Normen
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 2005 §1 Abs1;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs1 litb;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs1;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2 lita Z2;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2 lita;
NatSchG Tir 2005 §29;
NatSchG Tir 2005 §6 litd;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 2005 §1 Abs1;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs1 litb;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs1;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2 lita Z2;
NatSchG Tir 2005 §29 Abs2 lita;
NatSchG Tir 2005 §29;
NatSchG Tir 2005 §6 litd;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 23. Dezember 2013 wies die Tiroler Landesregierung (die belangte Behörde) einen Antrag des Revisionswerbers vom 17. Dezember 2009 auf naturschutzrechtliche Bewilligung für die Errichtung des Wirtschaftsweges "R.-Alm Hochleger" ab, wobei sich die belangte Behörde auf § 6 lit. d und § 29 "Abs. 2 lit. a" iVm § 1 Abs. 1 Tiroler Naturschutzgesetz 2005 - TNSchG 2005 stützte.
2 Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, der beantragte Wirtschaftsweg solle der Erschließung des Hochlegers der "R.-Alm" dienen, habe eine Gesamtlänge von 1.653 lfm und weise eine Fahrbahnbreite von 3,5 m sowie eine Planumbreite von 4 m auf. Der Weg solle auf einer Seehöhe von ca. 1.361 m beginnen; der Endpunkt liege bei rund 1.563 m Seehöhe. Der gesamte Weg solle unter Verwendung von abgezogenen Rasenziegeln rekultiviert werden, wobei Fehlstellen durch Saat begrünt werden sollten. Die betroffenen Flächen seien nicht Teil des Naturschutzgebietes "Kaisergebirge".
3 Zu der zu erwartenden Beeinträchtigung von "Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren sowie Naturhaushalt" stellte die belangte Behörde im Wesentlichen fest, bei Errichtung des projektierten Wirtschaftsweges würden im Bereich der Wegtrasse sowie der damit zusammenhängenden Wegböschungen die folgenden teilweise bzw. gänzlich geschützten Pflanzenarten entfernt:
Fransen-Enzian, Rauer Enzian, Frühlings-Enzian, Herzblättrige Kugelblume, Nacktstängelige Kugelblume und Zwergalpenrose. Diese Arten würden mit eventueller Ausnahme des "gefransten Enzians" in näherer oder mittlerer Zukunft nicht mehr auf diesen Flächen einwandern können. Allerdings sei nicht davon auszugehen, dass diese Arten derart stark gestört würden, dass ein weiteres Vorkommen an dem Standort nicht mehr gewährleistet sei; durch den Weg sowie dessen Böschungen würden nämlich maximal 5 % des gesamten Standortes gestört. Außerdem werde der nach der Tiroler Naturschutzverordnung 2006 geschützte Lebensraum der Almrosenlatschengebüsche (Hinweis auf Anlage 4 Z. 39 TNSchV 2006) auf einer Länge von ca. 150 m und damit auf einer Fläche von 0,1 ha betroffen.
4 Mit einem Aussterben oder einer Störung des Weiterbestehens der angeführten Arten am Standort sei nicht zu rechnen, allerdings sei von deren Beeinträchtigung auf einer Fläche von zumindest 1 ha auszugehen. Die projektierte Wegerrichtung führe so zu "mittelmäßig starken Beeinträchtigungen" für die beiden Schutzgüter "Naturhaushalt und Lebensgemeinschaften von Pflanzen" nach dem TNSchG 2005.
