VwGH 2012/21/0100

VwGH2012/21/010028.8.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der H in P, vertreten durch die Kerres Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Schubertring 2, gegen den Bescheid der Österreichische Botschaft Islamabad vom 19. März 2012, betreffend Visum, zu Recht erkannt:

Normen

32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 lita sublitiii;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 lita sublitiii;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine in Pakistan lebende afghanische Staatsangehörige, stellte am 23. Februar 2012 den formularmäßigen Antrag auf Ausstellung eines Schengenvisums für einen neunzigtägigen Aufenthalt in Österreich, um ihren Ehemann, der in Österreich über eine Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter verfügt, zu besuchen. Dem Antrag lagen u. a. Flugreservierungsbestätigungen für den Hin- und Rückflug, Schriftstücke des Magistrats der Stadt W betreffend den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, ein Schreiben des Ehemannes über den Zweck des Aufenthalts, eine Anmeldebestätigung zu einem Deutschkurs sowie eine (elektronische) Verpflichtungserklärung des Ehemannes bei. Im Schreiben des Ehemannes wurde unter anderem ausgeführt, dass es in Pakistan keine "dazugehörigen Deutschkurse" gebe und eine Mitarbeiterin des Magistrats der Stadt Wels ihm daher mitgeteilt habe, die Beschwerdeführerin könne sich in Österreich für einen Deutschkurs anmelden, da sie ihren Ehemann für drei Monate besuche.

Die belangte Behörde teilte der Beschwerdeführerin mit formularmäßiger Erledigung vom 24. Februar 2012 mit, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden; eine Prüfung habe aber ergeben, dass dem Antrag gemäß den Bestimmungen des Visakodex (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009) "bzw. des Österreichischen Fremdenpolizeigesetzes" nicht stattgegeben werden könne. Zur Begründung wurden die folgenden beiden Textbausteine angekreuzt:

"Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen."

und "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.". Unter einem wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von sieben Kalendertagen eine abschließende Stellungnahme einzubringen.

In der Folge langte bei der belangten Behörde eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin ein, die von dieser nicht eigenhändig unterschrieben, aber mit Beglaubigungsstempel und Paraphe eines Notars in Islamabad versehen war. Darin bekräftigte die Beschwerdeführerin, dass ihr Ehemann, der ein eigenes Haus habe, in der Lage sei, alle Kosten ihres Aufenthalts in Österreich zu tragen, und dass er die volle Verantwortung dafür übernehme, dass sie nach Absolvierung ihres Deutschkurses wieder nach Pakistan zurückkehre; sie versicherte, nicht länger als für die Dauer ihres Visums in Österreich zu bleiben.

Auch der Ehemann der Beschwerdeführerin erstattete eine Stellungnahme, in der er einerseits auf seine Verpflichtungserklärung hinwies und andererseits im Hinblick auf die beabsichtigte Wiederausreise auf ein (nicht im Akt liegendes) E-Mail der Caritas W an die belangte Behörde verwies. Es bestehe kein Grund zur Annahme, dass die Beschwerdeführerin nicht wieder ausreisen werde. Außerdem legte er eine Gehaltsabrechnung vom Februar 2012 vor, aus der sich ein Nettoeinkommen (inklusive (anteiligen) Sonderzahlungen) in der Höhe von EUR 1.496,65 ergibt.

Mit dem angefochtenen Bescheid verweigerte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin das beantragte Visum unter Verwendung des nach dem Visakodex dafür vorgesehenen Formulars. Zur Begründung waren die Textbausteine "Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen.", "Die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen Ihres Aufenthalts waren nicht glaubhaft" und "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden." angekreuzt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Beschwerde entgegen den Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift als rechtzeitig erweist, weil die Beschwerdeführerin innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt hat (vgl. § 26 Abs. 3 VwGG).

