VwGH 2010/21/0344

VwGH2010/21/034429.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der E, vertreten durch Dr. Roland Gabl, Dr. Josef Kogler, Mag. Harald Papesch und Mag. Helmut Leitner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Museumstraße 31a, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Manila vom 21. Juni 2010, Zl. KONS_0511_2010, betreffend Visum, zu Recht erkannt:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta;
32009R0810 Visakodex Anh6;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs2;
32009R0810 Visakodex Art58;
32009R0810 Visakodex;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2 impl;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11;
MRK;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
12010P/TXT Grundrechte Charta;
32009R0810 Visakodex Anh6;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs2;
32009R0810 Visakodex Art58;
32009R0810 Visakodex;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2 impl;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrPolG 2005 §11 Abs1;
FrPolG 2005 §11;
MRK;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine philippinische Staatsangehörige, stellte am 14. Juni 2010 bei der Österreichischen Botschaft Manila (der belangten Behörde) im Hinblick auf die Einladung eines österreichischen Gastgebers den formularmäßigen Antrag auf Ausstellung eines Schengenvisums für einen neunzigtägigen Aufenthalt in Österreich. Vorgelegt wurden Reservierungen des Hin- und Rückflugs, die Bestätigung eines Versicherungsabschlusses für den Aufenthalt im Schengenraum, die Verpflichtungserklärung des Gastgebers, Nachweise über Einkommen und Ersparnisse der Beschwerdeführerin, die schriftliche Urlaubsgewährung ihres Arbeitgebers, die Geburtsurkunde ihres vierjährigen Sohnes, ihre Heiratsurkunde und die Bestätigung ihres Ehemanns, dass er mit ihrer Reise einverstanden sei und dass sie zu ihm und ihrem Sohn zurückkehren werde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21. Juni 2010 wies die belangte Behörde den Antrag unter Verwendung des in der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) vorgesehenen Formblattes ab, wobei sie als Begründung - durch Ankreuzen des entsprechenden Textbausteins im Formular - angab, dass die Absicht der Beschwerdeführerin, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, nicht festgestellt werden habe können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde legt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides dar, dass die Beschwerdeführerin sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Visums erfüllt habe. Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt sie zum einen die Verwendung des "musterartigen Vordrucks" für die Erledigung und zum anderen, dass der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde im Verfahren keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden sei.

Die belangte Behörde führt in der Gegenschrift aus, dass die Beschwerdeführerin in Bezug auf ihre Beziehung zum Einladenden nur angegeben habe, dass sie ihn während dessen Urlaubsaufenthaltes in ihrer Heimatstadt kennengelernt habe; die beiden hätten einander also erst sehr kurz gekannt, sodass der Einladende "unter Umständen" nicht in der Lage sei, die "persönlichen Hintergründe und eventuelle Migrationsabsichten" der Beschwerdeführerin zu kennen. Auch das Gewicht der vom Einladenden vorgelegten Verpflichtungserklärung sei "diesbezüglich zu beurteilen". Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin verheiratet sei und ihr Ehemann die schriftliche Zustimmung zur Reise gegeben habe, sei ebenfalls in die Entscheidung miteinbezogen worden. Unklar sei, ob der Einladende wisse, dass die Beschwerdeführerin verheiratet sei. Auch dies werfe Fragen zur Beziehung zwischen Einladendem und Beschwerdeführerin auf. Der Einladende habe in den Jahren 2008 und 2009 eine andere philippinische Staatsangehörige zu Besuchen von jeweils drei Monaten eingeladen. Weiters sei die soziale Situation der Beschwerdeführerin beurteilt worden; diese weise zwar ein für philippinische Verhältnisse durchschnittliches Einkommen und ein geringes Sparguthaben auf, könnte aber zB durch die Einwanderung in den Schengenraum und Tätigkeiten im Ausland ein Vielfaches ihres bisherigen Gehalts verdienen und auch zu einer ökonomischen Verbesserung der Lage ihrer Familie beitragen. Zu den Verfahrensrügen der Beschwerdeführerin verweist die belangte Behörde auf den Visakodex und vertritt die Meinung, dass in dessen Anwendungsbereich kein Parteiengehör zu gewähren sei.

Richtig ist, dass im Beschwerdefall der nach seinem Art. 58 grundsätzlich seit dem 5. April 2010 geltende Visakodex anzuwenden war, der nach seinem Art. 1 die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum festlegt. Als unionsrechtliche Verordnung gilt der Visakodex unmittelbar.