5 Zu Beeinträchtigungen des "Erholungswertes" durch das beantragte Vorhaben stellte die belangte Behörde fest, solche Beeinträchtigungen würden einerseits während der Bauzeit (in der Dauer von wenigen Wochen) mit Blick auf zwei betroffene Wanderwege durch Lärm und Staubeinträge sowie die Störung der Naturlandschaft durch Baugeräte auftreten. Andererseits würden auch nach Fertigstellung der Baumaßnahmen Beeinträchtigungen weiter bestehen: Im alpinen Gelände sollten Fahrwege möglichst nicht prägendes Element sein, sondern in erster Linie unberührte Landschaft mit einigen wenigen Fußsteigen. Die stark geometrisierenden Linien des beantragten Wirtschaftsweges einschließlich der Böschungen würden als Beeinträchtigung - wenn überhaupt - nur geringfügig abklingen. Die Böschungen würden im steilen Gelände mit Rasen nicht so ausreichend anwachsen, wie dies in der Umgebung der Fall sei. Auch der obere der beiden Wanderwege wäre nicht mehr in jener Ausprägung vorhanden wie vor dem Eingriff. Durch eine ca. 3,5 m breite ebene Fahrtrasse könne die Abwechslung und Lebendigkeit eines Wandersteiges mit unterschiedlichen Neigungen und wesentlich geringerer Breite nicht nachgebaut werden, weshalb der derzeit bestehende Wanderweg in seinem Erholungswert eine deutliche Komponente verliere. Diese Beeinträchtigungen würden insgesamt als "mittelmäßig stark" angesetzt.
6 Mit Blick auf Beeinträchtigungen des "Landschaftsbildes" führte die belangte Behörde aus, der gegenständliche Wirtschaftsweg solle im Bereich des sogenannten "H.-Feldes" angelegt werden, wobei mittelsteiles und zum Teil steiles Gelände mit Kalkmagerrasen durch die Wegtrasse durchquert würde. Das H.- Feld sei von näher genannten Orten und Talbereichen sowie näher genannten Bergbereichen aus gut einzusehen. Die Ansichten vom Süden aus würden durch den Anblick der sich hellgrau aus den Rasenflächen erhebenden schroffen Felsen geprägt. Das H.-Feld präge dabei durch seine einheitlich grüne, nur sehr selten mit Latschen durchsetzte Fläche das Landschaftsbild dieser abgeschlossenen Einheit. Es sei der Abschluss der von Menschen beeinflussten Landschaft, die als Übergangszone zwischen dem darunter liegenden dunklen Fichten-Buchen-Tannen-Mischwald und den darüber liegenden fast weißen senkrechten Felsen des Kalkgebirges fungiere. Die hellgrüne Rasenlandschaft dieses alpinen Rasens stelle somit optisch das Bindeglied zwischen den durch Talnähe beeinflussten Waldlandschaften und den vollkommen natürlichen Felszonen dar. Die einheitliche Farbgebung, die allerdings durch die unregelmäßige Linienführung der Rücken und Mulden ihre Lebhaftigkeit erhalte, bestimme die landschaftliche Eigenart und Schönheit des Bereichs. Der durch keinerlei geometrische Formen bestimmte Rasenbereich sei als unabdingbares Element in diesem landschaftlichen Gefüge anzusehen.
7 Diese bislang noch einigermaßen geschlossene und unberührte Almlandschaft würde durch die beantragte Wegtrasse durchschnitten werden. Die Eigenart und Schönheit der Landschaft werde durch die technische Komponente von geraden Linien, welche sich nur schwer in das beschriebene Gefüge der Landschaft einpassen könnten, sowohl optisch als auch funktionell durchschnitten. Die Eigenart und Schönheit des gegenständlichen Rasengeländes würde daher sowohl während des Baus als auch danach stark gestört werden. Während des Baus würden die entstehenden hellen Böschungsanrisse sowie die Baumaschinen eine starke optische Störung im ansonsten natürlichen Gelände darstellen. Aber auch nach dem Bau würden nicht die natürlichen Komponenten, sondern die entstandenen geometrischen Linien und Böschungen des Weges diesen Teil der Südabdachung des Kaisergebirges bestimmen. Aufgrund der zu erwartenden relativ hohen und voraussichtlich sehr schwierig zu rekultivierenden Böschungen würden diese Linien vom beschriebenen Talraum aus einzusehen sein. Die Beeinträchtigungen würden als stark und irreversibel beurteilt.
