VwGH 2012/07/0254

VwGH2012/07/025425.6.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofrätin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Brandl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerden des U D in W, vertreten durch Dr. Alexandra Sedelmayer, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Marxergasse 29/11, gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 1.) 27. September 2012, Zl. WA1-ALV-18418/025-2012 (2012/07/0254), und 2.) 14. März 2013, Zl. WA1-ALV-18418/026-2013 (2013/07/0075), jeweils betreffend Verhängung einer Zwangsstrafe in einer Angelegenheit des Altlastensanierungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

ALSAG 1989 §16 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ALSAG 1989 §16 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 2.672,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Infolge Berufung des Beschwerdeführers änderte der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (kurz: BM) mit Bescheid vom 24. August 2011 gemäß § 66 Abs. 4 AVG den Spruch des Bescheides des Landeshauptmannes von Niederösterreich (kurz: LH) vom 15. April 2004 wie folgt ab:

"Herr (Beschwerdeführer) wird verpflichtet gemäß § 16 Abs. 1 i. V.m. § 13 Abs. 1 Altlastensanierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 1989/299 i.d.F. BGBL I Nr. 2011/15 hinsichtlich des Grundstücks Nr. 230/1, KG V, die Errichtung von Kernbohrungen und Entnahme von Bodenproben wie folgt auf Grund des dem gegenständlichen Bescheid zuliegenden Lageplans der ARGE W & W/ZI S vom 1.9.2005 zu dulden. Dieser Plan ist diesem Bescheid beigelegt und bildet einen wesentlichen Bestandteil desselben

1) Vier Trockenkernbohrungen samt Baustellensicherung im nördlichen Teil des Grundstückes .230/1 KG V (KB1, KB26, KB3 und KB27) sind innerhalb vier Monaten ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des gegenständlichen Bescheides und nach Durchführung von Erkundungsmaßnahmen auf das Vorhandensein etwaiger Kriegsrelikte durchzuführen.

2) Der Termin für die Trockenkernbohrungen und die etwaigen Erkundungsmaßnahmen ist mit dem Liegenschaftseigentümer (der Partei) zu koordinieren. Bei der Umsetzung der Kernbohrungen ist auf den ungestörten Betriebsgang der Betriebe und Unternehmen (Mieter auf dem Grundstück Nr. 230/1) zu achten.

3) Es ist dem Liegenschaftseigentümer Gelegenheit zu geben, die Lage von Entsorgungs- und Versorgungsleitungen bzw. - einrichtungen (Strom, Gas, Wasser, Abwasser, etc.) nachzuweisen. Kann ein Nachweis bis zum Zeitpunkt der Inangriffnahme der jeweiligen Kernbohrungen nicht erbracht werden, so ist eine Vorschachtung durchzuführen.

4) Werden in den durch die vier Trockenkernbohrungen gewonnenen Bodenproben relevante Verunreinigungen festgestellt, sind weitere zwei Trockenkernbohrungen (KB4 und KB5) in südlicher Richtung des Grundstücks innerhalb von vier Wochen herzustellen. Die Punkte 1 bis 3 gelten sinngemäß.

5) Werden auch bei den ergänzenden Trockenkernbohrungen neuerlich relevante Verunreinigungen festgestellt, sind zwei abschließende Kernbohrungen (KB6 und KB7). Die Punkte 1 bis 4 gelten sinngemäß.

Ziel der Untersuchungen ist es, eine Erfassung, Abschätzung und Bewertung dieser Verdachtsfläche sowie eine Prioritätenklassifizierungen zu ermöglichen, wobei insbesondere

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden und hat hierüber erwogen:

Gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sind auf die vorliegenden, mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdefälle die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Der Beschwerdeführer bringt jeweils vor, der Vollstreckungstitel sei nicht ausreichend bestimmt. In Bezug auf die Formulierung "relevante Verunreinigungen" in Punkt 4. des Titelbescheides vom 24. August 2011 sei unklar, was darunter zu verstehen sei. Für den Beschwerdeführer sei nicht erkennbar, wann er zur Duldung von zwei weiteren Trockenbohrungen verpflichtet sei. Das ALSAG kenne den Begriff der "relevanten Verunreinigung" nicht. Der Begriff "relevant" könne sich nur auf das Erreichen von Maßnahmenschwellenwerten beziehen, nicht jedoch auf eine geringfügige Überschreitung der Prüfwerte.

Ebenso sei durch den Verweis der sinngemäßen Geltung der Punkte 1. bis 3. des Titelbescheides in Punkt 4. nicht klar, ob die vom Beschwerdeführer zu duldenden weiteren zwei Bohrungen binnen vier Wochen, wie in Punkt 4. angeführt, oder vier Monaten, wie in Punkt 1. geregelt, durchzuführen seien.

