (= Personen, die sich seit mindestens 5 Jahren in Österreich aufhalten) (Art. 27 Abs. 2 iVm Art. 16 RL 2004/38/EG )

● Personen, die in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert sind (u.a. EuGH Rs C-209/03 , Fall Bidar).

Diese in Auslegung des § 4 Abs. 1 StudFG definierten Gleichstellungsvoraussetzungen entsprechen zwar insoweit den europarechtlichen Vorgaben, als gemäß Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG die Mitgliedsstaaten nicht verpflichtet sind, anderen Personen als Wanderarbeitnehmern (und deren Familienangehörigen) und daueraufenthaltsberechtigten Personen Studienbeihilfe zu gewähren. Da es jedoch aufgrund der Formulierung des Art. 24 Abs. 2 der RL 2004/38/EG auch nicht ausgeschlossen ist, dass Mitgliedstaaten auf das Erfordernis der Daueraufenthaltsberechtigun g verzichten und auch Personen, die dieses Kriterium nicht erfüllen, Studienbeihilfe gewähren, lässt sich das Erfordernis des mindestens fünfjährigen Aufenthalts in Österreich nicht unmittelbar aus Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG ableiten.

Im Sinne der Klarheit und Vorhersehbarkeit der Regelung sollen daher mit dem neuen Absatz 1a die bisher im Auslegungsweg entwickelten Gleichstellungsvoraussetzungen ausdrücklich festgelegt werden."

Zur Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem:

18 Dem Revisionsvorbringen, die Revisionswerberin habe ihr Recht auf Daueraufenthalt nicht verloren, weil sie mindestens einmal im Jahr nach Österreich zurückgekehrt sei, um Freunde und Verwandte zu besuchen, steht das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zu beachtende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegen. Die Revisionswerberin hat im bisherigen Verfahren ein solches Vorbringen nicht erstattet, obwohl der Verlust des Daueraufenthaltsrechts die wesentliche Begründung des Bescheides der belangten Behörde darstellte und sie Gelegenheit hatte, diesbezügliches Vorbringen zu erstatten.

19 Ebenso steht dem Vorbringen der Revisionswerberin, sie falle als kroatische Staatsangehörige nicht unter den Begriff des EWR-Bürgers, weil Kroatien mit dem Beitritt zur EU am 1. Juli 2013 nicht automatisch Mitglied des EWR geworden sei, die Ratifizierung des Beitrittsübereinkommens aber noch nicht abgeschlossen sei, das Neuerungsverbot entgegen. Dieses gilt auch für Rechtsausführungen, deren Richtigkeit nur auf Grund von Tatsachenfeststellungen überprüft werden kann, die deshalb unterblieben sind, weil im Verwaltungsverfahren und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht diesbezüglich nichts vorgebracht wurde (vgl. VwGH 19.10.2017, Ro 2015/16/0024). Im Übrigen ergibt sich schon aus dem Revisionsvorbringen selbst, dass das EWR-Abkommen, auch wenn der Ratifizierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, seit der Unterzeichnung am 11. April 2014 "vorläufig angewandt" wird, sodass einer Behandlung der Revisionswerberin als EWR-Bürgerin nichts entgegen steht, liegt doch der Zweck einer vorläufigen Anwendung gerade darin, die Wirkungen des Vertrages vorzeitig einsetzen zu lassen.

20 Nun lässt sich der in Rede stehenden Vorschrift des § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG nicht unmittelbar entnehmen, was unter "Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem" zu verstehen ist. Allerdings legen die Erläuterungen offen, dass mit dem neu eingefügten Absatz 1a des § 4 StudFG einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften und der Judikatur des EuGH Rechnung getragen werden sollte, wobei beispielsweise hinsichtlich der Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem das Urteil des EuGH in der Rechtssache Bidar, C-209/03 , zitiert wurde.

21 Im Urteil vom 15. März 2005, C-209/03 , Rs Bidar, hat der EuGH ausgesprochen, dass es hinsichtlich einer Beihilfe zur Deckung der Unterhaltskosten der Studenten legitim sei, dass ein Mitgliedstaat eine derartige Beihilfe nur solchen Studenten gewähre, die nachgewiesen hätten, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert hätten. Ein solcher Integrationsgrad könne durch die Feststellung als nachgewiesen angesehen werden, dass der betreffende Student sich für eine gewisse Zeit im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten habe (Rz 59). Ein im Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig aufhältiger Student, der einen großen Teil seiner Ausbildung an weiterführenden Schulen in diesem Staat erhalten habe, habe eine tatsächliche Verbindung zu der Gesellschaft dieses Staates hergestellt (Rz 62).