8 Weiters stellte die belangte Behörde fest, Stabilitätsprobleme im geologisch-geotechnischen Sinn würden nicht erwartet. Aufgrund der Anordnung der Kehren mehr oder weniger unmittelbar übereinander würde es jedoch zu einer großflächigen Freilegung von anstehendem Festgestein kommen, sodass je nach entstehender Böschungshöhe und Beschaffenheit des aufgeschlossenen Felsgesteins stellenweise die Notwendigkeit von Hangsicherungsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden könne bzw. die Wahrscheinlichkeit, dass diese notwendig würden, als relativ hoch angesehen werde. Aufgrund der Hangneigung und der vorgesehenen Breite des Weges würden stellenweise auch beträchtliche Lockergesteinsböschungen entstehen; auch hier werde "aller Voraussicht nach" die Errichtung von technischen Sicherungsmaßnahmen (z.B. Steinschlichtungen) notwendig werden.
9 In agrarwirtschaftlicher Hinsicht stellte die belangte Behörde im Wesentlichen fest, aufgrund der relativ starken Ungezieferbelastung auf dem Hochleger der R.-Alm hielten sich die Tiere während des Tages im Almstall auf. Der bestehende Stall, ein baufälliger Anbindestall, entspreche nicht mehr den Anforderungen einer zeitgemäßen Tierhaltung, weshalb ein Neubau - als Laufstall -
notwendig sei; der einzige lawinensichere Platz dafür sei der Standort des derzeitigen Unterstandes. Für den Neubau sei ein entsprechender Einsatz von Baumaschinen erforderlich, die nur auf einem Zufahrtsweg herangebracht werden könnten. Da der Stall während der Wintermonate von Rutsch- und Triebschnee eingeschüttet sei, müsse dieser als Trockensteinmauerwerk - nicht in Holzbauweise - errichtet werden, wofür ebenfalls ein Bagger erforderlich sei. Ohne entsprechenden Unterstand suchten die Tiere während des Tages in den Latschen Schutz vor dem Ungeziefer, wobei im Latschenbereich starke Absturzgefahr für die Tiere bestehe.
10 Ohne entsprechenden Unterstand sei die Bewirtschaftung des Hochlegers nicht möglich. Bei Auflassung der Beweidung der Hochlegerflächen sei zu erwarten, dass durch die nicht abgeweideten Gräser verstärkt Rutschschnee auftrete und mit diesem in Folge durch das Anfrieren der langen Gräser Erosionen. Die beantragte Erschließung des Hochlegers stelle einen entscheidenden Beitrag zur dauerhaften Sicherung der Bewirtschaftung für einen zeitgemäßen Wirtschaftsbetrieb der R.-Alm dar.
11 Der Revisionswerber bewirtschafte seinen Hof als Biobetrieb im Vollerwerb und halte auf diesem 28 bis 30 Milchkühe und durchschnittlich 50 Jungrinder. Der jährliche Futterbedarf für diesen Viehbestand betrage rund 315.000 kg Heu bzw. Weidegras; der Ertrag aus den bewirtschafteten Flächen inklusive der Alm betrage rund 313.000 kg, sodass der Futterbedarf mit dem Futterertrag nahezu ausgeglichen sei. Der Hochleger der R.-Alm biete eine Futtermenge von 25.700 kg. Da es in der Region sehr schwierig sei, entsprechende Pachtflächen zu bekommen, stelle der Hochleger der R.-Alm einen wesentlichen Bestandteil des (gesamten) Betriebes des Revisionswerbers dar.
