VwGH Ra 2018/21/0164

VwGHRa 2018/21/016413.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Galesic, über die Revision des R F B in W, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. Juli 2018, Zl. I416 2197073- 1/10E, betreffend Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §17;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018210164.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein ägyptischer Staatsangehöriger, heiratete nach seiner - unter Verwendung eines Touristenvisums erfolgten - Einreise in Österreich am 20. April 2017 die ungarische Staatsangehörige T.K. Am 19. Jänner 2018 beantragte er mit Bezug darauf die Ausstellung einer Aufenthaltskarte.

2 Im Zuge amtswegig geführter Erhebungen bestätigte T.K. am 2. März 2018 gegenüber der Landespolizeidirektion Wien, es treffe zu, dass eine Aufenthaltsehe vorliege. Sie habe den Revisionswerber nur geheiratet, damit er einen Aufenthaltstitel bekomme, um in Österreich bleiben zu können. Damit habe sie ihrer Familie in Ungarn helfen wollen, die in ärmlichen Verhältnissen lebe und kaum Geld habe.

3 Der anwaltlich vertretene Revisionswerber äußerte sich hiezu in einer Stellungnahme vom 19. April 2018 dahin, dass seine Ehegattin bei der erwähnten Einvernahme massiv unter Druck gesetzt worden sei. Man hätte ihr gesagt, es würde bereits feststehen, dass es sich um eine Scheinehe handle; durch ihre falschen Aussagen würde sie sich strafbar machen. T.K. wäre damals psychisch labil und zudem eifersüchtig gewesen, weil er ihrer Meinung nach "zu viel mit anderen Frauen flirten würde". Ihre Aussage entspreche nicht der Wahrheit; sie hätten aus Liebe geheiratet. Die massiven Eifersuchtsanfälle der T.K. ließen vielmehr auf eine besonders intensive Beziehung schließen.

4 Ein vor dem Bezirksgericht Hollabrunn gegen den Revisionswerber und T.K. wegen § 117 FPG (Eingehen von Aufenthaltsehen) geführtes Strafverfahren (in dem T.K. ihre Aussage vom 2. März 2018 als unrichtig und als einen Racheakt bezeichnet sowie ihre Liebesbeziehung mit dem Revisionswerber hervorgehoben hatte) wurde mit Beschluss dieses Gerichtes vom 7. Mai 2018 gemäß den §§ 199 und 200 StPO durch Diversion (Bezahlung eines Pauschalkostenbeitrages von EUR 100,-- und einer Geldbuße von EUR 500,--) beendet.

5 Mit Bescheid vom 14. Mai 2018 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber, gestützt auf das Vorliegen einer mit T.K. eingegangenen Aufenthaltsehe sowie auf das Fehlen eines in Österreich geführten Familienlebens, gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

6 Dagegen erhob der Revisionswerber Beschwerde. Darin beantragte er zum Beweis dafür, dass er mit T.K., die von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe und sich in Wien aufhalte sowie dort arbeite, in aufrechter Ehe und in einer Liebesbeziehung (im gemeinsamen Haushalt) lebe, deren Einvernahme sowie zudem die Befragung zweier näher bezeichneter Zeugen, die das Vorliegen einer aufrechten und glücklichen Ehe sowie einer intensiven ehelichen Lebensgemeinschaft bestätigen könnten.

7 Nach Aktenvorlage durch das BFA beraumte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) für den 2. Juli 2018 eine mündliche Verhandlung an, zu der es den Revisionswerber sowie T.K. als Zeugin lud.

8 Mit Eingabe vom 29. Juni 2018 teilte der Rechtsvertreter des Revisionswerbers dem BVwG mit, der Revisionswerber könne zum genannten Termin nicht erscheinen, weil T.K. aus familiären Gründen nach Ungarn gereist sei und er nicht allein (von Wien) nach Innsbruck fahren könne. Da auch T.K. als Zeugin einvernommen werden solle, ersuche er, den Termin auf August oder September zu verlegen.

9 Am Morgen des 2. Juli 2018 teilte der Revisionswerber dem BVwG zudem mit, sich zu dem genannten Termin am selben Tag "krank zu melden".

10 In der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2018, zu der lediglich zwei Dolmetscher (für die ungarische und arabische Sprache) erschienen waren, verkündete das BVwG das angefochtene Erkenntnis, mit dem es die Beschwerde als unbegründet abwies und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärte.

