VwGH Ra 2017/07/0028

VwGHRa 2017/07/002827.4.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision der V GmbH in Wien, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in 8010 Graz, Kalchberggasse 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 30. Jänner 2017, Zl. LVwG 46.1-2258/2016-17, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erlassung eines wasserpolizeilichen Auftrags (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft; mitbeteiligte Partei: Grazer Sverein, vertreten durch Dr. Gerhard Richter, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Bürgergasse 13), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
AVG §60;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
Verwaltungsgerichtsbarkeits-Nov 2012;
VwGVG 2014 §17;
VwGVG 2014 §27;
VwGVG 2014 §28 Abs1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28 Abs4;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 16. Juni 2016 wies die belangte Behörde einen Antrag (ua) der mitbeteiligten Partei als Fischereiberechtigter auf Erlassung eines wasserpolizeilichen Auftrages gegenüber der Revisionswerberin ab. Der Antrag hatte sich darauf gerichtet, umgehend die notwendigen gesetzlichen Schritte zu setzen, weil die wasserrechtliche Bewilligung für eine konkrete Wasserkraftanlage der Revisionswerberin durch Zeitablauf geendet habe und kein rechtzeitiger Wiederverleihungsantrag gestellt worden sei. Die belangte Behörde ging in ihrer Entscheidung davon aus, dass die Frist nicht abgelaufen und zudem ein rechtzeitiger Wiederverleihungsantrag gestellt worden sei.

2 Die dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobene Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem nun in Revision gezogenen Erkenntnis vom 30. Jänner 2017 abgewiesen.

In der Begründung des Erkenntnisses befasste sich das LVwG mit der Frage der Befristung des verfahrensgegenständlichen und von damit im Zusammenhang stehenden Wasserkraftanlagen und ging von einer Befristung der Bewilligung bis zum 2. Juni 2013 aus. Zudem vertrat es die Meinung, es sei rechtzeitig ein Wiederverleihungsantrag gestellt worden.

Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. 3 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche

Revision der revisionswerbenden Partei. Als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung macht sie geltend, es fehle zur Rechtslage nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob die unrichtige Begründung eines Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts, die den Spruch (allein) trage, präjudizielle Wirkung, dh Bindungswirkung für weitere Verfahren, entfalte.

4 Ein naheliegender Vergleich mit der Rechtskraftwirkung zivilgerichtlicher Urteile zeige, dass sich diese neben dem Spruch subsidiär auch auf die Entscheidungsgründe beziehe, soweit dies für die Individualisierung des Ausspruches und dessen Tragweite erforderlich sei. Demnach entfalte auch die Begründung des bekämpften Erkenntnisses Bindungswirkung und beschwerte die Revisionswerberin auf Grund ihrer Unrichtigkeit.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die Bestimmung des § 28 VwGVG regelt die Entscheidungsform und Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte. Soweit hier von Interesse, hat sie folgenden Wortlaut:

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
  2. 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

    Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) Hat die Behörde bei ihrer Entscheidung Ermessen zu üben, hat das Verwaltungsgericht, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(5) Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

(6) ..."

9 Vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, entschieden Berufungsbehörden im Instanzenzug über Berufungen gegen Bescheide, und zwar auf Grundlage der Bestimmung des § 66 AVG. Nach der dazu ergangenen ständigen Rechtsprechung erwuchs nur der Spruch eines Berufungsbescheides in Rechtskraft. Seine Begründung entfaltete - abgesehen vom Fall der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG - in der Regel keine Bindungswirkung; und zwar weder für das Folgeverfahren noch für andere Verfahren (vgl. ua das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2014, 2012/12/0047, den hg. Beschluss vom 13. November 2013, 2013/04/0122, die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2013, 2012/12/0129, und vom 16. Februar 2012, 2010/01/0033).

10 Mit der obgenannten, als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung bezeichneten Frage möchte die Revisionswerberin wissen, ob diese Rechtsprechung auch für die Verwaltungsgerichte gilt. Sie meint, dazu fehle es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

11 Nun liegt trotz Fehlens einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die Rechtslage eindeutig ist (vgl. dazu die hg. Beschlüsse vom 28. Mai 2014, Ro 2014/07/0053, vom 2. September 2014, Ra 2014/18/0062, und vom 3. Juli 2015, Ra 2015/03/0041).

12 Dies ist hier der Fall. Wie bereits die oben dargestellte Systematik des § 28 Abs. 1 bis 4 VwGVG zeigt, ist die Behörde im Folgeverfahren nur bei einer Vorgangsweise nach § 28 Abs. 3 bzw. Abs. 4 VwGVG - diese Bestimmungen entsprechen im Wesentlichen derjenigen des § 66 Abs. 2 AVG - an die (regelmäßig in der Begründung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts zu findende) rechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichts gebunden. Diese ausdrückliche gesetzliche Anordnung einer Bindungswirkung in Bezug auf die tragende rechtliche Beurteilung bei aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidungen stellt eine Übernahme der in der Rechtsprechung zu § 66 Abs. 2 AVG entwickelten Grundsätze dar.

