VwGH Ra 2017/17/0840

VwGHRa 2017/17/084021.11.2018

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky und die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Mag. Liebhart-Mutzl sowie Dr. Koprivnikar als Richterinnen bzw. Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kovacs, über die Revision der J GmbH in W, vertreten durch Dr. Günter Schmid und Mag. Rainer Hochstöger, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Hafferlstraße 7/2. Stock, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 19. Juli 2017, LVwG- 480005/42/WG, betreffend Betriebsschließung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion für OÖ), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §79a;
B-VG Art130 Abs1 Z1;
B-VG Art130 Abs1 Z2;
B-VG Art130 Abs2;
B-VG Art132 Abs1 Z1;
GSpG 1989 §56a Abs3;
GSpG 1989 §56a;
VwGVG 2014 §35;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017170840.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Während einer finanzpolizeilichen Kontrolle am 23. Jänner 2017 verfügte das Kontrollorgan der belangten Behörde im damaligen Lokal der revisionswerbenden Partei in W eine Betriebsschließung gemäß § 56a Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG).

2 Am 6. Februar 2017 brachte die revisionswerbende Partei dagegen beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) eine Beschwerde wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ein.

3 Mit Bescheid vom "23. Jänner 2016" (richtig: 2017) bestätigte die belangte Behörde die mündlich verfügte Betriebsschließung. Dieser Bescheid, der an die revisionswerbende Partei und an deren Rechtsvertreter gerichtet war, wies in seinem Adressfeld zwar die Straßenbezeichnung samt Hausnummer der Kanzlei des Rechtsvertreters, in der Folge jedoch die Postleitzahl und die Gemeinde des Sitzes der revisionswerbenden Partei auf. Der diesbezügliche Rückschein wurde am 9. Februar 2017 von einer als "Arbeitnehmer" ausgewiesenen Person unterfertigt und vom Postamt in jener Gemeinde, in der die revisionswerbende Partei ihren Sitz hat, der Behörde rückübermittelt.

4 In der mündlichen Verhandlung vor dem LVwG gab der Rechtsvertreter der revisionswerbenden Partei an, der Betriebsschließungsbescheid sei nur seiner Mandantschaft zugestellt worden. Da er den Bescheid am 25. Februar 2017 erhalten habe, sei erst an diesem Tag eine Heilung des Zustellmangels eingetreten und die Zustellung als bewirkt anzusehen. Der Bescheid sei daher nach dem Auslaufen der Einmonatsfrist des § 56a Abs. 3 GSpG und somit verspätet ergangen.

5 Mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses wies das LVwG die gegen die Betriebsschließung erhobene Maßnahmenbeschwerde als unbegründet ab. Mit Spruchpunkt II. verpflichtete das LVwG die revisionswerbende Partei zum Ersatz der Kosten in der Höhe von EUR 887,20. Mit Spruchpunkt III. sprach das LVwG aus, die Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nicht zulässig.

6 Begründend führte das LVwG aus, bei finanzpolizeilichen Kontrollen am 21. April 2016 und am 23. Jänner 2017 seien Glücksspielgeräte vorgefunden und vorläufig beschlagnahmt worden. Diese Geräte seien in der Folge ohne Zustimmung der belangten Behörde aus dem Lokal entfernt worden. Es habe der begründete Verdacht bestanden, dass weiterhin im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Bestimmungen des GSpG veranstaltet würden. Die mündlich verfügte Betriebsschließung sei daher zu Recht erfolgt. Sie sei jedoch mit Ablauf des 23. Februar 2017 außer Kraft getreten, weil der schriftlich ausgefertigte Bescheid nicht innerhalb eines Monats zugestellt worden sei.