12 Beim Vergleich der R.-Alm mit bestimmten Almflächen im Nahbereich ergebe sich, dass durch die konstante und niemals unterbrochene Bewirtschaftung der R.-Alm im Unterschied zu diesen anderen Almflächen kein Verwachsen der Weideflächen mit Zwergsträuchern und Latschen zu erkennen sei. Bei Nichtgenehmigung des beantragten Wirtschaftsweges sei davon auszugehen, dass die Bewirtschaftung des Hochlegers der R.-Alm aufgelassen werde, was zum Verwachsen der Weideflächen mit Zwergsträuchern und Latschen und - damit verbunden - einem (quantitativen) Rückgang geschützter Pflanzenarten führen werde. Im Sinne der zeitgemäßen Form der Landbewirtschaftung sei aus diesen Gründen eine zeitgemäße Erschließung des R.-Alm-Hochlegers durch die Errichtung der gegenständlichen Weganlage notwendig.
13 In beweiswürdigenden Ausführungen befasste sich die belangte Behörde in verschiedener Hinsicht mit dem vom Revisionswerber vorgelegten Gutachten des Sachverständigen DI Dr. M.M. und begründete, weshalb sie den Einschätzungen der herangezogenen Amtssachverständigen den Vorzug gab. So führte die belangte Behörde etwa - da sich der Revisionswerber gegen bestimmte vom naturkundefachlichen Amtssachverständigen verwendete Abbildungen (Photographien) gewendet hatte - aus, dass der Amtssachverständige explizit dargelegt habe, von welchen Bereichen aus die angesprochenen Aufnahmen gemacht worden seien; zu der vom Revisionswerber stark kritisierten Abbildung Nr. 5 habe der Amtssachverständige auch erläutert, dass diese ein "auffälliges Bild eines Wegbaues" (also eine Art Negativbeispiel) darstelle.
14 Soweit der Revisionswerber darauf hingewiesen habe, dass der Niederleger der oberen R.-Alm bereits derzeit mit einem Wirtschaftsweg erschlossen sei und sich zwischen Niederleger und Hochleger bereits heute zahlreiche Wanderwege befänden, habe der Amtssachverständige dazu ausgeführt, dass gerade das Beispiel der Erschließungsstraße zur R.-Alm verdeutliche, welch starker Eingriff im Landschaftsbild gegeben sei, wenn eine Fahrstraße angelegt werde. Diese Fahrstraße sei schon im Orthophoto deutlich besser zu erkennen als die Fußwege im Bereich des aufzuschließenden Bereichs oberhalb der R.-Alm. Es sei für die belangte Behörde nachvollziehbar, dass ein Wanderweg weitaus weniger stark im Landschaftsbild in Erscheinung trete als eine (hier beantragte) mit Schlepper befahrbare Wegtrasse.
15 In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das beantragte Projekt erfülle das "Tatbestandsmerkmal des § 6 lit. d TNSchG 2005", weil eine Weganlage außerhalb geschlossener Ortschaft mit einer Weglänge von 1.653 m errichtet werden solle. Infolge der sich bei Umsetzung des Vorhabens ergebenden dauerhaften und zum Teil starken Beeinträchtigungen der Schutzgüter Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren und Naturhaushalt, Erholungswert sowie Landschaftsbild gemäß § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 könne "gemäß § 29 Abs. 2 lit. a TNSchG 2005" die naturschutzrechtliche Bewilligung nur erteilt werden, wenn "andere langfristige öffentliche Interessen" an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 überwögen.
16 Als öffentliches Interesse in diesem Sinn könne etwa die Verbesserung der Agrarstruktur ins Treffen geführt werden, wenn die Frage, ob die beantragte Bewilligung eine Maßnahme darstelle, deren nachhaltige Notwendigkeit für die Bewirtschaftung des landwirtschaftlichen Betriebes, insbesondere unter dem Aspekt der Sicherung der Existenz des Betriebes oder dem gleichermaßen bedeutsamen Blickwinkel der Erfordernisse eines zeitgemäßen Wirtschaftsbetriebes, zu bejahen sei. Nicht jede der Ertragsverbesserung, Rationalisierung oder Arbeitserleichterung dienende Maßnahme liege daher bereits im öffentlichen Interesse der Agrarstrukturverbesserung. Vielmehr kämen nur solche Maßnahmen in Betracht, die einen entscheidenden Beitrag zur dauerhaften Existenzsicherung des Betriebes leisteten oder in gleicher Weise notwendig seien, um einen zeitgemäßen Wirtschaftsbetrieb zu gewährleisten (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2005, Zl. 2001/10/0017).
