Normen
ApG 1907 §10
ApG 1907 §10 Abs2 Z3
ApG 1907 §10 Abs6a idF 2016/I/103
AVG §52
AVG §56
VwGVG 2014 §17
VwRallg
62012CJ0367 Sokoll-Seebacher VORAB
62015CO0634 Sokoll-Seebacher VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100103.L00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde (im Beschwerdeverfahren) der Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung einer Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in L abgewiesen und die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig erklärt.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht - gestützt auf das eingeholte Bedarfsgutachten der Apothekerkammer - aus, nach Eröffnung der neuen Apotheke verbleibe der in L bestehenden öffentlichen Apotheke "S" der mitbeteiligten Partei ein Kundenpotenzial von weniger als 5.500, nämlich 4.558 zu versorgenden Personen.
3 Gemäß § 10 Abs. 6a ApG idF BGBl. I Nr. 103/2016 sei es - in Umsetzung der Entscheidungen des EuGH vom 13. Februar 2014, C- 367/12 ("Sokoll-Seebacher") und vom 30. Juni 2016, C-634/15 ("Sokoll-Seebacher II") - nunmehr möglich, das in § 10 Abs. 2 Z 3 normierte Mindestversorgungspotenzial von 5.500 von einer bestehenden öffentlichen Apotheke zu versorgenden Personen zu unterschreiten, wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung geboten sei.
4 Besondere örtliche Verhältnisse könnten beispielsweise in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, vorliegen. Sie könnten aber auch dann vorliegen, wenn die neu zu errichtende öffentliche Apotheke in einem sich nachhaltig und stetig entwickelnden Siedlungsgebiet liege, sich im näheren Umkreis größere medizinische Einrichtungen oder ein Krankenhaus mit mehreren Anstaltsambulatorien befänden, oder wenn es um die Versorgung an bedeutenden und stark frequentierten Verkehrsknotenpunkten, wie etwa an Flughäfen oder Hauptbahnhöfen ginge.
5 Im vorliegenden Fall sei daher zu prüfen, ob der Wohnbevölkerung im Versorgungsgebiet der beantragten Apotheke die Dienstleistungen einer Apotheke in einer vernünftigen Erreichbarkeit zur Verfügung stünden und daher ein angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt sei.
6 Besondere örtliche Verhältnisse könnten deshalb vorliegen, weil aktuell in der M-Straße in L ein nachhaltig wachsendes Siedlungsgebiet entstehe. Dieses umfasse - laut Angaben der Gemeinde - ca. 110 zusätzliche Wohneinheiten, wobei pro Wohneinheit eine Anzahl von durchschnittlich drei Personen anzunehmen sei. Mit der Fertigstellung des gesamten Siedlungsgebietes sei 2019 zu rechnen.
7 Eine Versorgungslücke der Wohnbevölkerung im Versorgungsgebiet der beantragten Apotheke sei nicht feststellbar, zumal sich die Apotheke der mitbeteiligten Partei in ca. 740 m Entfernung befinde und sich im Umkreis von ca. fünf km drei Apotheken, im Umkreis von ca. 10 km sogar 42 Apotheken befänden.
8 Es sei eine Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vorteils der neuen Apotheke und den aus der Neuerrichtung resultierenden Nachteilen für die Bevölkerung in Versorgungsgebieten der bestehenden Apotheke vorzunehmen. Von einer Verbesserung der Arzneimittelversorgung könne nicht mehr gesprochen werden, wenn infolge der Neuerrichtung die von der bestehenden Apotheke "S" in L zu versorgende Personenzahl so erheblich reduziert werde, dass ein wirtschaftlicher Weiterbestand nicht möglich sei und bisher gut versorgte Personen ihren Zugang zur Arzneimittelversorgung verlieren würden. Bei einem verbleibenden Versorgungspotenzial der Apotheke "S" von lediglich 4.558 Einwohnergleichwerten sei ein wirtschaftlicher Weiterbestand mehr als zweifelhaft, weshalb das Risiko einer Verschlechterung der Arzneimittelversorgung bisher gut versorgter Personen beträchtlich sei. Dieses Risiko einer Verschlechterung wiege im konkreten Fall gewichtiger als der Vorteil einer neuen Apotheke.