Die angefochtene Erledigung leidet auch nicht schon deshalb an einem Begründungsmangel, weil sie sich auf das Ankreuzen von Textbausteinen beschränkt, ohne auf den konkreten Fall Bezug zu nehmen und Feststellungen dazu zu treffen. Diese Vorgangsweise entspricht vielmehr den besonderen Regeln für das Verfahren vor den österreichischen Vertretungsbehörden (vgl. § 11 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG) sowie dem ab 5. April 2011 geltenden Art. 32 Abs. 2 iVm Anhang VI Visakodex.

Der Visakodex enthält zwar auch keine ausdrückliche Bestimmung über die Gewährung von Parteiengehör bzw. - wie § 11 Abs. 1 letzter Halbsatz FPG - über die Verpflichtung, der Partei Gelegenheit zu einer abschließenden Stellungnahme zu geben.

§ 11 FPG normiert nichtsdestotrotz die Minimalanforderungen an ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren. Zu diesen Anforderungen gehört unter anderem die Pflicht zur Gewährung von Parteiengehör. Ebenso erfordern es die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens, dass der für eine Entscheidung maßgebliche Sachverhalt, wenn er schon nicht in der Begründung des Bescheides darzulegen ist, zumindest im Akt nachvollziehbar sein muss, was für den Rechtsschutz (die Rechtsverfolgung vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts) gerade noch hinreicht und in § 11 FPG ausdrücklich normiert ist (vgl. etwa das zum FPG ergangene hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0117, mwN). Daran, dass zumindest diese Minimalanforderungen auch für Verfahren nach dem Visakodex gelten, kann aber, solange darin nicht ausdrücklich Abweichendes angeordnet wird, kein Zweifel bestehen (vgl. insbesondere die Verpflichtung zur "Beachtung bewährter Verwaltungsverfahren" nach dem Erwägungsgrund 7 und den Hinweis auf die EMRK und die Grundrechtecharta im Erwägungsgrund 29 des Visakodex).

Eine Bestimmung, die die Gewährung von Parteiengehör ausschließen würde, enthält der Visakodex nicht. Die belangte Behörde hat daher Verfahrensvorschriften verletzt, indem sie der Beschwerdeführerin vor der Abweisung des Antrages keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

Der angefochtene Bescheid erweist sich aber auch aus einem weiteren Grund als rechtswidrig:

Gemäß Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex ist ein Visum unter anderem dann zu verweigern, wenn begründete Zweifel an der vom Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen. Schon das Abstellen auf "begründete Zweifel" in Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex macht deutlich, dass nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden darf, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es wird daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung bedürfen, und die Behörde kann die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig wird daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt sind, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen wird (vgl. in diesem Sinn auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 1 Z 2 FPG, zB das Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0104, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung zur - ähnlich wie Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex formulierten - Vorgängerbestimmung nach dem Fremdengesetz 1997).

Begründete Zweifel an der Wiederausreiseabsicht der Beschwerdeführerin, die eine Verweigerung des Visums rechtfertigen würden, hat die belangte Behörde aber nicht hinreichend dargelegt.

In den vorgelegten Verwaltungsakten findet sich dafür nur folgende Begründung: "AStin (die Beschwerdeführerin) legt Schreiben des Ehegatten vor, der dem Besuch der Gattin des Einladers zustimmt, dessen Authentizität allerdings mangels beigelegten Identitätsdokuments nicht belegt wird. (Es folgt die Feststellung der Tragfähigkeit der Verpflichtungserklärung des Einladenden.) Lt. AStin besteht pers. Bekanntschaft seit Jänner 2010. Trotz Urlaubsgenehmigung des Arbeitgebers muss die tatsächliche berufl. Verwurzelung in Frage gestellt werden; im Hinblick auf geplante Abwesenheitsdauer auch die familiäre."

Diese Begründung ist unvollständig, lässt sie doch die Gesichtspunkte, die für eine zeitgerechte Rückkehr der Beschwerdeführerin gesprochen hätten, insbesondere das Vorliegen eines Rückflugtickets (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Umstandes für die Rückkehrwilligkeit etwa das zu § 21 Abs. 1 Z 2 FPG ergangene hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2007/21/0229, mwN) sowie die Bindung zu ihrem vierjährigen Sohn, völlig außer Acht. Im Übrigen vermag auch das in der Gegenschrift herangezogene Argument, die Beschwerdeführerin könne im Ausland ein Vielfaches ihres bisherigen Gehalts verdienen und auch zu einer ökonomischen Verbesserung der Lage ihrer Familie beitragen, nicht zu überzeugen, legt die belangte Behörde doch nicht dar, dass die Beschwerdeführerin solches tatsächlich beabsichtige.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. September 2011

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