22 Im Urteil des EuGH vom 23. Oktober 2007, C-11/06 und C- 12/06 , Rs Morgan und Bucher, hielt der EuGH fest, dass ein ausreichender Grad gesellschaftlicher Integration vorliege, wenn die betroffenen Studierenden im Antragsstaat aufgewachsen seien und dort ihre Schulzeit verbracht hätten (Rz 45).

23 Im Urteil vom 18. November 2008, C-158/07 , Rs Förster, erachtete der EuGH einen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt als geeignet, die Integration desjenigen, der das fragliche Unterhaltsstipendium beantragt, im Aufnahmemitgliedstaat sicherzustellen und im Hinblick auf die Anforderungen an den Grad der Integration nicht als unverhältnismäßig (Rz 52 und 54). 24 Im Urteil vom 18. Juli 2013, C-523/11 und C-585/11 , Rs Prinz und Seeberger, führte der EuGH aus, dass zwar das Vorliegen eines gewissen Grades der Integration aufgrund der Feststellung, dass ein Studierender sich während eines gewissen Zeitraums in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten habe, als erwiesen gelten könne, dass aber ein alleiniges Wohnsitzerfordernis die Gefahr berge, dass von der Förderung Auszubildende ausgeschlossen würden, die zwar genau das verlangte Wohnsitzerfordernis nicht erfüllten, die aber gleichwohl eine ausreichende Verbundenheit mit der Gesellschaft des Mitgliedstaates aufwiesen. Dies könne der Fall sein, wenn der Studierende die Staatsangehörigkeit des betreffenden Mitgliedstaats besitze und dort einen erheblichen Teil seiner Schulzeit verbracht habe, oder aufgrund anderer Faktoren wie etwa seiner Familie, seiner Beschäftigung, seiner Sprachkenntnisse oder des Vorliegens sonstiger sozialer oder wirtschaftlicher Bindungen (Rz 38).

25 Im Urteil vom 26. Februar 2015, C-359/13 , Rs Martens, zählt der EuGH schließlich folgende Beispiele möglicher Verbindungen eines Studierenden zum leistenden Mitgliedstaat auf: Wohnsitz, Staatsangehörigkeit, Schulausbildung, Familie, Beschäftigung, Sprachkenntnisse und sonstige soziale oder wirtschaftliche Bindungen (Rz 41).

26 Aus dieser Judikatur folgt, dass zur Beurteilung einer ausreichenden Integration des Antragstellers in die Gesellschaft des Leistungsstaates im Rahmen einer Einzelfallprüfung alle Umstände zu berücksichtigen sind, die eine besondere Verbundenheit mit diesem Staat auszudrücken vermögen, wie etwa - jeweils bezogen auf den Leistungsstaat - die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die Staatsangehörigkeit, die Absolvierung eines erheblichen Teils der Schulausbildung, Familie, Beschäftigung, Sprachkenntnisse und sonstige soziale oder wirtschaftliche Bindungen. Eine auf die Offenlegung solcher Kriterien gerichtete, von der Revisionswerberin angeregte, Vorlage an den EuGH erübrigt sich somit.

27 In diesem Sinn ist auch die im Lichte der EuGH-Rechtsprechung entstandene innerstaatliche Vorschrift des § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG hinsichtlich der Integration in das österreichische Gesellschaftssystem zu verstehen.

28 Da darüber hinaus innerstaatlich alternativ auch die Integration in das österreichische Bildungssystem gesondert angeführt ist, sind diesbezügliche Integrationsmaßnahmen nicht nur - soweit damit auch eine gesellschaftliche Verbindung zu dem Mitgliedstaat, der die Leistung erbringen soll, einhergeht - bei der Integration in die Gesellschaft dieses Staates zu berücksichtigen, sondern auch als Integrationsmaßnahme ins Bildungssystem. Eine bloße Bildungsintegration könnte etwa dann vorliegen, wenn eine österreichische Schule im Ausland besucht wird.

29 Das österreichische Bildungssystem umfasst alle Stufen der Internationalen Standardklassifikation im Bildungswesen (ISCED), beginnend mit dem frühkindlichen Bildungsbereich vor Schuleintritt (Kindergarten) bis zur höchsten Bildungsstufe, den Doktoratsstudien oder gleichwertigen Bildungsabschlüssen (vgl. dazu die auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung veröffentlichte Grafik des österreichischen Bildungssystems, Sektion II, 04/2018). 30 Ausgehend davon, dass im Rahmen einer Einzelfallprüfung der Integrationsgrad einer Person in das Bildungs- oder Gesellschaftssystem zu beurteilen ist, spielen im Rahmen der Bewertung der einzubeziehenden Kriterien naturgemäß jedenfalls die Intensität der Integrationsmaßnahmen sowie deren Dauer und zeitliches Naheverhältnis zum Antragszeitpunkt eine maßgebliche Rolle, wobei auch die in den anderen Ziffern des § 4 Abs. 1a StudFG zum Ausdruck kommende Wertung des Gesetzgebers zu berücksichtigen ist.