Gemäß § 10 Abs. 2 VVG, BGBl. Nr. 53/1991 in der hier maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 33/2013, kann die Berufung gegen eine nach diesem Bundesgesetz erlassene Vollstreckungsverfügung nur ergriffen werden, wenn (Z. 1) die Vollstreckung unzulässig ist oder (Z. 2) die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder (Z. 3) die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 im Widerspruch stehen. Nach der hg. Judikatur ist die Vollstreckung etwa dann unzulässig, wenn der Titelbescheid zu unbestimmt ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 2014, Zl. 2013/10/0247).

Soweit dies zur Beurteilung einer Verdachtsfläche unbedingt erforderlich ist, haben nach § 16 Abs. 1 ALSAG die Liegenschaftseigentümer sowie die an der Liegenschaft dinglich oder obligatorisch Berechtigten das Betreten der Liegenschaften und Anlagen im notwendigen Umfang insbesondere zur Entnahme von Proben durch die Organe der zur Vollziehung dieses Bundesgesetzes zuständigen Stellen sowie die von diesen Behörden herangezogenen Dritten zu dulden. Vor dem Betreten der Liegenschaft oder der Anlage sind die Eigentümer und die an dieser Liegenschaft dinglich und obligatorisch Berechtigten nach Tunlichkeit zu verständigen.

§ 16 Abs. 1 ALSAG steht der Erlassung eines die Duldungspflicht konkretisierenden Bescheides nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2002, 2001/07/0139).

§ 16 Abs. 1 ALSAG macht die Duldungspflicht der Liegenschaftseigentümer nur davon abhängig, dass sie zur Beurteilung einer Verdachtsfläche unbedingt erforderlich ist; an die Einhaltung der Bestimmungen des § 13 Abs. 1 und 2 ALSAG wird nicht angeknüpft (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2002, 2001/07/0139). Nach § 13 Abs. 1 ALSAG hat der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie (nunmehr der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaf) Verdachtsflächen bekannt zu geben und ergänzende Untersuchungen, soweit diese zur Erfassung, Abschätzung und Bewertung von Verdachtsflächen sowie zur Prioritätenklassifizierung erforderlich sind, nach Maßgabe der vorhandenen Mittel (§ 12 Abs. 2) durch den Landeshauptmann zu veranlassen. Die aus der Erfassung gewonnenen Daten und Kenntnisse sind an das Umweltbundesamt zu übermitteln, durch das Umweltbundesamt zu verwerten und in einem Verdachtsflächenkataster (§ 11 Abs. 2 Z 2) zu führen.

Die vom Verwaltungsgerichtshof zu den Anforderungen an die ausreichende Bestimmtheit von Leistungsbefehlen entwickelten Grundsätze haben sinngemäß auch im Falle der Erlassung eines Duldungsbescheides Anwendung zu finden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2002, 2001/07/0139). Ein Bescheidspruch, durch den eine Verpflichtung auferlegt wird, muss so bestimmt gefasst sein, dass nötigenfalls seine Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung möglich ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. März 1996, 93/07/0163). Eine Vollstreckungsverfügung setzt voraus, dass der Vollstreckungstitel ausreichend bestimmt ist und nicht erst im Wege einer Auslegung bestimmbar sein könnte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. November 1994, 94/07/0018). Die Anforderungen an die ausreichende Bestimmtheit eines Bescheidspruchs im Sinne des § 59 Abs. 1 AVG hängen von den Umständen des Einzelfalles ab.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist der Titelbescheid in Bezug auf die Frist, innerhalb der die von ihm zu duldenden weiteren zwei Trockenkernbohrungen vorzunehmen sind, hinreichend klar. Wesentlich ist die in Punkt 4. hierfür ausdrücklich vorgesehene Frist von vier Wochen. Die Punkte 1. bis 3. des Titelbescheides gelten für die Herstellung der beiden weiteren Bohrungen lediglich sinngemäß, weshalb angesichts der in Punkt 4. ausdrücklich angeführten Frist von vier Wochen, der bezogen auf die vier Bohrungen am nördlichen Grundstücksteil in Punkt 1. enthaltenen Herstellungsfrist von vier Monaten keine Relevanz zukommt.