9 Eine Unterschreitung der Zahl von 5.500 zu versorgenden Personen sei daher im vorliegenden Fall nicht geboten.
10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, dass nach der Rechtsprechung des EuGH im Einzelfall zu prüfen sei, ob besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, die eine Unterschreitung des Mindestversorgungspotenzials von
5.500 Personen gemäß § 10 Abs. 2 Z 3 ApG rechtfertigen. Es existiere keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob "eine nicht vorhandene Versorgungslücke" hinreiche, um "die Unterschreitung" des Mindestversorgungspotenzials einer bestehenden Apotheke für unzulässig zu erklären; entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liege eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung auch dann vor, wenn keine Versorgungslücke der Wohnbevölkerung im Versorgungsgebiet der beantragten Apotheke bestehe.
11 Die Revisionswerberin erachtet sich in ihrem Recht auf Erteilung der Konzession zur Errichtung und zum Betrieb der beantragten neuen öffentlichen Apotheke verletzt.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist nach dem erwähnten Vorbringen zulässig;
sie ist aber nicht begründet.
14 § 10 Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907 idF
BGBl. I Nr. 103/2016 (ApG), lautet auszugsweise:
"Sachliche Voraussetzungen der Konzessionserteilung
§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende
öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn
1. ...
2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen
Apotheke besteht.
(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn
...
3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der
umliegenden Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich infolge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.
...
(6a) Die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen gemäß Abs. 2 Z 3 ist zu unterschreiten, wenn es auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken geboten ist.
(7) Zur Frage des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen. ..."
15 Die Gesetzesmaterialien (IA 1863/A, 25. GP ) zu dem mit Gesetz BGBl. I Nr. 103/2016 neu gefassten, am 7. Dezember 2016 in Kraft getretenen, Abs. 6a führen aus:
"Der EuGH hat mit seinem Beschluss vom 30. Juni 2016, Rs. C- 634/15 , Sokoll-Seebacher, in Präzisierung seines vorangegangenen Urteils festgestellt, dass es den nationalen Behörden im Rahmen des Bedarfsprüfungsverfahrens in jedem Einzelfall möglich sein muss, zu prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse ein Abgehen von der Grenze der 5.500 weiterhin zu versorgenden Personen im Sinne der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gebieten. Daher ist § 10 Abs. 6a des Apothekengesetz entsprechend zu adaptieren.
Infolge des EuGH-Urteils vom 13. Februar 2014, C-367/12 ‚Sokoll-Seebacher', war durch die Apothekengesetz-Novelle BGBl. I Nr. 30/2016 in § 10 ein neuer Abs. 6a eingefügt worden. Demnach ist die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen gemäß § 10 Abs. 2 Z 3 zu unterschreiten, wenn es ‚in ländlichen und abgelegenen Regionen' auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken dringend erforderlich ist.
Nun ist der EuGH in seinem Beschluss vom 30. Juni 2016, C- 634/15 ‚Sokoll-Seebacher II - Naderhirn', zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Novelle nicht ausreicht und die Anwendung einer ‚starren Grenze' der Zahl der von den umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken ‚weiterhin zu versorgenden Personen' bei der Bedarfsprüfung für eine neue öffentliche Apotheke weiterhin in Widerspruch zu Art. 49 AEUV steht. Dies deshalb, weil diese starre Grenze die kohärente und systematische Erreichung des mit der Bedarfsprüfung angestrebten Hauptziels - nämlich eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln - nicht gewährleistet. Die zuständigen nationalen Behörden haben auch nach der Novelle BGBl. I 30/2016 keine hinreichende Möglichkeit, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten, d.h. im Endeffekt Besonderheiten der verschiedenen konkreten Situationen, wobei jede einzelne zu prüfen ist, zu berücksichtigen (EuGH 13. Februar 2014, C-367/12 Sokoll-Seebacher, Rn. 51; EuGH 30. Juni 2016, C-634/15 Sokoll-Seebacher II - Naderhirn, Rn. 34). Durch die Bezugnahme auf ländliche und abgelegene Regionen sowie auf Menschen mit eingeschränkter Mobilität im Urteil vom 13. Februar 2014 wollte der EuGH die Tragweite seiner Beurteilung der Kohärenz nicht auf diese Art von Regionen und auf diese Kategorie von Personen begrenzen (EuGH 30. Juni 2016, C-634/15 , Rn. 32).
Im Hinblick auf den Beschluss des EuGH vom 30. Juni 2016 ist die im bisher geltenden § 10 Abs. 6a vorgenommene Einschränkung dieser Bestimmung auf ländliche und abgelegene Regionen unionsrechtswidrig.
In Umsetzung der EuGH-Entscheidungen wird § 10 Abs. 6a nunmehr dahin geändert, dass es der Behörde ganz generell möglich ist, das in § 10 Abs. 2 Z 3 normierte Mindestversorgungspotential von 5.500 von der bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgenden Personen zu unterschreiten, wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung geboten ist. Es ist demnach von der Behörde im Einzelfall zu prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, die ein Unterschreiten der Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen rechtfertigen.