31 Im vorliegenden Fall bezog das BVwG sowohl die perfekten Deutschkenntnisse der Revisionswerberin als auch ihren bisherigen Schulbesuch in Österreich ("zumindest ihre ersten Schuljahre") in die Integrationsleistungen mit ein, hielt aber einschränkend fest, dass die Revisionswerberin - "geradezu gegenteilig zur Fallkonstellation der EuGH-Entscheidung Bidar" - gerade nicht den Großteil der Sekundarausbildung (einschließlich Reifeprüfung) in Österreich absolviert habe. Zudem habe sie im maßgeblichen Antragszeitpunkt erst seit zwei Jahren wieder in Österreich gelebt und an der Wirtschaftsuniversität Wien acht positive Prüfungsleistungen und elf negative Prüfungsleistungen erbracht. Von den an der Universität Zagreb absolvierten Studienleistungen hätte zudem nur ein kleiner Teil an der Wirtschaftsuniversität Wien anerkannt werden können. Daher sei vorerst noch von einer unzureichenden Integration in das österreichische Bildungs- und Gesellschaftssystem auszugehen.

32 Damit hat sich das BVwG jedoch nur unzureichend mit den oben dargestellten Kriterien auseinander gesetzt: Das BVwG stützte sich bei seiner Beurteilung ausschließlich auf den Sachverhalt und die rechtlichen Ausführungen im Fall Bidar, ließ aber weitergehende (oben dargestellte) Judikatur außer Betracht. Dabei ging es offenbar davon aus, dass lediglich die Absolvierung eines Großteils der Sekundarausbildung einschließlich Reifeprüfung maßgeblich als Integrationsleistung zu berücksichtigen sei. Eine solche einschränkende Auslegung ergibt sich jedoch aus der dargestellten EuGH-Judikatur nicht. Vielmehr ist danach zu beurteilen, ob der Antragsteller einen "erheblichen Teil der Schulzeit" im Leistungsstaat absolviert hat. Das BVwG bezog in seine Bewertung auch nicht den Umstand mit ein, dass sich die Revisionswerberin von Geburt an 12 Jahre lang rechtmäßig in Österreich aufhielt und sie hier bereits den Kindergarten besuchte. Dass es sich dabei um eine länger zurückliegende Integrationsleistung handelt, schließt deren Berücksichtigung nicht aus, weil mangels gegenteiliger Anhaltspunkte alle integrationstauglichen Maßnahmen in die Beurteilung einzufließen haben, die bis zur Antragstellung gesetzt wurden. Nichtsdestotrotz wird lange zurückliegenden Integrationsmerkmalen, insbesondere dann, wenn diesen eine Lockerung des Integrationsbands etwa durch eine längere Abwesenheit (vgl. EuGH 7.10.2010, Lassal, C-162/09 , Rn. 55; 21.7.2011, Dias, C-325/09 , Rn. 59) folgt, in der Regel nicht die gleiche Bedeutung beigemessen werden können wie vor der Antragstellung liegenden Integrationsumständen. Schließlich findet in der Beurteilung des BVwG der Umstand, dass die Revisionswerberin in den zwei Jahren ihres unmittelbar vor der Antragstellung liegenden Aufenthalts in Österreich ein Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien betrieben hat, keine Beachtung, und zwar weder hinsichtlich einer Integration in das österreichische Gesellschaftssystem noch hinsichtlich des - im Erkenntnis nicht gesondert beurteilten - Bildungssystems. Soweit das BVwG jedoch insoweit auf das Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien Bezug nahm, als es die dort (überwiegend negativ) absolvierten und die an der Universität Zagreb abgelegten und an der Wirtschaftsuniversität Wien anerkannten Prüfungen ansprach, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen, inwiefern Prüfungsergebnisse taugliche Integrationskriterien wären.

33 Indem das BVwG verkannte, welche Kriterien für die Beurteilung der Integration der Revisionswerberin in das österreichische Gesellschaftssystem heranzuziehen sind und dass eine solche Bewertung alternativ auch in Bezug auf das österreichische Bildungssystem vorzunehmen ist, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. 34 Angesichts des Umstandes, dass es im vorliegenden Fall um die Auslegung der Wortfolge "Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem" geht, auf die sich die Revisionswerberin zwecks Erlangung von Studienbeihilfe stützen möchte, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof nicht veranlasst, dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob Art. 24 Abs. 2 Unionsbürgerrichtlinie, der die Mitgliedstaaten ausdrücklich nicht dazu verpflichtet, vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen zu gewähren, gegen Primärrecht verstößt, weil die in Rede stehende innerstaatliche Bestimmung ohnehin eine Erweiterung des Anspruchskreises - unabhängig vom Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt - vorsieht. Eine Präjudizialität ist daher nicht ersichtlich.

