VwGH Ro 2014/10/0122

VwGHRo 2014/10/012222.4.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der revisionswerbenden Partei P A in Bregenz, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Bahnhofstraße 21, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 7. Juli 2014, Zl. LVwG- 402-001/E8-2011, betreffend Apothekenkonzession (belangte Behörde:

Bezirkshauptmannschaft Bregenz; mitbeteiligte Parteien: 1. B Apotheke in Bregenz, vertreten durch Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in 6900 Bregenz, Brosswaldengasse 12, 2. SApotheke KG in Bregenz,

3. L Apotheke KG in H, die Zweit- und Drittmitbeteiligten vertreten durch Dr. Alexander Matt, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Belruptstraße 22, 4. LApotheke KG in 6900 Bregenz, 5. H Apotheke KG in W, 6. S Apotheke KG in 6900 Bregenz, und 7. B Apotheke OHG, 6900 Bregenz), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art41;
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
62012CJ0367 Sokoll-Seebacher VORAB;
ApG 1907 §10 Abs2 Z3;
ApG 1907 §10 Abs4;
ApG 1907 §10 Abs5;
AVG §67d;
B-VG Art132;
B-VG Art133 Abs1 Z2 idF 2012/I/051;
B-VG Art133 Abs4 idF 2012/I/051;
B-VG Art7 Abs1;
EURallg;
MRK Art6;
VwGG §34 Abs1 idF 2013/I/033;
VwGG §34 idF 2013/I/033;
VwGG §38 idF 2013/I/033;
VwGG §42 idF 2013/I/033;
VwGVG 2014 §24;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Feststellung, "dass die Erstbehörde, die Zweitbehörde bis 31.12.2013 und das belangte Gericht seit 1.1.2014 die gesetzliche Verfahrensdauer überschritten haben und daher den Revisionswerber in seinen Rechten auf eine fristgerechte Entscheidung verletzt haben", wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat den erst- bis drittmitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 zu gleichen Teilen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg hat mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Juli 2014 den Antrag des Revisionswerbers auf die Erteilung einer Konzession für die Errichtung und den Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in Bregenz abgewiesen.

Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass nach der Errichtung der beantragten Apotheke den drei Apotheken in der Innenstadt von Bregenz ein gemeinsames Versorgungspotenzial im Ausmaß des Bedarfs von lediglich

15.966 ständigen Einwohnern verbliebe und somit gemäß § 10 Apothekengesetz 1907, RGBl. Nr. 5 (APG), kein Bedarf an der neuen Apotheke bestehe. Dabei wurden u.a. 4.127 "Einwohnergleichwerte" auf Grund der Einzelhandelskunden der Bregenzer Innenstadt als Potenzial der drei Innenstadtapotheken berücksichtigt. Dazu führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass nach der Studie des Instituts GfK Austria "Apothekennutzung durch Besucher von Einkaufs- oder Fachmarktzentren" ein Einkaufszentrumsnutzer 0,0636 ständigen Einwohnern entspreche. Dieser Faktor ergebe sich daraus, dass von Einkaufszentrumsbesuchern durchschnittlich 0,78 Mal pro Jahr eine Apotheke in der Nähe eines Einkaufszentrums genutzt werde, während ein ständiger Einwohner durchschnittlich 12,25 Mal pro Jahr eine Apotheke besuche. Die - um die ohnehin als ständige Einwohner bzw. als Einpendler berücksichtigten Personen verminderte - Anzahl von 64.882 Personen, die die Bregenzer Innenstadtgeschäfte pro Jahr besuchten, multipliziert mit dem Faktor 0,0636 ergäbe die festgestellte Anzahl von

4.127 "Einwohnergleichwerten".

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, "ob Kunden von Innenstadtgeschäften, auch wenn sie kein Einkaufszentrum aufsuchen, als Einfluter im Sinn des § 10 Abs. 5 APG zu berücksichtigen sind".

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen, wobei der Verwaltungsgerichtshof gemäß dem Abs. 1a dieser Bestimmung bei der Beurteilung der Zulässigkeit an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 18. April 2012, Zl. 2010/10/0254, zu der auch im vorliegenden Fall vom Verwaltungsgericht herangezogenen Studie des Instituts GfK Austria zur "Apothekennutzung durch Besucher von Einkaufs- oder Fachmarktzentren" ausgeführt, dass die dieser Studie zu Grunde liegenden Angaben der Befragten, durchschnittlich 0,78 mal pro Jahr eine Apotheke "in der Nähe" eines Einkaufszentrums aufgesucht zu haben, nicht aussagekräftig sei, ergebe sich daraus doch weder, dass der Besuch des Einkaufszentrums zum Apothekenbesuch geführt habe noch, dass der Apothekenbesuch in irgendeinem sonstigen Zusammenhang mit einem Besuch des Einkaufszentrums gestanden wäre. Darüber hinaus besage auch der als Maßstab herangezogene Umstand, dass 2.000 Befragte angegeben hätten, in den letzten zwölf Monaten eine Apotheke durchschnittlich 12,25 mal aufgesucht zu haben, in Wahrheit nichts über das in der Sache wesentliche Ausmaß der Inanspruchnahme einer öffentlichen Apotheke durch einen "ständigen Einwohner" im Sinn von § 10 APG.