Im Lichte der zitierten Entscheidungen des EuGH vom 13. Februar 2014 und vom 30. Juni 2016 ist vor allem zu prüfen, ob der Wohnbevölkerung im Versorgungsgebiet der beantragten neuen Apotheke die Dienstleistungen einer Apotheke in einer vernünftigen Erreichbarkeit zur Verfügung stehen und daher ein angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist.
Besondere örtliche Verhältnisse können beispielsweise in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, vorliegen (EuGH 13. Februar 2014, C-367/12 , Rn. 50), wobei der Europäische Gerichtshof diese beiden Fallgruppen ausdrücklich nur exemplarisch anführt (vgl. EuGH 30. Juni 2016, C-634/15 , Rn. 32). Bei der Beurteilung des Vorliegens besonderer örtlicher Verhältnisse, die eine Anwendung des § 10 Abs. 6a rechtfertigen, ist neben der Versorgung durch bestehende öffentliche Apotheken auch das Versorgungsangebot durch Filialapotheken und ärztliche Hausapotheken zu berücksichtigen.
Besondere örtliche Verhältnisse können aber beispielsweise auch dann vorliegen, wenn die neu zu errichtende öffentliche Apotheke in einem sich nachhaltig und stetig entwickelnden Siedlungsgebiet liegt, sich im näheren Umkreis größere medizinische Einrichtungen oder ein Krankenhaus mit mehreren Anstaltsambulatorien befinden, oder wenn es um die Versorgung an bedeutenden und stark frequentierten Verkehrsknotenpunkten, wie etwa an Flughäfen oder Hauptbahnhöfen geht.
Indikator für die Notwendigkeit einer verbesserten Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ist insbesondere eine sonst nicht ausreichend rasche oder unzumutbare Erreichbarkeit unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten und Verkehrsverhältnisse, die einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung entgegenstehen.
Um der Rechtsprechung des EuGH zu entsprechen, hat die Behörde jedenfalls in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob allenfalls besondere örtliche Verhältnisse im oben genannten Sinn vorliegen und ihre Entscheidung entsprechend zu begründen. Dazu ist festzuhalten, dass die angeführten Beispiele nur als solche zu verstehen sind, und die notwendige Einzelfallprüfung der besonderen örtlichen Verhältnisse auch andere Besonderheiten ergeben kann. Dabei können auch Überlegungen zu einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vorteils einer neuen Apotheke und den aus der Neuerrichtung resultierenden Nachteilen für die Bevölkerung in den Versorgungsgebieten der bestehenden Apotheken eine Rolle spielen. Im Lichte der Rechtsprechung des EuGH geht es nämlich immer um eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, wovon nicht gesprochen werden kann, wenn infolge der Neuerrichtung die von einer bestehenden Apotheke aus zu versorgende Personenzahl so erheblich reduziert wird, dass ein wirtschaftlicher Weiterbestand nicht möglich ist und bisher gut versorgte Personen ihren Zugang zur Arzneimittelversorgung verlieren."
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 29. März 2017, Ra 2016/10/0141, festgehalten:
"(17) ... In dem ... angeführten Beschluss des EuGH vom
30. Juni 2016, Rechtssache C-634/15 (‚Sokoll-Seebacher II'), wurde ausgeführt, dass die in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegte ‚starre Grenze der Zahl der ‚weiterhin zu versorgenden Personen' ' (mit 5 500 Personen) es der zuständigen Behörde nicht ermögliche, die Besonderheiten jeder einzelnen geprüften Situation gehörig zu berücksichtigen und auf diese Weise die kohärente und systematische Erreichung des mit dieser Regelung angestrebten Hauptziels zu gewährleisten, welches - wie im Urteil des EuGH vom 13. Februar 2014, Rechtssache C-367/12 (‚Sokoll-Seebacher I'; dort Rz 25 mit weiteren Nachweisen aus der EuGH-Rechtsprechung), ausgesprochen - darin besteht, eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten (Rz 33).
(18) Die Unionsrechtswidrigkeit dieser Regelung liege darin, dass die Anwendung des Kriteriums einer starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" mit dem Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Zieles gemäß Art. 49 AEUV in Widerspruch stehe, weshalb dieses Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ‚allgemein in keiner konkreten Situation, die einer Prüfung unterzogen wird, Anwendung finden darf' (Rz 34 bis 36 und Tenor des Beschlusses vom 30. Juni 2016).