17 Das eingeholte Gutachten aus dem Fachbereich Almwirtschaft habe ergeben, dass die Errichtung des gegenständlichen Wirtschaftsweges für den zeitgemäßen Betrieb der Almwirtschaft entscheidende Bedeutung besitze; dem könne die belangte Behörde folgen. Dass die vom gegenständlichen Hochleger gelieferte Futtermenge, welche ca. 8 % des Gesamtfutterertrages ausmache, für die Existenz des gesamten Betriebs des Revisionswerbers von maßgeblicher Bedeutung sei, habe sich für die Behörde nicht ergeben.
18 Im Weiteren schloss die belangte Behörde aus der hg. Rechtsprechung, wonach im Bewilligungsverfahren nur die unmittelbaren Auswirkungen des bewilligungspflichtigen Vorhabens zu beurteilen seien (Hinweis u.a. auf die Erkenntnisse vom 21. Mai 2012, Zl. 2011/10/0105, sowie vom 27. Jänner 2011, Zl. 2009/10/0087), dass die für den Fall der Auflassung der Bewirtschaftung der gegenständlichen Almflächen festgestellten negativen Folgen (Verwachsen der Weideflächen mit Zwergsträuchern und Latschen und dessen Folgen) "nicht als öffentliches Interesse ins Treffen geführt werden" könnten. Diese weiteren "nicht im direkten Zusammenhang mit der antragsgegenständlichen Errichtung eines Wirtschaftsweges" zu sehenden Aspekte seien daher nicht über das beschriebene Maß (im Rahmen des öffentlichen Interesses eines zeitgemäßen Betriebes) hinaus zu würdigen.
19 Darüber hinaus habe sich in geologischer Hinsicht die Notwendigkeit von Hangsicherungsmaßnahmen wegen der entstehenden Böschungshöhe und Beschaffenheit des aufgeschlossenen Festgesteins ergeben. Solche Sicherungsmaßnahmen entlang der geplanten Wegtrasse seien jedoch nicht projektiert worden. Es sei "davon auszugehen", dass technische Verbauungsmaßnahmen "weitere Beeinträchtigungen der Interessen des Naturschutzes" mit sich brächten, was das öffentliche Interesse an der Errichtung des gegenständlichen Wirtschaftsweges erheblich reduziere. Das TNSchG 2005 räume außerdem nicht die Möglichkeit ein, Verbauungsmaßnahmen mittels Nebenbestimmungen vorzuschreiben, die "darüber hinaus wohl projektmodifizierend wären".
20 In einer "Zusammenschau sämtlicher relevanten Punkte" ging die belangte Behörde schließlich davon aus, dass die festgestellten Beeinträchtigungen der Schutzinteressen nach dem TNSchG 2005 das öffentliche Interesse an der Umsetzung des beantragten Vorhabens überwögen, weshalb die beantragte Bewilligung zu versagen sei.
21 2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Revision im Sinn des § 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeit-Übergangsgesetz - VwGbk-ÜG.
22 Das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 9 B-VG an die Stelle der belangten Behörde getretene Landesverwaltungsgericht Tirol hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, aber auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet.
II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
23 1. Für die Behandlung der vorliegenden (Übergangs‑)Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 vorletzter Satz VwGbk-ÜG die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß.