Nach dieser Judikatur beruht der vom Verwaltungsgericht entsprechend der genannten Studie zur Ermittlung des Apothekenkundenpotenzials aus der Anzahl von Geschäftskunden herangezogene Faktor 0,0636 auf nicht aussagekräftigen Parametern. Die Ermittlung des Apothekenkundenpotenzials durch Multiplikation der Kunden der Bregenzer Innenstadtgeschäfte mit diesem Faktor ist somit nicht möglich. Die vom Revisionswerber vorgelegte "CIMA-Analyse" verwendet auch diesen Faktor und ist somit zur Ermittlung des Kundenpotenzials ebenfalls nicht geeignet. Nach dem Gutachten der Apothekerkammer sind auch sonst keine Möglichkeiten bekannt, das Potenzial an Apothekenkunden aus der Besucherfrequenz von Geschäften in der Innenstadt zu ermitteln. Unter diesen Voraussetzungen kann aber ein solches Kundenpotenzial nicht berücksichtigt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. November 2013, Zl. 2012/10/0125).

Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht von der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, begründet vorliegend keine für die Lösung des Falles relevante grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn von Art. 133 Abs. 4 B-VG, weil die begehrte Konzession auch bei Außerachtlassung des aus den Einzelhandelsgeschäften resultierenden Kundenpotenzials nicht erteilt werden könnte.

Auch mit der vom Revisionswerber aufgeworfenen Frage der Unionsrechtskonformität des österreichischen Bedarfsprüfungssystems im Licht des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 13. Februar 2014 in der Rechtssache Sokoll-Seebacher, C-367/12 , wird keine grundsätzliche Rechtsfrage aufgezeigt. Nach dem genannten Urteil des EuGH fordert das Unionsrecht eine Möglichkeit, von der starren Grenze der von den Nachbarapotheken weiterhin zu versorgenden Personen abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209, ausgesprochen hat, ergibt sich daraus, dass die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 APG, wonach kein Bedarf an einer neuen Apotheke besteht, wenn sich dadurch das Kundenpotenzial einer benachbarten Apotheke auf weniger als 5.500 ständige Einwohner verringert, in den Ausnahmefällen unangewendet zu bleiben hat, in denen die neu beantragte Apotheke erforderlich ist, um für die in bestimmten abgelegenen Gebieten wohnhafte Bevölkerung - unter Bedachtnahme auf die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch ärztliche Hausapotheken und unter Berücksichtigung der bei der Bedarfsprüfung im Vordergrund stehenden Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen - die zumutbare Erreichbarkeit einer Arzneimittelabgabestelle zu gewährleisten.

Im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichbehandlung von rein innerstaatlichen Sachverhalten mit solchen mit Gemeinschaftsbezug (vgl. etwas das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 1. März 2004, G 110/03 u.a., Slg. 17.150) gilt das auch für Apothekenkonzessionsverfahren ohne Gemeinschaftsbezug, wie jenes, das dem zitierten hg. Erkenntnis zur Zl. 2013/10/0209 zu Grunde lag; erwächst doch dem Inländer aus dem Gebot der Gleichbehandlung der Anspruch, dass dem unmittelbar geltenden Unionsrecht widersprechende nationale Bestimmungen ihm gegenüber in gleicher Weise unangewendet zu bleiben haben wie im Fall von Sachverhalten mit Gemeinschaftsbezug. § 10 Abs. 2 Z. 3 APG ist daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass diese Bestimmung für den im zitierten Urteil des EuGH angesprochenen Ausnahmefall keine Regelung trifft.

Die in der Revision vorgebrachten Argumente sind nicht geeignet, den Verwaltungsgerichtshof zu einem Abgehen von dieser Judikatur zu veranlassen.

Bei der Frage, ob im vorliegenden Fall solche örtlichen Besonderheiten vorliegen, die eine Außerachtlassung von § 10 Abs. 2 Z. 3 APG rechtfertigen, handelt es sich um keine über den vorliegenden Einzelfall hinaus bedeutsame grundsätzliche Rechtsfrage.

Da somit keine Rechtsfragen zu lösen sind, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - zurückzuweisen.

Da die Zurückweisung einer Revision gemäß § 34 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zu erfolgen hat, wurde die vom Revisionswerber beantragte Verhandlung nicht durchgeführt. Dem stehen auch Art. 6 EMRK und Art. 47 der Europäischen Grundrechtscharta nicht entgegen, zumal der rechtsanwaltlich vertretene Revisionswerber auf die Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht bereits dadurch verzichtet hat, dass er eine solche entgegen der Verpflichtung gemäß § 67d AVG idF vor der Novelle BGBl. I Nr 33/2013 (nunmehr § 24 VwGVG) nicht bereits in der - nunmehr als Beschwerde geltenden -Berufung beantragt hat.

Der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf Feststellung, dass die gesetzliche Verfahrensdauer überschritten worden sei, war zurückzuweisen, weil für eine derartige Feststellung durch den Verwaltungsgerichtshof keine Rechtsgrundlage besteht. Entgegen den Ausführungen in der Berufung bieten auch die Art. 41 und 47 der Europäischen Grundrechtscharta dafür keine Rechtsgrundlage. Zur Gewährleistung einer angemessenen Verfahrensdauer standen dem Revisionswerber die Rechtsbehelfe des Devolutionsantrages bzw. der Säumnisbeschwerde und des Fristsetzungsantrages zur Verfügung.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 518/2013. Dem Rechtsträger der belangten Behörde war mangels entsprechenden Begehrens kein Aufwandersatz zuzusprechen.

Wien, am 22. April 2015

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