(19) Aus dem angeführten Beschluss des EuGH geht somit klar hervor, dass der EuGH nicht etwa die Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke als solche, sondern lediglich die ‚allgemeine' Zugrundelegung einer unveränderlich festgelegten Anzahl von ‚weiterhin zu versorgenden Personen' dabei als unionsrechtswidrig erachtet (so etwa auch Schmelz/Wolfbauer, ecolex 2016, 1020 (1022), sowie Schneider, RdM 2016, 187 (191f)).
...
(27) Aus Anlass des genannten Beschlusses des EuGH änderte der Bundesgesetzgeber durch BGBl. I Nr. 103/2016, ausgegeben am 6. Dezember 2016, § 10 Abs. 6a ApG dahin, dass die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen gemäß § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG zu unterschreiten ist, ‚wenn es auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken geboten ist'.
(28) Nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. dazu die Begründung des Antrages 1863/A BlgNR XXV. GP ) solle demnach die Behörde im Einzelfall prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, die ein Unterschreiten der Grenze von 5 500 zu versorgenden Personen rechtfertigen. Um der Rechtsprechung des EuGH zu entsprechen, habe die Behörde dabei ‚in jedem einzelnen Fall zu prüfen', ob allenfalls besondere örtliche Verhältnisse vorlägen, und ihre Entscheidung entsprechend zu begründen.
(29) Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass mit dieser Novelle die in den angeführten Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen C-367/12 und C-634/15 geforderte Flexibilität der der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke zugrunde liegenden nationalen Regelung hergestellt ist.
..."
16 Der Verfassungsgerichtshof hat sich dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes angeschlossen (VfGH 28.9.2017, E 2666/2016-16).
17 Für die in § 10 ApG vorgesehene Bedarfsprüfung ergibt sich daraus:
18 Zunächst hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht gemäß § 10 Abs. 2 Z 3 ApG - auf der Grundlage eines Gutachtens der Österreichischen Apothekerkammer - zu prüfen, ob die Zahl der von einer umliegenden Apotheke aus weiterhin zu versorgenden Personen sich infolge der Errichtung der neuen Apotheke verringern und weniger als 5.500 betragen wird (vgl. auch dazu VwGH Ra 2016/10/0141, Rn 33).
19 Bejahendenfalls ist weiters zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall besondere örtliche Verhältnisse im Sinne des § 10 Abs. 6a ApG vorliegen, die ein Unterschreiten der Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen rechtfertigen. Ist dies der Fall, besteht ein Anspruch auf Erteilung der Konzession (argum "ist zu unterschreiten"), auch wenn sich dadurch das Versorgungspotenzial einer umliegenden Apotheke auf weniger als 5.500 Personen verringert.
20 Das Vorliegen maßgeblicher "besonderer örtlicher Verhältnisse" ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung nachstehender Kriterien zu beurteilen:
21 Erste Voraussetzung ist die Situierung der Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke in einem Gebiet mit demographischen Besonderheiten (vgl. VwGH 27.3.2014. 2013/10/0209, unter Hinweis auf EuGH 13.2.2014, C 367/12 , Sokoll-Seebacher, Rn 41), d.h. einem Gebiet, das nach der Struktur seines Bevölkerungsbestandes geeignet ist, eine besondere
Bedarfssituation hinsichtlich der sicheren und qualitativ hochwertigen Versorgung mit Arzneimitteln zu indizieren. Zu derartigen Gebieten zählen neben ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken (vor allem für Menschen mit eingeschränkter Mobilität) ausweislich der Gesetzesmaterialien insbesondere sich nachhaltig und stetig entwickelnde Siedlungsgebiete, der nähere Umkreis größerer medizinischer Einrichtungen oder eines Krankenhauses mit mehreren Anstaltsambulatorien sowie der Nahbereich bedeutender und stark frequentierter Verkehrsknotenpunkte, wie etwa Flughäfen oder Hauptbahnhöfe.
22 Liegt die Betriebsstätte der neu zu errichtenden Apotheke in einem derartigen Gebiet (oder einem vergleichbaren Gebiet mit demographischen Besonderheiten), ist als zweite Voraussetzung zu prüfen, ob die konkret vorliegenden demographischen Besonderheiten zu einem (bestehenden oder unmittelbar bevorstehenden) Mangel in der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln führen, dem durch die beantragte Apotheke begegnet werden kann.