24 2. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler Naturschutzgesetzes 2005 - TNSchG 2005, LGBl. Nr. 26/2005 idF LGBl. Nr. 150/2012, lauten wie folgt:
"§ 1
Allgemeine Grundsätze
(1) Dieses Gesetz hat zum Ziel, die Natur als Lebensgrundlage
des Menschen so zu erhalten und zu pflegen, dass
a) ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit,
b) ihr Erholungswert,
c) der Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt
und deren natürliche Lebensräume und
d) ein möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger
Naturhaushalt
bewahrt und nachhaltig gesichert oder wiederhergestellt
werden. Die Erhaltung und die Pflege der Natur erstrecken sich auf
alle ihre Erscheinungsformen, insbesondere auch auf die
Landschaft, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in ihrem
ursprünglichen Zustand befindet (Naturlandschaft) oder durch den
Menschen gestaltet wurde (Kulturlandschaft). Der ökologisch
orientierten und der die Kulturlandschaft erhaltenden land- und
forstwirtschaftlichen Nutzung kommt dabei besondere Bedeutung zu.
Die Natur darf nur so weit in Anspruch genommen werden, dass ihr Wert auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt.
(...)
§ 6
Allgemeine Bewilligungspflicht
Außerhalb geschlossener Ortschaften bedürfen folgende Vorhaben einer Bewilligung, sofern hiefür nicht nach einer anderen Bestimmung dieses Gesetzes, einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes oder einem der in der Anlage zu § 48 Abs. 1 genannten Gesetze eine naturschutzrechtliche Bewilligung erforderlich ist:
(...)
d) der Neubau von Straßen und Wegen oberhalb der Seehöhe
von 1.700 Metern oder mit einer Länge von mehr als 500 Metern, mit Ausnahme von Straßen, für die in einem Bebauungsplan die Straßenfluchtlinien festgelegt sind, und von Güterwegen nach § 4 Abs. 1 des Güter- und Seilwege-Landesgesetzes;
(...)
§ 29
Naturschutzrechtliche Bewilligungen,
aufsichtsbehördliche Genehmigungen
(1) Eine naturschutzrechtliche Bewilligung ist, soweit in den
Abs. 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist, zu erteilen,
a) wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt
wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht
beeinträchtigt oder
b) wenn andere öffentliche Interessen an der Erteilung der
Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1
überwiegen.
(2) Eine naturschutzrechtliche Bewilligung
a) für die Errichtung von Anlagen in Gletscherschigebieten
nach § 5 Abs. 1 lit. d Z 3 (§ 6 lit. c), eine über die
Instandhaltung oder Instandsetzung hinausgehende Änderung einer
bestehenden Anlage im Bereich der Gletscher, ihrer Einzugsgebiete
und ihrer im Nahbereich gelegenen Moränen (§ 6 lit. f), für
Vorhaben nach den §§ 7 Abs. 1 und 2, 8, 9, 27 Abs. 3 und 28 Abs. 3,
b) für Vorhaben, für die in Verordnungen nach den §§ 10
Abs. 1 oder 11 Abs. 1 eine Bewilligungspflicht festgesetzt ist,
c) für Ausnahmen von den in Verordnungen nach den §§ 13
Abs. 1, 21 Abs. 1 und 27 Abs. 4 festgesetzten Verboten darf nur
erteilt werden,
1. wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt
wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht
beeinträchtigt oder
2. wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der
Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen. In Naturschutzgebieten darf außerdem ein erheblicher, unwiederbringlicher Verlust der betreffenden Schutzgüter nicht zu erwarten sein.
(...)
(5) Eine Bewilligung ist befristet, mit Auflagen oder unter Bedingungen zu erteilen, soweit dies erforderlich ist, um Beeinträchtigungen der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1, in den Fällen des Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 insbesondere unter Berücksichtigung des betreffenden Schutzzweckes, zu vermeiden oder auf ein möglichst geringes Ausmaß zu beschränken.
(6) Ergibt sich nach der Erteilung der Bewilligung, dass die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 trotz Einhaltung der in der Bewilligung vorgeschriebenen Auflagen in einem erheblichen Ausmaß beeinträchtigt sind, so hat die Behörde die zur Vermeidung der Beeinträchtigungen oder zu deren Beschränkung auf ein geringes Ausmaß erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen vorzuschreiben. Solche Auflagen sind nur insoweit zulässig, als der damit verbundene Aufwand in einem vertretbaren Verhältnis zum erzielbaren Erfolg steht.
