VwGH Ra 2018/22/0174

VwGHRa 2018/22/01744.10.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, in der Revisionssache des R D in W, vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14/10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 20. Juni 2018, VGW-151/081/5503/2018-14, betreffend Wiederaufnahme von Verfahren nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §69 Abs1 Z1;
AVG §69 Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220174.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Dem Revisionswerber, einem mazedonischen Staatsangehörigen, wurde über Antrag vom 17. Dezember 2012 auf Grund seiner Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin D R ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" gemäß § 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit bis zum 30. Oktober 2014 erteilt, der in der Folge einmal (bis zum 31. Oktober 2015) verlängert wurde. Nach der Scheidung von D R im Juni 2015 wurde dem Revisionswerber auf Grund seines Zweckänderungsantrags vom 16. Juli 2015 ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" mit Gültigkeit bis zum 3. August 2016 erteilt. Mit Eingabe vom 18. Juli 2016 beantragte er die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels.

2 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde) vom 21. März 2018 wurden die drei genannten rechtskräftig abgeschlossenen Aufenthaltstitelverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder aufgenommen. Die (insgesamt vier) Anträge wurden wegen Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG bzw. mangels Vorliegen eines gültigen Aufenthaltstitels gemäß § 24 NAG abgewiesen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" bzw. "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" "mangels Vorliegens der besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 47 Abs. 2 NAG bzw. des § 46 Abs. 1 NAG und eines eigenständigen Niederlassungsrechts gemäß § 27 Abs. 1 NAG" abgewiesen wurden. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.

Das Verwaltungsgericht stellte zunächst die in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2018 erfolgten Aussagen des Revisionswerbers und seiner vormaligen Ehefrau D R dar. Der Revisionswerber habe sich im Oktober 2011 nach mehr als zwölf Ehejahren von der mazedonischen Staatsangehörigen S D scheiden lassen, fünf Monate später die österreichische Staatsbürgerin D R geheiratet und ein halbes Jahr nach der Scheidung von dieser wieder seine erste Ehefrau S D geheiratet. Das Verwaltungsgericht berücksichtigte im Rahmen der Beweiswürdigung widersprüchliche Angaben des Revisionswerbers und der D R betreffend die Familienplanung und den Kinderwunsch, betreffend die Umstände des Kennenlernens, des Entstehens der partnerschaftlichen Beziehung und die Zeit bis zur Hochzeit sowie betreffend die Schlafsituation in der Wohnung in Wien, die Arbeitszeiten und Geburtstagsfeiern. Weiters verwies das Verwaltungsgericht darauf, dass der Revisionswerber und D R "grundlegende Dinge den jeweils anderen betreffend" nicht gewusst hätten, auf die Umstände der Hochzeitsfeier und auf einen Erhebungsbericht der Landespolizeidirektion Wien vom 1. Dezember 2016. Gestützt darauf ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Ehe zwischen dem Revisionswerber und D R zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel in Österreich zu verschaffen. Ein gemeinsames Familienleben sei zu keinem Zeitpunkt tatsächlich entfaltet worden.

Der Revisionswerber habe im Verfahren betreffend den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" den Eindruck erweckt, eine aufrechte Ehe mit D R zu führen. Dieses Verhalten habe lediglich dem Zweck gedient, die Behörde im Aufenthaltstitelverfahren über Tatsachen zu täuschen und ihm den auch ausgestellten Aufenthaltstitel zu verschaffen, den er ohne diese Handlungen nicht erhalten hätte. Damit seien die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 AVG erfüllt.

Maßstab für die neuerliche Entscheidung über die Anträge des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels sei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren. Im Hinblick auf die Scheidung von D R sei der Revisionswerber zum Entscheidungszeitpunkt nicht mehr Familienangehöriger eines Zusammenführenden im Sinn des § 47 Abs. 2 NAG gewesen. Die auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gerichteten Anträge (vom 17. Dezember 2012 und vom 16. Oktober 2014) seien daher mangels Vorliegen der besonderen Erteilungsvoraussetzungen abzuweisen gewesen. Da dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erteilt worden sei, komme ihm kein eigenständiges Niederlassungsrecht nach § 27 NAG zu. Auch die besonderen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" lägen nicht vor, weshalb die darauf gerichteten Anträge (vom 16. Juli 2015 und vom 18. Juli 2016) ebenfalls abzuweisen gewesen seien. Zudem wies das Verwaltungsgericht noch darauf hin, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers auf Grund seines Eingehens einer Aufenthaltsehe den öffentlichen Interessen widerstreite, wodurch es an der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG fehle.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 AVG sei nicht gegeben. Von einem Erschleichen könne keine Rede sein, zumal die vom Revisionswerber vorgelegten Dokumente objektiv richtig gewesen seien. Der Revisionswerber sei auch nicht verpflichtet, allenfalls ungünstige Umstände gegenüber der Behörde "zu revidieren".

7 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein "Erschleichen" eines Bescheides im Sinn des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG dann vor, wenn dieser in der Art zu Stande gekommen ist, dass bei der Behörde von der Partei objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht und diese Angaben dann dem Bescheid zu Grunde gelegt worden sind, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2018/22/0032, Rn. 8, mwN). Die Vorlage einer unrichtigen bzw. gefälschten Urkunde ist nicht erforderlich. Vorliegend hat sich der Revisionswerber in den zunächst bewilligten Aufenthaltstitelverfahren auf seine - vom Verwaltungsgericht in der Folge als Aufenthaltsehe angesehene - Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin berufen. Damit lagen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG vor.

8 Weiters wird in der Zulässigkeitsbegründung auf die Begründungspflicht gemäß § 58 Abs. 2 und § 60 AVG verwiesen, der das Verwaltungsgericht nicht entsprochen habe. Zudem sei das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 45 AVG abgewichen und es habe gegen die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit verstoßen, weil es die nunmehrige Ehegattin des Revisionswerbers, S D, nicht einvernommen habe, was zwingend erforderlich gewesen wäre.

9 Soweit der Revisionswerber Begründungsbzw. Ermittlungsmängel rügt, ist darauf zu verweisen, dass in der Zulassungsbegründung auch die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2018/22/0037, Rn. 13; 29.6.2017, Ra 2017/21/0099, Rn. 8, jeweils mwN). Im Fall einer unterbliebenen Vernehmung ist konkret darzulegen, was die betreffende Person im Fall ihrer Vernehmung ausgesagt hätte bzw. welche anderen Feststellungen auf Grund dessen zu treffen gewesen wären (vgl. etwa VwGH 23.5.2018, Ra 2018/22/0074, mwN; 31.8.2017, Ra 2017/21/0077). Der nicht weiter substanziierte Verweis auf die unterbliebene Vernehmung der nunmehrigen Ehegattin des Revisionswerbers enthält keine ausreichende Relevanzdarstellung (im soeben dargelegten Sinn) und es wird auch nicht behauptet, dass eine Vernehmung im Verfahren beantragt worden wäre (siehe zu einer unterbliebenen Zeugenvernehmung auch VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0135, Rn. 13, mwN).

10 Hinsichtlich der vom Revisionswerber monierten Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes unterliegt nur in beschränktem Maße, nämlich nur hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit, nicht aber hinsichtlich ihrer Richtigkeit, einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (siehe zu allem VwGH 23.5.2018, Ra 2018/22/0099, Rn. 6, mwN). Eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes vermag der Revisionswerber mit seinem insoweit nicht näher ausgeführten Vorbringen allerdings nicht aufzuzeigen.

11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

12 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen. Wien, am 4. Oktober 2018

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