In der Sache bringt die belangte Behörde in der Gegenschrift vor, der Antrag habe trotz Berücksichtigung aller vorgelegten Unterlagen nicht positiv erledigt werden können. Die Verpflichtungserklärung des Ehemannes sei als nicht tragfähig erachtet worden; nach dieser Verpflichtungserklärung verfüge er über ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von EUR 1.388,28, dem aber Alimentationszahlungen in der Höhe von EUR 145,-- und Mietzahlungen in der Höhe von EUR 540,-- gegenüber stünden. Zur Behauptung, es sei nicht möglich, in Pakistan geeignete Deutschkurse zu besuchen, wird ausgeführt, es sei nicht zutreffend, dass es "in Pakistan oder Afghanistan" keine solchen Kurse gebe; so böten zB Institute in Kabul, Islamabad, Lahore und Karachi Deutschkurse an.

Der angefochtene Bescheid stützt sich erkennbar zum einen auf den Verweigerungsgrund des Art. 32 Abs. 1 lit. a sublit. iii Visakodex, wonach das Visum zu verweigern ist, wenn der Antragsteller nicht den Nachweis erbringt, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigen Aufenthalts oder für die Rückkehr in seinen Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügt, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, bzw. nicht in der Lage ist, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben, und zum anderen auf jenen des Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex, wonach ein Visum dann zu verweigern ist, wenn begründete Zweifel an der Echtheit der vom Antragsteller vorgelegten Belege oder am Wahrheitsgehalt ihres Inhalts, an der Glaubwürdigkeit seiner Aussagen oder der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.

Zu diesen Verweigerungsgründen hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin zwar formal Parteiengehör gewährt, ohne sie allerdings - sei es auch nur durch Ankreuzen bzw. Ausfüllen der im verwendeten Formular dafür vorgesehenen Felder - davon in Kenntnis zu setzen, auf Grund welcher konkreten Umstände sie diese Tatbestände verwirklicht sah. Von daher erweist sich die Gewährung des Parteiengehörs, von der auch im Anwendungsbereich des Visakodex nicht abgesehen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0344), als unzureichend (vgl. zur Notwendigkeit eines konkret begründeten Vorhalts etwa das hg. Erkenntnis vom 17. November 2011, Zl. 2009/21/0043, mwN).

Der belangten Behörde kann aber auch inhaltlich nicht darin gefolgt werden, dass die von ihr herangezogenen Verweigerungsgründe vorgelegen sind:

Was die zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel betrifft, so ist - auch in Anbetracht der Belastung durch die in der Verpflichtungserklärung angegebenen Mietzahlungen und Unterhaltspflichten - nicht nachvollziehbar, warum das jedenfalls über dem Ausgleichszulagenrichtsatz für Ehepaare liegende Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin, bei dem sie offenbar wohnen kann, nicht ausreichend sein sollte, um ihren neunzigtägigen Aufenthalt und die Wiederausreise zu finanzieren.

Mit der Auslegung des Verweigerungsgrundes des Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex hat sich der Verwaltungsgerichtshof im bereits erwähnten Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0344, befasst. Unter Bezugnahme auf Vorjudikatur hat er dargelegt, dass schon das Abstellen auf "begründete Zweifel" in der genannten Bestimmung deutlich mache, dass nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden dürfe, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es werde daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung bedürfen, und die Behörde könne die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig werde daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt seien, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen werde.

Solche gegenteiligen Indizien - insbesondere ein bisheriges fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten oder konkrete Anhaltspunkte für ein solches (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. November 2011, Zl. 2010/21/0423) - hat die belangte Behörde aber weder dargelegt, noch ergeben sie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten. Es kann auch nicht gesagt werden, die Erklärung des Ehemannes der Beschwerdeführerin, sie wolle in Österreich mangels entsprechender Möglichkeiten in Pakistan einen Deutschkurs besuchen, sei unglaubwürdig, hat doch auch die belangte Behörde in der Gegenschrift nur Institute angeführt, von denen das nächste etwa 170 km vom Wohnort der Beschwerdeführerin entfernt ist. Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, dass sie den Besuch ihres Ehemannes mit der Absolvierung eines Deutschkurses verbinden wollte.

Da die belangte Behörde demnach zu Unrecht die genannten Verweigerungsgründe bejaht hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 28. August 2012

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