(...)
(8) Eine Bewilligung ist zu versagen, wenn eine Voraussetzung für ihre Erteilung nicht vorliegt.
(...)"
25 3. Die vorliegende Revision wendet sich ihrem ganzen Inhalt nach sowohl gegen die von der belangten Behörde vorgenommene naturschutzrechtliche Interessenabwägung als auch - unter verschiedenen Gesichtspunkten - gegen deren tatsächliche Grundlage.
26 4. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid eine Interessenabwägung nach § 29 Abs. 2 lit. a Z. 2 TNSchG 2005 vorgenommen und auf dieser Grundlage die vom Revisionswerber beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung gemäß § 29 Abs. 8 TNSchG 2005 versagt.
27 Schon damit hat die belangte Behörde das Gesetz verkannt:
28 Der angefochtene Bescheid geht von einer Bewilligungspflicht des beantragten Vorhabens nach § 6 lit. d TNSchG 2005 aus, weil sich der zu errichtende Wirtschaftsweg außerhalb geschlossener Ortschaften befinde und eine Länge von mehr als 500 Metern aufweise. Der Revisionswerber wendet sich nicht gegen eine Bewilligungspflicht seines Vorhabens nach dieser Bestimmung. Gegen die Annahme einer solchen Bewilligungspflicht bestehen auch keine Bedenken des Gerichtshofs.
29 Stehen einem nach § 6 lit. d TNSchG 2005 bewilligungspflichtigen Vorhaben Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 entgegen, so ist gemäß § 29 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005 die naturschutzrechtliche Bewilligung dennoch zu erteilen, wenn "andere öffentliche Interessen" an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 überwiegen. § 29 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005 ist somit die bei einem Vorhaben nach § 6 lit. d TNSchG 2005 anzuwendende Interessenabwägungsnorm.
30 Die von der belangten Behörde ihrer Interessenabwägung zugrunde gelegte Bestimmung des § 29 Abs. 2 lit. a Z. 2 TNSchG 2005 ist lediglich auf die in dieser Bestimmung taxativ angeführten Vorhaben anzuwenden und unterscheidet sich von der Norm des § 29 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005 insbesondere dadurch, dass auf "andere langfristige öffentliche Interessen" an der Erteilung der Bewilligung, welche die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 überwiegen, abgestellt wird. § 29 Abs. 2 lit. a Z. 2 TNSchG 2005 formuliert somit im Vergleich zu § 29 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005 strengere Anforderungen an die die Erteilung der beantragten Bewilligung ermöglichende Interessenabwägung (vgl. zu den ebenfalls in diesem Sinn abgestuften Beurteilungsmaßstäben des § 27 Abs. 1 und Abs. 2 TNSchG 1997 die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0064, und vom 29. Juni 2006, Zl. 2004/10/0106).
31 5. § 29 Abs. 1 TNSchG 2005 schreibt eine Interessenabwägung vor, bei der die Interessen des Naturschutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 den an der Erteilung der Bewilligung bestehenden öffentlichen Interessen gegenüberzustellen sind. Die Entscheidung, welche Interessen überwiegen, muss in der Regel eine Wertentscheidung sein, weil die konkurrierenden Interessen meist nicht monetär bewertbar sind. Um die Wertentscheidung transparent und nachvollziehbar zu machen, ist es daher erforderlich, die für und gegen ein Vorhaben sprechenden Argumente möglichst umfassend und präzise zu erfassen und einander gegenüberzustellen. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 durch das Vorhaben zukommt. Dem sind die öffentlichen Interessen, denen die Verwirklichung des Vorhabens dient, gegenüberzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2005, Zl. 2003/10/0209, mwN).