11 Begründend bejahte das BVwG - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - unter Hinweis auf die Aussage der T.K. vom 2. März 2018 das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Da es die Genannte vorgezogen habe, zu ihrer Familie nach Ungarn zu fahren und der mündlichen Verhandlung fern zu bleiben, sei nicht zu erkennen, dass ihr vorrangiges Interesse auf den weiteren Verbleib ihres Ehemannes im Bundesgebiet gerichtet sei. Aus ihrem Verhalten könne "kein schützenswertes Familienleben abgeleitet werden". Ihre Untätigkeit sei - im Rahmen der freien Beweiswürdigung - zu Lasten der Partei zu berücksichtigen. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der Revisionswerber "begründet zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist". Schon auf Grund der ihn treffenden "erhöhten Mitwirkungspflicht" in Angelegenheiten von Umständen seiner persönlichen und familiären Sphäre wäre es ihm zumutbar gewesen, die erforderlichen Dispositionen für sein Erscheinen und das Erscheinen seiner Ehefrau T.K. zu treffen. Dies gelte vor allem unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bezirksgerichtes Hollabrunn vom 7. Mai 2018, der keine abschließende Beurteilung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Aufenthaltsehe zulasse. Auch die telefonische Mitteilung, krank zu sein, ohne dies näher zu begründen oder nachzuweisen, lasse die Intention erkennen, dass eine Teilnahme an der Verhandlung gar nicht beabsichtigt gewesen sei. Vielmehr sei der Schluss zu ziehen, dass es sich dabei um eine absichtliche Verzögerung des Verfahrens handle "und somit die bewußte Entziehung zur Befragung zur Ehe und des persönlichen Eindruckes durch den erkennenden Richter zum Ergebnis hatte bzw. der Verlängerung des unberechtigten Aufenthaltes" im Bundesgebiet dienen sollte.

Das Eingehen einer Aufenthaltsehe rechtfertige die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 67 Abs. 1 FPG (Hinweis auf VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, mwN).

Maßgebliche integrative Schritte des Revisionswerbers in Österreich (etwa der Besuch eines Deutschkurses oder von Ausbzw. Weiterbildungen) hätten nicht festgestellt werden können. Er verfüge mit Ausnahme seiner Ehefrau über keine familiären oder verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Auch eine legale Berufstätigkeit sei erst am 1. Mai 2018 aufgenommen worden. Zum Herkunftsstaat bestünden dagegen aufrechte Bindungen, zumal er dort den Großteil seines Lebens verbracht habe und seine Familie dort lebe. Das öffentliche Interesse an seiner Ausreise überwiege somit die schwach ausgeprägten privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet.

12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

13 Die Revision erweist sich entgegen dem - gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des BVwG als zulässig, weil dieses von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum grundsätzlichen Gebot der Erledigung von Beweisanträgen abgewichen ist. Sie ist aus diesem Grund auch berechtigt.

14 Der Revisionswerber verweist zutreffend darauf, dass das BVwG die Erledigung seiner Anträge auf Einvernahme der T.K. als Zeugin (ohne Angabe tauglicher Gründe) sowie von zwei weiteren näher konkretisierten Zeugen (gänzlich unbegründet) unterlassen habe.

15 Zwar obliegt es regelmäßig der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, ob eine beantragte Beweisaufnahme notwendig ist. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt ist und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hat (vgl. etwa VwGH 21.3.2017, Ra 2016/12/0121, Rn. 14, mwN).

16 Eine solche Fehlbeurteilung ist fallbezogen allerdings zu bejahen, ist Beweisanträgen doch grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des begehrten Beweises, dessen Durchführung möglich ist, im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen (vgl. etwa VwGH 17.2.2016, Ra 2015/08/0006, Punkt 5.1.; VwGH 21.3.2017, Ra 2016/12/0121, Rn. 15, und VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0135, Rn. 12, jeweils mwN).

17 Keiner dieser Umstände liegt fallbezogen vor, wozu kommt, dass das BVwG dem Verlegungsersuchen des Revisionswerbers vom 29. Juni 2018 ohne dieses ausdrücklich zu erledigen oder zu den geltend gemachten Gründen die Vorlage von Bescheinigungsmitteln aufzutragen (vgl. dazu etwa VwGH 25.6.2013, 2012/08/0031, und VwGH 31.1.2014, 2013/02/0260) nicht entsprochen hat:

Hinsichtlich insbesondere der Zeugin T.K. hat bereits das BVwG (mit ihrer Ladung) die Notwendigkeit einer näheren Abklärung des Sachverhalts durch ihre Einvernahme erkannt, die nicht durch die (in Rn. 11) wiedergegebenen Mutmaßungen hinsichtlich der unterstellten wahren Gründe für das Fernbleiben von der anberaumten mündlichen Verhandlung revidiert werden kann. Zweifel am Ausreichen der "familiären Gründe" der Zeugin T.K. hätten im Übrigen nähere Ermittlungen erfordert, die unterblieben sind. Das Absehen von der Einvernahme aus den wiedergegebenen Gründen nimmt weder auf die Erforderlichkeit noch die dauerhafte Unmöglichkeit der Beweisaufnahme konkret Bezug. Es ist daher einem begründungslosen Hinwegsetzen über einen gestellten - und nicht von vornherein untauglichen - Beweisantrag gleichzuhalten, was sich als unzulässig erweist (vgl. neuerlich etwa VwGH 21.3.2017, Ra 2016/12/0121, Rn. 16).

Was die beiden weiters beantragten Zeugen anlangt, hat das BVwG das Unterbleiben ihrer Befragung gänzlich unbegründet gelassen, was sich nach der eben zitierten Judikatur unter Berücksichtigung der gemäß § 17 VwGVG auch im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Ermittlungsgrundsätzen des AVG als unzulässig darstellt.

18 Das BVwG hat das angefochtene Erkenntnis schon deshalb mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Ein bei der Kostenverzeichnung unterlaufener Additionsfehler war richtigzustellen.

Wien, am 13. November 2018

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