Dies ist der Fall, wenn ansonsten - d.h. bei Nichterrichtung der neuen Apotheke - eine ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken (einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken) nicht gewährleistet ist, weil die bestehenden Apotheken infolge der konkreten örtlichen Gegebenheiten und Verkehrsverhältnisse nicht ausreichend rasch bzw. nur unzumutbar erreichbar sind. Dabei ist insbesondere die bei der Bedarfsprüfung im Vordergrund stehende Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen zu berücksichtigen (vgl. z.B. VwGH 27.3.2014, 2013/10/0209;
25.4.2014, 2013/10/0022; 12.8.2014, 2012/10/0181; 8.10.2014, Ro 2014/10/0096; 22.4.2015, 2013/10/0077 und Ro 2014/10/0122;
11.8.2015, Ro 2014/10/0112; 30.9.2015, 2013/10/0261 und Ro 2014/10/0081).
23 Trifft auch diese Voraussetzung zu, bedarf es schließlich der Beurteilung, ob die Errichtung der neuen Apotheke insgesamt für eine ordnungsgemäße Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit Arzneimitteln erforderlich ist.
Davon kann allerdings nicht gesprochen werden, wenn der Vorteil aus der Neuerrichtung einer Apotheke durch Nachteile für die Bevölkerung in den Versorgungsgebieten der bestehenden Apotheken überwogen wird. Die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht haben dabei eine entsprechende Abwägung vorzunehmen (vgl. Zirm, Der selbständige Apotheker und seine Konzession (2018) S. 110), wobei ein maßgebliches Überwiegen von Nachteilen nur bei einer derartig erheblichen Verminderung des Kundenpotenzials einer oder mehrerer bestehender öffentlicher Apotheken angenommen werden kann, dass deren wirtschaftlicher Weiterbestand ernsthaft gefährdet ist und dadurch bisher gut versorgte Personen einen zumutbaren Zugang zur Arzneimittelversorgung verlieren würden.
24 Die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht haben nach den genannten Voraussetzungen in jedem Einzelfall die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 6a ApG zu prüfen und dabei das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen maßgeblicher "besonderer örtlicher Verhältnisse" - gestützt auf geeignete Feststellungen - zu begründen.
25 Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:
26 Nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis liegt die Betriebsstätte der gegenständlich neu zu errichtenden Apotheke in einem nachhaltig wachsenden Siedlungsgebiet und sohin in einem Gebiet mit demographischen Besonderheiten im oben dargestellten Sinn.
27 Nach den weiteren Feststellungen befinden sich allerdings im Umkreis von ca. fünf km der Betriebsstätte der neu beantragten Apotheke drei, im Umkreis von zehn km sogar 42 öffentliche Apotheken. Die Entfernung der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu beantragten Apotheke zur Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke ("S") beträgt lediglich ca. 740 m; somit kann sich der Anfahrtsweg für die Bevölkerung durch die Neuerrichtung der beantragten Apotheke maximal um 740 m verkürzen.
28 Die Revision tritt der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass im Falle der Nichterrichtung der beantragten Apotheke im betreffenden "Versorgungsgebiet" keine "Versorgungslücke" der Wohnbevölkerung bestehe, nicht entgegen.
29 Unter Berücksichtigung des gegenständlichen Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken kann sohin von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Neuerrichtung der beantragten Apotheke erforderlich ist, um für die Bevölkerung eine ordnungsgemäße Versorgung mit Arzneimitteln zu gewährleisten (weil eine bestehende Apotheke nicht ausreichend rasch oder nur unzumutbar erreichbar wäre; vgl. zur Verkürzung des Anfahrtswegs ebenfalls die unter Rn. 22 zitierte Rechtsprechung sowie VwGH 23.5.2017, Ra 2016/10/0083). Entgegen der Revisionsauffassung ist die Errichtung der neu beantragten Apotheke somit im Interesse einer verbesserten Arzneimittelversorgung der betroffenen Bevölkerung nicht geboten.
30 Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne des § 10 Abs. 6a ApG, die ein Unterscheiten des Mindestversorgungspotenzials
von 5.500 Personen der bestehenden öffentlichen Apotheke der mitbeteiligten Partei rechtfertigten, liegen demnach im Revisionsfall nicht vor.
31 Auf die - vom Verwaltungsgericht weiters erörterte - Frage, ob im Falle der Neuerrichtung der beantragten Apotheke die Nachteile (infolge Gefährdung des wirtschaftlichen Weiterbestandes der Apotheke "S") den Vorteil aus der neuen Apotheke überwiegen, kommt es daher nicht an.
32 Ein Fall des § 10 Abs. 6a ApG liegt nach dem Gesagten somit nicht vor; das Verwaltungsgericht hat das Konzessionsansuchen im Grunde des § 10 Abs. 2 Z 3 ApG zu Recht abgewiesen.
33 Da demnach bereits der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Revision gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 8. August 2018
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