32 5.1. Die Revision wendet sich (unter anderem) gegen die Annahme der belangten Behörde, mit dem beantragten Vorhaben sei eine starke Beeinträchtigung des Landschaftsbildes verbunden, und bringt dazu im Wesentlichen vor, die belangte Behörde habe nicht die von der hg. Rechtsprechung geforderte großräumige und umfassende Beschreibung der verschiedenen Erscheinungen der Landschaft geleistet; auch werde die mit dem beantragten Wirtschaftsweg eintretende optische Veränderung nicht im erforderlichen Umfang dargetan. Die vom naturkundefachlichen Amtssachverständigen zur Untermauerung seiner Auffassung beigebrachten Photographien seien als Beweismittel völlig ungeeignet; auch sei ein mehrfach geforderter Lokalaugenschein unterblieben.
33 Die belangte Behörde habe darüber hinaus weder berücksichtigt, dass es in dem aufzuschließenden Bereich bereits derzeit zahlreiche Wanderwege und Fußwege gebe, noch dass der Niederleger der oberen R.-Alm bereits derzeit durch einen Wirtschaftsweg, der mehr oder weniger als gerade Linie optisch als auch funktionell in der Landschaft wahrnehmbar sei, erschlossen sei. In diesem Zusammenhang verweist die Revision wiederum auf das im Verfahren vorgelegte Gutachten des DI Dr. M.M.
34 5.2. Mit diesem Vorbringen ist die Revision nicht im Recht:
35 Das Landschaftsbild ist von den Interessen des Naturschutzes im Sinn des § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 umfasst (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. September 2011, Zl. 2009/10/0256). Unter dem Landschaftsbild ist das Bild einer Landschaft von jedem möglichen Blickpunkt aus zu verstehen; der Beurteilung, ob ein unzulässiger Eingriff in das Landschaftsbild vorliegt, ist grundsätzlich das sich von allen möglichen Blickpunkten bietende Bild der von der Maßnahme betroffenen Landschaft zugrunde zu legen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 25. April 2013, Zl. 2012/10/0118, mwN).
36 Die belangte Behörde hat ihrer Beurteilung, dass das beantragte Vorhaben eine starke Beeinträchtigung des Landschaftsbildes bewirken würde, die oben (Rz 6f) wiedergegebenen, auf sachverständiger Grundlage getroffenen Feststellungen zu dem sich derzeit aus verschiedenen Blickpunkten bietenden Bild der betroffenen Landschaft und zu dessen Veränderung bei Verwirklichung des Vorhabens zugrunde gelegt. Zur Begründung, weshalb die belangte Behörde in dieser Hinsicht den Ausführungen in den naturkundefachlichen Gutachten der Amtssachverständigen und nicht jenen im vorgelegten Gutachten des Sachverständigen DI Dr. M.M. gefolgt ist, ist die belangte Behörde auf die im vorgelegten Gutachten enthaltenen Argumente etwa zu den vom Amtssachverständigen verwendeten Photographien und den derzeit schon in der Landschaft vorhandenen Wanderwegen bzw. zu dem den Niederleger erschließenden Wirtschaftsweg eingegangen (vgl. oben Rz 13f) und hat in durch den Gerichtshof nicht zu beanstandender Weise begründet, weshalb sie in dieser Hinsicht den Darlegungen der Amtssachverständigen gefolgt ist.
37 Zu dem (erkennbar) behaupteten Verfahrensmangel wegen Unterlassens eines Lokalaugenscheins legt die Revision nicht im Ansatz die Relevanz dar. Entgegen der vom Revisionswerber vertretenen Auffassung legt der angefochtene Bescheid somit ausreichend dar, weshalb die belangte Behörde von einer starken Beeinträchtigung des naturschutzrechtlich geschützten Interesses am Landschaftsbild bei Umsetzung des beantragten Vorhabens ausgegangen ist.
38 5.3. Dies trifft im Übrigen auch für die von der belangten Behörde angenommene Beeinträchtigung des Erholungswertes der betroffenen Landschaft (vgl. § 1 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005) zu (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. 2011/10/0192, mwN).
39 6. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben, weil die belangte Behörde, wie unter Pkt. 4 dargelegt, das Gesetz verkannt hat.
40 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Z. 1 und § 4 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 9. November 2016
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