VwGH Ra 2014/22/0154

VwGHRa 2014/22/015426.3.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revisionen der Bundesministerin für Inneres vom 9. Oktober 2014, gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes Wien vom 22. August 2014,

1. VGW-151/063/22012/2014-19 (protokolliert zu Ra 2014/22/0154) und 2. VGW-151/063/22011/2014-20 (protokolliert zu Ra 2014/22/0158), jeweils betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Parteien: 1. D und 2. B, beide in Wien, beide vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11; belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7 impl;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9 idF 2012/I/087;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §44 Abs1;
AVG §68 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7 impl;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9 idF 2012/I/087;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §24 Abs1;
VwGVG 2014 §44 Abs1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligten Parteien sind miteinander verheiratet; beide sind Staatsangehörige der Mongolei. Sie reisten am 7. März 2009 in das Bundesgebiet ein und stellten Asylanträge, die schlussendlich mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 11. Mai 2011 abgewiesen wurden. Die am 1. Juli 2011 vom Erstmitbeteiligten und am 29. Juni 2011 von der Zweitmitbeteiligten eingebrachten Anträge auf Wiederaufnahme der Asylverfahren wurden mit Beschlüssen des Asylgerichtshofes vom 17. Oktober 2011 als verspätet zurückgewiesen. Neuerliche Asylanträge vom 10. Juni 2011 wurden schlussendlich mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 24. Oktober 2011 (rechtskräftig seit 27. Oktober 2011) abgewiesen und die mitbeteiligten Parteien wurden aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Am 1. Dezember 2011 stellten die Mitbeteiligten die verfahrensgegenständlichen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus".

Nach Durchführung einer Verhandlung am 30. Juni 2014 gab das VwG mit den angefochtenen Erkenntnissen den Anträgen der mitbeteiligten Parteien auf Erteilung jeweils eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte Plus" gemäß § 41a Abs. 9 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) betreffend den Erstmitbeteiligten für die Dauer von zwölf Monaten, betreffend die Zweitmitbeteiligte auf Grund der Gültigkeit des vorgelegten Reisedokumentes bis 23. Februar 2015 statt. Begründend führte das VwG aus, die mitbeteiligten Parteien hielten sich seit ca. 5 ½ Jahren im Bundesgebiet auf; seit den rechtskräftigen asylrechtlichen Ausweisungen am 27. Oktober 2011 seien mittlerweile zwei Jahre und 10 Monate vergangen. Während der Dauer der Asylverfahren seien ihre Aufenthalte rechtmäßig gewesen. Die mitbeteiligten Parteien hätten die Zeit seit der rechtskräftigen Erlassung der Ausweisungen für die ihnen möglichen Schritte zu ihrer Integration genutzt. Sie hätten eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 und eine weitere auf dem Niveau B1 bestanden und verfügten über einen aktuellen arbeitsrechtlichen Vorvertrag, weshalb künftig von einer Selbsterhaltungsfähigkeit auszugehen sei. Außer zueinander hätten sie jedoch keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben gehe hervor, dass die mitbeteiligten Parteien mittlerweile in Österreich über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis verfügten. Somit sei von einer maßgeblich fortgeschrittenen sozialen Integration auszugehen. Die mitbeteiligten Parteien seien strafrechtlich und verwaltungsstrafrechtlich unbescholten; Erteilungshindernisse gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 NAG lägen nicht vor. Das von den mitbeteiligten Parteien in Österreich aufgebaute Privatleben sei von maßgebenden Umständen gekennzeichnet, die die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel fallbezogen geboten erscheinen ließen. Für die Zweitmitbeteiligte sei die Dauer des Aufenthaltstitels auf Grund der Gültigkeit des vorgelegten Reisedokumentes mit 23. Februar 2015 zu befristen gewesen.

Eine ordentliche Revision wurde nicht für zulässig erklärt.

Gegen die angeführten Erkenntnisse des VwG richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen der Bundesministerin für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das VwG und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die mitbeteiligten Parteien nach Verbindung der Verfahren auf Grund des personellen und sachlichen Zusammenhanges erwogen hat:

Gemäß § 81 Abs. 23 NAG sind unter anderem Verfahren gemäß § 41a Abs. 9 leg. cit. in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012, die vor dem 1. Oktober 2013 bei der Behörde anhängig wurden und am 31. Dezember 2013 noch anhängig waren, auch nach Ablauf des 31. Dezember 2013 von der Behörde nach den Bestimmungen des NAG in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 87/2012 zu Ende zu führen. Im gegenständlichen Fall ist daher das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden.

Die Revisionswerberin bringt in beiden Revisionen im Wesentlichen gleichlautend zum Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, die angefochtenen Erkenntnisse wichen von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Die Verbesserung der Deutschkenntnisse und das Vorliegen von Arbeitsplatzzusagen sowie Unterstützungsschreiben seien nicht von solcher Bedeutung, dass eine Sachverhaltsänderung vorliege, die den Schluss zuließe, eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines Eingriffes in die Rechte nach Art. 8 EMRK wäre zumindest möglich.

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Unter Zitierung mehrerer hg. Erkenntnisse (etwa vom 19. Dezember 2012, 2012/22/0202) weist die Revisionswerberin zutreffend darauf hin, dass nach ständiger hg. Judikatur die Verbesserung der Deutschkenntnisse, das Vorliegen von Arbeitsplatzzusagen sowie von Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben für die Drittstaatsangehörigen nicht als eine solche Sachverhaltsänderung zu beurteilen sei, die bei der anzustellenden Prognose den Schluss zugelassen hätte, es wäre eine andere Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffes in Rechte gemäß Art. 8 EMRK zumindest möglich.

Selbst im Fall einer Neubeurteilung sind unter Berücksichtigung der bisherigen Gesamtaufenthaltsdauer der mitbeteiligten Parteien in Österreich von etwa 5 ½ Jahren zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Erkenntnisse die von den mitbeteiligten Parteien im Sinn des Art. 8 EMRK geltend gemachten Umstände nicht von solchem Gewicht, dass der Verstoß gegen die Fremdenrechtsordnung im Hinblick auf ihre privaten und familiären Interessen hätte akzeptiert werden müssen. Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, dass der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Zuge einer Verhandlung bei der Bewertung der integrationsbegründenden Umstände im Rahmen der Interessenabwägung eine besondere Bedeutung zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 2014, Ra 2014/22/0065). Im vorliegenden Fall wurden aber - abgesehen von den Sprachkursen, den Arbeitsplatzzusagen und dem Freundeskreis - keine weiteren integrationsbegründenden Umstände vorgebracht; eigenen Angaben zufolge sind die mitbeteiligten Parteien arbeitslos, nicht krankenversichert und erhalten Kost, Quartier und finanzielle Unterstützung von einem Verein. Sie durften mit Blick auf die unberechtigten Asylbegehren von Beginn an nicht darauf vertrauen, in Österreich bleiben zu können. Ihr Aufenthaltsstatus stellte sich somit stets als unsicher dar. Die von ihnen ins Treffen geführten Umstände waren demgegenüber in ihrer Gesamtheit nicht so außergewöhnlich, dass sie die - als hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Wahrung eines geordneten Fremdenwesens überwiegen könnten.

Nach dem Gesagten waren die angefochtenen Erkenntnisse gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am 26. März 2015

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