Zu folgen ist dem Beschwerdeführer hingegen darin, dass die in Punkt 4. des Titelbescheides enthaltene Duldungspflicht in Bezug auf die Formulierung "relevante Verunreinigungen" nicht hinreichend bestimmt ist. Die Duldungspflicht betreffend weitere zwei Trockenkernbohrungen (KB4 und KB5) in südlicher Richtung des Grundstücks wird davon abhängig gemacht, dass in den durch die vier Trockenkernbohrungen gewonnenen Bodenproben "relevante Verunreinigungen" festgestellt werden. Bei welchen Ergebnissen der vier Trockenkernbohrungen von "relevanten Verunreinigungen" im Sinne des Punktes 4. des Titelbescheides auszugehen ist, wird nicht näher konkretisiert oder erläutert. Der Begründung des Titelbescheides ist zwar zu entnehmen, dass in Bezug auf den Verdacht der Kontamination des Untergrundes mit Mineralölprodukten der Belastung durch Kohlenwasserstoffe und somit dem Parameter Kohlenwasserstoff-Index (KW-Index) wesentliche Bedeutung zukommt. Es wird jedoch auch hinsichtlich dieses Parameters an keine bestimmt bezeichneten Ergebnisse der vier am nördlichen Grundstücksteil vorgenommenen Trockenkernbohrungen angeknüpft. Mit der Formulierung "relevante Verunreinigungen" wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass nicht von vornherein jede Überschreitung nicht näher konkretisierter Schwellenwerte, für die Duldungspflicht gemäß Punkt 4. maßgeblich ist. Während die belangte Behörde auf Grundlage der Stellungnahme des Amtssachverständigen für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft - Altlasten DI W vom 29. Dezember 2011 im Hinblick auf die Überschreitung der Prüfwerte der ONÖRM S 2088-1 durch die Messergebnisse der vier Trockenkernbohrungen in Bezug auf einzelne Parameter wie etwa des KW-Index von "relevanten Verunreinigungen" ausgeht, verneint dies der Beschwerdeführer, weil er "relevante Verunreinigungen" erst bei Überschreitung der wesentlich höheren Maßnahmenschwellenwerte der ÖNORM S 2088-1 annimmt. Ab welcher im Zuge der vier Trockenkernbohrungen festgestellter Schadstoffbelastung von "relevanten Verunreinigungen" auszugehen ist, hat sich zwar am im Spruch des Titelbescheides wiedergegebenen Ziel der zu duldenden Untersuchungen (Erfassung, Abschätzung und Bewertung der Verdachtsfläche sowie Prioritätenklassifizierung) zu orientieren. Daraus kann jedoch nicht zuletzt unter Bedachtnahme darauf, dass gemäß § 16 Abs. 1 ALSAG die Duldungspflicht des Beschwerdeführers nur die unbedingt erforderlichen Untersuchungen umfasst, weder die Überschreitung der Prüf- noch der Maßnahmenschwellenwerte der ÖNORM S 2088-1 von vornherein für die Annahme "relevanter Verunreinigungen" herangezogen werden, zumal im Zusammenhang mit dieser Beurteilung auch sonstige bereits vorhandene Prüf- und Messergebnisse früherer Untersuchungen nicht nur am gegenständlichen Grundstück, sondern auch an benachbarten Grundstücken zu berücksichtigen sind. Es fehlen somit nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür, wie die Untersuchungsergebnisse der vier Trockenkernbohrungen am nördlichen Grundstücksteil beschaffen sein müssen, damit gemäß Punkt 4. des Titelbescheides zwei weitere Trockenkernbohrungen (KB4 und KB5) in südlicher Richtung des Grundstücks geduldet werden müssen. Die Bestimmtheit ist daher selbst bei einem Zusammenlesen von Spruch und Begründung des Titelbescheides nicht gegeben.

Wie die Beiziehung des Amtssachverständigen für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft - Altlasten DI W seitens des BM zur Beurteilung der Untersuchungsergebnisse der vier Bohrungen in Bezug auf die Notwendigkeit der weiteren Trockenkernbohrungen am südlichen Grundstücksteil zeigt, ist die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens erforderlich, um festzustellen, ob die Ergebnisse der vier Trockenkernbohrungen gemessen an den Zielen der Untersuchungen weitere Bohrungen und Bodenanalysen unbedingt erforderlich erscheinen lassen. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss jedoch der Spruch eines Bescheides, mit dem eine Verpflichtung auferlegt wird, so bestimmt sein, dass ohne weiteres Ermittlungsverfahren und neuerliche Entscheidung eine Vollstreckung möglich ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2002, 2001/07/0139).

Der dem Vollstreckungsverfahren zugrundeliegende Titelbescheid ist daher in Bezug auf die in Punkt 4. enthaltene Formulierung "relevante Verunreinigungen" zu unbestimmt und die Vollstreckung insofern gemäß § 10 Abs. 2 Z 1 VVG unzulässig. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich bereits aus diesen Erwägungen als inhaltlich rechtswidrig, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 79 Abs. 11 VwGG und § 3 der VwGH-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem in der Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag Umsatzsteuer mitenthalten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2015, Zl. 2013/07/0245).

Wien, am 25. Juni 2015

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