7 Gegen das angefochtene Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit und die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die vor dem LVwG belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 § 56a Abs. 1 und Abs. 3 GSpG, BGBl. Nr. 620/1989, lauten

idgF (samt Überschrift):

"Betriebsschließung

§ 56a. (1) Besteht der begründete Verdacht, daß

im Rahmen einer betrieblichen Tätigkeit Glücksspiele entgegen den Vorschriften dieses Bundesgesetzes veranstaltet oder durchgeführt werden, und ist mit Grund anzunehmen, daß eine Gefahr der Fortsetzung besteht, so kann die Behörde ohne vorausgegangenes Verfahren, aber nicht ohne vorher zur Einstellung der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes veranstalteten oder durchgeführten Glücksspiele aufgefordert zu haben, an Ort und Stelle die gänzliche oder teilweise Schließung des Betriebes verfügen. ....

...

(3) Über eine Verfügung nach Abs. 1 ist binnen eines Monats ein schriftlicher Bescheid zu erlassen, widrigenfalls die Verfügung als aufgehoben gilt. ...."

9 Die Revision macht in ihrem Zulässigkeitsvorbringen geltend, dass das LVwG zu Unrecht keine Einstellung vorgenommen, sondern inhaltlich entschieden und der revisionswerbenden Partei überdies Aufwandsersatz auferlegt habe. Mit diesem Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und auch als berechtigt:

10 Die faktische Betriebsschließung ist ein Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, der einer Maßnahmenbeschwerde zugänglich ist, solange darüber kein schriftlicher Bescheid vorliegt (VwGH 24.4.2018, Ra 2017/17/0924).

11 Wird ein Bescheid über die faktische Amtshandlung erlassen, dann wird die in der faktischen Amtshandlung liegende individuelle Norm Bestandteil des Bescheides(vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO3, § 360 Rz 56).

12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 79a AVG verliert eine Maßnahme der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ihre Eigenschaft als eigenständig bekämpfbarer Verwaltungsakt, wenn die Maßnahme von der Verwaltungsbehörde mit Bescheid bestätigt wird. In einem solchen Fall ist ein Maßnahmebeschwerdeverfahren einzustellen. Es gibt nach einer solchen Einstellung keine obsiegende Partei. Ein Kostenzuspruch hat daher zu unterbleiben (vgl. VwGH 10.8.2010, 2010/17/0091, mwN; 20.3.2009, 2008/02/0273, mwN).Diese Rechtsprechung ist auch auf § 35 VwGVG anzuwenden, weil § 79a AVG dem § 35 VwGVG entspricht (vgl. VwGH 4.5.2015, Ra 2015/02/0070, mwN).

13 Dies gilt auch, wenn ein Betriebsschließungsbescheid nach Ablauf der Monatsfrist des § 56a Abs. 3 GSpG erlassen wird, weil auch in einem solchen Fall die faktische Amtshandlung vom Spruch dieses Bescheides erfasst wird. Ein solcher Betriebsschließungsbescheid ist - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - zwar rechtlich existent (VwGH 22.8.2016, Ra 2015/17/0196), aber aufgrund seiner verspäteten Erlassung jedenfalls rechtswidrig. Diese Rechtswidrigkeit kann - wie auch allfällige sonstige Mängel von Betriebsschließungsbescheiden - im Wege der Bescheidbeschwerde geltend gemacht werden. Im hier zu beurteilenden Fall wurde der Bescheid über die Betriebsschließung verspätet erlassen, weil er aufgrund einer offensichtlich fehlerhaften Adressierung zunächst nur der revisionswerbenden Partei, nicht aber deren rechtsfreundlichem Vertreter zugestellt worden war.

14 Daraus folgt, dass im Revisionsfall das Maßnahmenbeschwerdeverfahren einzustellen und von einem Kostenausspruch zu Lasten der revisionswerbenden Partei Abstand zu nehmen gewesen wäre. Indem das LVwG in Verkennung der Rechtslage die Maßnahmenbeschwerde inhaltlich erledigte und die revisionswerbende Partei aufgrund der Abweisung der Beschwerde zum Ersatz der Kosten nach § 35 VwGVG verpflichtete, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

16 Von einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. November 2018

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