13 In den anderen Fällen möglicher Entscheidungen durch das Verwaltungsgericht, insbesondere im Fall der Abweisung einer Beschwerde, fehlt eine solche ausdrückliche Anordnung. Es ist daher schon vor dem Hintergrund der Gesetzessystematik des § 28 VwGVG davon auszugehen, dass im Fall einer Entscheidung nach § 28 Abs. 2 VwGVG keine Bindungswirkung an die in der Begründung vorgenommene rechtliche Beurteilung besteht.

Wenn der Gesetzgeber in den Fällen des Abs. 3 und Abs. 4 (des § 28 leg. cit.) eine solche Bindungswirkung ausdrücklich anordnet und in Abs. 2 eine solche Anordnung unterlässt, kann daraus nur gefolgert werden, dass bei einer Vorgangsweise nach § 28 Abs. 2 VwGVG keine Bindung an die rechtliche Beurteilung durch das Verwaltungsgericht eintreten sollte.

14 Angesichts der diesbezüglich eindeutigen Rechtslage läge in der aufgezeigten Fragestellung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, selbst wenn es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gäbe.

Allerdings besteht bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur genannten rechtlichen Fragestellung.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits mehrfach mit dem Vergleich zwischen dem § 66 Abs. 4 AVG und dem § 28 VwGVG beschäftigt und daraus Schlussfolgerungen für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten abgeleitet.

16 So vertrat er im hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2014, Ra 2014/07/0002, ua die Ansicht, dass durch die mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretene Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, die eine weitgehende Abschaffung des verwaltungsinternen Instanzenzugs mit sich gebracht habe und das verwaltungsinterne Rechtsmittel der Berufung nur mehr im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde vorsehe, der Anwendungsbereich des § 66 Abs. 4 AVG stark beschränkt worden sei. Inhaltlich sei die Bestimmung des § 66 Abs. 4 AVG nicht verändert worden. Demnach habe die Berufungsbehörde - außer im Fall des § 66 Abs. 2 AVG -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen sei, immer in der Sache selbst zu entscheiden.

§ 28 VwGVG 2014 stelle die dem § 66 Abs. 4 AVG entsprechende Vorschrift im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dar.

17 Der Verwaltungsgerichtshof wies bereits wiederholt darauf hin, dass jede Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, welche - allenfalls unter Rückgriff auf den Inhalt bzw. Abspruch eines (in Beschwerde gezogenen) verwaltungsbehördlichen Bescheides - die Angelegenheit erledigt, die zunächst von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war, an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides tritt (vgl. ua das hg. Erkenntnis vom 4. August 2015, Ra 2015/06/0039, und den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 6. Juni 2014, B 320/2014).

18 Anschließend an die oben wiedergegebenen Überlegungen, wonach die Entscheidung des Verwaltungsgerichts an die Stelle des bekämpften Bescheides tritt, heißt es im Erkenntnis vom 19. Jänner 2016, Ra 2015/01/0070:

"Dies ist bei der Gestaltung sowohl des Spruches als auch der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2015, Ro 2015/03/0032, mwN). Alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens haben einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft. Was Gegenstand eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides einer Behörde ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem Inhalt des Spruches des Bescheides. Nur er erlangt rechtliche Geltung (Verbindlichkeit) und legt dadurch die Grenzen der Rechtskraft fest. Die Bescheidbegründung spielt nur insoweit eine Rolle, als (auch) sie zu der (nach den für Gesetze maßgebenden Regeln vorzunehmenden) Auslegung (Deutung), nicht aber zur Ergänzung eines in sich unklaren Spruches heranzuziehen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. November 2014, 2012/08/0138, mwN)."

19 In diesem Erkenntnis vom 19. Jänner 2016 vertrat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von diesen Überlegungen schließlich die Ansicht, dass das Verwaltungsgericht im fortgesetzten Verfahren (nach der Aufhebung eines trennbaren Spruchteils seines Erkenntnisses) nicht an die Begründung eines anderen, vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpften und somit weiterhin rechtskräftigen Spruchteiles gebunden sei. Die Begründung dieses Spruchteiles entfalte für sich keine Bindungswirkung.

20 Die aufgezeigte Rechtsfrage ist daher auch bereits in der Rechtsprechung geklärt.

21 Im Übrigen liegt hier auch kein Fall eines undeutlichen Spruches vor, in dem die Bescheidbegründung für die Deutung herangezogen werden könnte.

Der normative Gehalt des (durch das LVwG aufrecht erhaltenen) Spruches der Behörde ist eindeutig und lag allein in der Abweisung des verfahrensauslösenden Antrags (ua) der mitbeteiligten Partei. Es gibt keine darüberhinausgehende Bindungswirkung der in der Begründung angestellten rechtlichen Überlegungen (etwa zur Befristung oder zum tatsächlichen Vorliegen eines rechtzeitigen Wiederverleihungsantrages) für andere Verfahren.

22 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war somit zurückzuweisen.

Wien, am 27. April 2017

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