Zur Rückzahlungsverpflichtung:

35 § 51 Abs. 1 Z 4 StudFG sieht eine Rückforderung von Studienbeihilfenbeträgen vor, für deren Auszahlung die Voraussetzungen durch eine nachträgliche Abänderung des Bewilligungsbescheides weggefallen ist. Dass mit der "nachträglichen Abänderung des Bewilligungsbescheides" nicht nur rechtskräftige Bescheide gemeint sind, legt nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung nahe, der nicht auf rechtskräftige Bescheide abstellt, sondern wird auch von den diesbezüglichen Materialien zur Novelle BGBl. 619/1994, mit der § 51 Abs. 1 StudFG novelliert und die auch hier maßgebliche Z 4 leg. cit. eingefügt wurde, unterstrichen. Dort wird zu Ziffer 4 nämlich festgehalten, dass eine bereits ausbezahlte Beihilfe, deren Auszahlungsgrund durch eine nachträgliche Bescheidänderung (Berufung, Berichtigung) weggefallen ist, bisher nicht rückgefordert werden konnte. § 51 Abs. 1 Z 4 StudFG bietet daher die Grundlage für die Rückforderung von Studienbeihilfenbeträgen im Fall der im Rechtsmittelweg erfolgten Abänderung des Zuerkennungsbescheides zum Nachteil des Studierenden.

36 In Bezug auf die Zuständigkeit zur Erlassung eines Rückzahlungsbescheides hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 8. Jänner 2001, 2000/12/0301, unter Hinweis auf VwGH 16.12.1998, 98/12/0240, ausgeführt, dass der Rückforderungsanspruch nach § 51 StudFG im Ergebnis eine Rückabwicklung der Zuerkennung von hoheitlich gewährten Leistungen nach dem StudFG 1992 sei, für deren Gewährung die Studienbeihilfenbehörde / zuständige Stipendienstelle in erster Instanz zuständig sei, weshalb auch für die Erlassung von Rückzahlungsbescheiden nach dem StudFG 1992 in jedem Fall diese Behörde in erster Instanz zuständig sei.

37 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 4.7.2001, 99/12/0170; 14.9.1994, 94/12/0081) ist die Vorstellung nach dem StudFG ein modifiziertes remonstratives Rechtsmittel, über das zwar formell dieselbe Behörde, jedoch nach verschiedenen Regeln über die Willensbildung zu entscheiden hat; beim Senat der Studienbeihilfenbehörde handelt es sich um ein Kollegialorgan, das als Teil der Studienbeihilfenbehörde funktionell ausschließlich für die Entscheidung über die Vorstellung zuständig ist. Die Stipendienstellen haben als dislozierte Außenstellen der Studienbeihilfenbehörde (ohne eigene Behördenqualität) die Zuständigkeit nach § 35 StudFG wahrzunehmen, während dem zuständigen Senat der Studienbeihilfenbehörde nach § 45 Abs. 1 leg. cit. ausschließlich eine Rechtsmittelfunktion (Vorstellung; Vorlageantrag) eingeräumt ist (vgl. nochmal VwGH 16.12.1998, 98/12/0240, mwN).

38 Ausgehend von dieser funktionellen Zuständigkeitsverteilung wäre aber nicht der Senat der Studienbeihilfenbehörde berufen gewesen, von Amts wegen anlässlich der Abweisung des Antrags der Revisionswerberin auf Zuerkennung von Studienbeihilfe im Zuge des Vorstellungsverfahrens eine Rückzahlungsverpflichtung anzuordnen, sondern die Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Wien (vgl. zur Unzuständigkeit des Senates zur Entscheidung über einen gleichzeitig mit der Vorstellung eingebrachten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wiederum VwGH 16.12.1998, 98/12/0240). Daran ändert auch die vom BVwG ins Treffen geführte, mittlerweile eingerichtete zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit nichts, die keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit remonstrativer Rechtsmittel hat (vgl. dazu Faber, Administrative Rechtsmittel und Rechtsbehelfe unterhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 306f, in Holoubek/Lang, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz). Auch ist die Zuständigkeitsverteilung innerhalb der Studienbeihilfenbehörde weiter aufrecht.

39 Das BVwG hätte daher den Ausspruch über die Rückzahlungsverpflichtung wegen Unzuständigkeit ersatzlos aufheben müssen, um auf diese Weise den Weg für einen diesbezüglichen Abspruch durch die (funktionell) zuständige Behörde frei zu machen (vgl. erneut VwGH 16.12.1998, 98/12/0240, sowie VwGH 25.3.2015, Ro 2015/12/0003). Die im angefochtenen Erkenntnis insoweit erfolgte Bestätigung der Rückzahlungsverpflichtung erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig.

40 Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

41 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am 25. Juni 2019

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